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«tm mehr oder minder wettaehende Spezialausbildung er hielten, je nachdem fie die Abteilung für Industrie, Land wirtschaft usw. besuchten. Sie gelangten dann auf die Uni versität, wo der philologische und philosophische Unterricht möglichst eingeschränkt wurde zugunsten der angewandten Wissenschaften, namentlich zugunsten der politischen und sozialen Fakultät. -Zugleich bildete man, um den Arbeitern den höheren Unterricht sofort zugänglich zu machen, an jeder Universität eine „Arbeiterfakultät" (Rakfak), in der junge Leute zwischen achtzehn und dreißig Jahren studieren konnten. In den Fabriken und Werkstätten würden die Begabtesten aus erwählt und vom Staat erhalten. Nach der Vorschrift sollten 25 AL ohne politische Rücksichten von verschiedenen Regte- rungsorganen gewählt werden. Dieses gigantische Pro gramm ließ sich natürlich nicht durchführen. Ptele Elemen tarschulen wurden eröffnet, aber der größte Teil konnte aus Manael an Mitteln keine brauchbaren Dienste leisten, Der italienische Graf. Roman von Erich Ebenstein. Lovvrigkt 1922 dy Karl Köhler S- To , Berlin W IS R (Nachdruck verboten.) Schullern antwortete nicht sofort. Wie ein Mühlenrad kreisten die Gedanken in seinem Kopf. Er konnte an den ange führten Tatsachen ja nicht zweifeln. Ebenso fest stand aber auch die Tatsache, daß er selbst diesen Mann abends mit eigenen Augen hatte aus dem Hotel kommen sehen, in einer Weise und Verfassung, die jetzt schwerwiegend ins Gewicht fielen . . . Aber derselbe Instinkt, der ihm schon gestern Verdacht gegen den Mann eingeflößt hatte, hielt ihn jetzt ab. diesen Verdacht dem Portier gegenüber auch nur anzudeuten. „O, ich weiß nicht," sagte er leichthin, „irgend jemand hat es mir gesagt, aber wie sich zeigt, irrt man sich. Wer ist dieser Mr. Stanhope eigentlich? Was treibt er? Wo lebt er und — wovon." Herr Blaschke zuckte lächelnd die Achseln. „Ich kann nur annehmen, daß er reicher Leute Kind ist, denn er versagte sich nichts und bezahlte sehr nobel. Im übrigen weiß ich nur, was er selbst gelegentlich andeutete: Daß er für gewöhnlich in London lebt und in Spottsangelegenheiten hierher kam. Er wollte, glaube ist, ein paar^ Traber kaufen und ver kehrte viel am Trabrennplatz, bis auf die letzten drei Tage, wo er leidend wa'- und einer Halsentzündung wegen das Zimmer hütete „Wohin er reiste, wißen Sie wohl nicht?" „Doch sicherlich nach London, da er sich bei mir wegen der Anschlüße erkundigte und dabei die Hoffnung aussprach, seinen Mater noch am Leb'en anzutreffen." Schullern zeigte ein enttäuschtes Gesicht. „Nun, da werde ich wohl mit meiner persönlichen Angele genheit burchfallen, denn dorthin Nachreifen kann ich ihm nicht. Dazu ist die Sache doch nicht wichtig genug. Also meinen besten Dank für die Auskunft, Herr Blaschke." „Bitte, bitte, war mir doch nur eine Ehre, dem Herrn Oberleutnant dienen zu können!" Wieder schlenderte Schullern durch die Straßen. Er dachte nicht mehr „Auswanbern ober . . .?" Seine Gedanken be schäftigten sich ausschließlich mit dem Verbrechen im Hotel Bal- lister. Es war klar, baß dieser Engländer daran durchaus nicht so unbeteiligt war, als alle Welt annahm. Der Umstand, daß er dar Hotel am Morgen so offiziell als möglich verlaßen hatte Le-rk und Lehrerinnen wurden unregelmäßig und unter großer Verzögerung bezahlt, so daß fie infolge des schnellen Fallens deS Rubelkurses beträchtliche Verluste erlitten; fie gerieten dadurch in Not. Wenn dazu noch die öffentliche Lebensmittelration ausblieb, mußten sie häufig hungern. Außerdem bestand großer Mangel an Lehrmitteln. Was kann der aufopferndste Lehrer leisten, wenn seine Schüler weder Bleistifte noch Schreibhefte, weder Tafeln noch Griffel haben, und wenn Bücher eine Seltenheit sind? Krieg und Bürgerkrieg und nicht zum wenigsten die Dürre im Jahre 1921 überwiesen außerdem Millionen elternloser oder ver lassener Kinder der Fürsorge des Staates: in den von der Hungersnot heimgesuchten Gebieten allein 1700 000. So mangelhaft diese Kleinen auch in den Sowjetasylen ernährt und gekleidet wurden, erwuchsen daraus doch den Behörden große Ausgaben^ Die Zahl der Elementarschüler hat sich inzwischen so ver mindert, daß es jetzt weniger sind gls unter her Zarenherr ¬ und am Nachmittag wieder dahin zurückgekehrt war — diesmal so heimlich als möglich — konnte kaum eine andere Deutung zu laßen. Entweder war er selbst der Mörder oder falls wirklich die Gesellschafterin die Tat beging, so war er doch ihr Helfers helfer und schaffte nachher den geraubten Schmuck aus dem Hause. Was nun tun? Schullern zweifelte nicht, daß es eigent lich seine Pflicht sei, alles, was er wußte, sofort der Behörde mitzuteilen. Aber eine seltsame Scheu hielt ihn vorerst noch davon ab. Er hatte keinerlei Beweise. Alles war nur Vermu tung. Schlüsse. Wenn man ihm nicht glaubte — und das war sehr wahrscheinlich, sobald man die bestimmten Angaben des Portiers dagegen in die Wagschale warf — so war alles ver loren. Der Mann war dann gewarnt und würde sein weiteres Verhalten danach eknrichten. So beschloß Schullern, die Sache vorerst noch einmal gründ lich zu überlegen. Inzwischen machte sich ein starkes Hungergefühl bei ihm geltend. Er hatte morgens in seiner Erregung bloß den Kaffee hinuntergestürzt und keinen Bißen dazu gegeßen. Vor zwölf Ühr aber würde Minnie keinesfalls mit dem Essen fertig sein. Früher hätte er in gleicher Lage einfach ein Speisehaus ausge sucht und es sich bei einem ausgiebigen Gabelfrühstück wohl fein laßen. Aber jetzt hieß es mit den Pfennigen rechnen, also blieb höchstens ein Kaffeehaus oder Automatenbüfett. Schullern ent schloß sich für letzteres und bekrat wenige Minuten später ein in der Kärntenerstraße gelegenes derartiges Lokal. Als er es sich bann in dem stark überfüllten Naum an einem glücklich eroberten Tischchen bei belegtem Brot und einer Flasche Bier bequem gemacht, überlegte er „seinen Fall" noch einmal gründ lich von allen Seiten und kam zu dem Ergebnis, daß es am klügsten sei, die weitere Entwicklung der behördlichen Maßnah men abzuwarten. Da der Engländer ja ohnehin bereits das Weite gesucht, war es schließlich nicht von Belang, ob man mit der Verfolgung einen oder zwei Tage früher begann. Auch war es durchaus nicht ausgeschlossen, daß die Behörde bereits hinter ihm her war. Sie konnte ja ganz gut auf anderem Wege ähn liche Entdeckungen gemacht und ihre anfängliche Meinung von Lotte Kramers Schuld geändert haben. Daß die Zeitungen nichts darüber brachten, bewies gar nichts. Man bindet den Reportern nicht alles auf die Nase, was die hl. Justitia in ihren vier Wänden tut ... . So weit war Schullern in seinen Gedankeng ekommen, als er in der etwas düstern Ecke hinter sich EtühlyMen und eine schaff. Ach habe vetzweMte Brief» von russischen Lehrer« erhalten, deren Schulen aus Mangel an Mitteln geschlossen worden sind. In einigen Fällen habe ich Abhilfe schaffen können, und unsere Hilfsorganisation gibt sich große Mühe, Rußland einige der so sehr entbehrten Lehrmittel zu senden. Aber diese Arbeit, die für Rußlands Zukunft so wichtig ist, erfordert ziemlich beträchtliche Mittel. . Da das allgemeine Streben der neuen russischen Politik auf finanzielle Dezentralisation ausgeht, ist die Organisation und der Betrieb der Schulen jetzt örtlichen Behörden unter stellt. ES war das einzige Mittel, einen Teil der Schulen zu reiten; aber er kann nicht hindern, daß viele von ihnen schließen müssen . . , -- London. (Rückgang der, Arbeitslosigkeit.) In einer Statistik, die amtlich heraüsgegeben wird, zählte daS englische Arbeitsamt am S. November 1244 000 Arbeitslose beiderlei Geschlechts, was einen Rückgang um 1199S Personen gegenüber der Vorwoche darstellt. Stimme, die er unbedingt schon irgendwo gehört hatte, bald* laut in italienischer Sprache sagen hörte: „Also versuchen wir's bei deinem Freund Stauber, und dann rasch heim zu Marietta! Eie wird uns bereits erwarten!" Schullern wqndte rasch den Kops und — ließ den Biße«, den er eben zum Mund führen wollte, starr vor Uederraschung zu Boden fallen. Wenige Schritte von ihm entfernt stand der Mann, der seit gestern all seine Gedanken beschäftigte! .... Der Engländer Stanhope!! Diesmal war sein Gesicht nicht verstört und Schullern sah nun, daß es ein schönes, regelmäßiges Gesicht war, wenn auch Leidenschaften ihre Schrift darin deutlich hinterlaßen halten. Sein Begleiter, offenbar derselbe, der ihn gestern Im Gäßchen binter dem Hotel erwartet hatte, war unverkennbar ein Italiener und mochte wohl schon über die Sechzig sein, denn sein Haar war fast weiß, und weiß waren auch die buschigen Brauen über den schwarzen unstät funkelnden Augen, die wie Kohlen aus dem grauen, furchigen Gesicht glühten. Ohne Schullern zu beachten, schritten nun beide an Ihm vorüber dem Ausgang zu. Sekundenlang starrte dieser ihnen wie entgeistert nach. Dann erhob er sich und eilte ihnen hastig nach. „Ich muß wissen, wo er wohnt!" war sein einziger Ge danke. Aher Schullern hatte vergeßen, daß das im Halbstock eines großen Eckhauses liegende Automatenbüfett sich in der Kärntener Straße befand und diese wie gewöhnlich voll Men schen war. Als er aus dem Hause trat, wimmelte der Bürger steig von eilig bin und her hastenden Menschen, die in ihrer Gesamtheit einen schwer zu durchdringenden Wall bildeten und jeden weiteren Ausblick versperrten. Von den beiden Gesuchten war keine Spur mehr zu sehen. Sie konnten ebensogut gegen den Stefansplatz, als den Ring gegangen ober in die Seitengasse eingebogen sein. Ihnen aufs Geratewohl zu folgen, hätte wirk lich gar keinen Sinn gehabt. Schullern war wütend auf sich selbst. Warum war er nicht sofort hinter ihnen drein gegangen! Sie kannten ihn ja nicht und es hätte ihnen keinesfalls auffallen können. Dabei spürte er ein förmliches Fieber in sich — das Fieber des Jagdhundes, der ein Wild verfolgt . . Nie hätte er ähnliches empfunden. Er mußte den Menschen wieder finden! Er würde keine Ruhe haben, ehe seine Rolle in dem Drama des Hotels Ballister nicht völlig klar gestellt war... Da bekam er plötzlich einen heftigen Stoß. _