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.V 175. 31. Juli 1909. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dlschn. Buchhandel. 8851 zu dieser Hoffnung —, daß alle Länder IN einer nicht allzu fernen Zukunft sämtliche Beschlüsse der Berliner Konferenz annehmen werden. Nun würde der Bestand verschiedener, durch förmliche Abmachung festgestellter Unionen gerade den schrittweisen Ver- zicht auf die einzelnen Vorbehalte, die ein Land heute noch zu machen in der Lage ist, in Frage stellen; er würde die Gefahr in sich schließen, das System der Sonderbehandlung, das unserer Ansicht nach nur vorübergehend sein sollte, zu einem dauernden zu machen. Die Berliner Konferenz mußte es sich deshalb besonders angelegen sein lassen, sämtlichen Ländern den Beitritt zu all den Abänderungen der Übereinkunft zu erleichtern. Nach dieser Richtung konnte das zu wählende System nur ein solches sein, das die größte Biegsamkeit aufwies, und das ist gerade das von der Konferenz angenommene und durch die Vorschrift des zweiten Absatzes des Artikels 27 sanktionierte System. Jeder Verbandsstaat kann danach denjenigen Abänderungen sich anschließen, die ihm annehmbar erscheinen; was die übrigen anbetrisst, die es seiner Ansicht nach nicht sind, so kann er für sich die Beibehaltung des jetzigen Zustandes, also des nach der Berner Übereinkunft und nach der in Paris abgeänderten Über einkunft bestehenden Rechtsverhältnisses ankündigen. Vielleicht wäre zu wünschen gewesen, daß die Konferenz eine kleine Anzahl fest bestimmter Fragen, hinsichtlich deren Vorbehalte gemacht werden dürfen, noch besonders bezeichnet hätte. Es scheint jedoch, daß die Beratungen im Schoße der Unter- kommission Meinungsverschiedenheiten in so vielen Fragen zutage förderten, daß die Auswahl unter diesen Fragen schwierig ge wesen wäre. So ist auch von diesem Gesichtspunkte aus das gewählte System das geschmeidigste. Dieses System ist seit der Veröffentlichung der Ergebnisse der Konferenz zum Gegenstand mancher Ausstellung gemacht worden. Gegenüber dieser Kritik erlaube ich mir zwei Bemerkungen zu unterbreiten. Einmal hat die Konferenz notgedrungen ein System der Sondvrbehandlung (L^stemo äitkörontiel) annehmen müssen, da sie sich in die Unmöglichkeit versetzt sah, die Zustimmung aller Länder auch nur zu den wichtigsten und am lebhaftesten verlangten Reformen zu erlangen. Die zweite Bemerkung bezieht sich aus den Einwand, die jedem Staate eingeräumte Besugnis, nur diese oder jene Ab änderung anzunehmen, für die anderen aber den stntus gno bei zubehalten, sei dem Bestreben nach Vereinheitlichung hinderlich; die Nötigung, sämtliche Abänderungen des Wortlautes der Über einkunft anzunehmen oder zu verwerfen, habe aus viele zögernde Länder einen Druck ausgeübt, während das in Berlin bevorzugte System der neuen Übereinkunft diese werbende Kraft geradezu entziehe; die verschiedenen Staaten hätten nun kein Interesse mehr daran, ihre Gesetzgebung der Berner Übereinkunft anzupasfen; sie seien der Versuchung ausgesetzt, auf die Durchführung der von der Konserenz in den Vordergrund gestellten Fortschritte sogar in solchen Fragen zu verzichten, hinsichtlich deren sie die gefaßten Beschlüsse ganz sicher angenommen hätten, wenn sie gezwungen gewesen wären, entweder das Ganze anzunehmen oder zurückzu weisen. Wer diesen Einwand ausgestellt hat, scheint mir das Gewicht des von der Konvention ansgeübten zwangsweisen, brutalen Druckes viel zu hoch anzuschlagcn, dagegen die moralische Wirkung, die sie ausstrahlt, nicht genügend in Betracht zu ziehen. Dieser Einwand wäre begründet, wenn man annehmen müßte, die ver schiedenen Verbandsländer verhielten sich im Grunde jeder fort schrittlichen Anregung gegenüber ablehnend und stellten den ge rechten Forderungen der Autoren gewisse einheimische Sonder interessen wirtschaftlicher oder anderer Natur entgegen. Eine solche Betrachtung der Dinge rechtfertigt sich aber durch die Tat sachen nicht. Ich habe die feste Überzeugung, daß alle Regierungen der an der Konferenz vertretenen Verbandsstaaten vom besten Willen beseelt sind, die Übereinkunft weiter zu entwickeln, und daß sie sich von der Notwendigkeit durchdrungen fühlen, dem Ziel der Vereinheitlichung der Urheberrechtsgesetze in den ausschlag gebenden Punkten weiterhin zuzustreben. Allerdings gibt der Berichterstatter zu, daß der durch die revidierte Berner Konvention von 1908 geschaffene Rechts- zustand nicht das Ideal bedeutet; es kann seiner Ansicht nach Vorkommen, daß vorgefaßte Meinungen, die sich in anderer z. B. politischer Richtung bewegen, die Regierungen oder Parlamente einzelner Länder abhalten, die Fragen des inter nationalen Autorschutzes mit der nötigen Sorgfalt zu prüfen; Vorurteile oder allzu großes Betonen traditioneller Gepflogen heiten mögen sich der Annahme dieser oder jener Reformen entgegenstellen. Aber in seinem Schlußappell zeigt sich Herr Osterrieth voll Kampfesmut und Zuversicht. -Haben wir Ver trauen zu uns selbst« — so schließt er seinen Bericht —, »zu der Kraft unserer Darlegungen und unseres Vorgehens, und es werden die Befürchtungen hinsichtlich des Unheils, das aus dem von der Berliner Konferenz angenommenen System der Sondcrbehandlung entstehen könnte, sich zerstreuen.» Herr Andre Taillefer hatte die Aufgabe übernommen, darzutun, welche Enttäuschungen der in Berlin Unterzeichnete einheitliche Text in den beteiligten Kreisen, namentlich Frankreichs, trotz der in ihm enthaltenen fortschrittlichen Regelung hervorgerufen hat. In sehr maßvoller Sprache wies er zunächst aus die Gefahren hin, die daraus entstehen, daß die Signatarländer durch die Artikel 25 und 27 ermäch tigt werden, unsere ein einheitliches, für alle geltendes inter nationales Gesetz bildende Übereinkunft in eine Anzahl Sonderabkommen, die jedes Land seinem Rechtszustande an passen könne, zu zersetzen und so zu seinem Privatgebrauch gewissermaßen sein eigenes Gesetz nach außen hin in seiner Wirkung auszudehnen, wenn es hinter den in Berlin an genommenen Abmachungen zurückbleibe. Da eine große Anzahl von Kombinationen möglich sei, so könne ganz gut an Stelle der unumgänglich nötigen Einheitlichkeit eine Lage sich herausbilden, die von der Anarchie nicht weit entfernt bleibe und noch dadurch erschwert werde, daß für die Numerierung der alten Vorschriften und des neuen ein heitlichen Textes nicht die gleichen Zahlen angenommen wurden. Hat man aber, so fragte Herr Taillefer, nachdem man einmal in Berlin das System der Vorbehalte gewählt hatte, dann wenigstens eine Jdealkonvention, ein sxsouluiu parkoetioms, ausgearbeitet, zu welcher die rückständig ge bliebenen Länder etappenweise sich heraufzuarbeiten hätten? Keineswegs. In vielen Artikeln — der Redner begründet seine Behauptung durch den Hinweis auf die Artikel 7 und 13 — wurde ein sehr fortschrittlicher Grundsatz an die Spitze gestellt; man entkleidete ihn aber sofort jeder prak tischen Bedeutung durch die in den folgenden Absätzen vor gesehenen Einschränkungen. So hat man trotz Artikel 27 die Werke der angewandten Kunst vom obligatorischen Schutz ausgeschlossen und eine ganz unmöglich durchzusührende Unterscheidung zwischen Kunst und angewandter Kunst be gründet; der Schutz der Photographien wurde in einen besondern Artikel verwiesen, ohne daß man für sie eine Minimalschutzdauer vorgesehen hätte; die Festsetzung der Schutzfrist wurde mit vielen Einschränkungen umgeben, und doch hatte die Beseitigung der Förmlichkeiten, die Unab hängigkeit der Rechte und die einheitliche Dauer einen in sich zusammenhängenden Komplex gegenseitiger Zugeständ nisse gebildet; dadurch aber, daß man auf letzteres Zu geständnis verzichtete, wurde der Vertragsentwurf sozusagen amputiert. Der neuerdings angenommene Grundsatz der territorialen Anwendung der Landesgefetze wird nun zur Folge haben, daß diejenigen Staaten, deren Gesetzgebung fort geschritten ist, gehalten sind, alles zu geben, ohne in den mit mangelhaften Gesetzen ausgcstatteten Ländern dafür eine Gegen leistung zu empfangen (Beispiele; Schutz gegen indirekte Aneig nung, Schutz der angewandten Kunst, photographische Porträts). Auf diese Weise gelangt man zu keiner eigentlichen Gegenseitigkeit. Die Regel äo ut äes ist nicht mehr anwendbar. Die Ver besserungen im internationalen Rechtsleben vollziehen sich nicht mehr auf dem Wege der Gegenseitigkeit; die fortgeschrittenen Länder werden für ihr Entgegenkommen beinahe bestraft; die mg-