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Italiens auswärtige Politik. Gelegentlich der Debatte über die aus wärtige Politik sind in der italienischen Depu tiertenkammer wichtige Worte gefallen, die auch für Deutschland nicht ohne Interesse sind. Zu nächst gaben bei der Besprechung über den Dreibund verschiedene Redner der Meinung Ausdruck, daß Verträge nicht unverletzlich seien. Das habe, so führte der frühere Ministerpräsident Fortis aus, das Beispiel Österreichs gezeigt, das den Berliner Vertrag verletzt habe, wodurch der bisherige Stand der Dinge verändert worden sei. Besonders bemerkenswert ist, daß die Mehrzahl der Redner darin ttbereinstimmte, das; Italien bei dem Dreibund verbleibe und ihn gegebenenfalls unter neuen Bedingungen er neuern müsse. Der irühere Minister Sonnino führte aus, er habe in der Vergangenheit die Politik Tittonis bei verschiedenen Gelegenheiten unter stützt, und zwar auf der Grundlage der Erklärungen Tittonis über die guten Be ziehungen Italiens zu den übrigen Mächten und über das vollkommene Einvernehmen mit Sster- reich-Ungarn über die Balkansrage, das den Frieden des Landes in Ehren zu sichern schien. Auf die Unterredungen auf dem Semmering und in Desto sei indessen die überraschende An kündigung des Baues der Eisenbahn Uvac — Mitrowitza gefolgt, und auf die Unterredung in Salzburg die überraschende und sensationelle Meldung von der Angliederung Bosniens und der Herzegowina, die die Bestimmungen des Berliner Vertrages offen und unzweideutig verletze. Der Redner gab dann seiner lebhaften Sympathie für das liberale Regiment in der Türkei Ausdruck, dessen Erstarkung er wünsche, und empfahl militärische Vorbereitung, erklärte aber, keineswegs an einen Krieg mit Osterreich- Ungarn zu denken. Er trat weiter für eine direkte und aufrichtige Verständigung zwischen Italien und Osterreich-Ungarn ein und erklärte, er sei überzeugter Parteigänger des Dreibundes und betrachte ihn als Element des europäischen Friedens und der Sicherheit für Italien. Als aufrichtiger Freund des Dreibundes möchte er jede Wahrscheinlichkeit ernster Meinungsver schiedenheiten in dem Vorgehen der Verbündeten entfernt sehen. Er wisse nicht, ob die Balkan konferenz zustande kommen werde oder nicht. Es sei ihm aber gleichgültig, da die Handlungs freiheit Italiens durch die Politik der italie nischen Regierung, die sich im Fahrwasser Frank reichs halte, doch beeinträchtigt sei. Ein Redner der Regierungspartei erklärte demgegenüber, daß der frühere Minister des Äußern, Robilant, vor der Erneuerung des Dreibundes 1887 versucht habe, Österreich- Ungarn die Bedingung zu stellen, daß es im Falle einer Angliederung Bosniens, Italien Gebietsabtretungen bewillige. Der Minister sei aber mit seiner Forderung nicht durchgedrungen. Der Redner schloß: „Seien wir auch weiterhin ein Element des Friedens in Europa und bleiben wir dem Dreibunde und dem Mittel meer-Abkommen treu, die unsre Beziehungen zu den übrigen Mächten vortrefflich gestalten. Unsre Abmachungen mit Rußland werden diese Politik befestigen." Nach einer längeren Rede des Ministers des Äußern, Tittoni, der für Bei behaltung der gegenwärtigen Balkanvolitik und für das Verbleiben Italiens beim Dreibund eintrat, sprach die Kammer mit 297 gegen 110 Stimmen der Regierung das Vertrauen aus. poUlilcbe K.unälcbau. Deutschland. "Kaiser Wilhelm wird im Januar nächsten Jahres kurzen Aufenthalt in mehreren schlesischen Städten, darunter Breslau und Liegnitz, nehmen. * Der Bundesrat hat der Vorlage über den Handelsvertrag zwischen dem Deutschen Reiche und dem Freistaat San Salvador die Zustimmung erteilt. *Der Marinrtat für 1909 fordert ge mäß den Bestimmungen des Flottsngesetzes an Neuforderungen die ersten Raten für den Bau von drei Linienschiffen („Ersatz Frithjof", „Er satz Heimdall", je 5 500 000 Mk.), einem großen Kreuzer („Ll", 500 000 Mk.), zwei kleinen Kreuzern („Ersatz Bussard", „Ersatz Falke", je 2500000 Mk.), einer Torpedobootsflotille(10Mill. Mark); zur Beschaffung von weiteren Untersee booten zur Fortsetzung der Versuche mit den selben werden ebenfalls 10 Mill. Mark gefordert. (Es schwimmen und sind im Bau bis jetzt in unsrer Flotte 84 Linienschiffe, 17 große Kreuzer, 35 kleine Kreuzer. Unter Berücksichtigung der für 1909 geforderten Neubauten fehlen am Soll- bestande gemäß dem Flottengesetz noch 1 Linien schiff, 2 große Kreuzer, 1 kleiner Kreuzer.) * Der P a r s e v al - B a ll o n ist jetzt vom preuß. Kriegsministerium endgültig übernommen worden, nachdem er alle ihm gestellten Be dingungen erfüllt hat. * Der Hamburger Senat erwählte Dr. Burchard zum präsidierenden und Senator O'Swald zum zweiten Bürgermeister für das Jahr 1909. England. *Jm ganzen Lande macht sich jetzt eine starke Stimmung für die Schaffung einer großen Luftschiff - Flotte geltend. Londoner Meldungen zufolge plant man eine allgemeine Sammlung wie die in Deutschland für den Zeppelin-Fonds veranstaltete. Italien. * Nach einer Meldung aus Rom ist dec Papst vollständig wiederher gestellt. * In der Deputiertenkammer kam es zum Schluß der Debatte über die auswärtige Politik zu einer allgemeinen stürmischen nationalen Kundgebung, nachdem der frühere Minister Fortis eine Rede gehalten hatte, in der er erklärte, Italien müsse rüsten, um an der Erhaltung des Friedens '.nitzuarbeiten. Rußland. * Der russische Kriegsminister hat eine Summe von 100 000 Mk. zum Bau eines lenkbaren russischen Militärballons bewilligt, für den die Pläne von einem russischen In genieur und Erfinder ausgearbeitet worden sind. Der Ballon soll nach dem System des deutschen Parseval gebaut und bis April 1909 fertig gestellt werden. Der Ballon soll auf dem Exerzierplatz der Petersburger Garnison seine ersten Probeflüge unternehmen. Balkanstaaten. * General Ismail Mahir-Pascha ist von einem ihm untergebenen Offizier in Konstantinopel auf offener Straße erschossen worden. Die Jung türken haben damit einen Racheakt an einem Manne vollzogen, der eine starke Stütze der alten Regierung war und von dem sie eine Gefährdung der neuen Ord- nund befürchteten. Amerika. *Nach den neuesten Meldungen ist die Revolution ans Haiti nicht so unblutig verlaufen, wie es anfangs den Anschein hatte. Nachdem sich' die Revolutionäre der Stadt be mächtigt hatten, begann eine allgemeine Plünderung, bei der die Anhänger des bisherigen Präsidenten North Alexis aller ihrer Habe beraubt wurden. Unter dem Schutz verschiedener Gesandten verließ der abgesetzte Präsident die Stadt und schiffte sich nach Frankreich ein. Allem Anschein nach wird sich um die Neubesetzung des Präsidenten postens ein heißer Kamps entspinnen. Aus äern Aeickstage. Der Reichstag fetzte am Donnerstag die Be sprechung der Initiativanträge über die Verantwort lichkeit des Reichskanzlers fort. Abg. Gräf lwirtsch. Vgg.) forderte die Verwandlung der moralischen Verantwortlichkeit des Reichskanzlers in die staats rechtliche. Jedoch seien seine Freunde für ein parla mentarisches System nach dem Vorbilde des eng lischen oder französischen nicht zu haben. Abg. Nau mann (frs. Vgg.) nahm zu der Frage Stellung, weS- balb der deutsche Reichstag sich nicht eines größeren Einflusses erfreue. Er begrüßte es, daß Abg. v. Dirksen eine strengere Handhabung der Budgetrechte emp fohlen habe. Hoffentlich zeige sich jetzt der Reichs tag verfassungsbildend, damit die Kommission, der M Anträge überwiesen werden sollen, nicht zur Bc-, erdigungskommission werde. Abg. Bindewald ^dtscb. Rfp.) gab die Erklärung ab, daß seine Fraktion lür die Erweiterung der Festlegung der Verantwortlich keit des Reichskanzlers eintreten wolle. Abg. Singer lsoz.) bot eine ausführlich^ Polemik gegen fast alle Redner der bürgerlichen Parteien und beantragte, die Verantwortlichkeitsanträge nicht der Geschäftsord- nungSkommiffion, sondern einer besonderen Kom mission zu überweisen. Abg. Dietrich (kons.) erklärte die Anträge für völlig mißglückt und lehnte für feine Partei die Mitarbeit in der Kommission ab Nach dem sich noch der Abg. Ricklin (Els.) für jämtliche Anträge erklärt hatte, schloß die Diskussion. Nach einem Schlußwort der einzelnen antragstellenden Parteien wurden die Anträge der Geschäftsordnungs- kommission überwiesen. Am 4. d. wird die zweite Lesung der Novelle zur Gewerbeordnung fortgesetzt. 8 139 bestimmt, daß, wenn Naturcignissc oder ttnglücksfnlle den regelmäßigen Betrieb einer Anlage unterbrochen haben, Ausnahmen in den Beschrän kungen durch die höhere Verwaltungsbehörde oder den Reichskanzler zugelassen werden können. Ein Antrag der Sozialdemokraten, der diese Aus nahmen, insbesondere zum Schutz der Jugendlichen, beseitigen will, wird abgelehnt Der Paragraph wird angenommen. § 139« ermächtigt Ken Bundesrat, die Verwen dung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Gcwerbezweigen mit besonderen Gefahren für Ge sundheit und Sittlichkeit zu verbieten sowie für Ge werbezweige, in denen regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres ein vermehrtes Arbeitsbedürfnis einlritt, die zulässige Arbeitszeit gemäß der Eigenart der betr. Betriebe zu bemessen. Abg. Contzc knat.-libu wendet sich gegen den Kommissionsbeschluß, nach dem für Gewerbezweige, in denen regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres ein vermehrtes Arbeitsbedürfnis eintritt, während höchstens 40 Tage im Jahre die Arbeitszeit aus 12 Stunden pro Tag festgesetzt ist. Diese verlängerte Arbeitszeit müsse, wie die Regierungsvorlage es wolle, während 60 Tagen gestattet sein. Dies fordere insbesondere auch die Sch.okoladenindustrie. Abg. Molkenbuhr (soz.s begründet einen Antrag, die Zahl der Wcrarbeitstage aus nur 30 zu bemessen. Dann werde die Arbeit besser verteilt werden zum Vorteil der Saisonarbeiter. Abg. Erzberger lZentr.j hält die Zahl der Ausnahmetage mit 40 reichlich genug bemessen.- Die Bestimmung werde am die Besteller erzieherisch wirken. Abg. Hennig (konio emvnehlt sechzig Aus-! nahmetage. Die Abünderungsanträge werden abgclchni: es verbleibt gemäß den Kommissionsbeschlüssen bei 40 Ausnahmetagcn. 8 154 bringt Ausnahmebestimmungen sür einzelne Betriebe, insbesondere für Gärtnereien. Abg. Pfeiffer (Zentr.) unterstützt diese Be stimmungen und empfiehlt die Resolution der Kom mission, nach der H ein Gesetz auf Regelung der Arbeitsverhältnisse der in den nicht gewerblich be triebenen Gärtnereien beschäftigten Arbeiter; k) ein Gesetz zur Regelung der Ärbeitsverhältnisse der bei Musik-Aufführungen, Schaustellungen, theatralischen Unternehmungen oder sonstigen Lustbarkeiten tätigen Personen; oj ein Gesetz zur Regelung der Arbeits- Verhältnisse der in öffentlichen und privaten Kranken häusern, Heilstätten und Genesungsheimen beichästigten Personen gefordert wird. Abg. Schmidt- Altenburg (freikons.) begründet einen Antrag, der die vom Bundesrat erlassenen Ausnahmebestimmungen außer Wirksamkeit setzen will, wenn der Reichstag sie nicht genehmigt. Abg. Trimborn (Zentr.): Noch geschehen Zeichen und Wunder. Der Geist Naumanns und Heines ist über die Frcikonservativen gekommen. Diese wollen Erhöhung der parlamentarischen Macht. Wir lehnen den Antrag aber ab, weil er in das Gesetz ein Moment der Unruhe trägt. Abg. Behrens lwirtsch. Vgg.) bedauert, daß eine strenge Scheidung zwischen landwirtschaftlichen und gewerblichen Gärtnereien noch nicht gefunden sei. Brennend ist die Frage geworden: Was sind ! gewerbliche Gärtnereien? Im Rahmen des Gesetzes wird cs schwer sein, eine scharsumgrenzte Definition zu schaffen. Vielleicht genügt die im Kommissions bericht gebotene Zusammenstellung der gewerblichen Gärtnereien, die von der preußischen Regierung unter Mitarbeit des Reichsamts des Innern gemacht worden ist. Die in dieser Zusammenstellung nicht erwähnten Gärtnereien sind landwirtschaftliche Gärtnereien. Ein Neichsgesetz für die Gärtnereien brauchen wir nicht. Man mache nur die bestehenden Gesetze klar und durchsichtig. Noch im laufenden Winter sollte die Frage im Sinne der Resolution der Kommission grundsätzlich geklärt werden. Abg. Irl (Zentr.) fordert besondere Rücksicht sür handwerksmäßig betriebene Gewerbe. Man dürfe nicht mechanisch die Gewerbeordnung zuungünsten des Handwerks verschärfen. Staatssekretär v. B c t h m a n n - H o I! w e g: Die Absicht, die besondcrn Vorschriften für Werk stätten des Handwerks zu besten Ungunsten zu ver schärfen, besteht nicht. Abg. Frhr. v. G a m p (freikons.): Abg. Trimborn möge sich über unsre parlamentarischen Machtgelüste keine grauen Haare wachsen lassen. Hier handelt es sich darum, große Teile des Handwerks einfach dem guten Willen des Bundesrats zu überlassen. Dagegen wird das Handwerk Protest erheben und das tut auch der Antrag Schmidi. Wir haben doch schon Beispiele gehabt, bei denen der Bundesrat Verordnungen erlassen hat, die nachher als unbrauch bar zurückgezogen werden mußten. Staatssekretär v. B c t h m a n n - H o N m e g . Ich bitte den Antrag Schmidt abzulehnen. Wenn der Gesetzgeber sich einmal entschlossen hat, gewisse Gegenstände auf dem Wege der Verordnung zu regeln, so erklärt er damit, daß der Gegenstand nicht auf dem Wege übereinstimmender Beschlüsse von Reichstag und Bundestag geordnet werden kann. Halten Sie dies aber für möglich, dann tun Sie es gleich und führen Sie nicht die neue Form der nachträglichen Zustimmung des Reichstags ein. Abg. Schmidt-Berlin (soz.) ist gleichfalls gegen den Antrag Schmidt-Altenburg und begründet einen Antrag, der abermals den Schub der Jugend lichen in bestimmten Betrieben erstrebt. Abg. Molkenbuhr (soz.) begründet einen Antrag, der den in Gastwirtschaftsbetrieben beschäf tigten Personen einen über die Bundesrats- Verordnung von 1902 hinausgehenden Schuß sichern will. Redner beantragt weiter die Be stimmung zu streichen, nach der Werkstätten, in denen der Arbeitgeber ausichließlich Familienmitglieder beschäftigt, und solche Werkstätten, in denen eine oder mehrere Personen gewerbliche Arbeit verrichten, ohne von einem den Werkstattsbetrieb leitenden Arbeitgeber beschäftigt zu sein, nicht unter das Ge setz fallen. Bei der Abstimmung ergibt sich bei dem zuletzt genannten Antrag die Notwendigkeit der Aus zählung. Der Antrag wird mit 149 gegen 103 Stimmen angenommen Die weiteren Anträge werden abgelehnt. Abg. Stadthagen (soz.) befürwortet einen Antrag aus Schaffung eines neuen Artikels, der Wöchnerinnen in der ihnen gewährten Ruhezeit Krankengeld gewähren will. Staatssekretär v. Bethmann -Hontet bittet diese Frage bis zur Revision des Krsnken- versicherungSgesctzes zurückzustellen. Der Antrag wird abgclehnt. Der Rest des Gesetzes und die Resolution werden angenonunen. Damit ist die Tagesordnung erschöpft. Kuke in Prag. Sofort nach der Verkündigung des Stand rechts trat in der ganzen Stadt vollständige Ruhe ein. Die Polizei hat in den Straßen zahlreiche Verhaftungen wegen verbotenen Tragens von Abzeichen vorgenommen, doch kam es noch nirgends zu Zwischenfällen. Das Standrecht, so wenig es dem Geschmackder freiheitüch gesinnten Be völkerung entsprechen mag, ist für die Deutschen eine große Beruhigung. Abgesehen von der Störung des Weihnachtsgeschäfts, hat das Standrecht bis fetz! auf die gesamte Bevölke rung nur wohltätig gewirkt. Von jenen zweifel hafteren Bevöllerungselementen, die in den letzten acht Wochen an den Exzessen in der inneren Stadt beteiligt waren, ist nichts mehr zu sehen. Die Geschäftsleute auf dem Graben und dem Wenzelsplatz atmen aus. Die Straßen haben wieder ihr gewöhnliches Aussehen. Die tschechischen Blätter verhalten sich zurückhaltend. Sie erklären nur, daß das Farbentragen sür die Studenten zur Herstellung der Ruhs genügt hätte. Von ieiten der nationalsozialen tschechi schen Partei wird erklärt, daß in den letzten sechs Wochen 500 Parteigänger des tschechischen Abgeordneten Klofak verhaftet worden seien. Bei der tschechischen Bevölkerung herrschtgroße Erregung, die sich in allerlei Gehässigkeiten Lust macht. Es häufen sich die Fälle, wo Passagiere in den Straßenbahnwagen, wenn sie in deutscher Sprache Fahrkarten verlangen, beschimpft werden. Man erklärt allgemein, daß nach der Aushebung des Standrechts die Unruhen wieder sofort be ginnen würden. Die tschechischenLandtagsabgeord- neten beschlossen, mit Rücksicht auf die Verhängung des Standrechts den Verkehr mit dem Statt halter abzubrechen. Die tschechische Universität hat die Vorlesungen eingestellt. In dem Voro'.r Koschir wurden 14 Personen, die bei der Tc'- lesung der StandrechlZprotlamation allzu tau geworden waren, von der Polizei abgesühn 2j Kriminalroman von E. Görbitz. Fortsetzung.! Roberts Vater wurde bei der Entdeckung der Verbrechen seines einzigen Sohnes vom Schlage gerührt; die Mutter war später, während Robert seine Strafzeit im Zuchthaus verbüßte, vor Kummer gestorben. Der entlassene Sträfling stand jetzt in der Well allein. — — Und Leonhards Herkunft? Seine Ver gangenheit ? Wer kann wissen, woher der Wind weht? Wer vermag anzugeben, wo der Fuß des bunten Regenbogens auf der Erde steht? Leonhard war ein .Kind aus der Hefe des Volkes; seine dunklen Erinnerungen zeigten ihm einen Lumpenkeller als erste Heimat. Ob der Lumpenhändler Kallmann, dessen Namen er führte, wirklich sein Vater gewesen war - oder ihn vielleicht gegen ein einmaliges Kostgeld nur an Kindesstatt angenommen hatte, das wußte er nicht, aber daß er von dem allen Kallmann zu Diebstahl und Betrug angeleitet worden war, das wußte er sehr wohl. Trotzdem Leonhard Kallmann aus solchem Sumpfe der Verbrecherwelt wie eine Giftpflanze ausgewachsen war, oder vielleicht gerade des halb, hatte er doch zeitweise sehr gute Tage gehabt, denn er war schlau und geistig hoch begabt und verstand das Verbrechen virtuos auszuüben, freilich noch immer nicht meisterhaft, denn die Meisterschaft in der Ausübung des Verbrechens schloß nach Leonhards Ansicht die Entdeckung aus. Das waren die beiden Männer, die sich jetzt in der idyllischen Waldeinsamkeit unter den rauschenden Tannenwipfeln allein gegenüber- standen. „Willst du noch lange hier Natur schwärmen ?" fragte Leonhard endlich, als sein jugendlicher Zuchthausgenosse das vielsagende „Was nun?" seufzend wiederholt hatte. Dieser seufzende Ton in Roberts Stimme verriet Leonhard, daß jener noch immer zn den „Lauen, Halben" gehörte. Wer noch seufzen kann, dem fehlt die Ent schlossenheit und damit der Mut zum Handeln, und wer nicht handelt, ist ein Nichts in der Welt. „Komm' zur Stadt!" sagte Robert mit solcher Rauheit im Tone, daß seine Stimme ganz anders klang wie bisher. — Dabei hob er einen abgebrochenen Tannenzweig von der Erde auf, riß die kleinen, noch daran haftenden Auswüchse ab und benutzte ihn als Stock. Ein Stock paßte auch besser in die Hand eines entlassenen Sträflings als eine duftende Frühlingsblume. Die beiden .Kumpane schlugen die Richtung j nach der Residenz ein, deren erste Vorstadt- Häuser von hier in einer kleinen halben Stunde von den Fußgängern erreicht werden konnten. Eine Strecke schritten beide, ohne ein Wort zu wechseln, nebeneinander dahin. Robert fuchtelte im Vorwärtsgehen mit seinem Stocke unaufhörlich in der Lust umher und hieb allen am Wege blühenden Blumen, die im Bereiche seines Armes standen, unbarm herzig die Blütenkronen ab. ' Leonhard bemerkte mit geheimer Genug tuung diese Zerstörungswut seines Gefährten, denn sie gestattete immerhin, so unbedeutend es auch erschien, einen Mckschluß auf dessen Charakter und Seelenstimmung. „Was gedenkst du zunächst zu tun?" unter brach Leonhard zuerst das Schweigen. „Weiß ich's denn?" lautete Roberts mürrische Gegenfrage als Antwort. „Fürs erste," sprach Leonhard Wetter, „brauchen wir für nichts zu sorgen, denn wir haben von unsern Arbeiten im Gefängnisse genug Geld herausbekommen, um bei sparsamer Einrichtung einige Wochen den Hunger von uns fern halten zu können." Robert gab keine Antwort. „Arbeit zu erhalten," fuhr jener fort, „wird für uns schwer genug werden, denn wir werden nicht verbergen können, woher wir kommen, und die ehrlichen Leute" — hierbei flog ein spöttisches Lächeln über Leonhards bleiches Gesicht — „würden in uns stets Wölfe iw Schafstall fürchten und ihre Türen vor uns schließen, als ob ivir mit der Pest behaftet wären." Robert schleuderte mit einem halblaut ge murmelten Fluche seinen Rock wett von sich, daß derselbe in ein Kleefeld fiel und eine Schar Lerchen erschreckt aufflogen „Gemach, mein Freund," warnte Leonhard mit ruhiger Geistesüberlegung, „nicht so ungestüm!" „Dann quäle mich nicht, indem du mtt das Hoffnungslose unsrer Lage vor die Augen führst!" „Du bist noch immer em großes Kind, Robert!" versetzte der andre. „Ein Mann von deiner Schönheit braucht nicht von Hoff nungslosigkeit zu sprechen! Mtt hat ein günstiges Äußere stets gefehlt; mit diesem Mangel war mir ein Riegel vor die glänzendste« Geschäfte geschoben; nun habe ich dich ge funden, wir werden uns ergänzen, ich werde der Kopf, welcher ersinnt, du die Hand sein, welche ausführt." „Ich verstehe dich nicht!" „Das beweist eben, mein lieber Rodert, daß ich recht hatte, als ich von Ergänzung sprach: ich werde ersinnen und du wirst aus führen!" „Was soll ich ausführeu?" „Das weiß ich in diesem Augenblick noch nicht, das kommt auf die Verhältnisse an. Was man erlebt, ist gleichgültig, wie man es zu be nutzen versteht, das ganz allem Et die Haupt sache." „Bestimme," erwiderte Robert kurz, „du hast mir eine glänzende Zukunft versprochen. >ch will sehen, ob du Wort hallen kannst 1" Leonhard schlug über diese Zwene! seines Gefährten ein Gelächter auf. „Wart' es ab," hohnlachte er „cm kennst Welt und Menschen noch nicht, auch nicht die Gewalt, welche du mit deiner siegenden Persön lichkeit auszuüben vermagst, wenn du an die richtige Stelle in deinem Leben kommst. Jeder Mensch nimmt die Stellung ein, welche er sich selbst verschafft, und ich werde dafür sorgen, daß sie für uns beide so glänzend wie möglich werden soll! Bist du bereit, mir bünd zs iolgen?" Ich bin's!"