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dann Wohl auch Mittag- und Abendbrot ausgefallen sein. Das Kind selbst war ein deutlicher Beweis für seine Annahme. So fest entschlossen er war, aus eigenen Mitteln hier den Hel fer zu spielen, so wollte er doch auch seine kleine, ihm anver traute Schar zum Wohltuu erziehen. Er wandte sich noch mals dein kleinen Sünder zu: „Sieh, Kind, wenn Tu auch Hunger hattest, so durftest Du doch nicht nehmen, was Dir nicht gehörte: das war sehr unrecht von Dir. Der liebe Gott hat solche Kinder nicht lieb." Dann die ganze Klasse fest an sehend, sprach er weiter: „Und ihr, meine lieben Kinder, denkt an das, was ich Euch vom lieben Herrn Jesus erzählt, wie er für seine. Jünger, für alle Menschen gesorgt. Es hätte ihm selbst kein Bissen Brot geschmeckt, wenn er seinen Nächsten hungrig gewußt. Und, nicht wahr, wir wollen alle versuchen, dem lieben Herrn Jesus ein wenig ähnlich zu werden mW deshalb unserem Nächsten helfen. Jetzt ist Gustav unser Näch ster. Wenn jeder von Euch eiuen Tag sein Frühstück mit ihm teilt, dann hat er keinen Hunger mehr — und Ihr habt eine Jrende dazu. Wer will Gustav morgen etwas geben?" Die Worte des freundlichen Lehrers hatten tiefen Ein druck auf die Kinderschar gemacht: gleich streckten sich mehrere Finger hoch, ein Zeichen, daß viele zu diesem Liebesdienst be reit. Vor allem eifrig hob Fritz Günther, des reichen Bauern Günthers Einziger, die Hand hoch. „Ich, Herr Lehrer, ich! Ich kriege ein ganzes Brot von meiner Mutter für ihm Ich bringe Gustav die ganze Woche was mit." „Na gut, Fritz, dann sollst Du den Anfang machen." Und damit war die Angelegenheit erledigt. Am nächsten Morgen hatte es Fritz Günther nicht wenig eilig, in der Pause. Er zeigte mit großer Wichtigkeit den ihn Umstehenden das große Brot, das noch dick mit Butter be strichen und mit Wurst belegt war. Dann gab er es dem Gustav, der schüchtern danach griff, dann -jedoch bald mit ge sundem Appetit seine weißen Zähne in das Brot versenkte. So gut hatte lange nichts geschmeckt. Den folgenden Tag wickelt Fritz wieder sein Brot aus. „Guck mal, Gustav, wie fein! Du kannst Woll lachen, so'n fet tes Brot! Meine Mutter sagt auch, wer's so schön haben kann Ivie die Blobelsche, der kann Woll dat Lachen nich lassen. Braucht uischt zu dun und hat doch Wurststull'u für ihr Gustäveken." Und stolz auf seine Wohltäterwürde zeigte er den anderen Kindern das dicke Schinkenbrot, ehe er es Gustav hinreichte. - Scheu guckte Gustav auf Fritz, daun schlug er die Augen nieder, langte jedoch noch nicht nach dem Brot. „Da nimm," sagte Fritz nochmals. Die kleinen Hände hatte Gustav fest auf den Rücken ge drückt. Sie zuckten, ebenso jeder Zug seines blassen Gesicht chens, unbeweglich stand er noch einen Augenblick — daun griff er zögernd nach dem Dargereichten. „Dummer Junge," lachte Fritz und lief eilig seinen Ka meraden nach auf deu Hof hinunter. Ani dritten Tage konnte Fritz kaum den Schluß der Un terrichtsstunde abwarten, um seine Wohltaten ins rechte Licht zu rücken. „Heute habe ich aber ein feines Brot für Gustav. Sieh mal, Hauues, eiu Brot mit Braten und eins mit Ei. Na, Gustav, Dir läuft »voll schon dat Wasser im Mund zusammen, nicht? Ja, wenn ick nich wär', der reiche Fritz Günther?" Und Bewunderung heischend, sah er sich im Kreise um. „Hier, Gustav." „Ick mag Dein Brot nich," sagte Gustav mit finster ver zogener Stirn, „ick hab' ja keenen Hunger nich heute." „Aha, es gibt »voll bei Euch och wieder Braten," höhnte Fritz, „da, nimm nur, wird so schlimm nich sein." „Ick will Dein Brot nich, hörst Du, dat kannst Du allein essen, heute und morgen und alle Tage! Ick bin jar nich hungrig mehr!" Und damit wandte sich Gustav ab und lief schnell mit sei nem Nachbar davon. Wütend sah ihm Fritz nach. „Denn nich, Du Bettelpriuz!" und spöttisch lächelnd steckte er das Brot wieder in die Tasche. Hunger tut Weh, doch merkwürdig, heute empfand Gustav trotz der Leere im Mageu keinen Schmerz. Er spielte fröhlich mit den anderen Knaben, nur wen» sein Blick Fritz Günther traf, verfinsterte sich sein Gesicht, und unwillkürlich ballten sich die kleinen Fäuste. Beide Kunden mieden sich in der nächsten Zeit. Fritz jedoch verzieh ihm die verschmähte Gabe nicht und beobachtete mit spähendem Blick den Kameraden, Ivo er etwas entdeckte, das er dem Lehrer melden könnte. Im stillen wünschte er, Gustav möchte wieder einem Knaben sein Brot „klanen" — aber nichts derartiges geschah. Gustav hatte täglich sein Frühstück wie alle anderen Kin der und atz es, wenn auch etwas scheu, so doch mit rechtschaffe nen! Appetit. Es war zwar kein Brot mit Wurst oder Bra ten. sondern nur ein reelles Schmalzbrot, aber mehr begehrte sein nicht verwöhnter kleiner Magen auch nicht. Es schmeckte ihm ganz vorzüglich. Fritz wunderte sich; denn durch seine Mutter wußte er genau, daß Gustavs Mutter noch krank war und nichts ver dienen konnte. Sollte er doch das Brot irgendwo mausen? Aber dann wäre es doch Wohl schon dem Lehrer angezeigt wor den! Noch aufmerksamer wie bisher bewachte er von nun an den kleinen Mitschüler. Da eines Tages sieht er, daß Gustav, nachdem er sich morgens auf seinen Platz gesetzt, schnell seine Mappe öffnet und ein cingewickeltes Brot in dieselbe legt. Woher kam das? Hätte Gustav es von seiner Mutter gehabt, wäre es doch in der Mappe schon gewesen. Das hatte er entschieden „geklaut", vielleicht einem aus der anderen Klasse. Na warte, mein Junge, heute gibt's aber Prügel. Mit diesem ihn wohltuend berührenden Gedanken wartete er klopfenden Herzens auf den Lehrer. Kaum war das Gebet gesprochen, da hielt er auch schon den Finger hoch. „Nun, Fritz, was gibt es?" fragte Herr Schmidt. „Gustav Blobel hat wieder ein Brot gestohlen, die ande ren Tage auch schon," meldete er frohlockend. Unwillig sah Herr Schmidt auf Gustav, der erschreckt zu sammengefahren und wie das verkörperte Unrecht ängstlich auf seine gefalteten Hände sah. „Hast also doch wieder gestohlen? Schämst Du Dich denn gar nicht, Gustav? Ich hatte Dich für ein besseres Kind ge halten. Es tut mir leid, daß ich mich so geirrt habe," und traurig sah er auf den Knaben nieder, der beide Hände vor die Augen hielt. War das nun Trotz oder Scham? Er glaubte so gern an das letztere. Aber Strafe mußte trotzdem sein. Doch wollte er erst noch wissen, wem der Junge das Brot genommen; wun derbar, daß niemand ihm in der ganzen Woche das Abhanden kommen gemeldet. „Wem hast Du das Brot genommen?" Die beiden Fäuste fest auf die Augen gedrückt, erwiderte Gustav ängstlich: „Ich hab's nicht gestohlen." „Junge, lüge nicht wieder," schalt der über soviel Ver stocktheit empörte Lehrer. „Sag', Ivo hast Du das Brot her, gestehe die Wahrheit." „Es liegt alle Morgeu — auf meiuem — Platz," stotterte ganz verschüchtert der kleine Kerl. Der Leh rer sah fragend die Klasse an. „Fehlt einem von Euch sein Frühstück?" Keiner meldete sich. Die gleiche Frage erging an die Schüler der beiden an deren Klassen. Dasselbe Schweigen. Rätselhaft! Da kam dem Lehrer plötzlich ein Gedanke, sollte vielleicht „Hat einer von Euch einen anderen Jungen morgens auf Gustavs Platz gesehen?" „Ich," meldete sich Hannes Bethge. „Karl Sternke war heute morgeu der Erste und kam, als ich die Tür aufmachte, von Gustavs Bank." Freundlich leuchtete es auf in des Lehrers Gesicht. Des armen Feldhüters Karl! „Komm einmal her, Karl!" „Nun, mein Junge, sei ehrlich. Sag', hast Du dem Gustav heimlich alle Morgen das Frühstücksbrot auf seinen Platz gelegt?" Kaum verständlich murmelte der verängstigte Knabe sein „Ja!" Da traten dem Lehrer Tränen in die Augen ob soviel Zartgefühls, und in herzlichem Verstehen beugte er sich nieder, zog den Knaben in seine Arme und küßte ihn bewegt auf die Stirn. „Nimmst Du nun mein Brot auch nicht mehr, Gustav?" fragte Karl traurig mit erwartungsvollen Blicken. Gustav nickte nur. Sie verstanden sich. Nnn erzählten auch die an deren Kinder, wie es gekommen, daß Gustav das Frühstück von Fritz Günther nicht mehr essen wollte. Ernst sah Herr Schmidt den Fritz an. „Fritz, Du kaunst viel von dem Karl lernen. Auch das Geben will erlernt sein, Wohltaten können auch eine Last sein. Wer recht geben will, muß es wie der gute Junge, der Karl, machen, so, daß die linke Hand nicht Weitz, was die rechte tut."