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Allgemeiner Anzeiger : 17.06.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-06-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190806174
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19080617
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19080617
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-06
- Tag 1908-06-17
-
Monat
1908-06
-
Jahr
1908
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 17.06.1908
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politische KtmälebAU. Deutschland. -Wie die.Central-Correspondenz' berichtet, hat Kaiser Wilhelm vom Zaren ein Handschreiben durch einen Kurier empfangen. Wie verlautet, handelt es sich um die Vorver handlungen über eine Begegnung zwischen beiden Monarchen, die demnächst in der Ost- s e e statt finden soll. * Der Herzog von Cumberland hat dem Kaiser die Ernennung seines Sohnes Ernst August zum Leutnant des ersten Bayrischen Reiter-Regiments angezeigi. Der Herzog wird mit seinem Sohn demnächst in München eintressen. -Wie halbamtlich gemeldet wird, sollen an den preuß. Universitäten vom nächsten Wintersemester ab Frauen nicht nur ausnahms weise als Hörer, sondern als regelrechte Studentinnen zugelaffen werden. * Behufs Reform der Krankenkassen hat im Reichsamt des Innern in Berlin eine Konferenz begonnen, in der Staatssekretär von Bethmann-Hollweg den Vorsitz führte. Es nehmen an den Beratungen Vertreter der Reichs- und vieler preußischen Behörden teil, so des Reichsamts der Innern, des Reichs- marineamts, des Reichspostamts, des Kaiser lichen Gesundheitsamts sowie der Ministerien für Krieg, Handel, öffentliche Arbeiten und des Kultus. Die Ärzteschaft und die Krankenkafsen- verwaltungen sind ebenfalls zahlreich vertreten. Osterreich-Ungarn. * Kaiser Franz Joseph hat den Khedive von Ngyvten, der sich auf einer Reise durch Europa befindet, in längerer Audienz empfangen. Der Khedive wird demnächst auch von Kaiser Wilhelm empfangen werden. * Ungarn hat endlich seine längst aeplante Anleihe begeben. Zwischen dem Minister präsidenten Wekerle und einer Finanzgruppe wurde ein Abkommen getroffen, nach dem 150 Millionen Kronen vierprozentige ungarische Kronenrente ausgegeben werden. Frankreich. * Die Deputiertenkammer beschloß auf Er suchen deS Ministerpräsidenten Clemenceau, die angekündigte Besprechung der Marokko angelegenheit bis zum 19. d. zu ver tagen. Clemenceau hofft bis dahin über di« Lage im Innern des Landes und besonders über Lie Stellung Muley HafidS genaue Auskunft geben zu können. -Die Anhänger des Königtums in Frankreich machen wieder einmal von sich reden. Den Ratschlägen seiner Anhänger folgend, will der Herzog von Orleans sder ungekrönte König) durch Herausgabe eines mititärwissen- schaftlichen Buches seine Vollreife für die Führung einer großen Armee bekunden. Das Werk gilt den napoleonischen Schlachten bis zum Tage von Wagram. Der Herzog hat sich studienhalber zu dreiwöchigem Aufenthalte nach Bayern und Österreich begeben. Die Studien beginnen diese Woche in Regensburg. -Der Internationale Berg- arbeiterkongreß in Paris nahm ein stimmig (mit Ausnahme der polnischen Stimmen) die von Deutschland, Belgien und Frankreich vorgeschlagenen Beschlüsse an, durch die die Verstaatlichung der Bergwerke unter völliger Garantierung des Vereinigungsrechts für die Arbeiter verlangt wird. England. -Der bisherige Generalinspektor des chine sischen Zollwesens, Sir Robert Hart, ist in England eingetroffen, nachdem der Sechsundsiebzig jährige 54 Jahre von England abwesend gewesen war. In einem Gespräch mit einem Journalisten sagte Hart, Chinasei in ganz vorzüglichem Zustande und der Fortschritt des Landes sehr befriedigend. Die Chinesen wären nicht kriegerisch gesinnt, aber gute Soldaten, die keine Todesfurcht kennen. Es würde jedoch lange dauern, bis China eine Militärmacht sei, da gegen könne es auf dem Gebiete des Handels gefährlich werden, und dies sei die größte gelbe Gefahr. Italien. * In der Deputiertenkammer erklärte der Unterstaatssekretär Pompilj, daß er über die Lage auf dem Balkan augenblicklich die Auskunft verweigern müsse, daß aber die Regie rung in kurzer Zeit der Kammer ein Grünbuch über Mazedonien überreichen werde, das eine eingehende Darstellung der Balkansrage enthält. Der Minister fügte hinzu, daß die Balkanfrage keine Schwierigkeiten mehr biete, nachdem sich England und Rußland verständigt hätten. Belgien. -In der Kammer sind sich die Parteien immer noch nicht einig über ihre Stellung nahme zur Kongofrage. Das Ministerium erklärte, nunmehr die Vertrauensfrage stellen zu müssen, wenn am 21. d. die Kongo-Ange legenheit nicht endgültig geregelt sei. Holland. -In letzter Zeit mehren sich die Klagen holländischer Fischer über Raubfischerei englischer Fischdampfer in der Nord see. Wiederholt entwendeten letztere Netze und sonstige Fischgeräte und dampften, ohne erkannt zu werden, mit der Beute ab. Da mehrere holländische Fischer klagen, daß die seeräuberi schen Handlungen der Engländer ihnen das Fischen öfters geradezu unmöglich machen, er wartet man nunmehr amtliche Vorstellungen bei der englischen Regierung. * Der Bau des Haager Friedens- Pal ast es wird im September begonnen werden. Der Bau wird fünf Jahre in An spruch nehmen. Die italienische Regierung er bot sich, nötigenfalls den Marmor umsonst zu liefern. Nutzland. * Der Zar hat König Eduard, der am Donnerstag Reval wieder verlassen hat, zum Admiral der russischen Flotte ernannt. — In Petersburg gilt als sicher, daß bei der Zu sammenkunft der Monarchen die voll- kommeneLösung der mazedonischen Frage erzielt wurde. Die Forderung der englischen Regierung in Sachen der Finanz kontrolle wird auch in die russische Note ausge nommen. Allgemeine Aufmerksamkeit erregte ein langes und augenscheinlich sehr lebhaftes Gespräch des Königs Eduard mit dem Minister präsidenten Stolypin, das auf dem Oberdeck der englischen Königsjacht geführt wurde. Balkanstaaten. * Durch die Vertreter einer türkisch-russisch- italienisch-serbischen Bankengruppe wurde der Vorvertrag für die Konzession der Adria bahn, die türkische Garantie erhält, unter zeichnet. -Der Gedenktag des Königsmordes in Serbien ist in Belgrad in aller Stille begangen worden. Fünf Jahre waren es am 11. d. her, daß sich das große Drama abspielte, bei dem der König Alexander, die Königin Draga, zwei Minister, ein Bruder der Draga und ungefähr fünfzig andre Personen ums Leben kamen. In der Markuslirche, wo das Königspaar begraben ist, wurde eine Messe ab gehalten, und die Kirche war voll von trauern dem Publikum. Die Belgrader Blättex be faßten sich an leitender Stelle mit dem Gedenk tage und kamen durchgängig zu der Schluß folgerung, daß der heutige Zustand des Landes ungünstiger sei als vor fünf Jahren. Amerika. -Wie jetzt trotz aller Bemühungen des Marineministeriums bekannt wird, sind auf der Fahrt der Flotte der Ber. Staaten umfangreiche Desertionen vorgekommen. Man spricht von mehr als 1000 Matrosen. Afrika. -Muley Hafid, der seit seinem Einzug in Fez unter den Eingeborenen als rechtmäßiger Herrscher Marokkos gilt, hat an seinen Bruder ein Schreiben gesandt, worin er ihn ersucht, sich zu unterwerfen und einen Statt halterposten für das Küstengebiet zu übernehmen. Abd ul Aziz aber, der noch immer auf das Eingreifen Frankreichs oder gar aller Mächte zu seinen Gunsten rechnet, lehnt alle Ver mittelungsvorschläge ab und verlangt, unter französischem Schutz nach der Haupt s ^dt Fez gebracht zu werden. Das ist jedoch ein unerfüllbares Verlangen, da zu einem solchen Unternehmen Frankreichs Streitkräfte bei weitem nicht ausreichen. Aste«. -China und Japan revidieren zurzeit die im Jahre 1907 erlassenen zeitweiligen Be stimmungen für die Beförderung der japanischen Post, aus den mit der japanischen und südmandschurischen Eisenbahn verbundenen chinesischen Bahnlinien. Japan besteht darauf, daß ihm das Recht verbleibe, die Post mit einigen Postbeuteln zu expedieren. China verweigert dies jedoch hartnäckig. Alle Verhandlungen wegen dieses Streitpunktes sind bisher ergebnislos verlaufen. Man sieht daraus, daß China bestrebt ist, Japan in allen Verkehrs- fragen, selbst den unwesentlichsten, Hindernisse zu bereiten. -Aus seiner vor der Hauptstadt Teheran gelegenen Verschanzung hat der Schah von Persien ein Schreiben an das Parlament gerichtet, in dem er mitteilt, daß er jeden strenge bestrafen werde, der auf ungesetzmäßige Weise gegen die Regierung (d. h. gegen seine russischen Ratgeber) Anklagen erhebt. Die Tätigkeit des Parlaments habe das Land in einen Zustand der Anarchie geführt, dem es nur mit starker Hand entrissen werden könne. Der Schah verpflichtet sich „trotz allem an der Konstitution festzuhalten-. — Ob er es tun wird, ist eine andre Frage. Tur Affäre Eulenburg. 60- Die umfangreichen Akten über die Vernehmung der Wiener Zeugen im Prozeß Eulen burg sind nunmehr in Berlin eingetroffen, womit die Voruntersuchung als beendet gilt. Um sich ein Bild der angestellten Recherchen machen zu können, ist es interessant, darauf hinzuweisen, daß daS Aktenmaterial gegen Eulenburg acht umfang reiche gebundene Folio-Bücher darstellt, deren jedes einzelne mehrere hundert Protokolle und Berichte enthält. Was nunmehr den Prozeß selbst betrifft, so wird in der am 22. Juni be- ginnenden Schwurgerichtsperiode der Fall Eulen- bürg zur Verhandlung kommen. Bereits vor dem Eröffnungsbeschluß soll seitens der Staats anwaltschaft der Ausschluß der Öffentlichkeit beantragt werden, der teilweise sich auch auf die Presse erstrecken dürste. Der Andrang zu dieser Verhandlung ist jetzt schon so stark, daß die verfügbaren Karten bereits vergriffen sind, besonders von der Presse sind so viel Zuschriften um Passierkarten eingelaufen, daß nur ein geringer Prozentsatz bewilligt werden konnte. Der Prozeß wird sich infolge des umfangreichen Materials nach Aussagen von Richtern kaum unter vier Tagen beenden lassen; hierbei ist schon berücksichtigt, daß nur dreißig Zeugen in der Hauptverhandlung gehört werden. — Der Zustand des Fürsten ist dem Vernehmen nach kaum verändert, lediglich das Fehlen des gewohnten Morphiums macht sich bei ihm be merkbar und zieht eine allgemeine Schwäche nach sich, aus welchem Grunde auch bisher eine Übersiedelung nach dem Untersuchungsge fängnis nicht stattgefunden hat. Sollte sich der Zustand des Inhaftierten auch in den nächsten Tagen nicht ändern, so wird der Fürst bis kurz vor dem Termin noch in der Charitö verbleiben, jedenfalls gilt aber als sicher, daß er aus dem Untersuchungsgefängnis und nicht aus der Charits vorgeführt werden wird. Die auf Mein eid lautende Anklage ist dem Fürsten bereits zugestellt worden, worauf derselbe schon ver schiedene Beratungen mit seinem Anwalt hatte. Die umfangreichen Anträge der Verteidigung werden dem Gericht bereits in den nächsten Tagen zugehen. Wie die,Central-Correspondenz^ aus angeblich bester Quelle erfährt, wird auf Befehl des Kaisers die Verhandlung steno graphisch ausgenommen und ihm täglich zuge- stellt werden. Von unct fern« Zu dem Unfall der Kaiseriu, die bei einem Spazierritt vom Pferde glitt und sich eine leichte Verletzung des Handrückens zuzog, wird gemeldet, daß jedwede Gefahr ausge schloffen ist. Die Patientin hat sich bereits völlig erholt und konnte das Zimmer Mn wieder verlassen. Für die deutsche Mediziuschule m Schanghai ist seitens des Reichs eine Unter stützung von 30 000 Mk. bewilligt worden Die Schule, die Chinesen zu Ärzten auf der Grund lage deutscher Wissenschaft und Sprache heran bilden will, ist von privater Seite im Frühjahr 1907 ins Leben gerufen worden. Das Unter nehmen dürfte dem weiteren Ausbau unsrer Be ziehungen zu China dienen. x Etue ganze Familie in Schutzhaft genommen. Aus Anlaß des kürzlichen Kaiserbesuches in Liegnitz wurde dort, wie erst jetzt bekannt wird, eine aus Mann, Frau und Tochter bestehende Familie in polizeilichen Ge wahrsam genommen. Der Mann ist der frühere Schrankenwärter Hentschel. Die Familie soll ungehörige Briefe an den Kaiser gerichtet haben. Um unliebsamen Zwischenfällen vorzu beugen, wurde die Familie in Schutzhaft ge nommen und nach der Abreise des Kaisers auS dieser wieder entlassen. Für wohltätige Zwecke. Der in München- Gladbach verstorbene Kaufmann Karl Geile ver machte der Gemeinde für verschiedene Wohl fahrtszwecke 200 000 Mk. Durchstecherei«»» auf de» Königliche« Grube» de« Saarreviers. Die Untersuchung über Durchstechereien auf den Königlichen Gruben des Saarreviers nimmt immer noch an Umfang zu. Neuerdings wurde sie auch auf die Grube Dudweiler ausgedehnt. Die ganze Angelegenheit wird voraussichtlich Mitte Juli zur gerichtlichen Verhandlung kommen. Bin Zusammenstoß eines deutsche« Dampfer« mit Eisberge«. Der Schnell dampfer „Kronprinz Wilhelm-, der am 7. d. in New Jork einlaufen sollte, lief erst am 10. mit ganz langsamer Fahrt ein. Er war bei heftigem Sturm und dichtem Nebel mit Eis bergen zusammengestoßen und hatte dabei eine Schraube verloren. Fest zwischen fünf Berge eingekeilt, wurde er auS dem Kurse getriebe» Der Heizer Wilhelm Ellsharet wurde irrsinnig und stürzte sich ms Meer. Der Rtichs-Forschuugsdampfer „Po seidon", der bei seiner Heimkehr van der letzten größeren Forschungsfahrt in der Nordsee am 27. Mai morgens bei Holtenau von eine« Unfall betroffen wurde, indem er mit de« Hafendampfer „Brefeld- zusammenstieß und dabei eine Einbeulung der Bugplatten erlitt, ist in Kiel repariert worden und unternimmt nun eine Fahrt in der Ostsee, um im Interesse vo« Forschungen über die Wanderung und Ent wickelung der Meerestiere an verschiedenen Stellen gezeichnete Fische auszusetzen. AuS der Irrenanstalt anSgebroche«- Aus der Irrenanstalt Nietleben bei Hallt brachen in der Nacht drei geisteskranke Verbrecher aus. Die Verfolgung blieb ergebnislos. X Drei Kinder zum Fenster herauf gjstürzr. Ein schrecklicher Unfall ereignete fi« in einem Hause der Großen Rittergasse in Frank furt a. M. Dort hat im dritten Stock des Hinterhauses die Familie des Schildermalers Ungering eine aus Stube und Küchen bestehende Wohnung inne. Während nun die Mutter das Zimmer verlassen hatte, um in der Küche nach dem Mittagessen zu sehen, spielten ihre im Alter von 2 bis 4 Jahren stehenden drei Kinder auf einer Erhöhung vor dem offenen Fenster, vor rem der Sicherheit halber eine Holzstange be- estigt war. Hierbei legten sich die Kinder all! sie Holzstange, diese brach durch und die Kleinen türzien in die Tiefe. Während der zwei- und der dreijährige Knabe auf einem angrenzenden Dache liegen blieben, fiel der vierjährige Will' in den gepflasterten Hof hinab und erlitt außer bedenklichen inneren Verletzungen einen schweren Schädelbruch. Ler unglückliche Knabe wurde sofort in die Klinik gebracht; an seinem Aus kommen wird gezweifelt. Seine beiden Brüder haben nur geringfügige Verletzungen im GeM davongetragen. A Vater Kkem. 13! Roman von GeorgHeinrich Görz. „Dummer Junge! Laß mich in Rube mit deinem albernen Geschwätz,- entgegnete Franck ärgerlich. Was brauchte der Junge auch von knospenden Bäumen und luftigen Vogelstimmen und Frühlingslust zu reden? Das waren doch alles Dinge, vor denen er bisher geflissentlich Auge und Ohr verschlossen gehalten hatte I Franz bielt's nicht lange aus, zu schweigen. Wieder bub er an zu plaudern von allerlei kleinen Erlebnissen in der Kajüte und dergleichen. Franck, der anfangs gar nicht zuhörte, horchte plötzlich auf, als der Junge erzählte, der Steuermann der „Königin Luise- sei krank ge worden. „Was?- fragte er. „Steuermann MertenS ist krank geworden?" „Jawohl, Herr Franck. Steuermann Mertens liegt in der Stadt in einem Krankenhause. Er war gestern so bös im Fieber, daß mich die Schwester im Krankenhause gar nicht zu ihm gehen ließ. Ich mußte dem Kapitän sagen, daß für MertenS da§ Schlimmste zu be fürchten stehe." „Und wann, sagtest du eben, wird die „Königin Luise- abfahren ?" „Schon übermorgen. Wir haben fertig ge- laden, nur fehlt noch ein Steuermann." Franz lächelte. Es war kein Zweifel: Kapitän Berger wollte ihn, Franck, als Steuermann an Bord nehmen. La konnte er keinesfalls „nein!" sagen. Die Sonne leuchtete warm auf die blinken den und glitzernden Wellen herab, die mit melodischem Platschen an den Schiffswänden spülten, als ob sie eS ermuntern wollten zu neuer Fahrt nach der langen Minterraft. Dom Hafen herüber wehte ein frischer, kräftigender Wind. Franck verspürte dieses wohlbekannte Wafferlüftchen schon lange, bevor man am Ufer stand. Und er sog diesen Atem der Flut dürstend, mit hohem Wohlbehagen wieder ein. In diesem Augenblick glaubte er wieder die klare, weiche Mädchenstimme zu bören, die in ehrlichem Erstaunen sagte: „Herr Franck! Ich verstehe nicht, daß Sie nicht ein besserer An walt des Lebens auf dem Wasser sind. Ich denke es mir nun einmal herrlich, auf den tanzenden Wogen dahin zu fahren." — Auf Deck des Schiffes standen die Matrosen. Als Franck über das Gangbord schritt, tollten sie ihm entgegen, um ibn zu begrüßen. Er hielt sich nicht lange auf, sondern ging sofort zum Kapitän. Wie toll doch die Gedanken mit ihm spielten! Als er die Kajütentrevpe Hinabstieg, erinnerte er sich eines andern Ausspruches aus Mädchenmund. Weit, weit emfernt klang eS, wie ein Märchen aus alten Zeiten. Und so leise war die Stimme. Es klang so ähnlich, wie von einem „unerträglichen Leben inmitten der rauhen und rohen Schiffsknechte- an Bord. Eine Viertelstunde hernach trat Franck als der neue Steuermann der „Königin Luise- aus der Kavitänskajüte hinaus, stramm und hoch aufgerichtet. Jan und Gerd, die ihm am nächsten standen, beauftragte er, seine Sachen in die Steuermannskajüte zu bringen. In dem Tone seiner Anordnung lag zum ersten Male ein feiner, aber bestimmter Klang der Befehlsform . . . Jetzt hatte jede Ver traulichkeit mit den Matrosen aufgehört. — Der Kapitän sollte nicht zu klagen haben, daß sein Steuermann mit den ehemaligen Kajütengenossen zu vertraulich sei. * * * Etwa eine Stunde später verließ Franck, begleitet von dem Schiffsjungen, wiederum das Schiff, um in seine Wohnung am Lande zurück zukehren. Diesmal galt eS, Abschied zu nehmen und den Koffer wieder abzuholen. Wie ganz anders ist ihm heute zumute, als vor drei Monaten, wo er auf der Suche nach einer Wohnung daS Weichbild von R. . . durchquerte. Mit fast tastendem Schritt kam er damals dahergegangen, in diese ihm unbe kamte Welt. Heute ist ihm hier jedes Eckchen und Fleckchen bekannt. Heute durchglüht ihn das stolze Gefühl, daß er am Lande erfolgreich gewesen ist. Warum hat er nur eigentlich sich ans Land gesehnt? Heute hat er einen Glücks traum im Herzen, der ihn auch einmal aufs Land führen dürfte. Aber anders, wie er zuerst glaubte ... Er würde dann wieder MfS Schiff zurückkehren. Denn „sie" würde mit ihm gehen, weil ihr das Schiffsleben so gut gefällt. Wie vor Monaten, als er in diese Gegend kam, so stand auch heute der alte Handwerks meister Braun vor seiner Haustöre. Als er Franck kommen sah, streichelte er nachdenklich seinen immer weißer werdenden Bart. „Schon so schnell zurück, Herr Franck?- rief er dem Ankommenden entgegen. „Wie Sie sehen, Meister Bram. Jetzt heißt's Abschied nehmen." „Ei der Tausend. Das geht aber schnell. „Ja, ja. Der Steuermann der „Königin Luise" ist schwer erkrankt. Nun bin ich an dessen Stelle gerückt; dem der Kapitän konnte keinen andern Steuermann bekommen, über morgen schwimmen wir wieder auf dem Rhein. „Dann wollen wir mal schnell seh'n, ob Mutter zum Abendessen schon waS im Schmor topf hat," meinte Braun md lud Franck eia, ihm mit dem Schiffsjungen zu folgen. In dem kleinen Stübchen, worin er jüngst so oft glücklich frohen Gedanken nachgehange«, packte er jetzt seine ganzen Siebensachen, Büch«, Kleider und sonstige Dinge ein. Franz, be laden mit dem gefüllten Koffer, machte sich auf den Weg. Franck ging mit einem kleine« Köfferchen an der Hand inS Wohnzimmer hinunter. Da Karl vom Gymnasium schon zurück war, saßen alle Familienglieder zusammen um dea Tisch. Ein rechtes Tischgespräch wollte nicht zustande kommen. „Werden Sie auch mal wieder bei unS vorsprechen, wenn Sie an Land kommen? ftagte die Mutter. „Sie wissen, daß Sie herz lich willkommen sind. Ich bedaure es sehr, daß es jetzt aus sein wird mi- den schönen Plauder stündchen abends." „Herr Franck wird sicher im nächsten Jabre
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