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blicklich bewegte und so dringend nach einer Entscheidung verlangte. Und nun Lizzie neben dieser Fraul Wie ein Frühlingstag voll Licht und Sonnenschein neben einem kalten, strengen Herbstabend. Warum hatte er sein alterndes Herz noch einmal an dies schemenhafte Glück gehängt? War er denn je überhaupt zu ihr in ein näheres Verhält nis getreten? Sie lebte neben ihm her, er gab ihr Luxus und Reichtum, er freute sich, wenn sie ihr Dasein mit vollen Zügen genoß. Sah er selbst in ihr denn schließlich mehr als ein Kind, das er angenommen, weil es ihn in seiner Einsamkeit nach fugend, nach Sonne verlangt hatte? - In diesem Augenblicke öffnete sich die Tür, und Lizzie trat ein. Sie war noch in Straßentoilette, den Hut auf dem Kopfe. Der Kommerzienrat sah überrascht auf; seit Wochen schon hatte sie ihn nicht mehr in seinem Zimmer aufgesucht. „Der Diener sagte mir," begann sie, fast sich entschuldi gend, „daß Du nach mir gefragt hättest." „Gänz rechtI Ich war heute abend früher als sonst aus dem Geschäft heimgekommen und suchte Gesellschaft!" „Wir waren in der Kunstausstellung," fuhr Lizzie fort. „Georg ist noch einmal nach Berlin gefahren, Käthe und Al fred sind bei meiner Kusine in der Stülerstraße!" Sie sprach hastig und überstürzt in dem unbestimmten Gefühl, nur Konversation machen zu müssen. „Komm einmal her zu mir, Lizzie!" Gehorsam trat sie heran, er zog sie auf seinen Schoß herab und tastete nach ihrer Hand. Jetzt in der Hellen Lampenbeleuchtung sah sie auf einmal, wie sehr er in der letzten Zeit zusammengefallen, alt gewor den war. Und das unbestimmte Grauen vor diesem Alter, an dem ihre blühende Jugend hing, überkam sie wieder mit lähmen dem Drucke. „Du hast wohl viele Sorgen jetzt?" fragte sie endlich, nur um überhaupt etwas zu sage». „Sorgen über Sorgen, Kind! Ich wache mit ihnen auf und gehe mit ihnen schlafe»! So ist es »icin ganzes Lebe» lang gewesen. Ihr seht immer nur den Erfolg, aber was da hinter steckt au Lebensarbeit und Lebenskraft, das ahnt nie mand! Ich bin ja so fertig, so müde, aber noch kann ich nicht ausruheu, noch muß ich weiter für Dich, für alle " Er stockte und sah sinuend in das Licht der Lampe. „Sag' einmal, Lizzie," fuhr er dann plötzlich auf, „was würdest Du tun, wenn all der Glanz und Reichtum morgen auf einmal zu Ende wäre und Du nichts weiter hättest als die sen alten, müden Mann?" Lizzie schreckte zusammen; das veränderte Wesen und die Unruhe des Gatten in der ganzen letzten Zeit — stand denn eine Katastrophe bevor? — — Blitzschnell jagten sich die Gedanken in ihrem Kopfe, wäh rend sie der Kommerzienrat mit ängstlicher Spannung be trachtete. Und dann faßte sie wieder ein tiefes Mitleid mit dem Greise, der mit dieser unerschütterlichen Energie tagtäglich für alle arbeitete und schaffte. In herzlicher Rührung legte sie beide Arme um seinen Hals. „Du mußt uicht so reden," sagte sie leise. „Und wenn alles verloren sein sollte, ich bin ja durch Deine Güte vor aller Not gesichert! Was mein ist, ist auch Dein! Mein Platz wird stets an Deiner Seite sein!" Der alte Mann hatte sie fester an sich gezogen und küßte sic auf die Stirn. „Ich danke Dir für dies Wort, Lizzie! Du weißt nicht, wie Du mich dadurch aufrichtest, daß ich weiß, daß Du zu mir hältst. Doch nun geh zur Ruhe, Kind, es ist bereits spät ge worden! Ich hab' »och ein paar geschäftliche Sachen zu er ledigen! Gute Nacht!" 14. Schwer lag die Mittagsglut über Berlin. Durch die sonnenheißen Straßen schlich das Gespenst der Ermattung. Es hängte sich wie ein Bleigewicht an die Glieder der Menschen, es hockte sich auf die abgetriebene» Tarametcrgäule. Eine schläfrige Schwüle schwebte zwischen den endlosen Häuserreihen. Georg war den ganzen Vormittag plan- und ziellos im Tiergarten herumgeirrt und bog jetzt über die Kronprinzen brücke in die Karlstraße ein. -- Eine peinigende Unruhe hatte ihn schon am frühen Mor gen ins Freie getrieben; er mußte die Erlebnisse der ganzen letzten Zeit erst einmal vollständig geistig verarbeiten und mit sich ins Gleichgewicht bringen, um die Haltlosigkeit seines Innern allmählich zu überwinden. Lizzies Bild verfolgte ihn wie eine Halluzination, feine Seele war von dem Gedanken an sie gleichsam mit blendender Helle durchflutet; jede Willensreguug, jede Ueberlegung ging in dem Gefühl einer steten verzehrenden Sehnsucht unter. Hier konnte nur die Flucht helfen, schleunigste Flucht vor sich selbst. Und wieder senkte sich die Vorstellung einer Trennung wie mit Zentnerschwere auf ihn herab. War er uicht eigentlich verpflichtet, hier auszuharren, hat ten nicht sowohl Vater wie Schwester ein Anrecht darauf, daß er für sie wachte? -k- Georg war in einen kleinen Weißbiergarten eingetreten, der dicht am Uebergange der Stadtbahn zwischen den alten, verräucherten Häusern in den Zug der Karlstraße cingeschach- telt lag. - Hier nahm er in einer dürftigen Geißblattlaube, die zu sammen mit ein paar Oleanderbäumen den Gartencharakter markierte, Platz und ließ sich ein Glas Bier geben; die Zunge klebte ihm am Gaumen von dem langen Gange auf den staubi gen Tiergartenwegen. Zuweilen kam ein weißbehuteter Kutscher aus dem Hin tergründe des Lokals langsam über den knirschenden Kies, füllte an einer kleinen, eisernen Pumpe einen Eimer mit Was ser und ging dann auf die Straße hinaus, um ihn seinem unter dem Stadtbahnbogen haltenden Gaul anzubieten. Der schreckte auf, schnupperte in die schwüle Luft und soff mit Gier in langen Zügen das kühle Naß. Dann sank er von neuem in seine stumpfe Resigniertheit zurück, indes der Mann wieder ins Lokal hereinkam. In regelmäßigen Zwischenräumen sausten die Stadtbahn züge zwischen den Häuserblocks vorbei. Ein heißer Brodem von Oualm und Rußteilchen flutete dann jedesmal wie eine Welle über den kleinen Garten hin, und der Boden zitterte leise unter dem dumpfen Rasseln der Näder. — Lange saß Georg in den Anblick des Kleinlebens versun ken, das sich in der mittäglichen Stille um ihn her abspielte. Wie glücklich waren doch all diese Leute, deren Schicksal sich in dem einfachen Kreislauf platter Nüchternheit vollzog, die all die Sorgen und Leidenschaften nicht kannten, zwischen denen er nun schon seit Wochen hin und her schwankte. Wie hatte sich die ganze Physiognomie seines Wesens und Lebens verändert seit jenem Augenblicke, da er in Buenos Aires den Boden des deutschen Postdampfers bestiegen hatte. Aus dem ernsten, ruhigen, oft bis zur Berechnung kalten Geschäftsmann hatte diese Zeit einen halt- und energielosen Menschen gemacht, der nun. schon seit Tagen nach einem be stimmten Entschluß rang, sich aus den Banden einer wahn sinnigen Leidenschaft zu befreien. Und der auch heute schon wieder einen großen Teil des Tages in nutzlosen Phantastereien vertrödelt hatte. Ein flüchtiger Blick auf die Uhr belehrte ihn, daß es be reits wieder der dritten Stunde entgegenging. Er mußte den Vater noch heute sprechen, er mußte eine offene Darlegung der Geschäftslage erzwingen. — — Georg zahlte und telephonierte aus einem Zigarrcnladen auf dem Karlsplatz nach der Landsberger Straße. Doch sowohl von hier wie aus der Tiergartenstraße kam ein negativer Bescheid: Der Herr Kommerzienrat habe seine Teilnahme am Diner abgesagt, da er den ganzen Tag in der Stadt beschäftigt sei und auswärts speisen Werde. Wo fuhr der Vater umher, was trieb ihn durch Berlin? Versuchte er Geld zu beschaffen, heute am fünfuudzwan- zigstcn? Unwillkürlich tastete Georg nach feiner Brieftasche und machte im Geiste einen Ueberschlag seines Besitzstandes. Er führte in Gold und Banknoten mehrere hundert Mark bei sich; dann lagen zu Hause auf dem Boden seines Effekten koffcrs noch ungefähr fünfundzwanzigtausend Mark in Wert papieren, die Gehalts- und Tantiemenersparnisse aus seiner Tätigkeit in Südamerika. Vor der äußersten Not war er also im Falle einer Kata strophe gesichert.