Volltext Seite (XML)
10016 Börsenblatt f. b. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 203. 81. August 1S12. Nichtamtlicher Teil. Der Deutsche Verlegerverein und die Verleger paragraphen. Was bisher über die Tätigkeit des außerordentlichen Ausschusses zur Revision der Verkaufsordnung bekannt ge worden ist (vgl. Nr. 76). ließ wenig Hoffnung übrig, daß man in absehbarer Zeit zu einer Verständigung über die so ungemein wichtigen M 10—12 der Verkaussordnung kommen würde, die den eigentlichen Grund zu dieser Revision ab gegeben haben. Hatte doch der genannte Ausschuß, wie aus dem diesjährigen Geschäftsbericht des Börsenvereinsoorstandss heroorgeht. erklärt, der Hauptversammlung einen abgeänderten Entwurf der Verkaufsordnung nicht vorlegen zu können, weil eine Einigung über diese Paragraphen nicht zu erzielen gewesen wäre. Umso dankenswerterwar der von der diesjährigen Haupt versammlung des Deutschen Verlegervereins angenommene Antrag des Vorstandes auf Einsetzung eines außerordent lichen Ausschusses zur Beratung der W 10—12 der Verkaufs ordnung. da sich dadurch ein Weg eröffnete, die abgebrochenen Verhandlungen wieder aufzunehmen und eventl. neue Gesichts punkte für eine Verständnismöglichkeit zu gewinnen. Wenn diesem Ausschüsse auch keine andere Aufgabe zugewiesen werden konnte, als seine persönliche Ausfassung zu den strittigen Fragen kundzugeben, um sie als Material dem vom Vorstande des Börsenvereins ernannten Ausschuß zu überweisen, so darf doch seine Arbeit schon deshalb nicht gering angeschlagen werden, weil seine Zusammensetzung aus fast Nur-Verlegern ein einheitlicheres Bild der Stellungnahme des Verlags zu diesen Paragraphen ergeben muß. als dies bei einer ge mischten Kommission der Fall ist. Diese Stellungnahme zuerst einmal kennen zu lernen, zu sehen, wie sich die Verlegerparagraphen im Lichte der Verleger spiegeln, ist schon deswegen von Interesse, weil sich ein großer Teil des Verlagsbuchhandels durchaus nicht der Erkenntnis verschließt, daß in diesen Paragraphen eine Gefahr liegt, deren Größe in demselben Maße wächst, in dem von den darin angeführten »Aus nahmefällen. Gebrauch gemacht wird. Charakteristisch für diese Auffassung ist die Tatsache, daß die an den Börsenverein gelangten Beschwerden zum weitaus größten Teil aus den Kreisen des Verlags stammen und viele Firmen sich nur durch dis Konkurenz zu Vertriebsmanipulationen gezwungen sehen, die ihnen selbst als schlecht verträglich mit ihrer beruflichen Ausfassung und der Rücksicht auf das Sortiment erscheinen. Die Verschiedenheit der Anschauungen über geschäft liche Grundsätze, wie sie sich im Verlagsbuchhandel neuerdings herausgebildet hat. ist bedeutungsvoll genug, um ihr ein paar Worte zu widmen, ehe wir zu dem eigentlichen Thema übergehen. Denn auf ihr beruhen nicht nur die Schwierig keiten, die uns zu keiner Verständigung über diese Para graphen kommen lassen, sondern auch die Gegensätze in unserem Wirtschaftsleben überhaupt. Während der Verlag in seiner Allgemeinheit bestrebt ist. an den Grundsätzen, wie er sie als richtig erkannt hat. festzuhalten und der Zeit nur soweit Schritt für Schritt zu folgen, als das Neue zugleich auch das Gute ist. suchen einige Verleger ihr als Schrittmacher vorauszugehen, indem sie sich zu jenen modern - kaufmännischen Anschauungen bekennen, deren tiefste Weisheit darin besteht, kein Geschäft auszulassen, das einen wenn auch noch so geringen Gewinn verspricht, unbekümmert um die Wirkung auf die Gesamtheit und die Folgen in einer vielleicht gar nicht so seinen Zukunft. Alte und neue Zeit, Tradition und Fortschritt, meinen diese Neuerer, ständen sich gegenüber, wenn sie im Widerspruche mit ihren Berufsgenossen einer unbedingten Freiheit im Tun und Lassen das Wort reden, während doch nicht Zeit und Fortschritt, sondern sie selbst das Alte zu verdrängen und Neues an seine Stelle zu setzen suchen, sobald sich ihnen mit dem Neuen Aussicht auf ein vermeintliches Geschäft eröffnet. So find in Wirklichkeit nicht die Verhältnisse, sondern sie selbst an einer Ent wicklung schuld, die in bezug auf den Buchhandel nur den Ver einen und Genossenschaften den Weg vom Vertrieb zur Fabri kation des Buches bereiten hilft und somit auch in absehbarer Zeit zur Ausschaltung des Verlages führen wird. Wenn dem gegenüber behauptet wird, daß man die Vereine und Genossenschaften zu sich herüberziehen müsse, so kann dieser Grund solange nicht als berechtigt angesehen werden, als es vielfach an der Legitimation dieser Vereinigungen zum Bücheroertrieb und der Berechtigung ihrer Mitglieder auf eine Ausnahmestellung gegenüber der Allgemeinheit des Publikums fehlt. Was es mit der Bevorzugung einzelner Käufergruppen für eine Bewandtnis hat. hat die Enguete des Börsenvereinsoorstandes in Nr. 100 des Bbl. vom vor. I. gezeigt, und wenn es noch eines Beweises der moralischen Unzulässigkeit dieser differenzierten Behandlung des Publikums bedürfte, so ist er in der Begründung des Reichsgerichtsurteils vom 12. Januar d. I. über das »Recht« des Sonderrabatts gegeben, in der es heißt, daß wohl jeder Käufer in der Lage sei. sich einer Vereinigung anzuschließen, durch die er die gleichen Vorteile erlangen könne. Nicht uninteressant ist vielleicht die Erwähnung der Tatsache, daß. wie aus dem kürzlich erschienenen 3. (Schluß-) Bande der Reformbestrebungen des Deutschen Buchhandels hervorgeht, der Börsenverein schon unter Parey und Kröner gegen eine Verlegerkoalition zu kämpsen hatte, der im wesentlichen dieselben Firmen angehörten, die auch heute noch auf dem Standpunkt stehen, daß der Börsenoerein sich überhaupt nicht um die Schleuderei kümmern solle. Gleichwohl wäre es un zweckmäßig gewesen, in den außerordentlichen Ausschuß des Deutschen Verlegervereins zur Revision der erwähnten Verleger paragraphen nur Verleger zu berufen, deren Stellungnahme zum Sortiment von vornherein die Gewähr für eine Behandlung dieser Fragen im Sinne einer Anerkennung der Forderungen von der Gegenseite geboten hätte. Der Wert der Beratungen in diesem Kreise mußte vielmehr gerade darin gesucht und gefunden werden, zu einer Verständigung im eigenen Lager zu gelangen, um von ihr aus eine Brücke zum anderen Ufer zu schlagen. Aus diesem Grunde waren denn auch neben den Vorsitzenden des Börsen oereins und des Deutschen Verlegervereins Vertreter ver schieden gearteter Auffassungen über die Bedeutung und Auslegung dieser Paragraphen zu Mitgliedern des Verleger- mreins-Ausschusses ernannt worden, um jede Meinung aus dem Kreise des Verlags zu Worte kommen zu lassen und die bisher vergeblich gesuchte - mittlere Linie« erst einmal hier zu fin den. Denn solange irgendeine Möglichkeit besteht, divergierende Anschauungen mit einander in Einklang zu bringen und Gegensätze auszugleichen, darf seitens der verantwortlichen Stellen nichts verabsäumt werden, was einer Verständigung dienen kann, schon weil man annehmen mutz, daß auch die Anhänger einer weitergehenden Bewegungssreiheit im Handelsverkehr, als sie von der Mehrheit des im Börsen verein organisierten Buchhandels anerkannt wird, sich bei ihrer Stellungnahme von nichts anderem als ihrer Über zeugung leiten lassen. Ihnen die Notwendigkeit oorzu- stellen, eigene Interessen, gleichviel ob vermeintlicher oder tatsächlicher Art im Interesse der Allgemeinheit und der Möglichkeit eines friedlichen Ausgleichs aufzugeben, wird da-