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Allgemeiner Anzeiger : 03.06.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-06-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190806033
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19080603
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1908
-
Monat
1908-06
- Tag 1908-06-03
-
Monat
1908-06
-
Jahr
1908
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 03.06.1908
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Im Diexst« getötet wurde der Stations vorsteher Hirth von der Station Salchendorf bei Battenberg. Er wurde beim überschreiten der Gleise überfahren und zermalmt. Wüste Schlägerei. Auf dem Heumarlt in Köln kam es in der Nacht zu einer wüsten Schlägerei zwischen einem Schiffer und mehreren jungen Leuten. Der Schiffer feuerte einige Revolverschüsse ab und verletzte einen seiner Gegner tödlich, einen andern schwer; alsdann schoß er auf einen Schutzmann, der ihn fest nehmen wollte. Der Schuß ging jedoch fehl. Ein zweiter Schutzmann mußte noch eingreifen und von der Waffe Gebrauch machen, ehe es gelang, den Wütenden festzunehmen. Wege» Beleidigmeg des ^räuleixS Olga Molitor wird in Karlsruhe am 25. Juni vor der dortigen Strafkammer ein neuer Strafprozeß siatlfinden. Angeklagter ist der Schriftsteller Paul Lindau. Unter Angklage gestellt sind seine in der .Neuen Freien Presse' in Wien erschienenen kritischen Artikel über den Fall Hau, in denen eine Beleidigung des Fräuleins Molitor gefunden wird. Paul Lindau wird von Justizrat Bernstein (München) und dem Berliner Rechtsanwalt Hugo Horrwitz ver teidigt werden. Die Nebenklägerin wird auch in diesem Beleidigungsprozeß von Rechts anwalt Dr. Pannwitz vertreten. X Eine Gemeinde ohxe Obrigkeit. Ohne Bürgermeister, Ratsschreiber, Polizei diener, Pfarrer und Lehrer ist gegenwärtig das badische Ort Rast bei Meßkirch. Bürgermeister Stadler weilt zur Zeit zur Kur in Baden- Baden, der Ratsschreiber Benedikt Stadler und der Polizeidiener sind schon mehrere Wochen an das Krankenbett gefesselt, der Octspfarrer be teiligt sich an dem Pilgerzug nach Lourdes und der Lehrer Hannes ist zu einer militärischen Übung einberufen! MafserdlebstShle vo» Etse« sind im Tjiterbahnhof Fürth entdeckt worden. Sie wurden seit Monaten verübt. Nicht nur alle möglichen Eisenteile, sondern sogar ganze Schienen wurden gestohlen und an Alteisen- Händler verkauft. So wurde bei einer einzigen Eisenhändlerin allein ein ganzes Lager entdeckt. 50 Personen, darunter viele Kinder, sind als zu einer organisierten Diebesbande gehörig er mittelt worden. Bier Ki»ver vervranut. In Bichelberg in Niederbayern sind beim Brande eines Bauernanwesens drei im Wohnzimmer während der elterlichen Feldarbeit eingesperrte Kinder im Alter von sechs Monaten bis zu fünf Jahren verbrannt und ein viertes Kind ist an den er littenen Brandwunden gestorben. über das Ratschen der Weinberge im Moselgebiet berichtet der ,Berl. Lok.-Anz/ aus Trier: Zu den besten Weinbergslagern der Rosel gehören bekanntlich lterzig und Erden. Gerade hier hat die Natur mit verheerender Gewalt gewütet. Unaufhörlich ging mehrere Tage, nachdem ein funhtbares Unwetter gehaust hat, der Regen nieder. Die drückende Gewalt dieser Wassermengen schiebt von der Spitze des Berges bis zur untersten Umfassungsmauer alles, was an schiefer Erde, Pfählen, Holz und Reben auf dem schiefen Bergesrücken ruht, vor sich her. Wehklagend steht der Winzer in seinem Besitztum und sieht den Fleiß seiner Hände un aufhaltsam dem Berderben geweiht. Die erste Rutschung begann in Herzig. Plötzlich setzten sich auf einen Schlag etwa 6000 Kubikmeter in Bewegung. Gleichzeitig trat das Unglück in Erden auf. Mit einem Schlage rutschte der Musöerg des Priesterfeminars, eines Bergss, 'essen Boden mit zehn Mark pro Quadratmeter 'ewertet ist, und der noch weit wertvollere lnarzberg des Besitzers Eymael war 24 Stunden päter größtenteils gleichfalls dem Schicksal ver- allen. Dann schritt daS Unglück mit Riesen- chritten fort. Im Handumdrehen war eine An zahl Winzer an den Bettelstab gebracht. Di« Eröffnung der Wisser Jut tlämvs- ausst,u««g a«f dem Keilberge findet, wie Atgesetzt, am Montag, den 1. Juni d., statt. Das eingehende Festprogramm wird von der k- k. Statthalterei ausgestellt. Geplant ist, daß der Protektor, Erzherzog Karl Franz Joseph, °m genannten Tage zur Eröffnung der Aus stellung von Karlsbad per Automobil auf den Keilberg fährt. Wenn der Erzherzog dem Aus- stellungsplatze sich nähert, werden 18 Bläser der Musikschule in Preßnitz von der Plattform des Aussichtsturmes Fanfaren blasen. 00- Ei« deutsches Gyumafium i« ParkS. In Paris ist man mehr denn je für den Plan eingenommen, ein deutsches Gym nasium ins Leben zu rufen, in dem Deutsch die Unterrichtssprache zu sein hätte. Die Idee hat bei dem deutschen Gesandten Fürst Radolin einen mächtigen Förderer gefunden, man geht sogar nicht fehl, wenn man annimmt, daß bei dem kürzlichen Besuch des Gesandten in Berlin dieses Projekt erörtert wurde. Fürst Radolin hat nunmehr Professor Heinrich Schön aus P^stevidemie. In Hongkong wurden, obgleich Lie heiße Jahreszeit noch nicht eingesetzt hat, amtlich schon 427 Pestfälle gemeldet, wovon 114 auf die letzte Woche entfalleu. In zahl reichen Fällen wird die Anzeige unterdrückt. Gericbtskalle. Bevey. Vor den Geschworenen ist der Prozeß gegen die Russen Dewnogsrsky und DubowSky zum Austrag gekommen, die am 18. September v. F. einen Raubanfall auf eine Filiale der Bank von Montreux verübten, dabei den Kassierer Güdel so wie den Kutscher Pictet töteten und drei andre Personen verwundeten. Die Verbrecher erbeuteten etwa 10 000 Frank, die ihnen jedoch zum großen Die durch eine Lawine zerstörte Cisenbahilbrücke im Verner Oberland. Von schweren Maigewittern, die von Hagelschlag und Schneefall begleitet waren, ist besonders die Schweiz heimgesucht worden. Neben einer fast völligen Vernichtung der jungen Obstkeime und einer großen Menge Getreide bat da? Unwetter auch sonst noch einige schwere Unfälle zur Folge gehabt. So stürzte die Eisenbahnbrücke über das Mühlbachtal der neuen Brienz-Rothorn-Bahn infolge heftigen -Schneetreibens ein. Die Brienz-Rothorn-Bahn sollte am 15. Juni eröffnet werden. Dieser Termin wird uun wohl infolge des Unfalles nicht einge halten werden lönnen. Saint Brieuc (Cotes du Nord) dazu aus ersehen, dem Kaiser und dem Reichskanzler über diesen Plan Vortrag zu halten. Aufruhrszenex i« Winchester. Außer, ordentliche Ausruhrszenen haben sich in der englischen Stadt Winchester aus scheinbar geringfügiger Veranlassung abgespielt. Der Studt war 1857 ein im Krimkriege erobertes russisches Geschütz geschenkt worden, das auf offenem Platze, von einem eisernen Zaun um geben, stand. Vor 24 Jahren hatte man es auf den nahe gelegenen St.-Giles-Hügel ge bracht, worauf eine wütende Menge es auf den alten Fleck zurückschleppte. Jetzt hatte der Sladtrat aus Anlaß eines Karneval-Aufzuges den eisernen Zaun wegnehmen und durch eiserne Ketten an Steinpfosten ersetzen lassen. Infolge dessen befand sich Winchester in den Händen eines wütenden Mobs. Dieser warf die Fenster in den öffentlichen Gebäuden und Läden ein und versuchte das Rathaus zu stürmen. Militär wurde aufgrboten, und Hunderte von Kon stablern kämpften mit der nach Tausenden zählenden Volksmenge. Diese wollte das Standbild König Alfreds umwerfen, was ihr aber nicht gelang. Der Festplatz für den Karneval-Aufzug wurde demoliert und der hämische Triumphwagen des Magistrats in den Stadtgraben geworfen. Schließlich versprachen die zitternden Ratsherren dem Pöbel alles, was er verlangte; der eiserne Zaun wurde schleunigst wieder um das Geschütz errichtet und die Ruhs wiederhergestellt. Teil wieder abgenommen wurden. Die Ange klagten sind geständig, bestreiten aber die Ab sicht, daß sie jemand hätten töten wollen. Dewnogorsky behauptet, daß das Attentat in der Absicht geschehen sei, das Geld den politischen Gefangenen in Rußland zu übersenden. DubowSky gibt an, daß sie, von Not getrieben, beschlossen hatten, die Bank zu überfallen. — Das Urteil! lautete gegen den Angeklagten Dewnogorski auf lebenslängliches Zuchthaus, gegen den Mitange klagten Dubowsli auf 20 Jahr Zuchthaus. K Lertmer kwmor vorSerlckt Die Maibowle. Vorsitz, nder des Schöffen ¬ gerichts: Angeklagter Plischke, gegen Sie hat das Dienstmädchen Anna Müller Strafantrag gestellt. Sie sollen die Klägerin beleidigt und sogar tätlich angegriffen haben. Wie verhält sich die Sache? Angekl.: Herr Jerichtshof, et is sonst nich meine Jewohnheit, mir jejen det sojenannte schwächere Jeschlecht zu versteifen. Ick betrage mir sonst jejen Damens stets wie een Schenilehmann. Aber ick sage Ihnen, et jibt doch Situationen in't menschliche Leben, wo man seins janze anjeborene Noblesse verjeflen tut und mal aus die Rolle fällt. — Bors.: Die Müller ist bei Ihnen in Stellung gewesen? — Angekl.: Sehr richtij. Meine Frau war ooch janz jut mit ie zufrieden. Da ereijnete sich an unsern fuffzehnten Hochzeitstage eene Katastrophe, die ick Sie erzählen muß, sonst können Sie meine mildernden Umstände nich berücksichtigen. Also., wir hatten an den Tach eene kleene Jesellschaft abends injsladen, Mutier hatte eenen juten Happen Pappen jekocht und ick hatte mir von eenen Weinfritzen det Rezept zu eene Maibohle jeben lassen, die jewisser- maßen der Höhepunkt von die Festlichkeet stn sollte. Uff 'n Rückwej nahm ick for zwee Fröschen Karls bader Salz von 'n Droguisten mit, wat ick uff ärztliche Verordnung nehmen muh. Er packte mir 't samt die Zutaten for die Maibohle in eene stoße Tüte und trabte denn nach Hause, denn et war schon die höchste Zeit. Während ick noch feste bet't Mischen bin, klingelt et. Meine Frau kriejt eenen Totenschreck. Sie war natierlich wieder noch nich mit die Tollette fertij. Mein Jott, ruft se, da kommen schon die ersten. Empfang' du se, Mann, ick muß mir noch det Korsett un die weiße Bluse anziehn. Damit stürzt se raus aus de Küche nach de Schlafstube. Anna, sagte ick, tun Se hier det Zeij, wat da noch injepackt is, rin, rühren Sie's 'n bißken uw, un denn stellen Sie die Bohle in det Eisspinde bis nach's Abendessen. Ick hatte keene Zeit, mir weiter darum zu kümmern, meine JSste waren sehr pünktlich und meine Jattin servierte ihre Rinderbrust mit Mostrichsooße. Et schmeckte alle vorzüjlich. Als mein Freund Koch det oblijate Hoch ausbringen wollte, sagte ick: Halt, meine Herrschaften! For diesen Zweck hab' i k wat janz besonderet. Nu wurde die Maibohle uffjefahren. Alljemeinet Prost! Prost! Jeder trank — denn entstand eene unheimliche Stille. Ick kiekte meine Jattin an. Die kiekte mir an. Die Bohle hatte eenen merkwürdijcn Beijcschmack. Ick tat noch'n bißken Zucker mang, aber et half nischt. Der Jeschmack blieb. Nachs zweete JlaS sagte mein Freund Koch: Du sage mal, wo haste denn det Rezept zu die Bohle her. Ick jloode, du hasst watmang, oder et is wat zu Ville drin. Nimm et mir nich übel, aber ick trinke lieber een Ilas Bier. — Wir andern blieben bei die Bohle. Aber die Stimmung war wej. Meine JSste wurden immer schweijsamer. Ick vertiljte mit Überwindung desto mehr von det Ehrenjetränk, mußte aber plötzlich nffhören, denn ick kriejte im Innern een eejenlümlichet kollerndet Jesübl. Ick weeß nich, sagte Koch, mir wird so eijen- tümlij zumute, ick möchte mal 'n bißken an de frische Luft. Ick ooch! Ick ooch! hieß et von alle Seiten. Koch jing unstchern Schrittes nachdcKorridor- türe. Tenn fing er Plötzlich an zu rennen und stürmte wie besessen die Treppe runter. Die Jäste hatten et alle merkwürdij eiltj. Die Damens hatten meine Frau wat wichtijet zu sagen und jingen mit sie nach de Küche. Det rätselhafte Benehmen wurde mir bald llar, denn mir jings nach 'ne Weile ebenso. Wat soll ick Sie sagen: Die Foljen von die Bohle waren derartij, det ick am andern Tage mehrere jrobc Briefe kriejte, wie ick mir so eenen unpassenden Scherz erlauben könnte! Zwee'e stellten mir 'ne Wucht Keile in Aussicht. Ick wollte jrade zu den Weinfritzen jehn und den verantwortlich machen, da brachte meine Frau in wortloset Entsetzen eene leere Tüte aus den Mülleimer aujeichleppt. „Karls bader Salz" stand druff. „Anna," schrie ick, „wo haben Se det hinjeschüttet?" — „Na, in de Bohles war die Antwort, „et lag doch bei det andre Zeich, wat Sie miyebracht hatten!" — Vernichtet sank ick uff eenen Stuhl. Als ick mir wieder jefaßt batte, kam et zu de anjeklagie Auseinandersetzung." — Der Gerichtshof fand die Erregung, in der Herr Plischke sich befunden hatte, begreiflich. Diese wurde ihm zugute gehalten und das Urteil lautete daher nur auf 20 Mk. Geldstrafe. buntes Allerlei. K Das künstliche LStvexgeurüll. Ein moderner Theaterdirektor will möglichste Natur wahrheit auf die Bühne bringen und auch den Löwen so brüllen lassen, wie eben der König der Tiere brüllt. Der ,Monestrel' weiß eine Geschichte zu erzählen, in der dieser Versuch für einen englischen Theaterdirektor unerwartete Folgen hatte. Ec brauchte in einem Stück unbedingt Löwengebrüll, und da er doch unmög lich eine solche Bestie hinter den Kulissen auf- stellen konnte, so kam er auf den Einfall, einen Löwen in den Phonographen brüllen zu lassen. Ein Apparat wurde in dem Löwenkäfig des Zoologischen Gartens anfgestellt, aber das Tier, geärgert über das merkwürdige Instrument, zer schlug es mit einem Hieb seiner Tatzen. Ein zweiter Versuch ward unternommen; der Phono graph wurde außerhalb des Käfigs aufgestellt und hinter ihm ein Stück Fleisch in die Höhe gehalten, sodaß der Löwe brüllend auf den Trichter zusprang. Selig zog der Direktor nun mit dem Phonographen ab und am Abend er schallte an oer entscheidenden Stelle ein so furchtbar rollendes Löwengebrüll, daß die Zu schauer voller «tagst aufsprangen und wie wahn sinnig zu den Saattüren hinausdrängten. Der Löwe hatte das Publikum aus dem Theater herausgebrüllt. in den Rhein hatten sich die großen Schollen Rheineis eingezwängt und hoch gegen die Mole — die zum Schutz des Hafenmundes weit in den Strom hinaus gebaute, künstlich aus Steinen errichtete Landzunge — ansetürmt. Der Anprall mußte mit furchtbarer Kraft er folgt sein; denn Eisblöcke von etlichen Quadrat metern ragten mitten im Strom senkrecht in die Lust, gestützt von wirr durcheinander geschleuderten und geschobenen Eisschollen ... So bot das Bild der zugesrorenen Hafenmündung einen grotesken Anblick — desto wirkungsvoller, je weiter man den Blick hinaus in die Mitte deS stehenden Rheineises richtete. Kurz vor dem Hafenmund nun war Bau inspektor Turner beschäftigt, mit Hilfe Francks Meßarbeiten vorzunehmen. ES war keine leichte Arbeit, in diesem starren Wirrwarr von Eis- und Schneemassen Löcher zu hacken, durch die hindurch die Messungen vorgenommen wer den mußten. Zumal, da eine grimmige Kälte herrschte, sodaß den Männern die feuchte aus geatmete Lust am Bart gefror. In dicken Mänteln steckten die beiden und ihre Hände waren von warmen Pelzhandschuhen geschützt. Franck er wärmte sich dadurch etwas, daß er mit wuchtigen Hieben der Spitzhacke auf das Eis loLschlug. Der arme Bauinspektor aber, ein zart gebauter Herr, fror trotz seiner dicken Pelzkleidung so sehr, daß er häufig die Senkleine aus den zitternden Händen gleiten ließ und zu einer auf dem Lande stehenden Bretterbude eilte, um sich dort an dem glühendrot geheizten Rundofen äußerlich, und durch einen kräftigen Schluck heißen Punsch innerlich anzuwärmen. „Wollen wir lange in diesem Hundewetter steh'n bleiben, Franck? Was meinen Sie? Ist wohl besser, wir machen bald Schicht," sagte Turner gewöhnlich, ehe drei oder vier Stunden um waren, gleichviel, ob man morgens gegen elf oder zwölf Uhr, oder noch später, begonnen hatte. Denn meist setzte schon um vier Uhr der Frost wieder so stark ein, daß sich in den Meßlöchern eine Eisschicht gebildet hatte, ehe die Leine wieder emporgezogen worden war. Wenn Franck, der für den übrigen Tag dann frei war, so gegen drei Uhr wieder nach Hause schlenderte, nahm er gewöhnlich seinen Heimweg so, daß er an dem großen Eisenwerk in der Nähe seiner Wohnung vorüberkam . . . Im Vorbeigehen studierte er das Gebäude von außen: Schon von weitem erkannte er die gewaltigen Hochöfen, an denen eiserne Leitern in schwindelnde Höhen hinaufführen, die großen steinernen und eisernen Kamine, die mächtigen Wasserreservoire und sonstigen über die Mauern hinausragenden Bauten. Von dem alten Braun, der auf dem Werk früher einmal Zimmerarbeiten gemacht hat, ist er gelegentlich eines Spazierganges über den Zweck und Namen der einzelnen Bauten aufgeklärt worden. Auf dem Wege zu dem Werke kamen stets schwere Lastwagen gefahren: die einen gefüllt mit allerhand Eisengerümpel, andre mit Kalk, Kohlen und sonstigen Produkten, die an dem nahegelegenen Güterbahnhof abgenommen wurden. Andre Wagen fuhren allerhand Er zeugnisse aus dem Werke hinaus: Schienen, Eisenträger und größere Gußstücke. Meist aber wurden diese Produkte auf direkt in den Fabrikhof mündenden Eisenbahnen in Waggons verladen . . . Durch ein großes Einfahrtstor gelangten Fuhrwerke in den Fabrikhof; die Arbeiter traten durch eine schmale Pforte ein, die meistens offen stand. Hier konnte Franck hin und wieder einen Blick in das Innere der Anlage tun. Blendende Glut leuchtete in den Ofen und Essen und zeitweilig sah man glühendes Eisen feurigen Schlangen gleich zwischen den Walzen heroorschießen, oder von mächtigen Eisenblöcken, die unter dem Dampf- > Hammer lagen, faustdicke glühende Abfallstücke und Funkenregen herumsprühen. Welche Hitze mußte in dem Bauch dieses Fabrikungetümes herrschen! Einen kleinen Schluß konnte man schon daraus ziehen, daß die Dächer des ganzen Etablissements schneefrei waren, während auf den Dächern der Wohn häuser dichte weiße Schichten lagen. Franck hatte den heißen Wunsch, einmal in das Innere einer solchen Fabrikanlage ein dringen zu können. Aber wie? Schon an der Portiertüre stand auf einem großen Schild zu lesen: „Fremden ist der Zutritt strengstens untersagt. Die Direktion." Das schreckte ihn gründlich ab. Er mochte keinen Versuch machen, die Erlaubnis Zu erhalten. Aber das, was er durch die schmale Türöffnung gelegent lich erspähte, vereint mit den Vorstellungen, die er durch die Lektüre von technischen Handbüchern gewonnen, genügte ihm, um sich in seiner Phantasie das Reich des Feuers und Eisens in jenem Werke bunt auszumalen. Er stellte sich alles lebendig vor und hörte das Surren der Riemen, die Hunderte von Transmissionen in Bewegung setzen, das Kreischen der Flaschen züge, an denen mit flüssigem Metall gefüllt» Eisenflaschen hängen, das Schnauben der Maschinen und das Zischen der Kesselventile, das Brausen der Flammen, die das Innere der Hochöfen und Schmelztürme durchjagen. — Er überlegte, welch ungeheure Summen maschi neller Kraft in diesem Fabrikgebäude schlummern müssen. — Dann schoß ihm wieder der Ge danke durchs Hirn: Welch ein Schauspiel müßt» es sein, wenn die Flammen, die aus den ihnen angewiesenen Öffnungen der Essen und Ofen schon mit solcher Vehemenz emporloderten, sich befreiend von menschlicher Fesselung, jauchzend zum Himmel emporschlügen ? Wenn die Ström» flüssigen Eisens, die in dem unteren Teil des Hochofens brodelten und kochten, einmal ver heerend, Schrecken verbreitend, ihre Bahn ziehen würden? Wenn die vereinten furchtbaren Ele mente, Feuer und Eisen, ihre Kerkerwänd» spielend leicht zerbrechen und alles in ihrem Wege Stehende zerstören würden? Der Portier, der an der Tür des Werkes stand und aus seiner Pfeife rauchte, hatte solch wahnwitzige Gedanken nicht. Gelassen blies er Zug um Zug Tabaksrauch in die Luft . . . Nur als in der Ferne auf der Straße ein ele ganter Schlitten über den knirschenden Schne» gefahren kam, steckte er schnell sein Pfeifchen weg: Der Direktor kam! «X» (Fortsetzung folgt.)
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