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Allgemeiner Anzeiger : 03.06.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-06-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190806033
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19080603
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1908
-
Monat
1908-06
- Tag 1908-06-03
-
Monat
1908-06
-
Jahr
1908
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 03.06.1908
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politische Kunäfchau. Deutschland. «Kaiser Wilhelm nahm am 30. Ma über die Potsdamer Garnison dir Frühjahrs- Parade ab. An der Parade nahmen unter andern Fürstlichkeiten auch der Großherzog und die Großherzogin von Baden teil, die zum Besuch des KaiserpaareS in Berlin emgetroffen sind. * Am 29. v. nahm Kaiser Wilhelm wie alljährlich an diesem Tage in Däberitz die Parade über die drei Regimenter ab, die er am 29 Mai 1888 als Brigadekommandeur seinem todkranken Vater Kaiser Friedrich tm Schloßgarten von Charlottenbnrg vorgeführt hatte. O62 In der letzten Zeit ist viel von Briefen volitifchen Inhalts die Rede, die der verhaftete Fürst Eulenburg, seine Verhaftung ahnend, in sicheres Gewahrsam gebracht haben toll. Diese Schriftstücke sollen auch handschrift liche Mitteilungen des Kaisers ent halten, die für den Fürsten hinsichtlich der von ihm abgeleugneten Sonderpolitik unangenehme Aufschlüsse zu geben in der Lage wären. Wie halbamtlich verlautet, sind solche Briefe niemals vorhanden gewesen und konnten daher von dem Fürsten auch nicht beseitigt werden. * über die vielbesprochene Unterredung, die dieser Tage zwischen dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes v. Schoen und dem stau zö fischen Botschafter Cambon stattfand, wird noch gemeldet, daß im Laufe der zwei stündigen Aussprache eine Reihe wichtiger Fragen berührt wurden. Mit Rücksicht auf die Lage, in der sich die Marokko-Frage fetzl befindet, hält man es aber zurzeit amt- licherseits nicht für angebracht, sich eingehender über die Einzelheiten zu äußern. Nur so viel steht wohl schon heute fest, daß zwischen den beiden Staatsmännern eine grundlegende Ver ständigung statigesunden hat, deren erfreuliche Folgen in absehbarer Zeit zutage treten dürsten. 662 Der russische Minister des Äußern, Iswolski, wird seine Reise nach Deutschland um die Mitte oder gegen das Ende des Juni antreten. In Berlin wird er zu einer Konferenz über die Stellung zur Balkansrage mit dem Reichskanzler Fürsten Bül 0 w Zusammentreffen, um dann vielleicht noch einmal nach Wien zu gehen. * Eine Audienz, die Gouverneur z. D. v. Puttkamer beim Reichskanzler Fürsten v. Bülow hatte, hat zu dem Gerücht Anlaß gegeben, daß eine Neuanstellung v. Puttkamers im Reichsdienst in Aussicht genommen sei. An maßgebender Stelle ist von einer solchen Absicht nichts bekannt. Osterreich-Ung arn. * Der Minister des Innern, Graf Andrassy, hat sich verpflichtet, zu Beginn der Herbst- tagung den Gesetzentwurf über die Wahlreform dem ungarischen Äbzeordneten- hause vorzulegen. * Im Wehrausschusse des Abgeordneten hauses erklärte Ministerpräsident Frhr. v. Beck, tür die Regierung sei die Einführung der zweisährigen Dienstzeit ein mit aller Energie anzustrebendes Ziel. Nachdem der Ausgleich mit Ungarn nunmehr hergestellt sei, würden Unterhandlungen darüber mit dem Reichskriegsministerium bzw. mit Ungarn wieder ausgenommen werden. «über die Bauernunruhen in dem galizischen Orte Czernikow, wo 3000 Bauern gegen eine Abteilung Gendarmen vorgingen, die eine Frau wegen verbotenen Fischens fest nehmen wollten, wird amtlich berichtet, daß bei dem Zusammenstoß im ganzen neun Personen gerötet wurden. Dem sofort aus Lemberg her beigerufenen Militär gelang es, in kurzer Zeit die Ruhe wiederherzustellen. Fraiikreich. «Die deutsche Kommission, die iich nach Südfrankreich begeben hatte, um der Beförderung des Ob st es bessere Bahn verbindungen und damit dem Ödste ein rascheres Eintreffen in Deutschland zu sichern, Hai ihre Zeiten erfolgreich beendet. England. «Bei einem Festmahle, das zu Ehrendes Präsidenten Falliöres im Londoner Rat hause stattfand, hielt der Präsident eine Rede, in der er hervorhob, daß die englisch- französilche Freundschaft gekrönt werden müsse durch einen für beide Länder vorteilhaften Handelsvertrag. Beide Nationen seien berufen, nach den gleichen Zielen zu streben: Förderung der Arbeit und Siche rung des Friedens. Der französische Minister des Äußern, Pichon, der den Präsi denten nach London begleitet hat, stattete im Auswärtigen Amts einen Besuch ab und hatte mit dem Staatssekretär Grey eine einstündige Unterredung über alle bedeutenden politischen Fragen zwischen den beiden Ländern. Die Unter redung hatte eine vollständige Über einstimmung zwischen beiden Kabinetten er geben. — Nach herzlicher Verabschiedung vom König Eduard kehrte Präsident Falliöres nach Paris zurück. * Die deutschen Geistlichen, die eine Studienfahrt durch England machen wollen, sind in London eingetroffen und dort vom deutsch-englischen Freundschirfts- k 0 mitee herzlich empfangen worden. * Die Kanalfl 0 tte wird demnächst eine Fahrt nach Norwegen antreten. Wie halb amtlich gemeldet wird, sollen die Schiffe keine Ostseehäfen anlausen. An der Fahrt werven sich 53 Schiffe beteiligen. Es ist die größte Flotte, die jemals in Norwegen gesehen wurde. «Bei dem Empfang einer Abordnung, die eine finanzielle Beihilfe erbat zur Bestreitung der Ausgaben für den internationalen Friedenskongreß, der Ende Juli d. in London tagen wird, drückte Premierminister Asquith seine Sympathie für die Ziele des Kongresses aus und stellte eine finanzielle Bei hilfe zur Bestreitung der Unkosten in Aussicht. Dänemark. «Die erhöhten dänischen Zollsätze für Wein und Spirituosen sollen am 1. Juli in Kraft treten. Spanien. 662 Das spanische Königspaar, das im Monat August seine Reise nach Wien antritt, wird voraussichtlich am 18. August in Berlin sein, wo es bis zum 19. verweilen wird, um am Abend dieses Tages die Weiterreise an zutreten. Das Programm für den Empfang am Kaiserh 0 fe ist noch nicht festgesetzt. Rustland. «Gegenüber den immer wieder auftauchen den Gerüchten von bedrohlichen Maßnahmen der Regierung in Transkaukasien erklärt die Petersburger Regierung, daß sie in jenen Gebieten durchaus nicht mehr Truppen zu sammengezogen habe, als ihr zur Aufrecht erhaltung der Ordnung nötig erscheine. Von einer Kriegsdrohung gegen die Türkei kann gar keine Rede sein. «Die Kommission des Reichsrates nahm mit 27 gegen 11 Stimmen die Vorlage betr. den Bau der Amurbahn in der von der Duma genehmigten Fassung an. Wenn dieser Bahnbau beendet ist, hat Petersburg eine direkte Verbindung mit dem Innern Sibiriens. Balkanstaaten. * Wegen neuer Unruhen auf der Insel Samos werden von der türkischen Regierung Kriegsschiffe dorthin gesandt. Amerika. «Das Repräsentantenhaus in Washington hat die im Senat eingebrachte Gesetzvorlage angenommen, nach der auf Passagier dampfern ein größerer Luftraum für das Zwischendeck verlangt und die Beförde rung von Zwischendeckpassagieren auf Dampfern verboten wird, deren untere Decks nicht genügende Beleuchtung haben bezw. sonst nicht entsprechend eingerichtet sind. Aftika. «Nachdem die englische Regierung der fran zösischen geraten hat, sich endgültig von dem Sultan Abd ul Aziz loszusagen und mit dem Gegensultan Muley Hasid in Unter handlung zu treten, kann es als ziemlich sicher gelten, daß Muley Hafid in absehbarer Zeit alleiniger Herr von Marokko sein wird. Abd ul Aziz will nun zu einem verzweifelten Mittel greifen, um seine Herrschaft zu sichern. Wie verlautet, beabsichtigt er, sich hilfefordernd an die Mächte zu wenden, die die Algeciras akte unterzeichnet haben. Es ist aber un zweifelhaft, daß diese Mächte ein Eingreifen ab lehnen werden. Da auch die Armee Abd ul Aziz' vollständig aufgerieben ist, hat der Ent thronte keine Aussicht mehr, seinen siegreich vor dringenden Bruder zu stürzen. «Aus Rabat wird gemeldet, daß der belgische Konsularagent in Rabat von Marokkanern beschimpft und mißhandelt worden sei. Der Sultan Abd ul Aziz sei mit bewaffneter Macht in eine seiner Besitzungen eingedrungen und habe den Konsularagenten vertrieben, wie wenn es sich um einen Sklaven oder einen Räuber handelte. In Belgien herrscht allgemeine Entrüstung über diesen Zwischenfall. Asien. « In letzter Stunde hat sich die persische Regierung entschlossen, die wegen der Grenzräubereien von Rußland gestellten Forderungen wenigstens teilweise zu erfüllen. Der Schah Hai das Gouvernement von Aserbeidschan angewiesen, einen Posten Gewehre aus dem Arsenal sowie 20 000 Tomans (über 140 000 Mk.) aus den Einkünften seiner eigenen Güter an Rußland als Schadenersatz für die Räubereien an der Grenze abzuführen. Tum k)aräen-ProLe6. An das Revisionsurteil im Strafprozesse gegen Harden werden vielfach Erwartungen ge knüpft, die, wie dem .Reichsboten' von sach kundiger Seite geschrieben wird, sich niemals erfüllen können. Zunächst ist daran festzu halten, daß die Zurückverweisung lediglich aus dem formellen Grunde der Verletzung einer Rechtsnorm erfolgt ist: Der Zeuge Göritz hatte den im § 6l der Straf-Prozeß-Ordnung vor geschriebenen Nacheid, daß er die reine Wahr heit gesagt habe, geleistet und war dann noch mals unbeeidigt vernommen worden; würde er vor der Vernehmung vereidig! worden sein, nämlich dahin, daß er die Wahrheit sagen werde, so wäre diese Prozeßrüge erfolglos und wohl auch nicht erhoben worden. In mate rieller Hinsicht hat das Reichsgericht die Fest stellungen der Strafkammer nicht beanstandet, viel mehr ausdrücklich hervorgehoben, daß eine fortge setzte Beleidigung des Grafen Moltke für erwiesen zu erachten sei. Da nun der Zeuge Göritz sich bereits allgemein dahin ausgelassen hat, daß ihm von Verfehlungen des Fürsten Eulenburg nichts be kannt sei, so wird er auch in einer etwa wieder holten Vernehmung die Frage, ob seines Wissens Fürst Eulenburg sich in Gemeinschaft mit dem Grafen Moltke solcher Verfehlungen schuldig gemacht hat, verneinen müssen. Wir können auf Grund zuverlässiger Informationen hinzufügen, daß die Untersuchung gegen den Grafen Eulenburg bisher für den Grafen Moltke keinerlei belastende Momente ergeben hat. Da nach kann die Strafkammer, die zur abermaligen Entscheidung in der Molikeschen Beleidigungs sache berufen ist, nur wieder zu einer Verurtei lung Hardens kommen und angesichts der Schwere des fortgesetzten Delikts kann es sich wiederum nur um eine Freiheitsstrafe handeln. Allerdings dürfte die letztere etwas niedriger bemessen werden, da die einfachen Beleidigungen (aus 8 185 des Strafgesetzbuches), die der erste Richter neben der schwereren Ehrenkcänkung (aus 8 186) besonders anrechnen zu müssen glaubte, in dem neuen Urteil unberücksichtigt bleiben müssen und da ferner auch das erschwerende Moment, daß der Angeklagte auch andre Per sönlichkeiten leichtfertig an der Ehre kränkte, durch die Untersuchung des Falles Eulenburg zum Tel! hinfällig geworden ist. Endlich ist auch zu bemerken, daß die Befürchtungen der ganze Harden-Prozeß werde nochmals aufgerollt werden, da in dem neuen Verfahren die Be weisaufnahme wiederholt und neue Beweise er hoben werden müßten, stark übertrieben sind; denn es besteht, wie in unterrichteten Kreisen verlautet, die feste Absicht, die neue Verhand lung noch mehr, als die von der Sirafkammer geführte, auf das Beweisthema zu beschränken und dies ist die zur Anklage stehende Beleidi gung des Grafen Moltke. Von uncZ X I« LirJrrenabtrilaug ver Moabiter Strafanstalt eingeliefert wurde der frühere Bürgermeister von Cochem-Land bei Koblenz, Freiherr Raitz v. Frentz, der vor längerer Zeit auf seine Ehefrau mit einem Jagdgewehr mehrere Schüsse abfeuerte, wodurch diese so schwer verletzt wurde, daß ihr der linke Arm abgenommen werden mußte, v. Frentz, der deswegen dem Untersuchungsgefängnis in Koblenz zugeführt worden war. wurde vor einiger Zeit in einer rheinischen Irrenanstalt auf seinen Geisteszustand hin untersucht. Seine jetzt eriolqte Einlieferung in die eingangs er wähnte Anstalt hat den Zweck, eine weitere Begutachtung durch das Ober - Medizinal- Kollegium zu dem Gutachten des Medizinal- Kollegiums herbeizuführen. X Der »HaKptma«« von Küveuick" und seine Biographie. Der Hauptmann von Köpenick, Schuhmacher Wilhelm Voigt, hat in einem aus dem Tegeler Gefängnis vo« 17. d. datierten Brief vom .Königshütter Tageblatt' einen Schadenersatz von 25 700 Mk. gefordert für den Nachdruck seiner während der Untersuchungshaft verfaßten Selbstbivgraphie, die er seinerzeit seinem Verteidiger zu prozessualen Zwecken zur Verfügung gestellt hatte. Vermut lich durch eine Indiskretion in der Abschrift kam die Biographie in die Redaktion einer Wiener Zeitung, die sie zum Abdruck brachte und aus der sie das Königshütter Blatt ent nahm. Voigt erklärte nunmehr dem Verlad des letzteren gegenüber, daß er eine Mas' rechtliche Verfolgung wegen widerrechtlichen Nachdrucks zwar wegen Verjährung nicht ver anlassen könne, daß er aber zivilrechtliche Schadenersatzansprüche in der oben genannten Höhe stelle. Eine Begründung, wie er zu der enormen Summe kommt, oder inwieweit er sich geschädigt fühlt, gibt der geniale .Hauptmann' in seinem Briefe nicht. Ec erklärt sich jedoch bereit, mit sich handeln zu lassen, will aber, sofern es nicht zu einer gütlichen Einigung kommt, entschieden auf Auszahlung des ganzen geforderten Betrages bestehen und keinesfalls mit seinen Ansprüchen heruntergehen. Anscheinend will er eine etwaige Klage damit zu begründen Ersuchen, daß er die Absicht gehabt habe, leine Biographie in Buchform erscheinen zu lassen und daß er durch die vorherige Veröffentlichung geschädigt ist. Interessant wird es sein, z« hören, wie die Juristen über den Fall denken. x Sechs Wohnhäuser sinaestürzt- Ein 6faKer Häusereinsturz ereignete sich in dein Dorfe Boyda bei Delitzsch. Infolge der an haltenden wolkenbruchartigen Regengüsse drang vom Eisenbahndamm her das Stauwasser in das Dorf und brachte am nördlichen Dorfende innerhalb knrzer Zeit sechs Wohnhäuser zum Einsturz, darunter das Gasthaus und außerdem eine Scheune. Die Bewohner, die zum Teil mit ihrem Vieh zunächst auf Tischen, Stühlen und Bänken und später auf dem Boden ZU' flucht suchten, brachen von dort aus herunter und entgingen nur mit vieler Mühe und äußerster Anstrengung dem Tode. Mehrere andre Gebäude, damnter eins im Jahre 1885 erbaute Scheune, sowie das Armenhaus wurden durch Ab steifen vor dem sichern Einsturz vor läufig gerettet, doch mußte das Armenhaus sofort geräumt werden. Ungemein schwer hielt es, die verhältnismäßig große Zahl der Obdach losen in einer so kleinen Gemeinde für längere Zeit wieder unterzubcingen. Peftvermächtige Ratten a« Bord. An Bord des von Rosario in Hamburg eingelroffenen Dampfers „Durban" wurden pestverdächtige Ratten aufgefunden. DaS Schiff wurde der Ausgasung durch den Rattentötungsappmat unterworfen. Die Weiterlöschung des Schiffe ist unter den üblichen Vorsichtsmaßregeln gestatio worden. Personen sind nicht erkrankt. K Vater R.kem. 9. Roman von Georg Heinrich Görz. «Fortsetzung.) Es ist noch gar nicht so spät; aber die Schatten der Abenddämmerung werden dichter und düsterer. Dazu beginnt draußen der Schnee zu fallen, erst kleine Flöckchen, dann große Flocken . . . Und am Himmel drüben zittern etwa von Minute zu Minute lohende Flammen garven auf . . . Mötzlich schiebt sich auf der Straße, wo der frische Schnee die hartkrustige Schicht schon wieder bedeckt hat, eine dunkle Masse heran. In dem Aufflackern der Gluten der hohen Fablikösen sieht Franck, daß sich aus den Toren jener Fabrik eine Menschenmasse hervorwälzt, gleich einer ungeheuren Schlange, die. langsam am Boden fortkriechend, sich den Häusergruppen nähert. Die Leute müssen dicht unter Francks Fenster vorbei . . . Schon unterscheidet der Malroie einige Gestalten. Mit schwerem, müden Schritt kommen diese Leute näher und näher. Dicht unter Francks Fenster steht eine Straßenlaterne, die ein Siück der Straße mit ihrem Lichtschein bestreicht. Nun haben die ersten Arbeiter das Haus erreicht . . . Der junge Schiffer vermißt an diesen Leuten des Landes die frische Röte der Wangen. Die dort gehen, haben bleiche, ernste, hohle Gesichter. Nur die Kälte hat diesen Leuten Nasenspitze uno Ohren rot gefärbt, so aber den Kontrast mtt den blassen Zügen und den fahlen Stirnen noch, vergrößert. Nur wenige von diesen Ge stalten. meist nur jüngere Leute, haben den elastischen Schritt kräftiger Personen. Wie be laden von einer schweren, drückenden Last, schwanken die meisten Männer dahin durch das Schneegestöber. Hie und da verschwinden einige rechts oder links in den Häuschen am Wege. Die andern bewegen sich weiter . . . Viele Hunderte dieser Arbeiter mögen schon vorüber gezogen sein; aber immer noch hat der Zug kein Ende. In dem düstergrauen Dunkel draußen scheint es, als ob aus dem großen Fabriktor immer schwächere und immer kleinere Gestalten herauskämen. Nur kurze Zeit währte ihre Freiheit: morgen in aller Frühe schließen sich die Torflügel dröhnend hinter denselben Leuten. Arbetierlos! Franck kann den Blick nicht losrsißen von dem ihm unbekannten Schauspiel. Endlich wird der Zug dünner und dünner. Nur noch einzelne Gruppen und Trupps schleichen vorbei und ver lieren sich schnell in der Finsternis. Endlich schwankt der letzte Mann vorbei, ein schwacher, kleiner Greis mit einem Eliasbart. Am Horizonte aber zucken die bluiigroten Flammenzeichen noch immer, in kurzen Ab ständen, züngelnd in den stets dunkler werden den nächtlichen Himmelsraum empor.... Wenn sich jetzt, in der Nacht, diese Feuersge walten dieser Fesseln entledigen und — unbe wacht — über die von Menschenhänden errich teten Werke herMrzen würden, um sie in glühender Umarmung zu vernichten! Sv schießt es Franck durch die Gedanken. . . Noch lange blickt der junge Rheinschiffer in die Nacht hinaus. Ob ihm die Regionen, aus denen der ge spenstische Arbeiterzüg eben gekommen, jemals bekannter werden würden ? Ob er je Einblick gewinnen wird in jene schreckenerregenden Werk stätten der lodernden Feuersglut? Wie Feuer werkskörper stieben hin und wieder Funken garben zum pechschwarzen Himmelsgewölbe empor. Sollten das nicht Irrlichter sein, deren Lockungen er nicht folgen darf? Oder soll die aus jenem vulkanartigen Eisenkrater dort aus steigende Flammensäule in der Tat für ihn ein Wahrzeichen sein, daß vor ihm der Weg zu einer glücklichen Zukunft liege, gleichwie einst jene Flammensäule dem auserwählten Volke den Weg wies zum gelobten Lande? An diesem Abend schrieb Franck einen Brief an seinen Vormund, den Kapitän Traut. Im stillen Herzen hegt er die Hoffnung, Agnes würde von diesem Brief hören und durch ihn von seiner Stellung aus dem Lande er fahren. Denn während der Weihnachts serien, die schon begonnen haben, weilt „sie" — er hat es irgendwo gehört — bei ihren Eltern auf dem Schiff . . . Dann gibt der Matrose noch einigen andern Bekannten brieflich seine neue Adressen an. Er schreibt, bis man ihn zum Abendessen nach unten ruft. . . In der nächsten Nacht aber lohen am Himmel der Traumwelt des neuen „Landbe wohners" riesige purpurglühende Flammenberge, die ihn mit heißer Glut umwehen. Eine läh mende Angst liegt in seinen Gliedern. Er glaubt zu fühlen, daß sein Antlitz so bleich und jein Schritt so schwer und müde sei, wie er dies bei den Fabrikarbeitern gesehen. Er will fliehe« vor diesen heißatmigen Glutgebirgen. Aber schneller als er laufen die Flammen und schieße« wie ein Tanz wild um ihn herum, hüllen ih« ein mit brennendem Licht und sengendem Hauch und können ihn doch nicht töten. Endlich stürzt er, todmüde von der rasenden Flucht vor dem Flammentod, ächzend nieder und — er wacht, gebadet in Schweiß. Dann schleudert er das schwere Oberbett von seinem Lager herunter und behält als Decke nur wenige dünne Laken — so wie er eS vo« Schiff her gewöhnt ist. 7. Der Winter machte in diesem Jahre gründ liche Arbeit. Die gewaltige Strömung del Rheins hatte er bald besiegt. Schon tagelang waren die Bewohner von R ... an das Rheinufer hinaus gezogen, um das imposante Schauspiel des Eistreibens z« beobachten. Als sie eines Tages kamen, war der Rhein zugefroren: das Treibeis stand- Einen letzten harten Kampf hatte der Strom greis versucht, um mit wilder Gewalt die Fessel zu zerbrechen, die ihm aufgezwungen worden war. So stürmte er denn mit wildem Wogen schwall gegen die aus schwerem Packeis gebaut» Eisbrücke an — vergebens. Mit Krachen und Pol tern schoben die großen Eisschollen sich gegen- und übereinander: — aber die Gewalt, m» der sie gegen den festen stehenden Eisgürtel ge trieben wurden, reichte nicht mehr hin, letztere« zu zertrümmern. Auch in die Mündung der Häfen von R .. -
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