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Anblick dieses Verhältnisses nebenher leben. Und in acht Ta gen stand ihr diese endgiltige Entscheidung bereits bevor. Der Gedanke erschien ihr ans einmal unerträglich. Die Vorstellung des baldigen Verlustes entflammte das Verlangen des Besitzes noch einmal mit verdoppelter Gewalt. Das Bewußtsein ihrer eigenen Ehe war zeitweilig ganz in ihr ausgclöscht; sie fühlte sich dann vollständig als das lie bende Weib, das der Geliebte verläßt, um eine andere zu freien. Und aus diesem Zwiespalt ihrer Natur begann allmählich eine quälende, eifersüchtige Erbitterung gegen die, die ihr den Mann ihrer Liebe nahm, gegen Käthe, emporzukeimeu. * * -t- Der Nachmittag neigte sich bereits seinem Ende zn, als Lizzie noch immer im Widerstreit der Gedanken auf der Chaise leugne ihres Nokokozimmers dahinträumte. Da schreckte sie ein unvermutetes Ocffucn der Tür plötz lich aus ihrem Siunen auf; Käthe trat eiu. „Ich hab' dreimal augeklopft," sagte sic, „aber niemand antwortetet Entschuldige, bitte, dies etwas formlose Eindrin gen! Mein Brautkleid ist eben gekommen, Du hattest mir doch versprochen, mir bei der Anprobe ein wenig mit Deinem sachverständigen Urteil zu Rate zu gehen!" „Gewiß, Käthchen, sehr gern!" Die junge Frau hatte sich von ihrem Ruhelager aufgerich tet und half der Stieftochter bei der Eröffnung eines mächti gen Kartons, den der Diener jetzt zwischen den beiden Dame» auf den Mitteltisch stellte. Immer wieder in Käthes Nähe schinolz alle Ungerechtig keit und Bitterkeit in ihr, und nnter dem Drucke des Schuld bewußtseins suchte sie.durch doppelte Liebe und Hilfsbereitheit zu sühnen, was sie an dein Mädchen tat. Mit großer Sorgfalt enthüllte sie aus dem knisternden Seidenpapier die schimmernde Spitzenflut der wundervollen Atlasrobe. „Komin in mein Ankleidezimmer, Käthe, da können wir ungestört proben!" sagte sie, .die kostbaren Stoffmassen vor sichtig zusammennehmcnd. „Daun kann man die Wirkung ja überhaupt erst richtig beurteilen!" Mit flinken Händen stand sie ihr geschickt znr Seite; bald Prangte Käthe im Schmuck des hochzeitlichen Kleides. In ehrlicher Bewunderung drehte und wendete Lizzie die Stieftochter vor dem mächtigen Stehspiegel nach allen Seiten. „Die Taille sitzt ausgezeichnet," sagte sic, „am Rock würde ich noch ein paar kleine Veränderungen Vorschlägen. Im übri gen bist Tu eine sehr hübsche Brant, Käthchen!" „Glaubst Du, daß ich Alfred fo ein wenig gefallen werde?" fragte Käthe, ihr Spiegelbild aufmerksam musternd. „Sei einmal ganz aufrichtig!" „Aber Kind, Du mußt nicht so reden!" „Warum nicht? Ich mache mir über mein Aeußeres ab solut keine Illusionen. Neben Dir zum Beispiel verschwinde ich doch vollständig!" - Sie hatte unterdes die Taille abgelegt und streifte jetzt auch den Nock wieder vorsichtig aus. „Komm einmal her, Käthe!" sagte Lizzie plötzlich. „So, hier setz' Dich auf meiuen Schoß uud nun beichte, was hast Du auf dein Herzen?" „Findest Du mich wirklich auch so häßlich?" „Aber Käthe!" „Ja, der Gedanke quält mich immerzu! Ich hab' mich früher nie iiu geringsten darum gekümmert, wie ich aussah! Aber jetzt fällt cs mir mauchmal schwer auf die Seele, wie sehr mich die Natur vernachlässigt hat!" Sie hatte den vollen, bloßen Arm um Lizzies Nacken ge legt und sah an ihr vorbei in den Garten hinaus. „Du kennst dies Gefühl vielleicht nicht, Dn bist immer schön nnd bewundert gewesen; aber ich hab' es in allen Phasen dnrchgcmacht! In der Tanzstunde, wo mir die Tänzer heran- geholt werden mußten, nnd auf den großen Philharmonie bällen, auf denen ich zweimal auch nicht einen Schritt getanzt habe. Weißt Du, was ich manchmal denke, es ist ja ein dum mer Gedanke, aber er kommt mir immer wieder: Ihr beide, Du und Alfred, paßtet eigentlich viel besser zueinander! Ihr wäret ein Paar, wie für einander geschaffen!" Lizzie zuckte zusammen. Ahnte das Mädchen etwas von ihren Beziehungen, wollte sie sie mit dieser Frage auf die Probe stellen? Verstohlen sah sie von der Seite zu ihr auf, doch Käthes offener, ruhiger Blick ließ ihre Besorgnis wieder schwinden. „Du mutzt Dich nicht selbst immer mit solchen Gedanken peinigen," sagte sie daun. „Auch Georg hat mir bereits an gedeutet, daß Du in letzter Zeit so sehr zum Grübeln neigtest und ihm ernstliche Sorgen machtest. Hast Du mit Alfred ir gend einen Konflikt gehabt?" „Einen direkten Konflikt nicht, aber ich hab' in den letzten Wochen immer so das Gefühl gehabt, als ob etwas Fremdes zwischen uns stände. Woran und worin es liegt, kann ich da bei gar nicht einmal sagen! Manchmal denk' ich dann auch wieder, es sei alles beim alten und all' meine Befürchtungen grundlos!" „So wird es Wohl auch sein, Käthchen!" suchte sie die Stiefmutter zu beruhige». „Du bist in diesen Tagen auch nicht ganz normaler Gemütsverfassung und siehst Deine Um gebung vielleicht durch eine ganz falsche Brille! Ich Helf' Dir jetzt Dein Kleid zusammenpacken, und dann fahren wir beide miteinander noch ein Stück in den Tiergarten. Die frische Luft wird Dir den Kopf schon klarer machen!" 11. Georg war mit Lizzie am nächsten Vormittag in alter Weise in Berlin unterwegs gewesen und nnter dem Eindruck ihrer unbefangene» Liebenswürdigkeit und weltsicheren Art in feinem Verdacht wieder wankend geworden. Auch beim Diner hatte er in dem Benehmen der beiden vergebens eine Spur zu entdecken versucht, die darauf hin deuten konnte, daß zwischen ihnen irgend eine besondere Ver traulichkeit bestehe. Alfred behielt Lizzie gegenüber seine sich stets gleichblci- bende, etwas kühle Reserviertheit bei und widmete sich fast ausschließlich seiner Braut und den: Kommerzienrat, der sich auch heute wieder von der heitersten Seite zeigte, den Pla» einer großen Sommerreise nach Spitzbergen entwarf und eud- lich für den Nachmittag einen gemeinschaftlichen Ausflug nach der Umgegend vorschlug. Er wäre jetzt im Geschäft einmal auf ein paar Stunde» abkömmlich; für den Zoologischen und den Ausstellungspark mit seinem Dreherbier und ewigen Stadtbahngerassel schwärme er nicht besonders, befürworte jedoch die Havelseen, Wannsee oder Schlachtensee. Der Vorschlag fand allgemeinen Beifall. Die Benutzung der Equipage ward abgelehut, man wolle sich einmal ganz im Stile eines Berliner Sonntagnachmittags ausfluges amüsieren. Bald saßen die fünf Reisenden vergnügt in einem Kupee zweiter Klasse eines Vorortzuges und dampften aus der Rie senhalle des Wannseebahnhofs mit seinem stickigen Rauch- und Maschinengernch an der langen, grauen Häuserreihe der Flott- wellstratzc entlang. Die Fenster waren auf beiden Seiten hcrabgelassen, trotz dem herrschte in dem engen Naum eine heiße, dunstige Hitze. Die Polster glühten, und in dem Sonnenstrahl, der jetzt an einer Kurve breit ins Kupee fiel, tanzten Millionen von Staubatomen. Friedenau mit seinen kleinen, grüngebetteten Villen, Steglitz, Lichterfelde flogen vorüber. Der langgestreckte Schlachtcusee blitzte aus der Tiefe blau auf. Rechts und links die Fichtengründe des Zehlendorfer- Forstes. Wannsce! — Der Kommerzienrat hatte die kleine Gesellschaft auf dem Perron des Bahnhofs versammelt, uud mau entwarf einen Schlachtplan. Eine sofortige Nast im Schwedischen Pavillon ward ab gelehnt. Man beschloß, mit dem Schiff direkt nach Moorlake zu fahren und dann in der ländlichen Einsamkeit von Nikolsko» Kaffee zu trinken. Lizzie war ganz erfüllt von de» Freuden des Nachmittags. Wie ein übermütiger Backfisch stürmte sic die Bahnhofs treppe hinan und ruhte spätes: auf demStcrudampfer uicht eher, als bis Georg mit ihr die bescheideueu Merkwürdigkeiten de alten Bootes bis ins kleinste gemustert hatte. „Ach, das Wasser! Wie ich das Wasser liebe!" sagte sie, als sie jetzt glühenden Gesichts unter dem leichten Zeltdach mit ihm an der Spitze des Dampfers Platz nahm. „Wie mich das an die Heimat erinnert, dieser Wassergeruch, dies Stampfen der Maschine! Daheim als Schulmädel hab' ich in den Ferien ! oft tagelang auf unserem See herumgelegen!" 22*