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Allgemeiner Anzeiger : 13.05.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-05-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
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- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190805133
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19080513
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19080513
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-05
- Tag 1908-05-13
-
Monat
1908-05
-
Jahr
1908
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 13.05.1908
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Von unä fern. Ter Begründer des „Roten Kreuzes", Henry Dunant, hat am 8. d. in dem Städt chen Heiden (Appenrell) seinen 80. Geburtstag gefeiert. Seine Idee einer großen inter nationalen Vereinigung zur Minderung der Schrecknisse des Krieges gewann in ihm feste Gestalt, als Dunant sich 1859 nach dem öster reichisch-italienischen Kriegsschauplatz begab. Die blutiae Schlacht von Solferino veranlasste ihn zur Herausgabe eines kleinen Buches, in dem er für die Neutralisation der Verwundeten und für die Organisation freiwilliger Hilfsvereine eintrat. Als fick Navoleon III. seiner Sache annahm, kam 1864 der Genfer Kongreß zu stande, auf dem Dunants Ideen beraten wurden. Ei« schweres BaNouuuglück. Bei einem über Uelzen ausgebrochenen Gewitter be merke man einen in nordwestlicher Richtung sich fortbewegenden großen Luftballon, dessen Hülle plötzlich zusammenklappte. Dann sah man eine große Flamme austodern und den Ballon nebst Gondel mit großer Geschwindigkeit zur Erde niedersinken. Ob in der Gondel Personen waren, konnte man bei der großen Entfernung nicht erkennen. Angenommen wird, daß der Niedergang des Ballons in der Richtung auf Dannenberg erfolgte. x Kurzes „Eheglück". Auf dem Sterbe bette standesamtlich getraut wurde vor kurzem in Main, der 77 jährige Privatier Wahl mit einem 23 iährigen Mädchen aus Marienborn und am Tage daraus erlag der Neuvermählte Ehemann einem Schlaganfall unter Hinter lassung eines Barvermögens von etwa 200 000 Mark. Seine Kinder beabsichtigen nun, die Ehe gerichtlich anzufechten. Einstweilen wurde vom Amtsgericht der Nachlaß des Verstorbenen sichergestellt. Bon einem Stier getötet. In Ruwer bei Trier schleuderte ein wütender Stier einen achtjährigen Knaben zu Boden und zerstampfte ihn zu einer formlosen Masse. Fluchtversuch aus dem HnMhaus. In Hameln versuchten abends zwei gefährliche Ver brecher aus dem Zuchthause auszubrechen. Der eine Zuchthäusler wurde auf der Gefängnis- mauer erschaffen, der andre am Hafen er griffen. Eine ganz« Familie verunglückt. In Altenwalde bei Ziegenhals scheuten die Pferde des Besitzers Rieger vor bissigen Hunden, der Wagen stürzte um, alle Insassen unter sich be grabend. Rieger war sofort tot, ein Kind schwer verletzt, die andern Mitglieder der Familie sind leichter verletzt. Entm-nschte Elter«. In Oberhausen ließ das Ehepaar Siermann sein fünfjähriges Kind verhungern. Das Kind verschied kurz nach der Einlieferung im Krankenhause. Da« Ehepaar ist flüchtig. Wunderbare Lebensrettung. In Unter steinach bei Bamberg stürzte der 3jährige Knabe eines Bierbrauers durch ein Glasdach in die Wirtschaft hinab, fiel aber direkt in den Tragkorb einer eben eintretenden Bäuerin, ohne weiteren Schaden zu nehmen. Verzweiflungstat eines BaterS. Der 33 Jahre alte Schlosser Egenberger in Karls ruhe hatte dieser Tage mit seinen zwei Kindern von 11 und 4 Jahren seine Wohnung verlassen, angeblich um einen Spaziergang zu machen. Am andern Morgen wurden die drei im Walde tot aufgefunden mit Schußwunden im Kopf. Der Grund zu der Tat ist wahrscheinlich in den fortwährenden Streitigkeiten zu suche«, die die geisteskranke Frau des Egenberger hervorrief. X Et« Überfall auf deu dirigierende« Arzt ereignete sich dieser Tage im Kranken haus» zu Bad Reichenhall. Als der Hofrat Dr. Harl der Anstalt die übliche ärztliche Bistte abstattete, wurde er von dem Geisteskranken Michael Egger, einem 24 jährigen, kräftigen Burschen, tätlich angegriffen. Die Oberin, die sofort in resoluter Weise eingriff, befreite den Arzt aus seiner kritischen Situation, worauf der Geisteskranke in Tobsucht verfiel; er wurde alsbald der Irrenanstalt Gabersee überwiesen. Ei« blutiger Kampf zwische« Wald arbeiter«. Im Zarander Walde bei Fugi- Vasarhely entstand zwischen 200 mit Äxten und Knütteln bewaffneten wallachischen Wald arbeitern und 100 ungarischen Waldarbeitern ein Kampf. Die Gendarmerie mußte ein schreiten und machte dem Kampf ein Ende. Drei Personen wurden lebensgefährlich, 15 schwer und zahlreiche leicht verletzt. 20 Rädelsführer wurden verhaftet. 00- Der Kronprinz von Cambodga — französischer Offizier. Wie aus Paris gemeldet wird, hat der Sohn des Königs von Cambodga, Sisowath, der soeben die militärische Schule m Frankreich absolviert hat, Aufnahme als Offizier im 126. Infanterieregiment ge- König Ludwig-Denkmal für Bamberg. Die alte Bilchossstadt Bamberg will dem Bahern- könige Ludwig II. ein Denkmal errichten. Aus dem zu diesem Zweck unter den deutschen Bildhauern ausgeschriebenen Wettbewerb ist Philipp Kittler in Nürnberg als Sieger hervorgegangen. Der Bild hauer hat den König, wie aus dem Bilde zu ersehen ist, in jugendlichem Alter ideal anfgefaßt, in der Tracht der St. Georgsritter dargestellt. Die Auf fassung Kittlers erscheint besonders geeignet, das Bild Ludwigs H., eines der genialsten Männer, die je auf einem deutschen Fürstenthron gesessen haben, dauernd wach zu erhalten. Das Denkmal, das in Bronze auSgeführt wird, soll bereits im kommenden Jahre enthüllt werden. funden. Er gedenkt bis zu seinem Regierungs antritt in französischen Diensten zu bleiben. Russisch« Soldate» alS Raubmörder. Wie aus Wilna gemeldet wird, wurde der ver abschiedete Generalmajor BychowSky ermordet und seine Frau schwer verwundet. Die Mörder find drei Soldaten, die auch die Köchin und das Stubenmädchen ermordeten. Es handelt sich um «inen Raubmord. Die Mörder fanden nur 100 Rubel, die noch während der Mord nacht verjubelt wurden, worauf die Soldaten morgens in ihre Kaserne zurückkehrten. Sämt liche Verbrecher wurden verhaftet. DaS MordhanS i« Laporte. Die Er mittelungen, die jetzt naL dem Abbrennen des Landhauses der Mrs. Guinneß in Lavorte (Indiana) über das verbrecherische Treiben dieser Frau angestellt werden, haben geradezu furcht bare Einzelheiten ans Tageslicht gefördert. Zahllose Morde, Brandstiftungen und Be trügereien hat das entmenschte Weib auf dem Gewissen, das angeblich beim Brande ihres Hauses mit ihren drei Kindern den Tod ge funden haben soll. Es werden jedoch Stimmen laut, die behaupten, Mrs. Guinneß lebe noch und habe sich längst in Sicherheit gebracht. Auf dem Grundstück der Mörderin sind bereits 12 Leichen Erwachsener ausgegraben worden. Furchtbare Eise«bah«kataktrophe. Nach einer Meldung der ,Leipz. N. N/ aus Bombay find in der Nähe von Shaziabad (Nsrdwest- provinz) zwei Eisenbahnzüge zusammengestoßen und nack dem Zusammenstoß in Brand ge raten. Es sollen 250 Menschen dabei den Tod gefunden haben. Gei*ickrskaNe. 88 Posen. Als ein polnischer Propst E. die Theaterstücke 1) die Bernsteinkette der Katharina, 2) Auf den Wechsel weine ich, 3) Der Jude vor Gericht zur Ausführung bringen wollte, wurde die Genehmigung zur Aufführung untersagt. Nach fruchtloser Be schwerde erhob der Propst Klage beim Oberverwal- tungsgericht und betonte, es handle sich um ernste Stücke, das Verbot, diese Stücke zur Aufführung zu bringen, sei ungerechtfertigt. Das Ober verwaltungsgericht gab der Klage wegen eines Stückes statt, wies jedoch wegen der andern beiden Stücke die Klage ab. Ungeachtet der Bestimmungen der Verfassung über die freie Meinungsäußerung wird die Theaterrensur, wo nach die polizeiliche Erlaubnis zur Aufführung von Theaterstücken erforderlich ist, für zulässig erachtet. Das Stück „Der Jude vor Gericht" erachtete da? Oberverwaltungsgericht für derart harmlos, daß es unbedenklich aufgeführt werden dürfe. Dies lönne von den andern beiden Stücken nicht be hauptet werden. In dem Stück „Die Bernstein kette der Katharina" komme eine bedenkliche Episode vor, die geeignet erscheine, Zwietracht zwischen Deutschen und Polen hervorzurufen und die Gegen sätze zu schüren. Es könne die Befürchtung nicht von der Hand gewiesen werben, daß durch die Aufführung eines solchen Stückes die öffentliche Ruhe und Ordnung gestört werde. Diese Er wägungen treffen auch kür das Stück „Auf den Wechsel weine ich" zu, es handle sich hier um ein Tendenzstück, dessen Aufführung geeignet sei, in Gegenden, wo Deutsche und Polen nebeneinander wohnen, eine Störung der öffentlichen Ordnung herbeizuiühren. Potsdam. Vor der taiserl. Disziplinarkammer wurde gegen den Regierungsrat Martin verhandelt, der beschuldigt wird, innere Angelegenheiten seiner Beamtenschaft der Presse mitgeieilt und sich gegen den Grafen Posadowstp in beleidigenden Äuße rungen ergangen zu haben. Die Kammer erkannte nach längerer Verhandlung auf Dienstentlassung. Der Verurteilte wird gegen dieses Urteil Berufung an den Reichsdisziplinarhof in Leipzig einlegen. Der Kampf Harden-Eulenburg. Die Angelegenheit des Fürsten Eulenburg bat nunmehr gerichtliche Maßnahmen in großem Stile gezeitigt. Wie aus Liebenberg (dem Schlosse des Fürsten) gemeldet wird, fand dort die Gegen überstellung der Zeugen Riedel und Ernst mit dem Fürsten Eulenburg statt. Die Gegenüber stellung war sehr eingehend und dauerte nahezu fünf Stunden, so daß die Kommission nur mit Mühe den letzten fahrplanmäßigen Zug «ach Berlin erreichte. Als Ergebnis der Gegenüber stellung ist die Tatsache zu verzeichnen, daß Fürst Eulenburg bestritt, die Zeugen zu kennen. Riedel, ein untersetzter, stämmiger Mann mit leicht ergrautem Haar und dunkelblondem, ins Rötliche schimmerndem Schnurrbart, war sehr zu versichtlich, Ernst, der größer und schlanker ist, etwas gedrückt, fehr angegriffen. Vom Schloß ist seit Sonntag früh die fürstliche Standarte nieder geholt. Sämtliche Zugänge tragen ein weithin sichtbares Schild, das den Eintritt verbietet. Fürst Eulenburg, der im Laufe des Abends wieder zusammenklappte, blieb im Schlosse, ebenso sein ältester Sohn Fritz, der sonst in einem besonderen Bau in einiger Entfernung vom Hauptschlosse wohnt. Im Schlosse blieb aber auch Kriminalkommissar Nasse mit seinem Beamten, der auch den übrigen, schon am Mittwoch abend eingetroffenen Kriminalbeamten seine besonderen Weisungen gab. Daraus muß wohl geschloffen werden, daß der Unter suchungsrichter den Haftbefehl gegen den Fürsten ausgesprochen hat, daß aber die Bewachung einstweilen im Schlosse stattfindet, weil Fürst Eulenburg zurzeit nicht transportfähig ist. Der Zeuge Riedel erzählte dem Mitarbeiter des ,Berl. Lok.-Anz/ in großer Erregung, daß Fürst Eulenburg alles leugne, was die beiden in München ausgesagt, was sie erst jetzt wieder in aller Ausführlichkeit wiederholten. Fürst Eulenburg behauptete, die beiden Zeugen gar nicht zu kennen, sie nie gesehen zu haben. Riedel sagte: „Aber Herr Fürst, ich kenne Sie doch so gut und habe das, was ich heute hier sagte, achtmal wiederholt, da ist doch nichts daran zu ändern! Ich kann dies doch nicht aus der Luft greifen!" Darauf habe der Untersuchungsrichter dem Fürsten ebenfalls vorgehalten, daß Riedel jedesmal das gleiche gesagt habe und daß er ihm unbedingt Glauben schenken müsse. Riedel erzählte ferner, daß der - Fürst wohl im Bette läge; ob er aber krank sei, könne er nicht sagen, das müsse der Arzt wissen. Er halte alles aufrecht, was er in München beschworen habe. Die nun folgende Verhandlung wird ja alles an den Tag bringen. Der Kriminalbeamte, welcher die beiden Zeugen nach Liebenberg geleitete, mußte in Liebenberg zurückbleiben. Fürst Eulenburg ist mittels Automobils als Untersuchungsgefangener vom Kriminalkommissar Nasse aus Liebenberg in die Charits nach Berlin gebracht worden. Von dem Verteidiger des Fürsten Eulenburg, Justizrat Wronker, war, sobald er davon verständigt worden war, daß die Überführung des Fürsten nach Berlin und seine Inhaftierung erfolgen werde, der Antrag aus Haftentlassung gestellt worden. Auf seine Auflage hatte die Familie den Verteidiger er mächtigt, dem Gericht als Kaution 500 000 Mk. zur Verfügung zu stellen. Von der Oberstaats anwaltschaft war die Verhaftung mit der Be dingung beantragt worden, daß bei der Höhe der möglicherweise zu verhängenden Strafe Fluchtverdacht vorliege. Die Beschlußkammer hat aber sofort die Haftentlassung abgelehnt. Zu der Gegenüberstellung des Fürsten Eulen burg mit den Starnberger Zeugen wird noch gemeldet: Der Zeuge Ernst ist sehr niederge schlagen, weniger vielleicht wegen des Ver haltens des Fürsten, obwohl ihm dieses sehr unerwartet kam, als vor allem deswegen, weil er sich im Mittelpunkte des Interesses sieht. Im ersten Augenblick bei der Gegenüberstellung hatte er geglaubt, in den Boden sinken zu müssen, als der Fürst sagte, daß er von andern bestochen sei, um gegen ihn auszusagen. Die eindring lichen Reden des Oberlandesgerichtsrats Meyer in München, des Untersuchungsrichters Schmidt haben ihn überzeugt, daß er das Rechte getan habe, als er die Wahrheit aussagte; endlich werde die Wahrheit doch an den Tag kommen. Ernst ist sehr aufgeregt und freut sich, daß nun mehr die Vernehmungen ein Ende haben und er wieder nach Hause fahren kann. Kuntes Allerlei. «Nemittlich. Kellner: „Aber, verehrter Herr, wenn Sie mir nicht Ihren Namen und Ihre Adresse angeben können, kann ich Sie doch nicht nach Hause bringen lassen!" — Gast (stark angeheitert): „Wissen Sie, ich habe alles vergessen. Aber warten Sie einen Augenblick, Kellner. Lesen Sie mir doch mal das Adreß buch vor; wenn Sie an meinen Namen kommen, sage ich es Ihnen." Natürliche Darstellung. „Die Vor stellung von „Romeo und Julia" war groß artig; alle Zuschauer waren zu Tränen ge rührt." — „Das ist noch gar nichts. Die „Räuber" wurden in der vorigen Woche so natürlich gegeben, daß nach der Aufführung das Armband meiner Frau verschwand." --.x Strohläcke, welche die schwellenden Matratzen zum Liegen ersetzen müssen, hervor und schüttelt sie auf. Das geschieht zm selben Zeit, da Franck am Ofen steht und kocht und schmort. Dann legt der Alte die Lagerstätten wieder -urecht und beginnt, mit einem Belen den Bode« des Kajütenrmims zu fegen. — Ob auch Franck dafür sorgt, daß alles den Umständen nach möglichst sauber zugeht, — alles kann er doch nicht nach Wunsch haben. Unterdes klingt auf einmal an das Obr der Emsigbeschästigten von draußen her Glockenge läute, feierlich, sonntäglich. Das sind Lie Glocken der altehrwürdigen Kirchen Kölns. Franck hat sie auf seinen Fahrten von andern unterscheiden gelernt. Dort draußen, am Lande, werden jetzt Scharen von Gläubigen zum Gottes dienst eilen. Für die Schiffer gibt es nur wenig Gottesdienst und Kirchgang. Franck erinnert sich — lange Jahre ist's schon her — daß er einstmals seinen Großvater gefragt hat: „Sag' mal, lieber Großpapa, warum hast du und Papa keine Kirche auf dem Schiff? Oder warum bleiben die Schiffe nicht am Sonntag im Hafen liegen?" Damals hat ihm der graubärtige gute Großvater die wallenden Locken aus der Stirn gestrichen und ihm gesagt: „Sieh mich an, lieber Junge! Versprichst du mir in die Hand, daß du so oft m die Kirche gehen willst, als du eben kannst? Ja? Recht so I Du wirst nicht immer können, s geht schon so im Leben! — aber wenn du nicht kannst, so unterlaß eS nicht, wenigstens dafür ein halbes Stündchen länger zu beten." Franck hat damals in die von hornigen Schwielen bedeckte Hand seines Großvaters sein kindliches Versprechen abgegeben. Dann hat der Großvater weiter gesagt: „Eine Kirche, ein Kapellchen, kann nicht an Bord eines jeden Schiffes sein, noch weniger richtiger Gottesdienst. Nur auf den großen Schiffen, die über das weite Weltmeer fahren, sind Geistliche; bei unsern Rheinschiffen ist das nicht möglich. Warum wir Sonntags nicht im Hafen bleiben? Nun, weil wir tun müssen, waS die Leute befehlen, denen die Schiffe gehören. Und diese Leute sagen: Der Wafferstand des Rheines ist nicht daS ganze Jahr so hoch, daß die Schiffe immer fahren können. Wenn aber günstiger Waffer stand ist, dann muß gefahren werden, io viel es eben geht, ob es da Sonntag oder Werktag ist. übrigens bleibt den Schiffern im Winter, wenn die Schiff« im Hafen fest im Eise stecken, Zeit genug, um in die Kirchen lausen zu können. Hörst du, so sagen diese Leute. Wenn dein Vater und ich jo reich wären, daß wir uns selbst ein Schiff kaufen könnten, würden wir ja wohl anders handeln und sagen: An Gottes Segen ist mehr gelegen, als an dem Gewinn, der uns entgeht, wenn daS Schiff einen Tag ff-äter am Ziel ankommt. Da wir Schiffer aber wohl keinen Reeder finden werden, der auch so sagt und den Schiffern den Sonntag freigibt, so müssen wir den Schiffsherren die Verantwortung dafür überlassen, daß wir so selten zur Kirche kommen." So hatte der greise Schiffskapilän, ein frommer Mann von echtem Schrot und Korn, seinem verständnislos, aber ausmerksam lauschenden Enkel gesagt. Heute ist Franck längst das Verständnis für jene Worte ge kommen. Nun ist er selbst auf einem der zahl reichen Schiffe einer niederrheinffchen Reederei- gesellschast. Er weiß eS jetzt schon längst aus eigener Erfahrung, daß es dem Schiffer gar oft beim besten Willen nicht möglich ist, Sonntags zur Kirche zu gehen; er wird des Gottesdienstes entwöhnt. Und die Gewohnheit ist es, die in den meisten Fällen auch den guten Willen lähmt, sodaß die Schiffsmannschaft auch dann, wenn wirklich Gelegenheit genug vorhanden ist, den Gottesdienst versäumen. Auch er ist tau geworden. So lau, daß er nur hin und wieder daran denkt. — Nur dann pflegt ihm sei« dem Groß vater gegebenes Versprechen einzufallen, wenn er — wie heute — tatsächlich an Bord bleiben muß. Und betcn Ja! Wo soll man daS halbe Stündchen zum Beten hernehmen? Immer näher kommt die Mittagsstunde heran. F«mck hantiert eifrig mit den Koch töpfen. Plötzlich ein Poltenr. — Der Matrose wendet sich um —: ein siebartiges Holzgerät kollert die Kajütentteppe herunter. Hinterdrein springen zwei schlanke Beine, ein in einer grauen Joppe steckender Körper und dann ein mit schwarzem Haar bedeckter Kopf, an dem zwei tleine funkelnde Luchsaugen auffallen. So meldet sich Franz, der Schiffsjunge an. „Achter, bi'm Kapitän öS schon lang opge- deckt, Herr Franck-? sagt er. „Dor geht dat alles völ schnelles as hier." „Na, dann brauchst du hier auch nicht um sonst zu warten. Deck' schnell den Tisch," ant wortete Franck, denn auch er ist mittlerweile fertig geworden. Als er den kleinen Eßtisch hergerichtet, läut»t Franz die Mittagsglocke. Von dieser gerufen, stellen sich schnell alle Kajütengenoffen ein und lassen sich auf ihren gewohnten Plätzen nieder. Franz findet an dem Tisch keinen Platz und hat seinen Eßnapf vor sich auf einer Holz bank, der sogenannten Schlajkiste, einem Be hältnis, das gleichzeitig znm Aufbewahren von Regenmänteln und andern wasserdichten Klei dungsstücken, aber auch zum Ausruhen und Sitzen dient. Franz ist ein kecker, vorlauter Bursche; aber alle in der Kajüte haben ihn gern. Franck, dem er eben erzählt hat, was die Frau Kapitän gekocht habe, sagt zu ihm: „Na, schmeckt es denn hier nicht ebenso gut, wie drüben?' „Nicht immer," erwidert ihm Franz. „Drüben gibt's mehr Zucker in die Milchsuppe." „Nu hör eener dat Naschmul," entrüstet sich Jan, der behaglich seine Suppe ißt, „nächstens kokt die Franck noch extra Appeltort onn PrummenmuS. Owrigens könnst bau di ok bald Plattdütsch angewöhne. „Zucker gibt's dort mehr" seegt man niet; man 'eggt: „Dort gewt dat mehr Ssocker". Enn Schepper mot kallen, wie öm de Schnabel gewaffen öS." Franz entgegnet: „Ich freue mich, daß mein Mund nicht so schief gewachsen ist, wie deiner." -Rs (Fortsetzung folgt.
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