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Allgemeiner Anzeiger : 15.12.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-12-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190612155
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19061215
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-12
- Tag 1906-12-15
-
Monat
1906-12
-
Jahr
1906
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 15.12.1906
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politische Kunälebau Deutschland. * Der Kaiser traf am Dienstag inBücke- burg zum Besuch des Fürsten Georg von Schaumburg-Lippe ein, um an der Hof jagd teilzunehmen. *Der Bund es rat hat dem Reichs haushalts-Etat für 1907 seine Zustim mung erteilt. * Der Text der Note über Marokko, dieFranrreich und Spanienden Mächten überreichen liehen, ist vom Staatssekretär des Äußern v. Tschirschky dem Reichstage zuge- geftellt werden. *Jn der B u d g e t k o mm i ssi o n des Reichstages gab es gelegentlich der Be ratung des Nachtragsetats für Süd- westafrika eine Überraschung. Nach längerer und lebhafter Debatte wurde die Regie- rungsforderung von 29 Mill. Mark abgelehnt. * Vom Preuß. Fi n a u z mi ni ste r sind die zuständigen behördlichen Stellen veranlaßt worden, in besonderen Bekanntmachungen die Bevölke rung im Interesse einer beschleunigten und voll ständigen Einziehung der Fünfzig- piennig stücke alten Gepräges zur Ab lieferung der fraglichen Geldsorte an die öffentlichen Kassen aufzufordern. Den Kassen- beamten ist zur Pflicht gemacht, etwaigen Wünschen nach Umtausch der alten Fünfzig- pfennigstücke gegen andre Münzen tunlichst zu entsprechen. Osterreich-Ungarn. *Die Wahlreformkommission des österreichischen Herrenhauses hat ihre Be ratungen begonnen. Ministerpräsident Baron Beck erklärte, daß sehr große Gefahren einer Verschleppung der Wahlreform vorhanden seien. Er richtete die dringende Mahnung an die Kommission, die Wahlreform so schnell als möglich unverändert anzunehmen und ans Herrenhaus zu leiten. Der Kaiser hat angeblich dem Herrenhause den Wunsch ausgesprochen, die Wahlreform möge so angenommen werden, daß sie am ersten Weihnachtsfeiertag als Geschenk Or Österreich in der Wiener Zeitung publiziert werden könne. *Die österreichischen Postbeamten, die leir JahreO vergeblich versucht haben, ihre Lage zu verbessern, drehen für die Weihnachts- Woche mit der passiven Resistenz, d. h. es soll genau nach Vorschrift expediert werden. Damit würde natürlich in wenigen Tagen der gesamte Postverkehr lahmgelegt werden. Maulreich. * Am ersten Tage, da das Trennungs gesetz in Wirksamkeit trat (11. d.), kam es zu Aufsehen erregenden Zwischenfällen, die wahr scheinlich den Kirchen streit noch verschärfen werden. Zunächst wurde derpäpstliche Ge sandte in Paris Monta gnini ausge wiesen. Außerdem aber wurde ein Abgesandter des Kardinals Mery del Val beim überschreiten der französischen Grenze festgenommen. Die Re gierung kam angeblich durch Einsichtnahme in die Briefschaften, welche dem Abgesandten bei seiner Verhaftung abgenommen wurden, zur Kenntnis eines Planes, der in Paris und den Provinzen den Ausgangspunkt einer beim Staatsgerichtshof zu erhebenden An klage gegen verschiedene Parteichefs bilden wird. *Der ehemalige K ö n i g von Dahomey, Behanzin, ist in Algier gestorben. England. * Der Handelsmini st er Lloyd- George hielt in Liverpool eine Rede, in der er ausführte, England habe von der d eu ts ch en Schiffahrt nichts zu befürchten, wenigstens solange nicht etwa Deutschland die englischen Inseln an sich reiße. England habe in 6 Jahren seine Handelsmarine um mehr Schiffe vergrößert, als der ganze Wettbetverb Deutschlands aus mache. Auf offener See sei englische Geschick lichkeit und englischer Wagemut aller Welt über legen. Italic». * Der Papst erließ in bezug auf das MM Vor einigen Tagen schon behauptet wurde, der Kchah sei bereits gestorben und sein Tod werde avegen der drohenden Revolution nur verheim licht, heißt es jetzt wieder, der Schah liege im Sterben, es sei jedoch keinerlei Unruhe wegen der Thronfolgefrage zu befürchten. clem AerckstAge. Der Reichstag erledigte am Montag zunächst die Ratifizierung der Algeciras-Akte, indem das Gesetz en bloc angenommen wurde. Auch der zweite Punkt der Tagesordnung, die erste und zweite Lesung des Gesetzes Lew. die Kontrolle des Reichs- Haushalts, des Landeshaushalts von Elsaß- Lothringcn und des Haushalts der Schutzgebiete für 1906 wurde ohne Debatte genehmigt. Darauf wurde in dritter Lesung das Gesetz betr. das Ur heberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie angenommen. Der Zeitpunkt des Jn- krasttretens des Gesetzes wurde auf Antrag des Abg. Müller-Meiningen (srs. Vp.) vom 1. Januar 1907 auf den 1. Juni 1907 hinausgefchoben. Es folgte hierauf die dritte Beratung der Novelle zur Gewerbeordnung betr. die Einführung des kleinen Befähigungsnachweises für das Baugewerbe. Die Vorlage wurde gegen die Stimmen der Linken angenommen. Äm 11. d. stehen aus der Tagesordnung die Interpellationen Ablaß u. Gen., sowie Albrecht und Gen. betr. Maßnahmen zur Abhilfe der herrschenden Fleischteuerung bezw. betr. die Teuerung der notwendigsten Lebensmittel, insbesondere des Fleisches. Staatssekretär Graf Posadowskh erklärt sich zur Beantwortung bereit. Abg. Wiemer (frs. Vp.) erklärt, kurz sein zu wollen und das Haus namentlich mit ausgedehnten Statistiken nicht ermüden zu wollen. Von 1896 bis 1906 seien im Großhandel gestiegen Rindfleisch um 28,60 Prozent, Schweinefleisch 40,6 Prozent, Kalbfleisch 33 Prozent, Hammelfleisch 32 Prozent. In Berlin im Großhandel N.ndfleisch um 36 Pro zent, Kalbfleisch 41^2 Prozent, Hammelfleisch sogar SV Prozent. Im Vorjahre noch wurde diese Teuerung amtlich als eine vorübergehende dargestellt und auf die hohen Futtermittelpreisc des Jahres 1904 zurückgesührt. Aber die amtliche Prophe zeiung eines baldigen Preisrückganges habe sich als falsch erwiesen. Im Auslande seien gegenwärtig die Fleischpreise wesentlich billiger. Einem Durch schnitt von 92 Pf. pro Pfund für Rindfleisch in Deutschland stehen gegenüber in Holland 68, Bel gien 56, Spanien 55, Frankreich 52, England 48 bis 55, Nordamerika 40 Pf. Neuerdings seien die Schweinepreife etwas zurückgegangcn, aber das sei eine Erscheinung, die sich um diese Jahreszeit stets einstellt, und der ebenso sicher ein Wiederaufsteigen der Preise folgen werde. Überall sei ein starker Rückgang des Fleischkonsums in Deutschland zum Nachteil des Ernährungsstandes der großen Masse der Bevölkerung wahrzunehmen. Das räche sich am Heranwachsenden Geschlecht, seinen Aroeits- und auch seiner Wehrfähigkeit! Wir müssen Öffnung der Grenzen bei Aufrechterhaltung der hygienisch notwendigen Maßnahmen verlangen. Der frühere preuß. Landwirtschaftsminister v. Podbielsky hat eiufeitig agrarische Interessen vertreten, aber nicht, Wie er als Staatsminister hätte tun sollen, die Interessen der Allgemeinheit. Verantwortlich ist vor allem der Reichskanzler. Graf Posadowskh hat bei der Beratung des Zolltarifs gesagt, Agrar politik und Sozialpolitik kreuzen einander nicht. Die Fleischteuerung ist der beste Beweis, daß dies ein Irrtum war. Sie ruft die größte Mißstimmung hervor und nicht nur der Sozialdemokratie. Zur Begründung der Interpellation der Abgg. Albrecht u. Gen. nimmt das Wort Abg. Scheidemann (soz.): Das Ansehen der Regierung ist durch den Umstand keineswegs im Volke erhöht, daß der Ncichskanzer einen vollen Monat dazu gebrauchie, uni diese hochwichtige Frage beantworten zu lassen. Interessant ist es, daß der frühere Landwirtschaftsminister seine Behauptung, es handele sich bei der Fleischtcuerung um eine vor übergehende Erscheinung, nach seiner eigenen Erklärung imHerrenhause selbst nicht geglaubt hat. Das ein Rück gang der Fleischprcise für die nächste Zeit nicht zu erwarten ist, geht aus den kürzlich abgeschlossenen Fleisch- liefernngsvcrträgen zwischen den Berliner Liefe ranten und der Heeresverwaltung hervor, in denen die Preise z. B. für Schweinefleisch von 132 auf 138 Pfennig heraufgesstzt sind. Die Versuche, sich über den Notstand hinwcgzutäuschen, sind alle fehl- gegangen, und das uns zugegangene Material des Bundes der Landwirte leistet an Verdrehungen das möglichste. Das Ausplünderungswesen ist bei uns dasselbe geblieben. Früher plünderten die Junker den einzelnen Kaufmann aus, jetzt ist die Aus beutungstechnik vervollkommnet worden, jetzt plündern sie das ganze Volk aus. Die Vieh- und Fleisch- französische Trennungsgesetz, das am 11. d. in Kraft getreten ist, an die Geistliches von neuem die Weisung ergehen, ihre Tätigkeit wie bisher auszuüben und nur der Gewalt zu weichen. Schweden. *Dem Reichstage wird demnächst der Wortlaut einer Note vorgelegt werden, die von der norwegischen Regierung überreicht worden ist und einen engeren Zusammenschluß der Nordstaaten vorschlägt. Spanien. * Im Ministerrat wurde beschlossen, den Cortes ein neues Vereinsgesetz mit wesentlichen Abänderungen zn unterbreiten. Ruhland. * Der Zar spendete aus seiner Privat schatulle eine Millipn Rubel für die hungernde Fran Cosima Wagner, die Witwe Richard Wagners, ist auf Schloß Langen burg, wo sie als Gast des Prinzen Hohenlohe weilte, von einem schweren Anfall von Herzschwäche be fallen worden, das aber zu Befürchtungen keinen Anlaß gibt. Sie steht augenblicklich im 68. Lebens jahre. Landbevölkerung. Die Summe wurde der Verpflegungs-Kommission überwiesen, der selben, bei der vor einigen Tagen eine Millionen unterschlagung entdeckt wurde. * Jetzt endlich hat die Regierung eine Kommission eingesetzt, die alle Ansprüche, die in folge von Vermögensverl u st en während des russisch-japanischen Krieges gestellt werden, prüfen soll. Nach einem Erlaß des Zaren sind alle Ansprüche bis spätestens 1. Mai 1907 einzureichen. Balkanstaaten. * Die Lage in Mazedonien läßt noch immer viel zu wünschen übrig. Wie aus Salo niki gemeldet wird, nimmt die griechische Be wegung im Sandschak Serres täglich zn. Am Jenidzesee fanden seit zwei Tagen Kämpfe zwischen Griechen und Bulgaren statt. *Jn Venezuela ist es zur offenen Revolution gekommen. Die Aufständifchen, die in einem schweren Gefecht die Regierungs truppen besiegten, haben sich einer größeren Stadt im Westen des Landes bemächtigt. Wie verlautet, ist Präsident Castro lebensgefährlich erkrankt und die Parteien streiten um feine Nachfolge. Men. * Die japanische Regierung bereitet eine Note vor, in der sie den Mächten eine Darstellung der Handelsvertrags- Lerhandlungen mit Rußland geben will. Es soll damit gezeigt werden, dcktz Japans Standpunkt durchaus richtig und seine Forde rungen keineswegs übertrieben seien. * Die Nachrichten über den Schah von Persien lauten sehr widersprechend. Während einfuhr aus dem Auslande ist, wo sie gestattet wird, durch die enormen Abgaben und Unkosten geradezu unmöglich gemacht. Die Seuchcngefahr des Aus landes ist nach der Statistik, abgesehen von Italien und Rußland, in Deutschland viel größer als in den Nachbarländern. Wir wollen selbstverständlich unfern deutschen Viehstand gesund erhalten. Diese Absperrung muß aber in vernünftiger Weise er folgen und nicht nur zu Preistreibereien dienen. Die Sünden des Herrn v. Podbielski sind Ihre Sünden, das sind die Sünden der Agrarier und Podagrarier. Wir fordern, daß die Regierung endlich eingreift, um der Not des deutschen Volkes zu steuern. Möge der neue Landwirtschaftsminister sich nicht unter das Junkerjoch beugen und die Interessen des Volkes zu wahren wissen. Staatssekretär Graf v. Posadowskh ver liest eine Erklärung des Reichskanzlers über das Ergebnis der von ihm in den letzten Monaten ver anstalteten Umfrage, die mit ernster Aufmerksamkeit von Behörden und Vereinen behandelt worden sei. Die Einfuhr aus Österreich ist danach uneingeschränkt, aus Holland kann sie dagegen nicht gestattet werden, da die Seuchengefahr eine außerordentlich große ist. Eine Aufhebung oder Herabsetzung der Zölle würde die Stetigkeit der inländischen Produktion erschüttern. Wie weit eine Aufbesserung der Beamten angesichts der Teuerung erfolgen muß und kann, ist zurzeit Gegenstand ernster Prüfung. Preuß. Landwirtschaftsminister v. Arnim: Ich muß bei meinem ersten parlamentarischen Auftreten in diesem Hause um Nachsicht bitten. Die bestehende Fleifch- teuerung hat ihre Ursache einmal in der nicht zu bestreitenden Viehtencrung und dann in der be stehenden Spannung zwischen Vieh- und Fleisch- prsisen. Die große Futternot des Jahres 1904 hat allerdings nur für die Schweineproduktion eine Preis steigerung zur Folge gehabt, nicht aber für die andre Viehproduktion. Die allgemeine Ursache der Preis steigerung ist vielmehr in der verringerten Produk tion zu suchen. Ganz im allgemeinen kann man aber sagen, daß die Fleischprcise im Verhältnis weniger ge stiegen sind als die Preise für Jndustrsiproduktc. Die Fleischpreisc sind aber in den letzten 14 Tagen sogar gefallen und waren ini November in den Städten sogar 20 v. H. niedriger als in der gleichen Periode des Vorjahrs. Daß aber die Preise gar ; auf das alte Niveau zurückkchren, ist im Interesse der Landwirtschaft gar nicht zu wünschen. Und ganz allgemein Hat der sazialistische Volkswirt Ealver für das Jahr 1905 ein Steigen der Lölne, unter andern für das Bau-, Textil- und Maschinen- gewerbe festgestellt. Wir haben also keinen Anlaß, unsre Schutzzollpolitik zu ändern, die uns 20 Zaire lang Segen gebracht hat. Wir können unsern Vi bestand im Gesamtwert von acht Milliardm Me k auch nicht den Gefahren der Viebwucke ausietz n. Die Landwirtschaft entrichtet der Industrie ohnehin eine Blut- und Kapitalstmcr, denn sie gibt einc» großen Teil ihrer Arbeiter an die Städte ab. Abg. Gerstcnberger (Zentr.): Das Steigen der Fleischpreisc ist eine naturgemäße Folge der wirtschaftlichen Entwickelung, aber eine übermäßige Steigerung, die über die normalen Produktions kosten entsprechend hinauSgeht, will die Landwirt schaft selbst nicht. Wir dürfen die heimffchc Vfty- produktion nicht schädigen und vom Ausland ab hängig machen. Dell Sozialisten sind die teueren Fleischpreise ein billiges WahlagitationZmittel. Gibt es überhaupt eine Fleischnot? Nur Flcisch- teuerung hat cs gegeben. Der Rückgang im Verbrauch von Fleisch ist derartig gering, daß man es als Übertreibung bezeichnen muß, wenn aus diesem Anlaß von einer Fleischnot ge sprochen wird und von einer Unterernährung der Bevölkerung. Die Bauern in gewissen Gegenden essen die ganze Woche hindurch kein Fleisch, nur am Sonntag, ohne deshalb ihre Arbeitskraft zu verlieren. Die erhöhten Lebens bedürfnisse, die Lohnsteigerungen, die vergrößerten Kosten des modernen Zwischenhandels haben natur gemäß eine Verteuerung des Fleisches mit sich ge bracht, die aber doch nicht dadurch aufgehoben werden kann, daß man dem Produzenten weniger zahlt. Und heutzutage gibt es ost bis fünf Zwischen händler, die alle am Fleisch verdienen wollen. Ich bitte, sich nicht durch Agitationsschriften auf hetzen zu lassen, sondern die Sache objektiv zu be urteilen. Die Weiterberatung wird vertagt. Von j^lak unct fern. Urteil im Mordprozeft Meyer. In dem Aufsehen erregenden Prozeß gegen den Möüslhändler Meyer, der beschuldigt war, seine Tante ermordet und beraubt, und ihre Leiche in einem Koffer neun Monate bei sich aufve-, wahrt zu haben, wurde der Angeklagte wegen Raubes zu 15 Jahren Zuchchaus verurteilt. (S. u. Gerichtshalle.) R Oe? Meg rum Oerren. 8j Novelle von F. Stöckert. lAorNeemig > Melitta starrte sprachlos in Kas rote Antlitz deS ältlichen Freiers. Verstand sie denn recht, dieser Mann wollte sie heiraten?" „Nun, mein Fräulein, Sie scheinen sehr über rascht, wünschen Sie Bedenkzeit? Ich will mich gern gedulden," sagte Herr Blinder freundlich und faßte, als hätte er schon ein Recht dazu, tändelnd einen von Melittas langen Zöpfen. Mit funkelnden Augen entriß ihm Melitta den Zopf und schnellte in die Höhe. Sie vergaß in diesem Moment gänzlich, was für eine arm selige Stellung sie jetzt im Leben einnahm, das war wieder ganz die alte, verwöhnte Melitta Bendelo, die jetzt mit zornsprühendem Antlitz vor Herrn Blinder stand und mit einer Miene voll grenzenlosen Hochmutes seinen Anttag mit kurzen, aber entschiedenen Worten zurückwies. Auch Herr Blinder hatte sich erhoben, auch sein Antlitz wurde zornesrot. „Das ist also der Lohn dafür, daß ich Sie jetzt beinahe ein halbes Jahr so freundschaftlich unterstützt habe," platzte er heraus. „Da liegen Ihre wertlosen Bilder stoßweise, ich habe sie alle bezahlt aus purem Mitleid; kaufen mag sie kein Mensch mehr. Anfangs ja, da machte es den Herren Offizieren einigen Spaß, Ihre Bilderchen zu kaufen, natürlich nur, weil sie eben von Ihnen waren, der „hübschen kleinen Bendelo", wie die Herren sie nannten." Melitta hatte mit zitternden Händen die Blätter, die sie heute gebracht, wieder in ihre Mappe getan. Sie war schamrot geworden bei den rücksichtslosen Reden des zornigen Herrn Blinder. „Ich werde Sie nie wieder belästigen," stammelte sie, „ich wußte nicht, daß meine Arbeiten so ganz wertlos seien; wenn ich irgend einmal kann, werde ich Ihnen das Geld zurück erstatten." „O, bitte, hat gar nichts zu sagen," erwiderte Herr Blinder, dessen Zorn schon etwas wieder verflogen. Melitta eilte hinaus auf die glühendheiße Straße, sie sah elegante Karossen, geputzte Menschen an sich vorüberziehen; draußen in den Etablissements am Fluß waren gewiß heute überall Festlichkeiten und Konzerte und die Dampf schiffe fuhren hin und her. „O, wer da mitziehen könnte mit dem Strom der Fröhlichen, Sorgenlosen," dachte Melitta und huschte wie ein Schatten, unbemerkt von den Menschen, an den Häusern entlang, bis sie ihre Wohnung erreicht und seufzend die finstere Treppe emporklomm. Die Frau Kommerziemätm saß fleißig stickeud am Fenster, als Melitta in daS armselige Gemach trat. Todesmatt warf sie sich auf einen Stuhl und schleuderte die Mappe mit ihren verachteten Kunstwerken weit von sich. „Mein Gott, was ist denn geschehen?" fragte die Mutter, verwundert von ihrer Arbeit aUf- schauend. „Will Herr Blinder deine Bilder nicht mehr kaufen?" „Nur aus Mitleid hat er sie genommen, sie sind gar nichts wert, gar nichts!" rief Melitta und heiße Tränen strömten aus ihren Augen. „Nur die Offiziere haben sie ihm ab gekauft, weil sie von der „kleinen Bendelo" ge malt sind. Stoßweise hat er sie liegen und nun will er mich heiraten, dieser abscheuliche, alte, rohe Mann." O, sie kam sich so verachtet, so gedemütigt vor, wie noch nie in ihrem Leben. „Er will dich heiraten?" fragte die Mutter erstaunt. „Ja, in aller Form hat er um mich ange halten, aber ich habe ihm meine ganze, grenzen lose Verachtung gezeigt." „O, Kind, wäre es nicht besser gewesen, du hättest die Hand dieses gewiß rechtschaffenen Mannes nicht zurückgewiesen? Es wäre doch eine gesicherte Zukunft für dich, während so nichts wie Elend, Not und Kummer deiner harrt." Melitta war aufgesprungen, unruhig lief sie im Zimmer hin und her. Also so weit war es mit ihr gekommen, dankbar sollte sie die Hand ergreifen, die sich ihr rettend entgegenstreckt, ehe sie ganz dem Elend anheimfiel. „Es ist entsetzlich," stöhnte sie, „hat denn nur das kalte, tote Geld noch Macht auf Erden? Dürfen wir denn nichts hoffen, wünschen, träu men, wenn wir arm sind? Es gibt doch ein Wort, die Menschen brauchen es so oft und auch ich glaubte es zu verstehen, darf ich es nicht mehr kennen, das Wort „Liebe" „ Mama? Oder ist es überhaupt nur ein leerer Schall." „Ost genug ist es das," erwiderte die Mutter, „und wenn es in früheren Tagen dein Ohr berührt hat, mag es auch kaum eine tiefere Bedeutung gehabt haben; fragt doch jetzt niemand mehr nach dir von allen denen, die dir damals gehuldigt." „Er sprach niemals von Liebe zu mir," sagte Melitta jetzt leise, traurig vor sich hin, „aber ich las es doch in seinen Augen! Und dann sah er mich an, damals in der Reitbahn, so traurig scheidend. — Und dann ist er ge gangen im Zorn weit fort. Ach, es ist wohl namenlos töricht und kindisch, da noch zu hoffen." Mit neuen Sorgen und Kummer legten sich die beiden einsamen Frauen diesen Abend zur Ruhe. Noch elendere, trostlosere Tage sollten ihnen kommen. Doktor Bergen hatte sich in der kleinen Stadt im Herzogtum A., wohin er vor einem Jahr einem Ruf gefolgt, schon recht behaglich eingelebt. Es war alles so urgemütlich in dem sreundlichen Städtchen. Dian konnte sich in das Mittelalter zurückversetzt glauben, wenn man durch die stillen, sonnigen Straßen mit den hohen Giebelhäusern, an denen wie kleine Vogel bauer die Erker und Balkons klebten, wanderte und dann durch die eichengeschnitzte Tür in eins der alten Brauhäuser trat, wo das dunkle, schäumende Bier aus hohen Steinkrügen ge schenkt wurde. Manche Stunde verplauderte Bergen dort mit den ehrbaren Bürgern der Stadt; er ge wann nach und nach Interesse an dem klein städtischen Leben und entwickelte so allmählich die schönsten Anlagen zum Philister. Er ließ sich in den Klub aufnehmen und besuchte ge wissenhaft jeden Ball dort. Die jungen Damen des Städtchens bauchten
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