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Allgemeiner Anzeiger : 24.11.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-11-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
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- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190911247
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19091124
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19091124
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1909
-
Monat
1909-11
- Tag 1909-11-24
-
Monat
1909-11
-
Jahr
1909
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 24.11.1909
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Deutschlands weltstellung. In der französischen Kammer besprach ge legentlich einer Debatte über die internationale Politik der sozialistische Deputierte Jourös ein gehend das Verhältnis zwischen England und Deutschland. Wenn seine Darlegungen auch nicht unanfechtbar sind, so haben sie doch für weite Kreise das größte Interesse. „Der Weltfrieden", so führte der Redner aus, „hängt von der Ver ständigung Deutschlands, Frankreichs und Eng lands ab. Wenn Frankreich sich für seine Ver luste schadlos halten wolle, gebe es keinen besseren Weg als den friedlichen." Der Redner schrwb die Erhöhung der europäischen Staats haushalte den Ausgaben für militärische Zwecke zu, die ihrerseits wieder in der englisch-deutschen Nebenbuhlerschaft begründet seien. Er glaube jedoch an eine freundschastlicheLösung dieser Frage, denn Deutschland würde im Falle eines be waffneten Konfliktes seine Flotte und seine wirtschaftliche Machtstellung aufs Spiel setzen, und England würde Gefahr laufen, daß es in seinen Kolonien zu Auf ständen käme. Redner wies sodann auf die Einsprüche des deutschen Bürgertums gegen die Steueraufschläge und auf den englischen Bud getkonflikt hin und sagte, er schließe aus diesen beiden Tatsachen, daß sowohl England als auch Deutschland Interesse an der Aufrechterhaltung des Friedens hätten. Dennoch müsse Frank reich wachsam bleiben, denn eine abenteuer lustige alldeutsche Minderheit träume davon, Frankreich im Aalle eines Krieges als Geisel zu benutzen. Faures sprach sich so dann anerkennend über die würdige, friedfertige Haltung der französischen Politik aus und ge dockte lobend Elsaß-Lothringens, das mehr als dreißig Jahre lang geträumt habe, die Unge- rechugkeu, durch die es deutsch geworden sei, werde wieder gut gemacht werden, das aber darauf verzichtet habe, seine Befreiung von der Gewalt der Waffen zu erwarten, und an Stelle dessen den mutigen Entschluß gefaßt habe, Achtung vor seiner Eigenart zu fordern. Es wolle innerhalb seiner Grenzen seine Eigenart bewahren in dem Bewußtsein, daß sich vielleicht eines Tages Frankreich «nd Deutschland die Hände reichen würden über das Reichsland hinweg. Der Redner erklärt sich sodann für eine Reform der militärischen Organisation und behauptete, daß das Gesetz über die zweijährige Dienstzeit einen Mangel an Menschenmaterial nach sich ziehen werde. Zum eigentlichen Budget forderte Jaurös, man solle die Einnahmen aus der Erbschafts steuer vollständig dem Altersversorgungsfonds der Arbeiter zuweisen, man solle ferner ein Al koholmonopol schaffen und die Einkommensteuer einführen. Im weiteren Verlaufe der Sitzung führte der Generalberichterstatter für das Budget, Doumer, aus, er verstehe, daß England nicht gestatten wolle, daß Deutschland die Vorherrschaft zu Lande und zu Wasser erwerbe. Doumer sagte weiter, die französische Armee würde durch die zweijährige Dienstzeit nicht geschwächt, die französische Armee sei so viel wert wie jede andre. Frankreich dürfe keine Schattenrolle spielen und könne nicht neutral bleiben. Es würde eine eigentümliche Politik sein, wenn Frankreich seinen Freunden sagen wolle, sie dürften nicht auf Frankreich rechnen, während Frankreich auf sie rechnen wolle. PoUMcbe Kunäscbau. Deutschland. *Am 30. November wird die feierliche Eröffnung der neuen Tagung des Reichs tages durch Kaiser Wilhelm im Ber liner Schloß stattfinden; daran anschließend die erste Plenarsitzung, die unter der Leitung des Alterspräsidenten allein der Feststellung der Präsenzziffer, sowie der Bestimmung der Tages ordnung für den 1. Dezember, „Wahl des Präsidenten und zweier Vizepräsidenten", gelten soll. Der Reichshaushaltsvoranschlag wird am ersten Sitzungstage dem Hause vorliegen. *Eine neue Italien-Reise Kaiser Wilhelms kündigen italienische Blätter an. Sie behaupten, der Kaiser werde im nächsten Frühjahr nach Rom kommen, um dem König Viktor Emanuel, dem Papste und dem ehemaligen Reichskanzler Fürsten Bülow Be suche abzustatten. *Wie verlautet, hat Kaiser Wilhelm über die Angelegenheit der Ausweisung des Schweizer Staatsbürgers Wegelin, der in einem Mülhausener Hotel beim Gesang der deutschen Nationalhymne gepfiffen haben soll, einen Bericht eingefordert, der sich bereits in den Händen des Monarchen befindet. * Die Braunschweiger Stadtver ordneten haben für die Ausschmückung der Stadt bei der Hochzeit des Herzog- Regenten mit der Prinzessin zu Stotberg- Roßla 7000 Mk. und weitere 10 000 Mk. als Hochzeitsgabe für die Prinzessin-Braut zur Ver wendung für wohltätige Zwecke bewilligt. *Die Verhandlungen über die Auslegung verschiedener Bestimmungen des deutsch- österreichischen Handelsvertrages sind jetzt zum Abschluß gekommen und die hierüber aufgenommenen Schriftstücke find in Wien unterzeichnet worden. *Der Reichshaushalts-Etat für 1910 schließt mit insgesamt rund zwei Milliar den und 850 Millionen ab. Der Fehlbetrag beträgt 152V« Millionen. * Sicherem Vernehmen nach wird die Um arbeitung der Reichsversicherungs- Ordnung im Bundesrat noch so viel Zeit erfordern, daß man nicht daran denken kann, die Vorlage noch vor Ostern 1910 an den Reichstag gelangen zu lassen. * Wie halbamtlich berichtet wird, ist man im Reichsmarineamt damit beschäftigt, an der Hand des Kommissionsberichts über Organisation und Verwaltung der Kaiserlichen Werf ten, der bereits die Billigung des Staats sekretärs des Reichsmarineamts gefunden hat, die erforderlichen Ausführungsbestimmungen an die Werften zu erlassen. U. a. soll auch die Tätigkeit der Verwaltungsdirektoren in dem Sinne geändert werden, daß der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit aus dem Bureau heraus und in den Praktiken Betrieb verlegt wird. Natur gemäß soll bei dieser organisatorischen Änderung an dem bisher als richtig erkannten und nach weislich durch praktische Erfolge bewährten Grundsatz nichts geändert werden, daß die tech nischen Ressorts für die richtige wirtschaftliche Leitung ihrer technischen Betriebe allein verant wortlich sind. *Wie verlautet, hat sich der Staatssekretär des Reichsvostamts auf erneute Vor stellungen der interessierten Kreise hin bereit finden lassen, den Ankunfts stempel auf Briefen wieder einzuführen. Er will diesen Stempel bei Einschreibesendungen und Eilbotenbriefen wieder zulassen, falls sich ein tatsächliches Bedürfnis hierfür herausstellen sollte. Dagegen soll es für alle andern Briefsendungen beim Wegfall des An kunftsstempels verbleiben, weil hierdurch eine Zeitersparnis von fast drei Viertelstunden erzielt wird und eS sich dadurch ermöglichen läßt, die Postsachen in vielen Fällen mit einem früheren Botengänge zu bestellen. * Die Preuß. Unterrichtsverwaltung beab sichtigt jetzt der Einführung der Staats - und Wirtschaftslehre an den höheren Schulen ihr Interesse zuzuwenden. Zu diesem Zweck ist an die Lester der höheren Lehranstalten die Anregung ergangen, auf den Direktorenversammlungen, die alljährlich in ver- chiedenen Provinzen siattfinden, das Thema der Bürgertunde zum Gegenstand eingehender Be ratungen zu machen. Auch werden an allen Iniversitäten für das nächste Sommersemester Lehraufträge für Staats- und Wirtschaftslehre erteilt, die gerade der staatsbürgerlichen Er ziehung des Volkes dienen sollen. In diesen Vorlesungen werden dann Lehrer der höheren Schulen Gelegenheit finden, sich für den neuen Lehrgegenstand vorzubereiten, der aber kaum als selbständiges Fach im Lehrplan der Schulen erscheinen wird; vielmehr dürfte die Bürger kunde im Zusammenhang mit dem Geschichts unterricht oder dem Deutschen unterrichtet werden. Osterreich-Ungarn. kk Wiener halbamtliche Blätter melden, es liege im Wunsche Österreichs, Rumänien für einen vorerst unverbindlichen Anschluß an den Dreibund zu gewinnen. Wenn die Annäherung Rumäniens an den Dreibund einst weilen auch nur in einem Geheimvertrag mit Österreich bestehen soll, so ist doch anznnehmen, daß dieser Geheimvertrag so abgefaßt ist, daß er sich leicht auf den Dreibund selbst ausdehnen lassen kann. Frankreich. * Nach längerem Zögern hat die französische Regierung nun doch mit der Entsendung von Truppenverstärkungen nachMarokko begonnen. Es sind von den 10 000 Mann, die für Casablanca vorgesehen sind, bereits 4000 Mann an ihrem Bestimmungsorte eingetroffen. England. *Der Verfassungskonflikt scheint in England unvermeidlich geworden zu sein. Nach der ablehnenden Abstimmung des Ober hauses über das vielumstrittene Budget wird Premierminister Asquith im Unterhause eine Beschlußfassung einbringen, die das Vorgehen der Lords verurteilt und erklärt, das Unter haus habe allein das Recht, sich mit S t eu er- fragen zu beschäftigen; der Versuch der Lords, die Auflösung des Parlaments zu er zwingen, widerspreche der Verfassung. Be merkenswert ist, daß bereits einige Steuern, die das Unterhaus vor Monaten gutgeheißen hat, erhoben worden find. Die beträchtlichen Summen müßten zurückgezahlt werden, wenn die etwaigen Neuwahlen eine steuerfeindliche Mehrheit ergeben. * Um auch ihren größten Kriegsschiffen die Durchfahrt durch den Suezkanal zu ermöglichen, hat die englische Regierung eine Verbreiterung und Vertiefung des ganzen Kanals beschlossen. Die Ausführung des Planes wird etwa 120 Mill. Mk. erfordern. Belgien. *Von der Deputiertenkammer ist mit hundert gegen fünf Stimmen bei drei Enthaltungen die Vorlage betr. die persönliche Wehr pflicht angenommen worden. Rustland. *Der russisch-finnische Konflikt ist jetzt sehr ernst geworden; denn wider Er warten wurde die Forderung Rußlands, wonach Finnland einen Zuschuß von 20 Mill. Mk. zum Militäretat gewähren soll, vom finnländi- schen Landtag nach heißen Debatten zurückge wiesen. Diese Ablehnung hat keinen praktischen Wert, da Rußland die verlangte Summe ein fach eintreiben wird. Daher hat der Zar den finnischen Landtag sofort aufgelöst. Die Neuwahlen sollen am 1. Februar stattfinden und die Einberufung des neuen Landtages soll am 1. März erfolgen. Außerdem ergreift Ruß land bereits ausgedehnte militärische Maßnahmen, um etwaige Ruhestörungen sofort im Keime zu unterdrücken. Es wurden von Petersburg aus eine Kürassierdivision und weitere zwei Armeekorps nach Finnland be ordert. Ob das Großfürstentum unter diesen Umständen überhaupt noch Reste seiner ehe maligen Selbständigkeit behalten wird, erscheint sehr fraglich. Amerika. "Mit rastlosem Eifer setzt Präsident Taft die Flottenpolitik seines Vorgängers Roosevelt fort. Die Regierung der Ver. Staaten hat beschlossen, dem Kongreß den Bau zweier Schlachtschiffe größerer Art und eines Reparaturschiffes vorzuschlagen. *Die Revolution in Nikaragua hat zu einem ernsten Streit zwischen dieser mittelamerikanischen Republik und den Wer. Staaten geführt. Es ist nämlich bekannt ge worden, daß der Präsident Zelaya über drei hundert Bürger der Ver. Staaten auf den bloßen Verdacht hin, die Revolution unterstützt zu haben, hinrichten ließ. Infolgedessen werden zwei Kreuzer der Ver. Staaten nach Nikaragua dampfen, um Genugtuung zu fordern. Vie folgen von Kacconigi. In der Monatsschrift ,d'Jtalia all Estero' veröffentlicht der politische Schriftsteller Pellerini einen Artikel: „Nach der Zusammenkunft von Racconigi", der einen westausschauenden Plan zur Ausnutzung der neuen russischen Freund schaft entwirft. Vor allem sei jetzt in beiden Ländem die germanische Industrie zu bekämpfe«, womü in Rußland bei der vortrefflichen Ent wickelung der russischen Eisenindustrie und Handelsflotte ein guter Anfang gemacht sei. Wo aber die Russen selbst nicht weiter könnten, müsse nun die italienische Industrie die deutsche zu ersetzen suchen. Der Kampf gegen das Deutschtum müsse aber auch gemeinsam auf der Balkan halbinsel geführt werden. Es müsse nicht nur der politische Zustand auf dem Balkan auf rechterhalten, sondern jede indirekte Eroberung und offene Durchdringung verhindert werden. Daran würden außer Italien und Rußland auch Frankreich und England Interesse haben, und dazu müßten auch hie Balkanftaaten helfen. Es sei seltsam, daß man in Konstan tinopel an die Sättigung Österreichs und Deutschlands glaube. Rußland werde bald seine Stimme wieder im Mittelmeer erschallen lassen können. Dann werde keine italienische Regierung, welche Klauseln auch immer der Dreibundvertrag ent halten möge, eine Revolution zu Hause riskieren, um die Italiener zugunsten des Germanentums in den Kampf gegen England, Frankreich oder Rußland zu zwingen. Italien müsse an eine neue diplomatische Verteidigung denken, an eine mächtige Ausgestaltung seiner Land- und See streitkraft. Der Artikel, der in Italien großes Aufsehen gemacht hat, ist um so bemerkenswerter, als er nicht der Feder irgend eines Winkelschreibers entstammt, sondern von einem Manne in einer hervorragenden Zeitschrift veröffentlicht wird, der in seinem Vaterlande unleugbar weit gehenden Einfluß besitzt. Für den Deutschen sind ohne Zweifel die Worte am bedeutungs vollsten, die rund heraus erklären, daß Italien sich durch seine Verpflichtungen als Dreibund macht in keinem Falle gegen England, Rußland oder Frankreich in den Kampf führen lassen darf. Wer will auch heute noch leugnen, daß der Dreibund-Vertrag im Laufe der Jahre zu einem Stück Papier geworden ist, leicht zerreiß- bar, wie die Akte von Algeciras? Von unct fern. Die Schneestürme der letzten Tag« haben nicht nur in Berlin, sondern im ganzen Reiche schwere Verkehrsstörungen im Gefolge gehabt. Besonders im Fernsprechverkehr machten sich die überreichen Schneemengen unangenehm bemerkbar. Fast alle Fernsprech- und Tele graphenlinien waren stundenlang unterbrochen. Schwerer Eisenbahttunfall. Einer amt lichen Meldung aus Königsberg (Ostpr.) zu folge überfuhr ein Personenzug an dem un bewachten Wegüberzange der Kreuzung der Strecke Kruglenken—Marggrabowa mit der Chaussee Widminnen—Marggrabowa das Fuhr werk des Händlers Samuel Brozinski aus Karkarren (Kreis Sensburg). Der Besitzer des Fuhrwerks, ein Zigeuner, wurde getötet, der mit ihm fahrende Händler Florian aus Wanig- kauken (Kreis Niederung), wurde schwer verletzt und starb kurze Zeit nach der Aufnahme im Krankenhause Marggrabowa. Beide Pferde wurden getötet, und der Wagen wurde zer trümmert. Nach den bisherigen Ermittelungen scheint es, daß der Unfall auf die Unachtsam keit des Geschirrsührers zurückzuführen ist. O Cm Vlick m 6ie Zukunft. 1) Novelle von C. Schirmer. lOortsetzung.) Man war inzwischen in das Dorf qekommen; am Ende desselben pranpte ein mächtiges Schild, woraus ein Delphin gemalt war, der alle Reisen den -inlud, einzukehren. Der Kutscher hielt die Pferde an. „Wollen Sie hier vielleicht ansragen wegen einer Wohnung?" Der Konzleirat fuhr ihn barsch an: „Nein, iabren Sie schnell, damit wir endlich Nack Jeschnitz kommen, ich will endlich am Ziel dieser langweiligen Reste sein." Die Pferde letzen sich wieder in Trapp und auf einem Feldweg von zehn Minuten gelangte man an die ersten Häuser des in den letzten Jahren so außerordentlich in Aufschwung ge kommenen Seebades. Der Kanzleirat nannte den Namen des Hotels, in dem er Zimmer bestellt, und gerade ertönte die Glocke, um die Gäste zur Table d'bote zu rufen, als der Wagen vor der Tür hielt. „Bleibt einstweilen sitzen," sagte der Kanzlei rat, indem er abstieg, um den Wirt auszusuchen. In der Haustür lehnte ein wohlfrisierter Kellner, die Feder hinters Ohr gesteckt, eine Serviette graziös unter dem Arm und spielte mit Berlocks an einer unechten Ubrkette. „Suchen Sie Wohnung?" fragte er mit herablassender Miene, ohne sich von der Stelle zu rübren. „Ich bitte nur um die beiden Zimmer, die ich vor einigen Wochen bestellt habe." sagte der Kanzleirat, „wollen Sie gefälligst den Wirt benachrichtigen, ich bin der Kanzleirat Gebert aus B." Der Kellner blieb ruhig stehen, lächelte höchst unverschämt und erwiderte: „Wir können uns durchaus nicht auf Vor bestellungen einlassen, da während der ganzen Sailan noch keinen Tag ein Zimmer unbesetzt gewesen ist " Damit drehte er sich herum, schwenkte die Serviette und verschwand im Innern des Harstes. Der Kanzleirat wollte ihm in höchster Ent rüstung folgen und seine Beschwerde beim Wirt selbst anbringen, doch das Nutzlose einsehend, rief er dem Kutscher zu, nach dem andern Hotel des Ortes zu fahren. Er selbst ging z» Fuß bis dahin und hier wurden die Reisenden wenigstens freundlich von dem Wirt gegrüßt. Er sprach zwar sein Bedauern aus, daß er augenblicklich kein Zimmer frei hätte, doch machte er Hoffnung, daß vielleicht im Dorfe eine Woh- nnna zu bekommen wäre. Dann machte er den Vorschlag, den Koffer hier einstweilen stehen zu lassen und nach der Mittagstafel, zu deren Be ginn geläutet würde, sich um eine Wohnung im Dörte zu bemühen. Der Kanzleirat war mit allem einverstanden und Rosa erbat sich, die Zeit vor Tisch zu be nutzen, nm in den nächsten Häusern Nachfrage zu halten. Wir sind jetzt an dem Punkte angelangt, wo wir zu Beginn unsrer Erzählung Herrn und Fran Gebert verließen, nämlich auf der staubigen, heißen Dorsstraße, auf Rosa wartend, die ausgegangen war, um eine Wohnung zu suchen. Rolas Bemühungen waren ohne Erfolg ge wesen und obgleich sie ihre Eltern mit der be stimmten Versicherung zu trösten suchte, daß sie bis zum Abend ganz sicher eine Wohnung finden würde, gelang es ihr doch nicht, den Mißmut derselben zu beseitigen. Der Kanzleirat sprach den festen Entschluß aus, morgen die Rückreise anzutreten, er hatte von dem Seebade und der verwünschten Insel vollständig genug und wollte Gott danken, wenn er erst wieder zu Hause bei seinen Akten sitzen könnte. Inzwischen läutete die Tischglocke und lenkte die Gedanken unsrer Reisenden vorläufig in eine andre Bahn. Die Straße belebte sich mit Badegästen, Damen in den elegantesten, modernsten Kostümen, Herren von aristokratischem Äußern kamen aus den kleinen, niederen Fischerhänsern und gingen zur Table d'hote in das Hotel. Der aufmerksame Wirt hatte schon die Plätze für den Kauzleirat und seine Damen belegt und bald sahen sie sich inmitten einer fröhlichen Tischgesellschaft. Es waren einige hundert Personen an der Tafel, das Essen war vortrefflich und der Kanzleirat war bald in bester Unterhaltung mit mehreren ihm gegenüber- sitzenden Herren. Als die Tafel sich ihrem Ende näherte, flüsterte Rola der Mutter einige Worte zu und verschwand dann aus dem Zimmer. Sie wollte nun von Haus zu Haus gehen und war entschlossen, die erste beste Fischer wohnung zu mieten, denn so trostlos die Aus sichten in betreff der Wohnung waren, so ent zückend war die Lage in Jeschnitz und Rosa vergaß alle Sorgen, sobald ihr Blick auf das Meer fiel und sobald sie die Augen auf den Mächtigen Buchenwäldern ruhen ließ, die die Insel wie mit einem .Kranze schmückten. Es war ein glühend heißer Tag und Rosa ermattete immer mehr, als sie die Dorfstraße entlang gina und endlich an den Meeresstrand kam. Sie hatte Hans bei Haus gefragt, sogar in den kleinsten Fischerhütten, doch überall war ihr die gleiche Antwort geworden: „Für fetzt'ist alles besetzt, in einigen Woche» werden Zimmer frei." Sie wagte kaum mit dieser Nachricht z» ihren Eltern zurückzugehen und setzte sich ganz mutlos auf eine Bank dicht am Strande. Di« Wellen bespülten fast ihre Füße und träumend blickte sie auf die glatten Kiesel, auf die Wogen, die aus und ab rollten. Zwei Kinder tummelten sich am Strande und warfen iubelnd Steine ins Meer, unbekümmert, ob ihre eleganten Anzüge vom Seewasser bespritzt wurden. Rosa hatte wohl den hübschen Knaben und das zarte kleine Mädchen bemerkt, jedoch nicht weiter auf sie geachtet, bis sie plötzlich einen durchdringenden Schrei hörte und eben ei« weißes Kleid in den Wellen austauchen sah. Wahrscheinlich war das kleine Mädchen auf den glatten Kieseln ausgeglitten und von einer Woge erfaßt worden. Der Knabe schrie unaufhaltsam und lies dann fort, die Mama zu holen. Rosa besann sich nicht einen Augenblick,
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