Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 23.06.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-06-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190906237
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19090623
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19090623
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1909
-
Monat
1909-06
- Tag 1909-06-23
-
Monat
1909-06
-
Jahr
1909
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 23.06.1909
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Veullcker Aeickstag. Am 16. d. steht auf der Tagesordnung die erste Lesung der Ersatz st eucrvorlagen. Reichskanzler Fürst v. Bülow: In der Presse, in öffentlichen Versammlungen und auch in der Finanzkommission ist darüber geklagt worden, daß die Mitwirkung des Zentrums bei der Reichsfinanzreform von den verbündeten Re gierungen oder vom Reichskanzler ausgeschaltet worden wäre. Das ist eine vollkommen irrige Auffassung. Von Anfang an ist das Zentrum auf meine Veranlassung wie alle andern bürgerlichen Parteien über die Ab sichten der Verbündeten Regierungen unterrichtet worden. Ich habe es aber als meine Aufgabe betrachtet, von Anfang an bis zu diesem Augenblick — und ich bin in jeder Phase der Verhandlungen dafür eingetreten — den Liberalen die Mitwirkung bei der Reichs finanzreform zu ermöglichen und sie zur Mitarbeit heranzuziehen, überhaupt habe ich nie eine Partei an positiver Arbeit verhindert; ich würde sachliche Unterstützung sogar von der äußersten Linken an nehmen. Ich habe nie daran gedacht und denke auch heute nicht daran, mir das liberale Programm anzueignen. Aber die Mitwirkung der Liberalen bei großen gesetzgeberischen Aufgaben erscheint mir im Interesse der Fortentwickelung, einer ruhigen und gesunden Entwickelung im hohen Grade Wünschens wert. Meine Herren, die deutsche Einheit ist ge schaffen worden von Männern, die der konservativen Gedankenrichtung angehörten. Den liberalen Geist ansschalten aus unsrer Gesetzgebung, würde ich für ein histo risches Unrecht halten und für einen politischen Fehler. Man wird in Süddeutschland und Mitteldeutschland lernen müssen, den Wert des konservativen Preußens höher, viel höher zu schätzen. Man wird aber auch in Preußen nicht vergessen dürfen, daß der Libera lismus für das Deutsche Reich unentbehrlich ist. Ich habe es gerade vom Standpunkt der Linken für einen Fehler gehalten, daß sie sich so unendlich lange aufgehalten hat bei der sogenannten Liebes gabe, und daß sie bei einer ausreichenden durch greifenden Besteuerung des Tabaks die wohlerwogene und durchdachte Steuervorlage der Regierung ab gelehnt hat. Ich habe es auch nicht verstanden, daß sic gegenüber einer nach ihrer Ansicht unzulässigen Handhabung der Geschäftsordnung sich nicht mit einem Protest begnügte, sondern sich von den weiteren Verhandlungen fernhielt. Ich betrachte cs als notwendig und gerecht, daß »eben dem Verbrauch auch der Besitz zur Deckung herangezogen wird. Damit, m. H., komme ich zu der Haltung der rechten Seite dieses hohen Hauses. In einem Lande, wo keine Partei die absolute Mehrheit bat, kann auch keine Partei verlangen, daß die Regierung nur auf ihre Worte schwört. Weil ich mich hierzu gegenüber der Zcntrumspartci nicht entschließen konnte, ist es zu einem Bruch mit dieser Partei gekommen. Ich kann mich auch der rechte« Seite nicht unterordnen. Wenn cs in diesem Lande einen Minister gegeben hat, der die Bedeutung der konservativen Partei zu schätzen, so bin ich es. Ich bin vom ersten Tage, buchstäblich von der ersten Stunde meiner ganzen Tätigkeit für die Wünsche, für die Bedürf nisse, für die Interessen der Landwirtschaft eingc- treten. Ich glaube, m. H., Sie (nach rechts) werden lange warten, bis Sie wieder einen Kanzler be kommen, der konservative Interessen, die wahrhaft konservativen Interessen und die wirklichen und dauernden Bedürfnisse der Landwirtschaft so konsequnt und — ich füge hinzu — so erfolgreich vertritt, wie ich. Aber von der Linie, die mir das Staats interesse vorschrcibt, lasse ich mich auch nicht durch die konservative Partei abbringen. Wenn die Erb schaftssteuer vermieden werden soll, so muß eine gleichartige, die verschiedenen Arten des Besitzes treffende Steuer gefunden werden. Solange eins solche Steuer nicht gefunden ist, müssen die ver bündeten Negierungen uu der Erbschaftssteuer fcsthaltcn und die verbündeten Regierungen sind der Über zeugung, daß eine solche Stener mit gleichem Ertrage nicht gefunden werden kann. Es mußte auffallen, daß die konservative Partei, die doch über eine reiche Erfahrung in der Führung der Geschäfte verfügt, sich von Anfang an ohne Zwang mit solcher Starr heit gegen die Erbschaftssteuer sestgclegt hat. Ich verkenne nicht — das wiederhole ich — was die Elemente, aus denen die konservative Partei besteht und die das Rückgrat der konservativen Partei bilden, jahrhundertelang für Preußen geleistet haben. Unter der Führung der Monarchie ist durch die Junker — jawohl! die mit Unrecht so viel geschmähten Junker — die preußische Macht aufgerichtet worden und von der preußischen Macht das Deutsche Reich. (Nusc l links: Jena!) Mehr als eine andre Partei haben die Konservativen Anteil gehabt an der Regierung, i Aber die Regierung kann n^bt zur Geschäfts führung der konservativen ^Partei werden. Durch Ihr „unannehmbar" werden Sie viel leicht die Erbschaftssteuer in diesem Augen blick zu Fall bringen. Aber Sie werden dadurch für die Zukunft neuen Erbschaftssteuern die Wege eröffnen die dann kommen werden, und die den Gesichts punkten und den Wünschen der konservativen Partei weniger Rechnung tragen werden als die heute vor geschlagene Steuer. In Übereinstimmung mit den verbündeten Regierungen betrachte ich es als Ehren sache, daß die der Gesamtheit auscrlcgtcn neuen Steuern zum guten Teil von den Besitzenden getragen werden. Ich lehne es ab, im Bundesrate Steuern zu vertreten, die Handel und Gewerbe sckwer schädigen, die Handel und Industrie belasten, die gesamte wirtschaftliche Stellung des Landes ver schlechtern. — Nun noch ein persönliches Wort. Seit Wochen regen sich die Zeitungen darüber auf, ob ich bleibe oder gehe. Ich bleibe, so lange Se. Majestät der Kaiser glaubt, daß meine Mitwirkung in der inneren und äußeren Politik nützlich ist für das Reich und so lange ich selbst nach meiner eigenen politischen Überzeugung und nach meiner Beurteilung der Sachlage glaube, nützlich wirken zu können. Staatssekretär Sydow wendet sich zunächst gegen den Besitzsteuerantrag der Kommissionsmehrheit und lehnt die Kotierungssteuer, die Mühlenumsatz steuer und den Kohlenausfuhrzoll als für Handel und Gewerbe schädlich grundsätzlich ab. Eine Wert zuwachssteuer auf Gebäude für das ganze Reich be darf weiterer Vorbereitung. Keine andre Steuer trifft den Besitz in so gleicher Weise wie die Erb schaftssteuer. Mehr und mehr komme ich zu der Überzeugung, daß das mobile Kapital von der Erb schaftssteuer nicht schonender, sondern härter getroffen wird als das immobile. Die Steuer auf Prämien bei der Feuerversicherung trifft den Besitz gleichfalls gleichmäßig in allen seinen Arten. Bei allen Par teien ist jedenfalls jetzt die Überzeugung zum Durch bruch gelangt, daß der Bedarf notwendig und von den verbündeten Regierungen nicht zu hoch bemessen ist. Auf allen Seiten besteht der ernste Wille, die Finanzreform zum Ziele zu führen. Möge das Ziel bald erreicht werden. Abg. Bassermann (nat.üib.): Was die Er satzsteuern betrifft, so sind wir für die Erbanfall steuer, sür die auch weite konservative Kreise im Lande erntreten, ebenso wie Zentrumsanhänger. Der weit aus größte Teil der Landwirtschaft wird von der Landwirtschaft nicht getroffen. Wir stimmen ihr ein mütig zu. Die Kotierungssteuer ist uns unannehm bar. Sie ist keine allgemeine Besitzsteuer, belastet Handel und Wandel, verteuert das Geld und schädigt den politischen Einfluß des Reiches. * Wir stehe« beute nicht vor der letzten Finanzreform und müssen uns hüten, die Wurzeln unsrer Kraft abzugraben. Wir lehnen Anträge des Zentrums nicht grundsätzlich ab, wollen aber keine Vormachts stellung des Zentrums, der auch die Konservativen sich widersetzen sollten. Der Bund zwischen In dustrie und Landwirtschaft ist durch die Schuld der Rechten zerrissen. Die Steuerpolitik der Kom missionsmehrheit ist mittelstandsfreundlich. Der Sozialdemokratie dürfen nicht neue Waffen geboten werden. Die Bedeutung der Kundgebung im Zirkus Schumann lag darin, daß in ihr die Führer der Industrie vereint waren mit den Führern des Handels, des Handwerks und der Beamten im Kampfe gegen steuerliche Einseitigkeit. Möge die Ne gierung festbleiben oder zu Neuwahlen greifen. Am 17. d. wird die erste Lesung der Ersatz- st euern zur Reichsfinanzreform fortgesetzt. Abg. Graf v. Westarp (kons.): Der Reichs kanzler hat gestern gemeint, er wolle nicht dazu bei tragen, daß die Liberalen von der Mitwirkung an der Reichsfinanzreform ausgeschlossen werden. Auch wir wünschen, daß sich für das Zustandekommen der Reform eine Mehrheit aus allen bürgerlichen Par teien findet. Wir geben die Hoffnung nicht auf, daß die Herren von der Linken aus ihrer ablehnenden Hal tung heraustreten werden. Verbesserungsvorschläge würden wir eingehendst und wohlwollendst prüfen. Die neue Erbanfallsteuer ist für uns mit ebenso schweren Bedenken verbunden wie die Nachlaßsteuer. Schon nach dem jetzigen Entwurf sehen wir die Erbanfälle schwerer belastet, als es bei der Nachlaßsteuer der Fall war. Aber das Hauptbedenken ist für uns die Besteuerung der Kinder und Ehegatten. Die Kotierungssteuer haben wir aus den Vorlagen der Regierung vom Jahre 1893/94 entnommen. Bei ihr lassen wir über Einzelheiten mit uns reden, für die Sache selbst treten wir nach wie vor ein Ohne eine genügende Heranziehung des mobilen Kapitals können wir am Zustandekommen der Finanzreform § nicht mitarbeiten. Abg. Singer (soz.): Das einzige, was wir aus der Rede des Grafen Westarp hcrausgehört haben, war die Rücksicht auf das konservative Porte monnaie. In dem Augenblick, wo die Konservativen die Gewähr haben, daß am preußischen Wahlrecht nichts geändert wird, werden auch sie sofort ein ganz andres Gesicht zu der Reichs finanzreform machen. Empfinden Sie nicht, welcher Hohn darin liegt, eine Finanzreform, die nur ein Fünftel dem Besitz und vier Fünftel dem Verbrauche auferlegt, sozial zu nennen? Wir bekämpfen diese Art von Steuerreform wie sie jetzt die Regierung uns vorlegt, entschieden und lehnen sie ab. Unsre Stellung zu den einzelnen hier vorgeschlagenen Steuern behalten wir uns vor. Eine wirkliche Finanzreform, die geeignet ist, dauernd Ordnung in die Finanzen zu bringen, und die wirtschaftlichen Quellen nicht verstopft, sind wir bereit, mitzumachen. Abg. Spahn (Zentr.) wendet sich gegen die neue Erbschaftssteuer. Sie muß nicht nur aus Rücksicht auf die 'Landwirtschaft, sondern auch auf Industrie und Handwerk abgelehnt werden. Eine Schädigung des Familiensinns durch die Besteuerung der Kinder und Ehegatten sollte nicht in Abrede gestellt werden. Die Kotierungssteuer hat bis zu ihrer jüngsten Erhöhung völlig schadlos gewirkt. Man sagt, die Kotierungssteuer sei eine Einkommen oder Vermögenssteuer. Sie ist aber nur eine ein fache Stempelsteuer. Durch die Policensteuer wird der Mittelstand om schwersten getroffen. Die National liberalen verlangen Auflösung des Reichstags, wenn es nicht nach ihren Wünschen geht. „Und der König absolut, wenn er unsern Willen tut." Wir haben dm Kanzler nicht gesellschaftlich boykottiert, weil er den Reichstag aufgelöst hatte, sondern weil er uns der antinationalen Arroganz beschuldigte und uns damit aufs schwerste persönlich beleidigte. Wir machen unsre Haltung nur abhängig von der Rück sicht auf die Förderung des Deutschen Reiches und des deutschen Volkes. Preuß. Finanzminister Frhr. v. Rhein haben: Abg. Singer sollte nicht vergessen, daß die neuen Steuern vorwiegend nötig geworden sind durch die sozialpolitische Gesetzgebung und die Ausgaben für Heer und Marine, die zur Sicherung des Friedens unentbehrlich sind. Die Besitzanträge der Kom mission werden nicht den von ihnen erhofften Ertrag liefern. Diese Anträge sind auch eine partielle Vermögenssteuer, gegen die ernstliche Be denken bestehen. Wertpapiere und Aktien befinden sich nicht nur in den Händen von Wohlhabenden. Die Kotierungssteuer würde schon bei einem Objekt von 1000 Mark 6 Prozent ausmachcn. Auch der Hypothekenvcrkehr muß leiden; die Steuer würde auf die Kreditnehmer abgewälzt werden. Noch be denklicher wäre die Wirkung auf den Kredit der Provinzen, Kreise und Gemeinden. Gegen die Kotierungssteuer in der beschlossenen Form bestehen ernste und nicht überwindbare Bedenken. Aber im Grundgedanken sind wir einig und so werden wir uns wohl auch über die Form verstän digen. Uber die Erbanfallstcuer sind die Ansichten in allen' Parteien bisher geteilt gewesen. Wir sollten alle in dem Bestreben einig sein, einen Weg zum Ziel zu finden. Heute ist es patriotische Pflicht, einzelne Bedenken zurückzustellen. Wer aus innerer Überzeugung eine frühere Meinung revidiert, um dem Vaterlande zu dienen, verdient nur Hochachtung. Weil unsre Entwicklung nach der industriellen Seite geht, müssen wir gerade für die Landwirtschaft sorgen. Erbanfallsteucr schont die Landwirtschaft. Nur 10 Prozent der selbständigen Landwirte fallen unter das Gesetz. Von einer unerträglichen Steuer kann nicht die Rede sein. Alle früher erhobenen Bedenken sind durch die Gestaltung der jetzigen Vor lage abgeschwächt worden. Wir bedauern, daß die Haltung der Linken bei den indirekten Steuern die Verständigung erschwert hat. Die Gegensätze sollten nicht unüberwindbar sein. An ihnen hat Freude nur das Ausland. Es ist ein Verhängnis, daß das Gold der deutschen Natur nur immer in den schwersten Tagen hervortritt. Prüfen Sie, ob Sie nicht der Hindernisse noch Herr werden können. Abg. Fürst zu Hatzfeld (freik.) verliest eine Erklärung, nach der seine Fraktion es für notwendig hält, den Bedarf von 500 Millionen wirklich zu be schaffen, und daß ihre überwiegende Mehrheit der Erbanfallsteuer zustimmt, wenn dadurch das Zustande kommen der Reform gesichert ist. Abg. v. Dziembowski-Pomian (Pole) lehnt eine Beteiligung an der politischen Erörterung ab, ist aber für Überweisung der Ersatzsteuern an die Kommission. Am 18. d. wird die erste Lesung der Ersatz- steuern zur Reichsfinanzreform fortgesetzt. Preuß. Handelsministcr Delbrück wendet sich sehr scharf gegen die Kotierungssteuer, den Kohlen ausfuhrzoll und die Mühlenumsatzsteuer. Nament lich die erste erklärte der Minister für völlig unan nehmbar. Die Schwächung der Börse könne im Kriegsfalls direkt verhängnisvoll werden. Abg. Wiemer sfrs. Vp.): Wir wünschen, daß die Abstimmung über die Erbschaftssteuer in zweiter Lesung hier bald erfolgt. Der Kanzler meint, er wolle den liberalen Einfluß nicht ausschalten. Wir wollen mehr. Wir wollen, daß der Liberalismus die ganze Gesetzgebung und das ganze öffentliche Leben durchdringt. Wir haben uns von Anfang an bereit erklärt, an der Neuordnung »er Finanzen mitzqwirken. Die 500 Mllionen können nicht allein durch direkte Steuern aufgebracht werden. Wir wollen davon nur so viel wie möglich durch direkte Steuern aut- bringen. Die Besteuerung der Wertpapiere lehnen wir ab, indem wir uns die Argumente der beiden preußischen Minister zu eigen machen. Wir lehnen auch die Mühlenumsatzsteuer als Erdrosselungssteuer, sowie den Kohlenausfuhrzoll ab. Sächsischer Finanzminister v. Rüger: Die Reichsfinanzreform darf nicht weiter hinausgeschoben werden. Das Reich ist nach seiner ganzen Struktur im wesentlichen aut die indirekten Abgaben ange wiesen. Deshalb ist die breite Masse des Volkes noch nicht überlastet. Auch der Familiensinn wird durch die Streuer nicht beeinträchtigt. Ich hoffe, Wir kommen zu einer Verständigung über die Erb schaftssteuer, ohne die eine Reichsfinanzreform kaum möglich ist. Wir müssen die NeichSverfassung auf rechterhalten und die direkten Steuern den Einzel staaten überlassen. Hoffentlich kommen wir auf der Grundlage der Vorschläge der verbündeten Regie rungen zum Ziel. Abg. Raab (wirtsch. Vgg.): Die Regierungen könnten eine Reform haben, wenn sie wollten. Aber die Liberalen haben die Mitarbeit vorzeitig ab gelehnt. Mir find die Beschlüsse der Kommission durchaus nach dem Geschmack. Die Kotierungssteuer bringt nur, was sich wo anders seit fünfzig Jahren bewährt hat. Es heißt, wir schädigen den Börsen verkehr. Aber wollen denn die Herren von der Börse auswandern? Die Börse soll von 500 nur 60 Mill, aufbringen. Sie istdochsehr gering eingcschätzt. Herr von Rbcinbabcn meint, die Kotierungssteuer sei eine Vermögenssteuer. Und die Besteuerung der Feuerversicherungspolicen nicht? Die neue Hansa hat gezankt. Aber positive Vorschläge hat sie nicht gemacht. Jetzt weint der Hansabund über den Tod der Nachlaßsteuer. Aber die Liberalen waren dicTotengräber. Die Bewilligung der Erbansallsteuer machten wir von je von einer besonderen Besteuerung des mobilen Kapitals abhängig. Jetzt fordern wir um so mehr, daß die Börsenkrcise etwa mit dem Betrage heran gezogen werden, der der Kotierungssteuer entspricht. Die Besteuerung der Feuerversicherungspolicen ist unannehmbar.' Reichsschatzsekretär Sydow: Der Vorredner zeigt eine gewisse Voreingenommenheit gegen die Börse. Unsre Haltung zur Kotierungssteuer ist durch die Hansaversammlung nicht beeinflußt. Abg. Raab meinte, die Börse könne 60 Millionen hergeben. Ja, sie gibt sic nur nicht her. So schlecht sind die Fi nanzen noch nicht, das wir alles Geld nehmen müßten, das uns angeboten wird. Wir müssen die Wirkung auf das Wirtschaftsleben vrüfen. Abg. Mommsen <frs. Vgg.) befürwortet die Erbschaftssteuer als einzige Steuer, die dem Reich wirklich Geld bringt, ohne in das Wirtschaftsleben einzugreifcn und die immer wachsende Erwäge liefern muß. Das Haus vertagt sich. Politische Kunälckau. Deutschland. * Kaiser Wilhelm und der Zar, die am 17. d. in den Finnischen Schären zu sammentrafen, haben über eine halbe Stunde lang miteinander allein gesprochen. Nach Mel dungen aus Petersburg ist der Hauptpunkt der Verhandlungen die Besprechung verschiedener Balkanfragen gewesen. Ebenso soll die polnische Frage erörtert worden sein. Obwohl es feststeht, daß der Besuch Kaiser Wilhelms nicht nachteilig auf das englisch-russische Ab kommen einwirken soll, hat der Zar Versicherun gen gegeben, daß sich dieses Abkommen niemals gegen Deutschland richten wird. Die österreichisch-russischen Streifigkeiten sind ebenfalls verhandelt worden. * Der Bundesrat hat dem Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag mit Venezuela seine Zustimmung erteilt. Österreich-Ungar». * Die ,Neue Freie Presse' meldet aus Berlin, es sei keineswegs feststehend, daß König Eduard in diesem Jahre nicht nach Marienbad gehen werde. In Wiener Hof beamtenkreisen gilt dagegen als sicher, daß König Eduard nicht nachIschl zum Besuche Kaiser Franz Josephs kommt. HL Alanälungen äes 61ückes. 19s Roman von Luise Voigt. (Fortsetzung.) „Wie ein Mann sich benimmt, der zum ersten Male mit einem ihm gänzlich unbekannten Mädchen spricht," antwortete Nora. „Um so besser, wenigstens erleichtert sein Benehmen den geschäftlichen Verkehr, der im entgegengesetzten Falle auf dich einen ziemlichen Eindruck hervorgerufen hätte! Doch mit dem Plaudern werden wir beinahe die Bureau stunde versäumen!" rief der junge Mann lachend, und langte nach seinem Hute. Nora folgte schweigend seinem Beispiel, und die Ge schwister traten ihren gewohnten Weg in die Fabrik an. — - Wochen waren seit jenem Tage vergangen. Oskar Körner weilte noch immer in Friedrichs- tal und bewohnte zwei Zimmer im ersten Stockwerk des Herrenhauses. Die übrigen Ge mächer blieben geschlossen, denn der junge Fabrikherr bedurfte ihrer nicht. Er lebte überhaupt äußerst einfach und machte trotz seines großen Vermögens nicht den geringsten Aufwand. Fleißig, wie er in früheren Tagen als Beamter gewesen, war er auch jetzt als Chef. Stundenlang saß er arbeitend in seinem Zimmer, oder ging ordnend und nach sehend durch die Fabriksäle, hier mit diesem, dort mit jenem Arbeiter sprechend. Die Zelt, die er sich zu seiner Erholung gönnte, ver brachte er mit Ausflügen in die schöne Um gebung, teils zu Fuß und teils zu Pferde. Ost kehrte er von. denselben erst spät in der Nacht zurück. Den schönen Park aber, der sich an die Fabrik anschloß, betrat er nur höchst selten, denn er liebte es mehr, sich in unbe grenzten Räumen der freien Natur zu bewegen. Sehr oft befand sich Herr Brenner in der Gesellschaft seines jungen Chefs, der für den alten Herrn eine besondere Vorliebe hegte und manche Stunde mit demselben verplauderte. Dessen Kanzlei jedoch, in der auch Nora Warn feld ihren Schreibtisch hatte, betrat er nur höchst selten. Wenn es aber geschah, so hatte er für das junge Mädchen stets nur einen höchst achtungsvollen, aber stummen Gruß. Desto gesprächiger war Herr Brenner, dessen Freund lichkeit und Herzlichkeit auf Nora einen sehr wohltuenden Eindruck machte. So erwähnte er auch eines Tages im Laufe des Gesprächs, Herr Körner beabsichtige, einen Kompagnon in seine Firma zu nehmen, da die Geschäfte neuerdings eine bedeutend größere Ausdehnung annähmen. „Nun, der wird ein sehr großes Vermögen mitbringen müssen, um Teilhaber eines so reichen Hauses werden zu können," entgegnete das junge Mädchen. „Selbstverständlich," ergänzte der alte Herr, indem er von seinem Schreibtisch aufstand und an das Fenster trat. Nora jedoch nahm ihre unterbrochene Arbeit wieder auf. Plötzlich wandte der Direktor sich um und sagte: „Fräulein, ich glaube. Sie bekommen Besuch; ein Wagen steht vor Ihrer Tür." „O, der Besuch wird nicht uns gelten," entgegnete Nora ruhig, „ich wüßte wirklich nicht, wer zu uns kommen sollte; wir stehen ja allein auf der Welt und besitzen nur wenige Freunde." „Nun, dann scheint dieser Wagen einen Teil dieser wenigen zu bringen, denn außer mir wohnt niemand im selben Hause mit Ihnen, und mir gilt der Besuch dieses stattlichen Herrn in Uniform und der hübschen Dame, die soeben über die Schwelle treten, bestimmt nicht." „Eines Herrn in Uniform?" wiederholte Nora, und trat nun auch rasch an das Fenster, um im nächsten Augenblick mit von freudigem Staunen geröteten Wangen auszurufen: „Ist es denn möglich? — Oberst von Strachwitz und Wilma? Und die kommen zu uns? — O, Herr Direktor," fuhr sie mit bittender Stimme fort, „geben Sie mir bitte Urlaub; es ist dies meine beste Freundin und Sie können nicht ahnen, wie viel für uns in diesem Besuche liegt." „Gehen Sie, gehen Sie, liebes Fräulein," rief lächelnd der alte Herr, „ich freue mich herz lich, daß Ihnen auch einmal eine angenehme Überraschung bereitet wird. Ich selbst werde sofort Ihren Herrn Bruder aufsuchen und ihm mitteilen, daß er zu Hause erwartet wird. Das darf ich doch?" „O, gewiß dürfen Sie das; Leo wird Ihnen für diese Botschaft ewig dankbar sein I" Rasch hatte Nora ihren Schreibtisch ge schlossen und war im nächsten Augenblick so schnell wie möglich aus dem Zimmer geeilt. 22. „Ja, täusche ich mich nicht, ist es wirklich möglich? Ich kann die Tatsache noch immer nicht fassen!" rief Leo Warnfeld, als er in Wilmas leuchtende Augen sah und Oberst Strachwitz ihm lächelnd feine Hand entgegen streckte. „Nun, unsre Gegenwart hier ist wenigstens unleugbar," entgegnete der alte Herr, „und ich hoffe, daß unser Kommen Ihnen keine un angenehme Überraschung bereitet hat." „Das Gegenteil brauche ich Ihnen wohl nicht zu versichern, Herr Oberst; Sie selbst müssen es ja empfinden, wie namenlos wert uns Ihr Besuch ist." Der junge Mann richtete zwar seine Worte an den alten Herrn, seine Blicke aber hingen wie trunken an Wilmas reizender Gestalt. Diese hatte ihren Arm um Noras Nacken ge schlungen, ihre Wimpern waren fiefgesenkt und ihre Wangen glühten vor innerer Erregung. Mehr als drei Jahre hatte Leo das geliebte Mädchen nicht gesehen, und heute stand sie plötzlich — schöner, begehrenswerter denn je — vor ihm. Oft im Laufe der Jahre hatte er ge glaubt, bereits jeden sehnsüchtigen Wunsch nach ihr überwunden zu haben, und nun, da er sie so unerwartet wiedersah, empfand er nur zu deutlich, daß ihr Anblick allein genügt hatte, die mühsam zurückgedrängte Glut zur vollen Flamme anzufachen, und daß ein Vergessen, oder auch nur ein ruhiges Entgegentreten für ihn ein Ding der Unmöglichkeit sei. Prüfend ruhten einige Augenblicke die Blicke des Oberst auf dem erregten jungen Mann. Es fiel ihm wohl nicht schwer, zu erkennen, was das Innere Leos bewegte, zu klar stand es ja in seinem ganzen Wesen geschrieben. —
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)