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Allgemeiner Anzeiger : 14.07.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-07-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190907141
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19090714
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1909
-
Monat
1909-07
- Tag 1909-07-14
-
Monat
1909-07
-
Jahr
1909
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 14.07.1909
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Vie I^Age in Persien. Der Schah Mohammed Ali Mirza wird von Revolutionären und Nationalisten in seiner Hauptstadt Teheran belagert. Zwei Jahre haben im Perserreiche die Verfassungskämpfe gedauert, die von beiden Seiten mit zäher Energie und mit Mitteln geführt wurden, die europäischer Anschauung befremdend erscheinen müssen. Als der frühere Schah Muzaffer ed-din starb, hinterließ er als Vermächtnis die Ver fassung, die ihm der Einfluß gebildeter Perser halb abgeschmeichelt, halb abgetrotzt hatte. Aber schon damals zeigte sich, daß das junge Par lament seiner hohen Aufgabe nicht gewachsen war. Bei den Beratungen über die Verwaltung der Staatseinnahmen kam es zu wüsten Lärmszenen und Mohammed Mi Mirza, der sich ohnehin mit der Beschränkung seiner Selbstherrschaft nicht abfinden konnte, befahl die Schließung der gesetzgebenden Versammlung. Nun aber war die Leidenschaft aus den Siede punkt gelangt und die Abgeordneten weigerten sich, das Haus zu verlassen, dessen Unantast barkeit ihnen unzweifelhaft erschien. Sie hatten sich geirrt. Ein asiatischer Despot, der gewohnt ist, nach Laune über Leben und Tod zu ge bieten, konnte nicht über Nacht die Würde und Unverletzlichkeit eines Parlaments achten. Die widerspenstigen Volksvertreter wurden mit Kanonen aus dem Parlamentsgebäude vertrieben und der Schah hob die Verfassung auf. Ansangs hatte es den Anschein, als solle er in diesem Kampfe Sieger bleiben. Als von seiner Sommerrefidenz vor den Toren Teherans die Kanonenschlünde die Hauptstadt bedrohten, war im Schrecken alles verstummt. Aber die in die Provinz entflohenen Volksvertreter sorgten dafür, daß immer weitere Kreise sich für die Verfassungsidee begeisterten. So wurde endlich erreicht, daß die Bewohner der nordwestlichen Bezirksstadt Täbris die Zahlung jeglicher Steuer verweigerten. Monatelang hielten sie dem An sturm der Regierungstruppen stand. Endlich wären sie wohl unterlegen, wenn nicht England und Rußland sich ins Mittel gelegt hätten. Dem Verlangen beider Mächte, die Belage rung von Täbris im Interesse der dort lebenden Europäer aufzuheben, mußte sich der Schah fügen. Gleichwohl ließ die russische Regierung, die da heim jahrelang um die Wiederherstellung der Ordnung gekämpft hatte, Truppen in Persien einrücken, um Leben und Eigentum der Euro päer zu sichern. Damit wurde die Lage des Schahs noch schwieriger. Die persische Nationalistenpartei verlangte mit Ungestüm, der Schah solle die Räumung persischen Bodens von den fremden Truppen fordern. Aber Mohammed Ali, dessen Taschen sich mit russi schen Gelds füllten, konnte seinen Geldgebern solches Anfinnen nicht stellen. So gingen denn die Nationalisten in das Lager der Revolutionäre. Die schlecht geschulten Regierungstruppen, die schon vor Täbris ihre Kriegsunfähigkeit erwiesen hatten, wurden in mehreren Gefechten geschlagen und schließlich gezwungen, sich auf die Hauptstadt zurückzu ziehen. Dahin folgten ihnen die Sieger, die nun ihren Herrscher (nach türkischem Vorbild) in feiner Hauptstadt belagern. Wenn nicht alles trügt, ist Mohammeds Herrschaft dahin. Er wird den ihm angebotenen Schutz der russische» Gesandtschaft annehmen und dem Throne entsagen müssen, weil er unfähig war, sein Land vor fremdem Eingriff zu schützen. Werden aber die Perser den Sieg davon tragen? Wer Rußlands Ausdehnungspolitik kennt, wird diese Frage verneinen müssen. Ohne Zweifel hat die durch den russisch - englischen Vertrag im vorigen Jahre eingeleitete friedliche Aufteilung des Perserreiches begonnen. Wenn erst die russischen Truppen zur Siche- ru.u des Lebens der Europäer in Teherans Mauern stehen, werden sie weder mit Gewalt noch mit Schmeicheleien zum Rückzug zu be wegen sein. Persien und sein vermutlich letzter Schah find ein Opfer europäischer Machtpolitik polMscde ArmälckZu schließlich seine Anschuldigung mit dem Aus druck des Bedauerns Zurück. Dem Kabinett wurde darauf mit großer Mehrheit das Ver trauen ausgesprochen. Trotzdem hat der Post minister den Abgeordneten zum Zweikampf gefordert. Italien. * In der Kammer war es gelegentlich der Debatten über die staatliche Unterstützung der Schiffahrts-Gesellschaften zu stürmischen Szenen gekommen, weil ein Mit glied der Linken das Ministerium und besonders Balkanstaaten. * In politischen Kreisen Konstantinopels hofft man, daß das Kriegsgericht in Konstan tinopel, das alle Gegner der Verfassung ab zuurteilen hat, in den nächsten Tagen seine Tätigkeit einstellen wird. Alle Verurteilten, über deren Zahl Schweigen beobachtet wird, sollen an einem Tage gehängt werden. geworden, die sich nur infolge der inneren I den Postminister der Parteilichkeit bei Gewährung Wirren entfalten konnte. ^äewsr. . s von Zuschüssen beschuldigte. Auf Ersuchen des HS Kammerpräsidenten nahm der Abgeordnete sckiließlicb seine AnscknIVmnna mit dem Nn8- Hus äem Aeickstage. Der Reichstag setzte am Donnerstag die zweite Lesung der Rcichsfinanzreform bei der als Besitz- steuerkompromiß zustande gekommenen Talonsteuer fort. Abg. Speck (Zentr.) forderte im Sinne der Talonsteuer Heranziehung auch des mobilen Kapitals. Reichsschatzsekretär Shdow erkannte au, daß wesentliche prinzipielle Bedenken, die die Verbündeten Regierungen der Kotierungssteuer haben entgegen- stellm müssen, durch die Talonsteuer beseitigt seien. Unannehmbar sei jedoch der nationalliberale Antrag, nach dem alle mündeisicheren Papiere steuerfrei bleiben sollen. Die Linke des Hauses legte dar, daß auch diese neue Steuer eine schwere Schädigung der Wertpapierbesitzer herbeiführen müsse und weit davon entfernt sei, sine wirkliche Besitzsteuer zu sein. Dis Talonsteuer wurde in namentlicher Abstimmung mit 222 gegen 134 Stimmen angenommen. Die Beratung ging über zur Schecksteuer. Die Linke bedauerte, daß der Scheckverkehr, den das Reich erst vor kurzem auf eine neue rechtliche Grundlage ge stellt habe, durch eine besondere Steuer wieder er schwert werde. NeichSbankpräsident Havenstein hielt den Schecksicmpel in der vorgeschlagenen Höhe für unbedenklich. Der Stempel wurde in nament licher Abstimmung mit 217 gegen 131 Stimmen an genommen. Beim Finanzgesetz bedauerte Preuß. Finanzminister Frhr. v. Nheinbaben, daß hin sichtlich der gestundeten Mairikularbeiträge eine Ver ständigung mit dem Reichstage noch nicht erreicht sei. Abg. Paasche (nat.-lib.) bekämpfte einen An trag Gamp, der die Stundung der ungedeckten Matrikularbeilräge dem Reiche überträgt. Reichs schatzsekretär Sydow bat um Annahme dieses An trages, schon weil er die kleinen Bundesstaaten von schwerer Sorge befreie. — Die Weiterberatung wurde um V-7 Uhr auf abends Uhr anberaumt. In dieser Nachtsitzung ging es sehr lebhaft zu. Schließ lich wurden die Amräge der Mehrheit betr. Matri- kularbeiträge und Schuldentilgung angenommen. Ein Antrag Gyßling (freis. Vp.), die Fahrkarten steuer vom 1. April 1910 ab aufzuheben,wurde ab gelehnt. Ein Zentrums-Antrag, die Herabsetzung der Zuckersteuer bis zum Jahre 1914 zu verschieden, wurde angenommen. Damit ist die zweite Lesung der Reichsfinanzreform erledigt. Am 9. d. macht Präsident Graf Stolberg Mitteilung von der Absicht des Grafen Zeppelin, den Reichstag Anfang September zu einem Besuche nach Friedrichshafen einzuladen. Auf der Tagesordnung steht die dritte Lesung der Reichsfinanzreform. Zur Bier st euer bemerkt Abg. Zubeil (so;.): Im Zeichen der neuen Biersteuer bleiben unzählige Gastwirtsexistenzen auf der Strecke. Dem Schnapsblock ist aber alles zuzu trauen. (Der Präsident rügt den Ausdruck „Schnaps block".) Unerläßlich ist die Unterstützung der infolge der Vorlage arbeitslos werdenden Arbeiter. Eingegangen ist ein Antrag der Abgg. Zehn ter (Zemr.), R a a b (wirtsch. Vgg.), R ö s i ck e (kons.) und Specht (Zentr.). Er verlangt eine Kontingen tierung für Brauereien, die nach dem 1. August d. in Betrieb genommen werden und mit deren Bau nicht bereits vor dem 1. Januar dl begonnen war, sowie für solche, die nach dem 1. August d. wieder in Betrieb genommen werden, erhöhen sich die Steuer sätze bis zum 31. März 1915 um 50 Prozent, für die nächsten drei Jahre um 25 Prozent. Die Kontingentierung wird mit 248 gegen 131 Stimmen bei 5 Enthaltungen angenommen. Mit der Mehrheit stimmen auch die Abgg. Gras Oriola und Frhr. v. Hey!. Weiter wird beschlossen, daß höhere Kommunal- steucrn als 65 Pf. pro Hektoliter schon vom Jahre 1915 an nicht mehr erhoben werden sollen. Der Entschädigungsantrag der Sozialdemokratie fällt mit 215 gegen 1<8 Stimmen. Ebenso werden nationalliberale Anträge auf Wiederherstellung der Staffelanträge der zweiten Lesung abgelehnt. Deutschland. * Der Reichskanzler, dem der in Gnesen neubegründete Bauernbund einBegrüßungs- telegramm gesandt hatte, hat darauf folgende Antwort gesandt: „Für Ihre telegraphische Begrüßung besten Dank. Die Stärkung des Deutschtums in der Ostmark und der Schutz der deutschen Landwirtschaft sind Lebensbedürfnisse unsres Volkes. Daran wird weder eine neue Gruppierung der Parteien noch ein Personen wechsel in der Regierung etwas ändern können." 662 In gut unterrichteten Kreisen hält sich mit Bestimmtheit das Gerücht, daß auch Schatz sekretär Sydow Rücktrittsgedanken hege und daß er lediglich einem Wunsche des Reichs kanzlers nachgebe, wenn er jetzt noch auf seinem Posten ausharre. Man beschäftigt sich sogar schon mit dem Nachfolger des Schatzsekretärs und nennt die Person des Oberbürgermeisters von Frankfurt am Main, Dr. Ad ick es, als die des neuen Kandidaten. Man hofft jedoch, daß der Reichsschatzsekretär dem neuen Reichs kanzler noch einige Zeit an die Hand gehen wird, um dann erst seinen Abschied einzureichen. *Jmelsaß-lothringischenLandes- ausschuß erklärte bei der Beratung der An träge auf zwangsweise Einführung der fran zösischen Sprache in der Volks schule Frhr. Zorn v. Bulach, es möge be dauerlich sein, aber in der Verhandlung habe die praktische Frage eine politische Schattierung bekommen. Wenn man sie weiter in diesem Sinne behandle, werde man zur gedeihlichen Entwickelung des Landes und zur Versöhnung der Bevölkerung nicht beitragen. O sterrsich -Ungar«. * Der frühere österreichische Ministerpräsident Graf Badeni ist in Lemberg im 63. Lebens jahr gestorben. * Das österreichische Abgeordne tenhaus ist durch den andauernden Wider stand der Tschechen arbeitsunfähig geworden. Infolgedessen wurden die Sitzungen für einige Tage aufgehoben. Wenn sich die Tschechen inzwischen nicht zur Mitarbeit entschließen, soll das Parlament aufgelöst werden. Frankreich. -* Die Anzeichen dafür, daß die ursprüngliche Beliebtheit des Kabinetts Clemenceau zu sehends abnimmt, mehren sich. Nach langwie riger Debatte über die allgemeine Politik, wäh renddessen dem Ministerpräsidenten von einem Kammermitglied Ohrfeigen an geboten wurden, hat das Ministerium mit schwacher Mehrheit gesiegt, aber es konnte sich auch über- zeugen, daß die Zahl seiner Freunde immer ge ringer wird. Die Debatten haben übrigens ein Nachspiel gehabt, das im politischen Leben der europäischen Staaten sehr selten ist. Der Fi- nanzminister Cailleaux hatte erklärt, daß unter andern unwürdigen politischen Einflüssen auch der des ehemaligen Marinebudgetreferenten Bos sich immer wieder unheilvoll bemerkbar macht. Bos stellte infolgedessen den Minister zur Rede und schlug ihn, da er keine befriedi gende Antwort erhielt, zweimal ins Gesicht. Welche Folgen der Vorfall haben wird, ist zur zeit noch nicht zu übersehen. *Der aus dem Kriege 1870/71 rühmlichst bekannte General Gallifet, der als Kriegs minister (1899) die Reorganisation der franzö sischen Kavallerie begann, ist in Paris ge- st 0 r b e n. England. * König Eduard wird im August vor Be ginn seiner Marienbaöer Kur Kaiser Franz Joseph in Ischl einen eintägigen Besuch ab statten. In der Gesamtabstimmung wird die Biersteuer mit 204 gegen 1t 0 Stimmen angenommen. Es folgt die Beratung der Tabaksteuer. Abg. Molkcnbuhr (soz.): Wir Gegner der Steuer sprechen im Sinne von Millionen von Deutschen. Man schädigt unbedenklich viele Arbeiter und vernichtet eine blühende Industrie. Die Mehr heit weiß, daß sie Mittelstand und Hausbesitzer schädigt und stimmt doch für die Vorlage. Aber an derlei Verlogenheit ist man ja gewöhnt. Abg. Giesberts (Zentr.) begründet einen Antrag, der zur Unterstützung der durch die Vorlage arbeitslos werdenden Arbeiter 4 Millionen flüssig machen will. Ministerialdirektor Kühn: Die verbündeten Re gierungen stimmen dem Anträge zu. Abg. Frank-Mannheim (soz.) polemisiert gegen Giesberts und beantragt statt „Unterstützung" „Entschädigung." Abg Potthoff (frs. Vgg.) bezeichnet die Be messung der Arbeiterunterstützung auf 4 Mill, als eine arbeiterfeindliche Kontingentierung. Abg. Giesberts: Wir handeln richtig, indem wir die unabwendbare Mehrbelastung des Tabaks in erträgliche Bahnen leiten. Von unsern Wählern können wir ein Verständnis für unsre Mitarbeit an der Finanzreform erwarten. Abg. Stresemann (nat.-lib) befürtwortet einen Antrag, der die Begrenzung der Unterstützung auf vier Millionen im Antrag Giesberts streichen, will. Abg. Frank-Mannheim (soz.): Ich spreche dem Abg. Giesberts mein herzlichstes Beileid aus, daß er sich in Arbeiterfürsorge vom Abg. Stresemann mußte übertreffen lassen. Die Erörterung schließt. Der nationalliberale Antrag zum Antrag Giesberts wird mit 226 gegen 139 Stimmen abgelehnt. Es bleibt also bei der Aufwendung von vier Millionen. Der weitergehende sozialdemokratische Antrag wird gleichfalls abgclehnt. Der Artikel über die Ärbeiterunterstützung gelangt in der Fassung des Antrags Giesberts zur An nahme. In der Gesamtabstimmung gelangt daS Tabaksteuergesetz mit 197 gegen 165 Stimmen bei sechs Enthaltungen zur Annahme. Es folgt die Beratung der Branntwein steuer. Abg. Südekum (soz.) empfiehlt einen sozial demokratischen Antrag auf Einschiebung eines 8 148 dahingehend, daß der zehnte Teil des ctatSmäßigen Aufkommens aus diesem Gesetze jährlich für die Zwecke der Trunksuchtsdekämpfung zu verwenden fei. Er läßt dabei einfließen, daß jetzt die hohen Beamten, Generale, Admirale — er erinnert dabei an den Ministerialdirektor Micke — vielfach zu reichen industriellen Unternehmungen übersiedelten, weil sie dort höheres Gehalt bekämen. Diese Art der Kor ruption scheine jetzt auch in das Parlament über zugreifen. So sei ja auch der Abg. Kreth jetzt zur Spiritus-Zentrale übergetretcn. Da sei cs erklärlich, daß, wie er gehört habe, der Abg. Heim vom Zen trum für einen Antrag auf eine bessere Fassung des 8 69a dieses Gesetzes Unterschriften gesammelt, auch einige beim Zentrum gefunden habe, wogegen die Konservativen erklärt hätten, sie würden, wenn Z 69a. geändert werde, das ganze Gesetz ablehnen. Finanzminister v. Rheinbaben protestiert gegen den Vorwurf, den der Vorredner gegen hohe Beamte geschleudert habe. Abg. Kreth (kons.): Ich bin erst zum 1. Oktober dieses Jahres in den Vorstand der Spiritus- Zentrale gewählt und Habs keinen Vorteil von diesem Gesetz. Wenn aber jemand solchen Vorwurf gegen mich erhebt, so ist das erbärmlich. Präs. Graf Stolberg: Dieser Ausdruck ist i unparlamentarisch. > Abg. Südekum: Ich habe im wesentlichen nur gesagt, daß durch dieses Gesetz die Existenz^der Spiritus-Zentrale sichergestellt wird, und daß Herr Kreth den guten Geschmack hat, dafür eiuzutreteu. Präs. Graf Stolberg: Sie dürfen einem Abgeordneten nicht andre Gründe unterstellen, als zu denen er sich selbst bekennr. Damit schließt diese Debatte. Zunächst wird beim 8 1 ein Antrag Weber auf Herabsetzung der Kontingent-Spannung abgelehnt und der Z 1 un verändert angenommen. Der sozialdemokratische Antrag wird abgelehnt, ebenso bei weiteren Paragraphen einige, national- liberale Anträge. Angenommen werden lediglich einige Anträge des Abg. Nehbel (kons.) und Ge nossen. über einen dieser Anträge, nach dem unter der Bezeichnung „Kornbranntwein" nur Branntwein feilgehalien werden darf, der ausschließlich aus Roggen, Weizen, Buchweizen, Hafer oder Gerste hergestcllt ist, findet Auszählung (Hammelsprung) statt. Der An trag wird mit 230 gegen 79 Stimmen abgelehnt. Ab gelehnt wird schließlich noch ein liberale Antrag, der den hundertsten Teil des etatsmäßigeu Aufkommens aus der Vorlage für die Zwecke der Trunksuchtsbe- kämpfung verwenden will. In der Gesamtnbstimmung wird die Vorlage mit den Stimmen des Zentrums und der Rechten an genommen. U Der Oberhof. 3) Roman von C. Wild. (Fortsetzung.) Der junge Ökonom schien Evas Gedanken er raten zu baden, denn plötzlich blieb er stehen und tagte: „Zu meinem größten Bedauern muß ich mich hier empfehlen, mein Weg führt mich jetzt rechts hinüber." Lächelnd bot sie ihm die Hand. „Aus Wiedersehen denn," sagte sie freundlich, senkte aber sofort errötend die Lider, denn ein feuriger Blick seiner dunklen Augen hatte sie getroffen. Langsam schritt Eva dem Oberhofe zu — ein eigentümliches, fast beklommenes Gefühl hatte sich in ihr Herz geschlichen. Daheim traf sie alles in Erregung, eine aste Tante war gestorben und hatte Herrn Hold haus zu ihrem Universalerben eingesetzt. Die alte Dame hatte im Auslande gelebt, und Holdhaus mußte sofort abreisen, wollte er noch rechtzeitig zu dem Leichenbegängnisse ein treffen. Mina eilte voller Geschäftigkeit hin und her — die Familie hatte auf diese Erbschaft stets große Hoffnungen gesetzt, nun sollte es sich zeigen, ob diese auch in Erfüllung gingen. Eva befand sich in dem glücklichen Alter, wo das Geld noch keinen Wert hat — sie hatte die alte Tante nie gesehen, ihre Trauer um dieselbe konnte daher nicht groß sein — dennoch warf dieser plötzliche Todesfall einen trüben Schleier über die Freudigkeit ihrer jungen Seele. Sie war so fröhlich gestimmt gewesen, und nun erschien ihr alles wieder so öde und traurig. — Papa war abgereist — Mina spielte wieder daheim die Alleinherrscherin, und Eva fand, daß es im Oberhofe sehr ungemütlich sei. Sie ging öfter als sonst zu Oberförsters und fand es gar nicht auffallend, daß sie auf dem Heimwege jedesmal mit Tremmingen zusam mentraf. Freilich, ihre süße Unbefangenheit büßte sie nach und nach bei diesen Begegnungen ein. Jetzt ging es nicht mehr ohne Herzklopfen ab, wenn sie Tremmingens schlanke Gestalt zwischen den Waldbäumen auftauchen sah — und wie ungeduldig sie sich von den Oberförsters wieder nach dem Heimweg sehnte — ein förmliches Fieber erfaßte sie dann — sie wurde abwechselnd rot Md blaß und brachte kein vernünftiges Wort mehr heraus. Und daheim erst — ein jedes laute Wort, jeder raschere Schritt erschreckte sie — immer glaubte sie, er müsse kommen — und doch batte sie wieder eine heillose Angst davor, vor Minas kritischen Blicken mü Tremmingen verkehren zu muffen. Herr Holdhaus mußte länger ausbleiben, als er anfänglich gedacht; endlich aber kam ein Brief, der seine Ankunft für den nächsten Tag anmeldete. Den Nachmittag vorher besuchte Eva noch ihre Freundin. Auf dem Rückwege traf sie natürlich wieder mit Tremmingen zusammen. Eva fühlte sich bedrückt; zum ersten Male sagte sie sich, daß diese heimlichen Zusammen künfte eigentlich doch ein großes Unrecht wären — eine geheime Furcht quälte sie, und sie nahm sich fest vor, Johanna von nun ab seltener zu besuchen. „Sie find heute so still?" fragte Trenmnngeu, indem er ihre Hand ergriff und mit sanftem Drucke festhielt. „Woran denken Sie wohl?" „An Papas Heimkunft," erwiderte sie ehrlich. Gleich darauf wurde sie glühend rot, denn sie hatte hinzusetzen wollen: „Bon jetzt an werde ich Johanna seltener besuchen." Er benutzte ihre Befangenheit und zog sie zärtlich an sich. „Eva, liebe Eva," tagte er leise. Sie sträubte sich mit schwacher GewaÜ; es klang so süß, so köstlich in ihrer Seels wieder, dieses „Eva, liebe Eva." Eva Holdhaus war eine liebebedürftige Natur; sie hatte ihre verstorbene Mutter innig geliebt und war auch deren Liebling gewesen. Jetzt hatte sich das alles geändert — Napa war stets verdrießlich und voller Launen, Mina fand immer etwas an ihr auszusetzen. Otto, der einziae, der noch für sie Gefühl gezeigt, stand außer allem Verkehr mit dem Elternhause und Ewald hatte sich nie um seine Stiefschwester ge kümmert. Das arme Ding stand also eigentlich sich selbst überlassen da; war es da zu verwundern, wenn das erste zärtliche Wort sie betörte und alle Überlegung vergessen ließ? Wer überlegt auch mit siebzehn Jahren — und hat jemand mit siebzehn Jahren überlegt, dann ist er eben nie jung gewesen. Eva senke das Haupt — es ruhte nun an Tremmingens Schuster — in leidenschaftlicher Erregung beugte er seinen Kopf zu dem ihren- „Meine Süße, meine Ungebetene — länger hält' ich nicht schweigen können," murmelte er, sie fester umschlingend. Sie sah zu ihm empor, ihre Blicke traf in einander — sie erschrak fast vor der Glut, die ihr aus seinen Augen entgegenloderte. „Ernst," lispelte sie — ein süßer Moment des Zögerns noch, dann brannten seine Lippen heiß auf den ihren. Der erste Kuß, den Eva je von einem fremden Manne empfangen! Es dnrchschauerte sie heiß und ängstlich — sie suchte von ihm loszukommen, aber er hielt sie fest und bedeckte ihre frischen, roten Lipven mit seinen glühenden, leidenschaftlichen Küssen. Der Ton einer Männerstimme, die ein munteres Lied sang, ließ die beiden jäh ausein ander fahren. Tremmingen blickte rasch um sich; der Sänger war noch nicht zu sehen, dort an der Biegung des Weges konnte er erst nach einigen Augenblicken zum, Vorschein kommen. Noch einmal riß Ernst Tremmingen das er glühende Mädchen in seine Arme, bedeckte ihren bebenden Mund mit Küssen, dann ließ er sie los und verschwand im Dickicht. Eva stand wie entgeistert und blickte ihm nach. Hatte sie geträumt oder wachte sie? Nein, nein, sie hatte nicht geträumt — noch brannten ihre Lippen von seinen beißen Küsten — noch hörte sie das Lied des muntern Sängers — und mit einem Male begann sie zu laufen, als ob der böse Feind hinter ihr her wäre. Keuchend Md atemlos kam sie beim Oberhof
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