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Allgemeiner Anzeiger : 27.02.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-02-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190902279
- PURL
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19090227
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1909
-
Monat
1909-02
- Tag 1909-02-27
-
Monat
1909-02
-
Jahr
1909
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 27.02.1909
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Oer 8unä äer ^anäwirte. Der Bund der Landwirte hielt am 22. d. im Zirkus Busch in Berlin in Gestalt der Generalversammlung die alljährlich wieder kehrende große Heerschau ab. Frhr. v. Wangen heim eröffnete die Tagung mit folgender An sprache : „Verehrte Berufsgenossen und liebe Freunde! Das letzte Jahr war reich an Arbeit und Sorgen, aber auch vielfach reich an Segen. In der Kalamität, die die Industrie erlebt hat, erblicken wir die Folgen einer verkehrten Banken- oder Börscnpolitik. Wir hoffen, daß bei der Reform des Bankge setzes einmal gründliche Arbeit gemacht wird. Wenn Deutschland die Krifis besser übersteht, als andre Länder, so haben wir dies der Land wirtschaft zu danken. Durch das neue Zoll gesetz ist unsre Landwirtschaft so gestärkt, daß sie den inneren Markt gekräftigt hat. Dies ist auch der Industrie zum Bewußtsein ge kommen. Was die äußere Politik betrifft, so wollen wir einen Frieden mit Ehren; wir wollen ein starkes Deutschland und wollen daher die Finanzreform. Aber soweit sie den Mittelstand bedroht, müssen wir Wider stand leisten. Das ist keine persönliche Spitze gegen den Fürsten v. Bülow. Wir wissen, was die Landwirtschaft ihm schuldet. Aber darum können wir ihm doch nicht auf allen Wegen folgen. Wir können heute und an dieser Stelle nicht an den Ereignissen vorübergehen, die sich im November vorigen Jahres abgespielt haben. Klarheit mußte geschaffen werden. Aber in Form und Inhalt ist man weit über das Ziel hinausgegangen, daß Heller Zom jeden deutschen Mann ergreifen mußte. Den Bestrebungen nach Verfassungsänderungen kann der Bund sich nicht anschließen. Auch Fürsten find Menschen und können irren. Aber auch Parteien können irren, und erst muß der Reichstag beweisen, daß er sich selbst zu regieren vermag. Wir wollen keinen Schattenkaiser, wir wollen einen Kaiser von Fleisch und Blut und kraftvoller Persönlich keit. Und so lassen Sie uns auch diese Tagung mit dem Rufe beginnen: „Se. Maiestät Kaiser Wilhelm II. er lebe hoch!'"' Nachdem ein Huldigungstelegramm an Kaiser Wilhelm abgesandt worden war, erstattete Dr. Hahn den Geschäftsbericht, aus dem er besonders hervorhebt, daß der Bund 309 000 Mitglieder umfaßt. Dr. Hahn knüpfte an seinem Bericht eine Reihe praktischer Betrachtungen. Er ver künde:« unter stürmischem Beifall, daß die Nachlaßsteuer so gut wie gefallen sei. Dr. Hahn beleuchtete das Verhalten der einzelnen Parteien zu der Steuer. Seltsam aber sei es jedenfalls, daß der Landwirtschaftsminister bei dieser für die Landwirtschaft so sehr wichtigen Frage so völlig im Hintergründe geblieben sei. Sein Vorgänger, Herr v. Podbielski. würde gewiß anders heroorgetreten sein. Zur Reichsfinanzreform wird der Versammlung eiif Beschluß unter breitet. in dem es heißt: „Die Generalversammlung des Bundes der Landwirte erklärt eine ausreichende Reichs- finanzreform für eine nationale j Notwendigkeit. Die deutsche Landwirt schaft wird sich an ihrer Durchführung willig beteiligen. Trotz ihrer derzeitigen steuerlichen Überlastung ist sie bereit, weitere notwendige Lasten zu tragen. Die General versammlung erwartet, daß dabei der Aus bau der direkten Besteuerung den Einzelstaaten überlassen bleibt, daß das Reich aber seine in direkte Besteuerung weiter entwickelt und den etwa nicht gedeckten Teil seiner Ausgaben von den Einzelstaaten lediglich in der Form an teiliger Leistungen nach dem Maßstabs der i Matrikularbeiträge einfordert. Insbesondere verwirft sie mit aller Entschiedenheit die vor geschlagene Nachlaß-und Erbschafts- steuer und das Erbrecht des Staates aus Gründen dec Wahrung des Eigentumsvegriffs, der Erhaltung des gesamten Mittelstandes und der Pflege des Familiensinnes." Nachdem noch einige Redner sich gegen die Nachlaßsteuer erklärt hatten, nahm der frühere Landwirtschaftsminister v. Podbielski das Wort: Er begann mit der Finanzreform. Sie müsse durchgeführt werden. Nur über das „Wie" könne es Zweifel geben. „Aber die Nachlaßsteuer," so fuhr er fort, „legt die Axt an die Wurzeln des Bauernstandes. Wir wollen hoffen, daß fie gefallen ist. Doch wir müssen acht geben, daß sie nicht wie der Dieb in der Nacht wiederkommt. Es scheint mir notwendig, daß wir an eine Reform der ganzen Geldwirtschaft herantreten. Es gilt, den Kampf gegen die Trusts und Ringbildungen aufzunehmen, die die Interessen des einzelnen wie der Gesamtheit gefährden. Weiter müssen wir uns klar werden, daß wir uns einen gesunden Markt für unsre Anleihen zu schaffen haben, nachdem unsre An leihen erschüttert sind." Herr v. Podbielski wandte sich hierauf den Wahlrechtsfragen zu. Er fand es unmöglich, mit einem Reichstage zu regieren, dem ein Oberhaus als Gegengewicht fehle. „Ehe nicht ein solches geschehen," erklärte der Redner, „ist eine Erörterung darüber unzu lässig, ob und inwieweit in Preußen Reformen möglich sind. Ist nicht schon heute die Macht der Massen groß genug? Ich frage über diese Versammlung, über dieses Haus hinaus, welchen Eindruck es machte, als am Einzugstage König Eduards die Menge die Fahnen Herunter riß. Und diesen Massen sollen wir das allgemeine Wahlrecht anvertrauen?" Nach einer Warnung vor den Schwarzsehern schließt Herr v. Pod bielski mit den Worten: „Ich blicke für die deutsche Landwirtschaft getrosten Mutes in die Zukunft. Nicht mehr ist die Industrie ihr Feind. Diese weiß jetzt, daß es ihr nur dann gut gehen kann, wenn die Landwirtschaft ge deiht. Sie haben sich erkannt als Kinder einer Mutter, der Mutter Germania, für deren Glück und Größe sie wirken, indem sie beide sich be mühen, groß und glücklich zu sein." Damit wurde die Versammlung geschlossen. poUnscke Kuncilckau. Deutschland. *Die Veröffentlichung eines deutschen Weißbuches über Marokko wird, einer halbamtlichen Meldung zufolge, als jetzt über flüssig geworden, unterbleiben. * Der Entwurf bett, die Erhebung von Schiffahrtsabgaben auf den natürlichen Wasserstraßen, der als Antrag der Preuß. Negie rung beim Bundesrat eingegangen ist, enthält mehrere Änderungen des Artikels 54 der Reichs- Verfassung, die das Staatsministerium aber nur als Erläuterungen des bestehenden Rechtszu standes betrachtet und dem Bundesrate die Ent scheidung darüber überläßt, ob durch diese Ände rungen tatsächlich das Recht geändert wird. Bejaht der Bundesrat die Frage, so genügen 14 von den 58 Stimmen im Bundesrat zur Ablehnung des Entwurfs, andernfalls könnte der Bundes rat mit einfacher Mehrheit beschließen, wie über jeden andern Entwurf, der keine Ver fassungsänderung enthält oder keine Sonderrechte betrifft. Der Reichstag beschließt mit einfacher Mehrheit auch über Verfassungsänderungen. Der Bundesrat wird demnächst den Entwurf an die Ausschüsse zur Vorberatung überweisen. *Der im Dezember neugewählte Land tag des Fürstentums Lippe ist jetzt zu- sammengstreten. Alsbald nach der Eröffnung gab der Alterspräsident den Einspruch des Reichstagsabgeordneten Dr. Neumann-Hofer be- kannl, der sich gegen die Gültigkeit aller Man dats wendet. Abgeordneter Neumann-Hofer begründete den Einspruch mit der Behauptung, daß die Wahlen verfassungswidrig zustande ge- kommen seien. Die Beratung dieses Antrages war eine vertrauliche. * In Deu 1 sch - Neuguinea ist es zu - einem Konflikt zwischen den dort wohnenden i Europäern und dem Gouverneur gekommen. Die ! außerordentlichen Mitglieder des Gouvernements- rats des Schutzgebietes haben einstimmig ihr Amt niedergelegt. Eine Neubildung des Gou- vernementsrats soll unmöglich sein, da die euro päischen Ansiedler auf der Seite der alten Mit glieder stehen. Ernste Meinungsverschiedenheiten bestehen schon seit längerem infolge der Ein führung der neuen Zollordnung sowie der ihr vorangegangenen Verhandlungen. Viel leicht hat nun auch noch eine strenge Durch führung der Verordnung der Mißstimmung weitere Nahrung gegeben. Frankreich. * Dem Leichenbegängnis des früheren Bot schafters in Berlin, Marquis de Noailles, wohnte der deutsche Botschafter in Paris, Mrst Radolin, als Vertreter Kaiser Wilhelms bei. Holland. * Zwischen der holländischen und englischen Regierung schweben Unterhandlungen über die Errichtung einer Telephonverbindung zwischen Amsterdam und England. Ruhland. * Im Hause des Dumapräsidenten Chom jakow wurde von spielenden Knaben auf dem Hof eine Bombe in einem Kästchen gefunden, die mit drei Pfund Extradynamit geladen war. In politischen Kreisen Petersburgs herrscht in folgedessen große Aufregung. * Die plötzliche Schließung des finni schen Landtages ist nach Petersburger Meldungen erfolgt, weil in dem Parlament eine antirusfische Bewegung offen zutage trat. Balkanstaaten. * Die Eile, mit der die russische Regierung sich bereit gefunden hat, die Unabhängigkeit Bulgariens anzuerkennen, hat in Konstan tinopel große Verstimmung erregt. Die türkische Regierung hat an die übrigen Mächte eine Note gerichtet, in der sie um bestimmte Mit teilung über die Haltung der einzelnen Kabinette bittet. Die Mächte, allen voran England und Frankreich, werden Bulgariens Unabhängigkeit nicht eher anerkennen, ehe nicht die Verhand lungen zwischen Sofia und Konstantinopel end gültig zum Abschluß gebracht worden find. — D'e Spannung zwischen Osterreich-Ungarn und Serbien nimmt nach wie vor die Auf merksamkeit der Mächte in Anspruch. Zwar hat die Wiener Regierung allen auswärtigen Ver tretern die Zusicherung gegeben, daß sie den Frieden erhalten wolle, ober schließlich wird sie durch die dauernde Kriegshetze in Serbien gezwungen, diese friedliebende Haltung aufzu geben. Darin liegt augenblicklich auch die Schwierigkeit in der Lösung der Balkanfragen. Amerika. * Die atlantische Flotte und die ihr entgegengefahrenen acht Kriegsschiffe sind wieder in den virginischen Gewässern eingetroffen. Alle Schiffe gaben zu gleicher Zeit einen Salut für den Präsidenten ab. Hierauf fand eine Flottenrevue statt, die sich zu einem glänzenden Schauspiel gestaltete und der auf den Ufern eine nach Hunderttausenden zählende Zuschauermenge anwohnte. In einer kurzen Ansprache an die Kommandanten der Kriegs schiffe sagte Präsident Roosevelt, die Flotte sei in ihrer Eigenschaft als Werkzeug für den Krieg in besserer Beschaffenheit zurück gekehrt, als sie abgefahren war. Asten. *Die Revolutionäre in Persien beginnen jetzt die Hauptstadt mit Bombenatten taten zu bedrohen. In einer der belebtesten Straßen Teherans wurden drei Männer er griffen, die an verschiedenen Orten Bomben niedergelegt hatten und auch noch welche bei sich trugen. In der Umgebung des Schahs herrscht infolge dieses Ereignisses große Aufregung. Kus dem Überschwemmungsgebiet in der Kitmark wird noch immer keine Besserung der Lags ge meldet, da die Tätigkeit der Eisbrecher, auf die man alle Hoffnung setzt, auf unvorhergesehene Schwierigkeit stößt. Das Hochwasfergebiet Hal sich noch weiter ausgedehnt, nachdem der Aland- deich in der Nähe von Stendal von den Fluten durchbrochen worden ist. Wanzer und Crueden sind überschwemmt. Pioniere sind dorthin ab gegangen, um das Vieh zu retten. Sie werden nach ihren Aussagen noch 14 Tage zu tun haben. Nach den Schätzungen des ,Altmärkischen Jntelligenzblattes' ist bisher durch das Hoch wasser ein Schaden von N Millionen Mark angerichtet worden. Ein Unglücksfall ist beim Dorfe Rohrbeck zu verzeichnen. Einem Pionier kommando, das die Bewohner einiger der am meisten bedrohten Häuser retten wollte, gingen die Pferde durch. Der die Zügel führende Soldat stürzte ab, geriet unter den Wagen und wurde schwer verletzt. Der Katastrophe selbst sind Menschen bisher nicht zum Opfer gefallen. Wie furchtbar rasch die Flut über die Alt mark hereingebrochen ist, zeigt in anschaulicher Weise der Brief eines Geistlichen aus einem der am schwersten betroffenen Orte, der in der Magd. Ztg.' abgedruckt ist. In dem Schreiben heißt es: „Die erste Post, die seit dem 13. heute, am 20. d., von Boten per Bahn, Wagen, Pferd und zu Fuß, stellenweise unter wirklicher Lebensgefahr, gebracht wurde, brachte uns Ihren Brief vom 17. d. Lassen Sie mich Ihnen in Kürze erzählen, wie diese schwere Heimsuchung uns getroffen hat. Schon am 13. trug uns der eisige Ostwind aus den eine Luftlinie von 5 Kilometer umfassenden Elbdörfern Notsignale zu, und auch in unserm Dorfe wurden " alle arbeitsfähigen Männer zum Deichschutz nach Fährkrug und Kannenberg gerufen. Das war die erste schlaflose Nacht. Am Sonntag morgen konnte ich schon nicht mehr wagen, zur Filiale zu fahren, da der Deich bruch stündlich eintreten konnte. Im Gottesdienst waren nur fünf Frauen, mit denen ich eine Andacht hielt über den Ge danken: „Christ Kyrie, komm' zu uns auf den See". Immer bedrohlicher wurde die Lage, und auch wir brachten nun Holz, Kohlen und Kartoffeln aus den Ställen und Kellern ins Haus und auf den Boden. Unser Haus liegt mit der Kirche und der Schule sowie zwei Drittel des Dorfes hoch. Aber wer die riesigen Waffermassen gesehen, mußte denken und fürchten, daß wir alle bis an die Dächer ins Wasser kommen würden. Am Abend war alles ruhiger. Die Männer kamen zurück, Erschöpfung in den harten Gesichtern. Noch hofften wir, daß der Deich bis zum Morgen halten würde, da kam um 10 72 Uhr die Nachricht: „Das Wasser brüllt!" Und wirklich, es kam an. Wie ein entfesseltes Heer der Hölle, brüllend und heulend, so schoß es dahin, wie eine breite, graubraune im Galopp ankommende Hammelherde. Im Zeitraum weniger Sekunden überflutete es die Wiesen und die tiefen Gräben. Nun fing die Sturmglocke an zu läuten, der Sturm brauste, das Lieh brüllte, die Menschen schrien, kurz, eins Schreckensszene sondergleichen. In dieser ernsten Stunde bis morgens 5 Uhr, wo das Wasser wenige Schritte vor unserm Hause Halt machte, hatte jeder für sich zu sorgen. Die Äcker liegen völlig unter Wasser und Eis. Die in ihren Häusern vom Wasser überraschten mußten versorgt oder weggeholt werden. In großen Backmulden und in Brüh trögen, in denen die geschlachteten Schweine gebrüht werden, die in Fahrzeuge umgewandelt waren, mußten sie in Sicherheit gebracht werden. Ms ein. Glück ist es anzusehen, daß wir zwei wohlversorgte Kaufleute im Dorfe hatten. Schlimm war es nur, daß für die vielen Arbeiter in diesem Winter nur kärglicher oder gar kein Verdienst gewesen ist, so daß es gar oft am Baren zum Einkaus fehlt. Aber das Schlimmste wird noch kommen. Schon jetzt fallen in den Häusern die Kachelöfen und Lehmschornsteine ein. Es ist um so bedenk- k kicher, als die Trümmer nicht beseitgt werden , können und Herde von Krankheiten bilden. ! Las Traurigste' ist, daß die Äcker weit und I breit mit Eis bedeckt iind." N Nemesis. L4! Kriminalroman von E. Görbitz. Livia nickte Leonhard ironisch-lächclnd zu: „Ich glaube, daß Ihre Macht groß sein mag, mein Herr Haushofmeister, aber sie ist jedenfalls nicht so groß, daß Sie mir meine Talente als Frau und die Reize meiner Jugend nehmen können! Wir sind am Ziel, ich danke Ihnen für Ihre aufmerksame Begleitung!" - Indem fie vor einer Tür stehen blieb, begleitete sie diese Worte mit einem bezaubernden Lächeln, ver neigte sich sehr tief vor ihm und war dann durch die Tür verschwunden. „ Es ist ein wahrer Teufel in Engelsgestalt," dachte Leonhard, indem er den Rückweg nach dem Spielzimmer antrat. „Diese Frau hätte ich früher kennen lemen müssen; mit ihr hätte ich die Welt beherrscht! Jetzt, da mir die Hälfte des Majorats von Grödenitz gehört, ist sie allerdings für mich wertlos! Aber das Rätsel ihrer Persönlichkeit ist für uns gelöst. Sie kann und wird uns nicht schaden!" Als er in das Spielzimmer zurückkehrte, war Herr von Techi, dessen Gewinn sich auf mehrere tausend Mark bezifferte, eben im Begriff, das selbe zu verlassen. Beide Herren begrüßten sich wie zwei voll kommene Kavaliere mit ausgesuchtester Artigkeit. Herr von Knobelsdorf und die andern > Herren, denen die Taschen geleert worden waren, empfingen Leonhard mit gezwungenem Lächeln. Sie versuchten über ihren Verlust zu scherzen, aber ihre Scherze klangen unnatürlich. „Geprellte Narren," dachte Leonhard bei sich im stillen, „ich hätte euch warnen können, aber dann wäre mir nicht die beruhigende Auf klärung über diese Hochstaplerin geworden; nun sind wir vor ihr sicher! Diese Erfahrung hat mich zwar Geld gekostet, aber die Beruhigung konnte nicht teuer genug bezahlt werden. Kanzleirat Löbel soll mir morgen meine Taschen wieder füllen!" Die Weinrechnung, das Kartengeld waren bezahlt, die Paletots waren angezogen, die Wagen fuhren vor. Der inzwischen aufgegangene Mond stand im letzten Viertel, hatte aber in der klaren Sommernacht genug Leuchtkraft, um die durch dichte Waldungen führende Chaussee zu er hellen. Der Schlag der Turmuhr aus Schloß Grödenitz verkündete das Ende der Geister stunde, als Leonhard am Portal der alten Ritter burg vorfuhr 9. Zu derselben Zeit als in W. die Spielpartie be gann, saßen im Salon des Grafen Ottinghausen auf Schloß Grödenitz der Majoratsherr und die gräfliche Familie am Teetisch „Kannst du dich noch besinnen, meine Tochter, oder gar unschlüssig sein," begann die Gräfin, „wenn ich, deine Mutter, dir sage, daß dein rückhaltsloses Jawort dein Glück begrün den wird?" Eva, an die diese Worte gerichtet waren, hatte sich in die Ecke des Sofas, aus dem sie mit ihrer Mutter saß, zurückgelehnt und den Kopf tief auf ihre Brust gesenkt. Graf Otnnghansen runzelte die Stirn, als er seine Tochter in dieser Unbeweglichkeit ver harren sab. Ihm schwebte aber bereits ein strenges Vaterwort auf den Lippen, aber der junge Majoratsherr kam dem Aussprechen des selben zuvor „Bestürmen Sie meine schöne Cousine nicht," wandte er sich an Graf und Gräfin, „ich bitte Sie darum. Ich möchte nicht, daß ein Druck auf sie ausgekbt würde, um für mich das Wort sprechen zu lassen, das ich nur ihrer freien Entschließung verdanken will! Eva," sagte er dann, indem er sich zur Komtesse beugte, „könn ten Sie wirklich einen Antrag zurückweisen wollen, der Ihnen aus wahrer, inniger Liebe gemacht worden ist?" „Quälen Sie mich nicht, Baron," bat Eva leise, ohne aufzuschauen - „keine Antwort ist auch eine Antwort!" „Baron? l" sagte Robert mit dem Tone des Vorwurfs, „Baron? So nennt mich meine Eva?" Das junge Mädchen schnellte von seinem Platze auf „Ihre Eva?" rief sie zürnend, indem sie jetzt den Majoratsherrn klar und offen anblickte, „wer gab Ihnen ein Recht, mich so zu nennen?" „Ich!" antwortete der Graf, indem er sich auch erhob. - „Traurig mag es für einen Vater sein, aber es bleibt doch immerhin für ihn eine - Pflicht, sein Kind, wenn dasselbe in jugendlicher Unerfahrenheit das einzige Glück von sich stößt, zu diesem Glücke zu zwingen!" Eva richtete denselben festen, beinahe heraus- j fordernden Blick, mit welchem sie den Majorats- ! Herrn angesehen hatte, jetzt aus ihren Vater „Wer sagt euch denn, daß eine Ebe mit Baron Chlodwig mir Glück bringen würde?" „Du wirst beleidigend!". verwies der Graf seine Tochter, „denn es ist eine Beleidigung gegen Vetter Chlodwig, in seiner Gegenwart diesen Zweifel auszusprechen ' Törichtes Mädchen, ! wenn du es nicht einsiehst, muß ich es dir sagen, daß es für dich eine Ehre ist, von einem solchen Manne zur Gemahlin begehr» worden zu sein'" „Leonhard hat recht," dachte Robert, „üe liebt diesen elenden Werkführer, daher schlägt iie meine Hand aus!" Es war nicht mehr seins Leidenschaft für die kindlich reizende Komtesse allein, die in ihm glühte; Haß und Eifersucht j gegen seinen Nebenbuhler loderten mächtig in seiner Seele aus; dämonische Gedanken erfüllten ihn, auf welche Weise er sich desselben am schnellsten entledigen könnte. Ein Blick auf Evas reizende Gestalt befestigte in ihn: den Willen, in den Besitz dieser holden Mädchen knospe zu kommen um jeden Preis Ihr Wider stand, die Seine werden zu wollen, das zitternde Beben, welches ihre Gestalt bei seiner Annähe rung jedesmal überlief, machten sie ihm nur noch begehrungswürdiger. Sie mußte die Seine werden, koste es, was es wolle. Auch jetzt traf er das iu dieser Situation einzig Richtige. Langsam stand er auf, machte eine Handbewegung gegen Eva, als ob er ein ewiges Lebewohl andeuten wollte und wandte sich mit trauriger Miene der Ausgangstür zu. „Was wollen Sie tun, Chlodwig?" rief der Graf ihm nach, und das Zittern seiner Stimme bewies, in welcher Aufregung er sich
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