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die sie mir damals angab. — Ein Kahr verging. Ich machte große Fortschritte. Ta erhielt ich von meinem Vertrauten einen Brief, worin er mir mitteilte, daß Elisabeth mach einem PenKo- nat nach B. gebracht worden sei — um dem Gerede der Leute aus dem Wege zu gehen. Der Brief war ziemlich kunzgehalten. Von jetzt an hörte jegliche Verbindung zwischen mir und Elisa- bth auf. In mir arbeitete es mächtig. Meine Schulkameraden hiel ten sich von mir, dem stillen Träumer, dem Streber fern. Dies vermochte auch gerade nicht eine heilsame Wirkung auf mein verbittertes Gemüt auszuüben. — Ein Gedanke brach fich all mählich in mir Bahn: Ich mußte meine Elisabeth sehen, sprechen. — Es war vor Weihnachten, Ostern sollte ich mein Examen machen, da schrieb ich ihr kurz entschlossen, daß ich nach dem nicht weit entfernten B. kommen wolle. Ich müsse sie sehen, und hinge meiner Seele Seligkeit davon ab; die Ungewißheit hielte ich nicht mehr länger aus. Umgehend traf ein Brief von ihr ein. Sie beschwor mich, um Gotteswillen nicht zu kommen. Hier wisse man nichts von dam Vergangenen, nnter dem sie be reits schon so furchtbar gelitten habe. Ich solle allem seinen Lauf lassen; sie liebe mich ja noch wie zuvor, vielleicht noch mehr und Taub für ihre Bitten, fuhr ich nach B. Wohl eine Stunde schlich ich mich um das Pensionat herum. Endlich faßte ich mir ein Herz und trat ein. Elisabeth hatte ich geschrieben, ich würde mich als ihr Bruder vorstellen. In meiner sinnlosen Verblen dung hatte ich ja gar nicht daran gedacht, was für Folgen da- rans entstehen konnten. Ich wurde in ein Zimmer geführt, und bald erschien die Vorsteherin, eine kleine, korpulente, freund liche Dame. „Verzeihen Sie," sagte ich, mich verbeugend, „ich bin auf der Durchreise hier und möchte meine Schwester Elisabeth sprechen." Ich gleiche, damals war so ettvas wie Humor über mich gekommen. „So," meinte die kleine, korpulente Dame, mich aufmerk sam mit ihren runden freundlichen Aeuglein betrachtend, „Sie sind Elisabeths Bruder — davon wußte ich ja noch gar nichts." Mich überlief es eiskalt; aber ich nahm meinen ganzen Mut zusammen. — Und dann wutde Elisabeth gerufen. Nie werde ich vergessen, als sie in der Türe erschien. Totenbleich lnar ihr schönes Gesichtchen; ihre Augen waren wie verglast, als sie mich erblickte; ihre Gestalt schwankte. Instinktiv fühlte ich, daß hier etivas geschehen müsse, sollte nicht alles verraten fein. Mit festen Schritten ging ich ans sie zn und streckte ihr meine Hand entgegen. „Kennst Dn denn Deinen Bruder nicht mehr?" sagte ich, in dem ich einen lustigen Ton anzüschlagen versuchte; aber sch glaube, er klang Hohl und dumpf. Ta kam wieder etwas Löben in ihre Gestalt. Wir wur den allein gelassen. Tie Vorsteherin, der die Szene Wohl nicht entgangen war, mochte irgend ein unerquickliches Familienver- hältnis zwischen uns ahnen. — Tränen, leidenschaftliche Tränen rannen jetzt Elisabeth über die Wangen, und die gequälten, gur gelnden Laute, die mit Gewalt aus ihrer Brust hervorquollen, verrieten mir die furchtbare Aufregung ihres Innern. „Beruhige Dich, Elisabeth," bat ich, ihre Hände ergreifend und an mein Herz pressend, „nm Gotteswillen, beruhige Dich. Ich mußte Dich ja sehen, sprechen, nur einmal, dann ist alles gut. Ich wollte ja auch nur Gewißheit haben, ob Du mich immer noch liebst, ob Dn mein sein willst für ewig. — Diese Marter, diese Pein halte ich nicht mehr länger aus. L-ieh', Tag und Nacht avbeite ich, nm Dich mir zu erringen.; aber so gehe ich zu Grunde, elend zn Grunde. Ich mußte kommen, ver zeihe mir, Elisabeth, verzeihe nur, nur dies eine Mal." Tas Herz krampfte sich mir zusammen, als ich ihr tränen überströmtes Gesichtchen zu mir emporhob. „Ich verzeihe Dir ja so gern," sagte sie mit weicher Stimme und in ihren schönen großen 'Kinderangen las ich jene stumme Sprache der Liebe. „Ich habe Dich ja auch noch so lieb wie einst; immer muß ich an Dich denken. Ich will ja auch Dein sein fürs ganze Leben, ich will aus Dich warten bis Du kommst, und sollte ich darüber alt werden, ganz alt- Ich habe mich ge prüft, und ich habe gefunden, daß mich etwas an Dich kettet für ewige Zeiten." Eine Weile war es still zwischen uns. Ein jedes mochte wohl von jenen zernierenden Gefühlen bestürmt worden sein, die eine unbewußte Vorahnung drohend Unheils in sich schlie ßen, die sich auf die Nerven legen und dort einen lähmenden Trnck erzeugen. „Geh jetzt," flüsterte Elisabeth kaum hörbar; „ich muß allein sein; ich kann nicht mehr. Der Vorsteherin werde ich über Dich irgend eine Ausrede gebrauchen. Sie Weitz ohnehin, daß ich nicht Viel spreche." Und dann ging ich von ihr — für immer . . - Elisabeths Vater traf in dem Pensionat ein, um seine Tochter zum Christfest nach Hause zu holen. „Vor einigen Tagen war auch Ihr Herr Sohn hier," sagte die Vorsteherin im Laufe des Gesprächs. „Mein Sohn?!" erwiderte Elisabeths Vater erstaunt, „ich habe ja gar keinen Sohn —" Elisabeth war zugegen. Sie wurde ohnmächtig. Zwei Tage vor den Weihnachtsferien wurde ich plötzlich aus der Klasse in das Privatzimmer des Direktors gerufen. Ich war mir zwar 'keiner bösen Tat bewußt, aber trotzdem über lies es mich kalt. Als ich dem Direktor gegenüberstand, sah er mich lange scharf und durchdringend an. — Kurz und gut, Elisabeths Vater war bei ihm gewesen — er wußte alles! „Ich werde Sie entlassen müssen," sagte er am Schlüsse streng; „solche Elemente darf ich in meiner Schule nicht dul den. Ich habe mich sehr in Ihnen getäuscht. — Sie können gehen." Es war ein guter, freundlicher Mann, der Direktor. Ich war einer feiner Lieblingsschüler, aber auch hier verfolgte mich das Unglück. Stumm wollte ich hinausgehen/ Mir war ja doch nicht mehr zu helfen. Nur ein kurzer, gebrochener Laut kam über meine Lippen. Sanft hielt mich der Direktor zurück. „Was haben Sie getan —" sagte er mild und aus seiner Stimme war alle Härte gewichen. „Was ich getan habe —?" erwiderte ich, fast wild, auf brausend; ein edler Zorn war über mich gekommen. Vor die sem Manne wollte ich es wenigstens versuchen, mich zu recht fertigen. Mein herbes Geschick verlieh mir Worte, und berödt schilderte ich ihm, wie alles gekommen war. Meine einsame Knabenzeit, wie ich ein Herz suchte, das mich verstand, das mir Liebe entgegen brachte, wie ich jenes Mädchen kennen lernte — alles. Als ich geendet hatte, glaubte ich es in den Augen des Direktors feucht schimmern zu sehen. „Sie haben vielleicht nicht recht getan," sagte er, seine Hand auf mein Haar legend, „aber ich kann Sie auch nicht verurtei len. Bleiben Sie bei mir. Versprechen Sie nur, jenes Mäd chen nicht eher wiederzusehen, bis Sie ein selbständiger Mensch geworden find. Sie sind nicht schlecht und aus Ihnen wird ein mal etwas Tüchtiges werden. Wenn Sie jenes Mädchen so liebt, wie Sie es lieben, dann wird es Ihnen treu bleiben — bis über das Grab hinaus." Wie verehre ich noch heute diesen guten Mann. Er gab mir an jenem Tage meine ganze Selbstachtung zurück; er rich- tte mich wieder auf zu neuem Leben. Ein freudige Hoffen kam über mich. Stufe um Stufe errang ich mir. Von meiner Elisabeth erfuhr ich nichts mehr. Ich wagte es auch nicht, etwas dazu zu tun. Sie würde mir ja treu bleiben. Zwanzig Jahre war ich alt, als mein Vormund starb. — Kurz darauf errang ich mir mein Doktordiplom. Jetzt war die Stunde da, die ich so heiß herbeigeisehnt hatte — und jetzt sollte die Stunde kommen, die mich für immer elend machte . . . Ich fuhr hin. Erst als ich durch die belebten Straßen des Städtchens schritt, befiel mich eine gewisse Beklommenheit. -- Manches bekannte Gesicht begegnete mir, meiner schien man sich nicht mehr zu erinnern. Zuerst trieb es mich zu dem alten Kastanieubanm. Ich fand ihn nicht mehr, er war abge- haueu. — Betrübt lenkte ich meine Schritte wieder der inneren Stadt zu. So kam ich zum Marktplatze. Da blieb Plötzlich mein Blick an einer der einkanfenden Hausfrauen haften. Diese Gestalt — das war meine Elisabeth. Eben wendete sie mir halb ihr liebes Gesichtchen zu. — Sie war es. — Wie sie sich verändert hatten, diese lieben Züge. So etwas, wie Entsagung, so etlvas Madonnenhaftes glaubte ich darin zn lesen. Sie mußte mich noch nicht bemetkt haben. Ta fiel mein Blick un willkürlich auf ihre in allerhand Kram hernmwühlende Hand. Ein Trauring schimmerte dort. — Wa§ ich damals empfand, weiß ich selbst nicht mehr recht. — Hier hatte ich nichts mehr zn suchen, das fühlte ich. Also fort. . . Lassen Sie mich über die Zeit, die nun folgte, hinweg gehen. Ich verwünschte meine Jugendliebe, die mich so elend gemacht, die mir ihr Wort gebrochen, bis in den untersten Grund der Hölle. — Und doch sagte mir eine innere Stimme, meine Elisabeth müsse unschuldig sein, und diese Stimme sollte recht behalten. — Meine Bücher wurden nun meine einzigen 39'