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polililcke Kunälckau. Deutschland. * Im Beisein Kaiser Wilhelms und des Zaren führte die deutsche Flotte vor Swinemünde ein großes Manöver aus. Die Leistungen der Schiffe begeisterten Kaiser Nikolaus zum höchsten Lobe, so daß er ge äußert haben soll, mit solchen Schiffen und solcher Mannschaft würde er die Welt erobern, über die politischen Ergebnisse der Zusammen kunft beider Monarchen verlautet noch nichts. Als Kaiser Wilhelm den Zaren vor zwei Jahren nächt licherweile in den Finnischen Schären besuchte, ward über eine Stunde von Politik geplaudert. Und diesmal scheint das. politische Gebiet erst kurz vor dem Abschied des Herrschers berührt worden zu sein. Nach herzlichem Abschied vom Kaiser Wilhelm fuhr der Zar heimwärts. — Kaiser Wilhelm begab sich auf den Truppenübungsplatz Altengrabow. * Die diesjährigen großen Flotten herbstmanöver, die m der ersten Sep temberwoche stattfinden, werden nach der ,Bossischen Ztg/ in der Nordsee abgehalten werden. Einem Teil der Manöver wird Kaiser Wilhelm beiwohnen. * Die neue vom Reichstage genehmigte Feldbekleidung aus graugrünem Tuch, in Litewkaform geschnitten, soll nach der ,B. B.-Ztg/ bis zum 1. April 1908 bei mehreren Armeekorps, u. a. beim 3. (branden burgischen) Korps, zur Ausgabe fertig sein. * An der Südgrenze von Deutsch - Süd- w e st a t r i k a erscheint der Friede noch nicht gegen alle Möglichkeiten endgültig gesichert. Der Hottentottenführer Morenga begab sich näm lich nach seiner Freilassung von Kapstadt nach Upington, unweit der deutschen Grenze, angeb lich um nach seiner Frau zu forschen. Es sind aber Nachrichten über die Grenze gelangt, wo nach sich der Rebellenführer im Grenzgebiet be reits mit einigen Anhängern getroffen hat. Auf deutscher Seite werden die Bewegungen Morengas aufmerksam verfolgt. Die Grenze wird scharf bewacht für den Fall, daß Morenga aus andern Gründen, als um sich etwa dem Unterwerfungs abkommen seiner früheren Kampfgenoffen anzu- schließen, eine Rückkehr auf deutsches Gebiet versuchen sollte. *über die Auszahlung der Entschädi gung an die süd w est afri k a nisch e n Farmer für die während des Ausstandes er littenen Verluste teilt die,Südwestaft. Ztg/ mit, daß vom 15. Juli ab jeder von dem ganzen festgestellten Aufstandsschaden bis vier Siebentel ausbezahlt erhält. *Der neue Peters-Prozeß (gegen die ,Kölnische Zeitung') beginnt am 19. Sep tember vor dem Schöffengericht in Köln. Es sind wieder nahe an fünfzig Zeugen geladen, die Dauer des Beleidigungsprozesses wird auf acht bis zehn Tage vorgesehen. Osterreich-Ungar». *Nach einer Wiener halbamtlichen Meldung soll die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes in Ungarn nicht mehr lange auf sich warten lassen. Man rechnet in Re gierungskreisen mit der Möglichkeit, noch in diesem Jahre eine entsprechende Vorlage im Parlament beraten zu können. Frankreich. * Infolge der ungünstigen Schießergebnisse bei den letzten Marinemanövern gab der Marineminister Thomsonden Befehl, möglichst bald von neuem kriegsmäßige Schieß übungen mit schweren Geschützen vorzu nehmen. * Bei denStich wählen zum General rat siegten die Radikalen mit großer Mehrheit. Die Stichwahlen haben zu einem großen Tumult in Paris Anlaß gegeben. Zwischen Radikalen und Sozialisten kam es abends nach dem Bekanntweröen des Ergebnisses der Generalratswahlen auf dem Kapitol zu einem heftigen Zusammenstoß. Die Sozialisten wollten den Radikalen die dreifarbige Fahne entreißen, und es entstand ein allgemeines Handgemenge. Die Gendarmerie, die einschritt, wurde von den Sozialisten mit Schimpfworten empfangen. Gegen den Gendarmerierittmeister wurde von einem bisher nicht ermittelten Ruhestörer Hn Bierglas geworfen; der Rittmeister ist an beiden Augen schwer verletzt. Erst als Artilleristen den Gendarmen zu Hilfe kamen, konnte die Ruhe wiederhergestellt werden. * Der eben aus der Haft entlaßene Winzer führer in Argellier, Marcellin Albert, wurde der Gegenstand einer feindseligen Kundgebung, da die Winzer immer noch glauben, er hätte durch seinen Besuch bei Clemenceau Verrat geübt. Er war gezwungen, sich in seiner Behausung ein zuschließen. England. *Das Oberhaus nahm den Gesetzentwurf einstimmig an, wonach ein Berufungsgericht für Kriminalsachen errichtet wird. *Jm Unterhause teilte Unterstaatssekretär des Kolonialamts Churchill mit, daß die Re gierung entschlossen sei, die Ermächtigung zum sofortigen Bau einer 400 Meilen langen Eisenbahn im Hinterlande von Nigeria zu geben. Die Kosten werden auf 1230 000 Pfund geschätzt. Wie verlautet, sollen demnächst weitere Eisenbahnbaupläne für dre Kolonien dem Unterhause vorgelegt werden. Schweiz. * In Lugano wurde der italienische Anarchist Bonometti verhaftet, weil er in öffentlichen Anschlägen zur Ermordung König Emanuels aufgefordert hatte, um den Tod Brescis, des Mörders König Hnmberts, zu rächen. Spanien. *Die beiden japanischen Kreuzer, die zuletzt in französischen Häfen weilten, sind nach San Sebastian gefahren, wo der König von Spanien ihnen einen Besuch abstatten wird. * Ein Ministerrat, der fünf Stunden dauerte, beschäftigte sich mit den Noten Frankreichs be treffend die Casablanca-Angelegen heit. Einigen Journalisten, die nach Schluß der Sitzung Mitteilungen für die Presse haben wollten, wurden solche verweigert, der Kriegs minister erklärte nur, daß man höchstens 500 Mann Truppen an Bord eines Kriegsschiffes nach Afrika schicken werde. Ein Eingreifen Spaniens wird voraussichtlich nur in geringem Maße stattfinden. Ruhland. *Die Attentate der „SchreckenS- männer" dauern im Zarenreiche fort. In Pjätigorsk im Kaukasusgebiet wurde der frühere Generalgouverneur von Odessa, General Kran- gorow, durch drei Revolverschüfse getötet. Die Nachrichten von solchen Morden aus allen Teilen des Reiches mehren sich jetzt wieder er schreckend. *Der polnische Nationalklub in Warschau ist durch den Generalgouverneur geschlossen worden. Der Vizepräsident Alexander Zawadzki wurde verhaftet. *Zum Zwecke einer Massenentwei ch U N g entwaffneten und banden im Gefängnis zu Simbirsk politische Gefangene die Gefängnisaufseher. Das zu Hilfe gerufene Militär wurde mit Schüssen aus den Revolvern der Auffeher empfangen; die Truppen erwiderten durch Gewehrfeuer. Ein Gefangener ist getötet, einige sind verwundet worden. Balkanstaate«. *Die türkischen Truppen zeigen diesmal im Kampfe gegen das Bandenunwesen in Mazedonien eine ungewohnte Energie. Nach Meldungen aus Belgrad wurde dieser Tage wieder eine 40 Mann starke serbische Bande von ihnen aufgerieben. Hoffentlich hält dieser lobenswerte Eifer an. Vielleicht wird nun einmal dem immerwährenden Rauben und Morden in Mazedonien ein Ende bereitet. * Halbamtlich läßt der Fürst von Bul garien feststellen, daß er nicht, wie es viel fach heißt, nach der Königswürde strebe. Die bulgarische Regierung erklärt, daß sie in der Verbreitung solcher Gerüchte eine Beun ruhigung der Balkanländer sehe und nötigen falls bei den Mächten geeignete Schritte unter nehmen werde, um vorzeitigen Verdächtigungen vorzubeugeu. Afrika. * Die Dinge in Marokko nehmen den Lauf, der sich aus der Wechselwirkung der franzö sischen Bestrebungen und der zum heiligen Kriege entflammten Leidenschaft der eingeborenen Bevölkerung erwarten ließ. Mit leichter Mühe ergab sich ein Anlaß zur Landung französischer Truppen in Casablanca, denen sich ein spanisches Detachement anschloß, und der er wartete blutige Zusammenstoß dieser Truppen mit den maurischen Volksmassen hatte zur weiteren Folge das Bombardement der Stadt, bei dem mehrere Hundert Eingeborene getötet wurden. Aste«. * Wieder einmal hat sich ein türkisch- persischerGrenzzwischenfall ereignet, der ernster Natur ist und auch die europäische Diplomatie beschäftigen wird. Eine 6000 Mann starke türkische Truppe mit Artillerie hat bei Sajudsch im Bulak-Kreise die persische Grenze überschritten und die persischen Truppen nach kurzem Widerstande in die Flucht ge schlagen. Da die persische Regierung durch die wiederholt erfolgte Überschreitung der persischen Grenze seitens türkischer Truppen beunruhigt ist und sich ohnmächtig sieht, Widerstand zu leisten, wendet sie sich um Hilfe an Rußland und England. * Der neue K a i s er von Kor e a soll an geblich nach einer Meldung aus Tokio den Wunsch ausgesprochen haben, die Regierungs geschäfte in die Hand eines andern zu legen. In wessen Hände, verrät die japanische Meldung nicht. Es scheint, als ob man in Tokio den jungen J-tschak regierungsmüde machen will, um sreie Hand im „Lande der Morgenruhe" zu haben. Vie Monarchmbegegnung in 5winemun-e. Bei schönstem Wetter hat am 5. d. das Ex erzieren der gesamten deutschen Flotte vor den beiden Kaisern aus hoher See bei Swinemünde stattgefunden. Kaiser Wilhelm fuhr im Verkehrs boot „Hulda" nach dem „Standart" und von dort aus mit dem Kaiser Nikolaus an Bord der „Deutschland", welche alsbald die Groß admiralsflagge im Vortopp und beide Kaiser standarten im Großtopp setzte. Die Monarchen waren von den Herren des Gefolges der Armee und der Marine begleitet. Die Polizei aufsicht der Flotte wurde durch die Torpedoflottille in strengster Weise aus- geübt. Alle Boote mußten sich in weiter Entfernung halten, den Vergnügungsdampfern, die dem Manöver folgen wollten, wurde dies ausdrücklich untersagt. Endlich Punkt 10 Uhr stieg ein Signal an dem Flaggschiff „Deutsch land" empor. Die Sirenen der Kriegsschiffe ließen ihre Raubtierstimme erschallen, auf der ganzen Flotte wurde der Ruf ausgenommen. Diese formierte sich in zwei Geschwader. Den Befehl des ersten übernahm Vizeadmiral v. Holtzen- dorf, des zweiten Admiral Prinz Heinrich. An die Spitze setzte sich das Kundschafterschiff „Blitz". In langer Kiellinie zog die stolze Seemacht dahin, zwischen den einzelnen Schiffen ein Abstand von etwa 100 Meter. Zu beiden Seiten schwärmten die Torpedoboote. Zunächst ging es mit mäßiger Geschwindigkeit in der Richtung nach Westen. Die weißen, turmbewehrten Panzer kolosse leuchteten über den winzigen schwarzen Torpedobooten empor. Eine ungeheure, finstere Nauchschleppe zog sich kilometerweit über die im schönsten, satten Blau erstrahlende See. Das Meer war fast unbewegt, der Himmel wolkenlos, der schwache Wind wehte aus Südwest. Nach einer Viertelstunde schien es, als ob die Schlachtschiffe ihre Geschwindigkeit vervielfältigten. Dem Manöver lag nach dem ,B. L.-A/ folgende Idee zugrunde: Zwei Flotten segeln gegenein ander, eine deutsche und eine feindliche. Der deutschen waren die Linienschiffe und die Torpedo boote, der feindlichen die Kreuzer zugeteilt. Beide Flotten segelten mit nordwestlichem Kurs 20 See meilen hinaus. DaS Land war außer Sicht, das Wetter unsichtig, der Seegang mäßig. Um 11 Uhr 35 Minuten kam von der „Deutschland" das Signal: Zur Gefechtssormauon. Die Flotten gingen auf fünf Kilometer auseinander, dann näherten sie sich und suchten Fühlung mitein ander zu gewinnen. Ein gewaltiger Geschützkampf begann, die Breitseiten der Schlachtschiffe ließen ihr» schwere, später die mittlere Artillerie spielen. Ob wohl mit rauchschwachem Pulver, wenigstens zum Teil, geschossen wurde, lag der Qualm dicht über dem Wasser und verhinderte die Aussicht. Während der betäubende Donner der Geschütze erdröhnte, bereitete die deutsche Flotte unter Befehl des Kaisers Wilhelm einen ent scheidenden Nahkampf vor. Die gesamte Torpedo flottille wurde zur Attacke gegen die feindlichen Kreuzer vorgeschickt. Der Erfolg war glänzend; wegen des unsichtigen Wetters und des starken Pulverdampfes kamen die Torpedo boote in rasender Fahrt an den Feind heran, bevor dieser den furchtbaren Gegner erspäht hatte. Im Ernstfälle wären die Kreuzer verloren gewesen. Bald hiernach erging von der „Deutschland" durch Winkerflaggen der Be fehl, daS Gefecht abzubrechen. Um 12 Uhr 20 Min. wurde es beendet. Während sich die Flotte in Marschformation setzte, um wiederum in drei Staffeln nach Sw'memünde zu rücken, wurde von der „Deutschland" folgendes signali- sert: „Der Zar und der Kaiser sprechen der Flotte ihre Anerkennung für ihre Leistungen aus. Der Zar soll geäußert haben: „Mit einer solchen Flotte könne man den Erdball be zwingen." Bemerkenswert ist noch eine Nach richt Ker,C.-Cz/: Es herrscht auf den russischen Schiffen wie in Swinemünde entweder AttentatS- surcht oder übertriebene Sorgfalt, jedes an sich vielleicht unwichtige Ding mit einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit in Verbindung zu bringen, wie der folgende Vorfall beweist. Plötzlich ent standen unkontrollierbare Gerüchte von besonderen Vorkommnissen, es soll ewas geschehen sein, man flüsterte von Bomben, Kisten mit Sprengpulver und sonst allerlei. Tatsache war, daß die Polizei und alle in Frage kommenden Behörden und Beamten in fieberhafter Aufregung und energisch auf der Suche nach „Spuren" waren. Zu all dem gab die Veranlassung, ein Kurier des russischen Hofes hatte vom „Standart" Doku mente und Depeschen an Land gebracht, u. a. auch eine Kiste, die wichtige Schriftstücke ent halten sollte. Außerdem hatte der Kurier noch einige Kisten zu besorgen und es stellte sich heraus, daß eine dieser Kisten, ob das mit den Schriftstücken oder eine andre, ist noch nicht bekannt geworden, ihm fehlte. Erst fahndete man nach dieser fehlenden Kiste, waS nicht unbemerkt blieb und zu Gerüchten Anlaß gab; als jedoch die fehlende Kiste gefunden wurde, sie war an Bord deS „Standart" zurückgeblieben, wurde sie allein an Land befördert und da dies unter ent sprechender Bewachung geschah, haben jene, die den Transport der Kiste gewahrten, daran Folgerungen geknüpft, die aus der Luft ge griffen waren. Nun hat ein Kurier die Kiste ihrer Bestimmung zugeführt. Erhöht wurden die Aufregung und Besorgnis der Gemüter — auch mancher amtlichen — dadurch, daß auch das Schiff der russischen Geheimpolizei eintraf, mit dem Leiter derselben und seinen zwei Be gleitern an Bord. Von I^ak unä fern. Fernfahrt Peking—Parts. Fürst Bor ghese ist aus seiner Automobttfernfahrt Peking- Paris in Berlin eingetroffen. Der Fürst ist der erste Fahrer, der auf der Fernfahrt pünktlich in Paris eintreffen wird. X Traurige Heimkehr aus Südwest- Afrtka. Das Verschwinden eines Angehörigen der Schutztruppe hat jetzt eine traurige Auf klärung gefunden. Es handelt sich um den 24 jährigen Unteroffizier Ludwig Werling aus Nhein-Zabern in der Pfalz, der am 23. v. mit dem Heimtransport aus Südwestafrika in Kuxhaven eingetroffen war und bald nach der Landung vermißt wurde. Seine Papiere und der ihm zustehende Sold waren nicht abgehoben, die sofort nach seinem Verbleib angestellten Nach forschungen verliefen resultarlos. Nunmehr ist die Leiche des Unglücklichen von Bootsleuten der „Alten Liebe" im Fahrwasser der Elbe treibend gesunden und geborgen worden. W. ist ver mutlich in der Dunkelheit in den Neuen Hafen gestürzt und hilflos ertrunken. K Verlorene I-iebe. 10! Novelle von Hermann Olschläger. «Fortsetzung.» Unter dem Tore machte Hellmann sich mit seiner Zigarre zu schaffen — Agnes nahm den Weg zur Laube zurück. Der Oberleutnant ging und schlug vor dem Dorfe den Fußpfad durch die Felder ein. Er wollte dem alten Mark nicht begegnen. Er war natürlich nicht in der geringsten Stimmung, seine Freunde aufzusuchen. Unstät und von tausend quälenden Gedanken gehetzt, trieb er sich im Felde herum, bis er endlich mit einbrechender Nacht an die Rückseite des Schloß parkes gelangte, den eins immer offene Latten türe von den anstoßenden Ackern und Mesen trennte. Hier nahe, ein wenig mehr in der Tiefe, war die Familiengruft derer v. Wallen. Düstere Bäume beschatteten das in den Fels gehauene Steinportal, und todmüde sank Hellmann auf eine der umstehenden Bänke. Das Silberlicht des Mondes zitterte durch die Blätter und schimmerte auf der gol denen Inschrift, die in lateinischen Lettern über dem Grabgewölbe eingelassen war. Eine Zeitlang ließ sich Hellmann von der Stille der Nacht und der Einsamkeit des Ortes betäuben, in die nur dumpf das ferne Rauschen der Naab drang. Dann aber raffte er sich auf und fragte sich, was er denn eigentlich wolle und was es sei, das ihn so bewege und be ängstige und quäle. Die Erscheinung eines Mannes wie Gartner konnte ihn doch nm sehr wenig berühren. Er hatte nur zufällig seine Bekanntschaft gemacht, und wenn diese keinen erfreulichen Eindruck hinterließ, so lag es ja vollständig in Hellmanns Hand, ob er jenem wieder begegnen wolle oder nicht. Agnes! Ihr Bild stand fortwährend vor ihm, heute noch viel mehr wie gestern, und der Gedanke an sie war es im Grunde, der auch immer wieder Gartners unheimliche Gestalt hinten austauchen ließ. In welchem Verhältnis stand dieser nm zu Agnes? Daß er sie liebte, aus tiefem, heißen Herzen und mit der ganzen Gewalt seiner leidenschaftlichen Seele liebte, hatte er selbst eingestanden, ja sogar den Fall als möglich bingestellt, daß er die Geliebte als Weib heimführen werde, er, der jähzornige, wilde, seiner Leidenschaften «nmächttge und durch sie rohe Mann, das feingebildete, gemütvolle, verstandreiche Mädchen. Es schien undenkbar! Und doch hatte Agnes diesen Abend fort während eine mindestens zweideutige Haltung beobachtet. Sie hatte kein Wort fallen lassen, das ein Ja oder Nein verraten hätte, und Gartner hatte sogar Beweise von ihr in Händen, daß sie ihm von Herzen gut sei. Seinem sich günstigen Schluß, den er daraus auf Gegen wart und Zukunft zog, hatte sie nicht wider sprochen. Bei der Stellung endlich, welche Hellmann und Gartner zueinander eingenommen, wm es gewiß nicht wünschenswert, daß sich Beide wieder begegneten, und doch hatte Agnes den Wunsch ausgesprochen, daß Hellmann wieder komme, denn sie hatte zuerst und freiwillig gesagt: Auf Wiedersehen! Und Hellmann selbst? Er wollte sich nicht gestehen, welchen Grad von Teilnahme das Mädchen in ihm wachgerufen habe. Schon gestern waren alle seine Vorurteile, die ihn im Anfänge beengt hatten, durch den glänzenden Geist Agnes' weggeräumt worden. Hatte er gestern ihre tiefgehende Bildung, ihren Verstand und ihren festgefügten Charakter bewundert, so konnte er heute, so schwer ihm auch dieses Zuge ständnis fiel, der Güte und Milde ihres Herzens, das wie der weiche Duft der Rose ungesehen seinen holden Zauber ausübte, seine Anerkennung nicht versagen. Er mußte sich bekennen, daß das ganze Wesen des Mädchens den mächtigsten Eindruck auf ihn gemacht habe, und hier kam endlich noch der eigentümliche Zug in Hellmanns Charakter in Anschlag, von dem wir oben sprachen, als wir die unbehagliche Stimmung, in die er Agnes gegenüber anfänglich geriet, schilderten. Hellmann gehörte nämlich in gewissen Punkten zu den abergläubischen Naturen. Wie er von vornherein nichts dem Zufall überlassen wissen wollte, so war er bemüht, die inneren und äußeren Erscheinungen in der Natur und im Leben mit einander in Beziehungen zu setzen und diese aufzufinden. Er glaubte an eine Vorherbe stimmung der Dinge, der Menschen füreinander, und daß sich diese schon lange vorher aus Mo menten erkennen lassen müsse, wenn das geistige Auge die dazu notwendige Schärfe des Blickes mitbringt. Er glaubte, wie er sich ausdrückte, daß wir von unsichtbaren, magischen Fäden um geben seien, die, sich geheimnisvoll verbindend, leitend, einwirkend von Person zu Person, von Sache zu Sache schlingen, und deren fast un heimliches, weil uns unbewußtes Walten wir nur bei außerordentlichen Gelegenheiten, die das Auge eben zum Sehen und Erkennen mit Ge walt nötigen, empfinden. So war es denn möglich, daß ihn die Erzählung Agnes', wie sie in Wallensteins Lager zur selben Stunde las, da er selbst mit seinem Freunde aus demselben klassische Stellen rezitierte, bestürzt machte. Jeder- mann hätte dieses Zusammentreffen für einen Zufall gehalten. Hellmann konnte das nichts und war seiner Anschauung nach geneigt, hier einen jener unsichtbaren Fäden zu ahnen, welche die Beziehungen und Schicksale der Menschen von der Wiege an miteinander verknüpfen. Man wird diese Grillen als kindisch belächeln. Gibt man aber die Möglichkeit eines derartigen ge heimnisvollen Rapportes im Grunde zu, so ist die Grenze schwer zu finden, wo man deren Symptome noch erkennen dürfe und wo nicht mehr. Am nächsten Abend stand Hellmann wieder an der Tür des Parkes, die auf die Felder führte, und sah hinüber nach Dammhausen, ungewiß, ob er die Hoffnung: Auf Wieder sehen! so rasch verwirklichen solle oder nicht. Er war schlecht gelaunt, in verdrießlicher Stimmung. Es war Sonntag, und da er keine Berufspflichten Zu erfüllen hatte, war ihm Zett genug geblieben, nach einer halb schlaflosen Nacht wieder seinen Grillen und Launen nach zuhängen. Das Verhalten Agnes' am vorher gehenden Abend erschien ihm im ungünstigsten Lichte; ihr Doppelspiel, wie er es nannte, ver letzte ihn, und er beschloß, seinen Besuch auf- zuschieben. Lange stand er an die Tür ge-