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Herter mußte nun auch Kaffee trinken und von dem Kuchen essen, den Fräulein Kirchner gebacken hatte. Inzwischen brachte die Krügern verschämt und selig ihre Geschenke heran, um sie bewundern zu lassen. „Nee, und denn das Schönste, Herr Landrat," sie packta Herter in ihrer Rührung und Aufregung am Arm, „der Wagen mit dat lütte Pferd, nee, so was! Nachher zeig' ich's Ihnen. Fräulein Anneliese muß es auch noch sehen." „Trinken Sie schnell Ihren Kaffee aus," raunte Herter Anneliese zu, „damit wir die Leute von unserer Gegenwart be freien können." Sie sah mit unglücklichem Gesicht auf ihre große Tasse, die noch halb gefüllt war. „Mir ist schon so heiß." „Dann lassen Lie es stehen." Sie schüttelte den Kopf. „Das kann ich Frau Krüger nicht antun." .„Na, dann geben Sie man her." Ehe sie es verhindern konnte, griff er nach der Tasse, setzte sie an die Lippen und trank sie aus. ,,^>o!" Er stöhnte etwas und lachte dann, als er sah, wie sie errötet war und ein Zug von Verlegenheit über ihr Gesicht ging. „Nun können wir uns mit Anstand zurückziehen. Bei aller Frende über unsern Besuch — am meisten freuen die Leute sich doch, wenn wir wieder weg und sie ganz unter sich sind." Natürlich mußten sie erst noch das kleine Fuhrwerk auf dem Hofe bewundern, und der endgiltige Abschied ging nicht ohne einen Schivall von Danksagungen von Seiten der Krü gern ab. Ellinor ging wartend in der Kastanienallee auf und ab und kam ihnen lebhaft entgegen, sowie sie sie sah. „Als ich Deine große Kaffeetasse sah, habe ich Reißaus ge nommen," sagte sie zu Anneliese. „Wie bist Du bei der Hitze bloß damit fertig geworden?" „O, ganz gut," erwiderte Anneliese und wurde dunkelrot, besonders als Herter sie verschmitzt ansah. Die dumme Röte! Sie hätte weinen können darüber. Was er sich wohl bloß dabei denken mochte! Herter dachte sich nicht viel dabei, aber er fand, daß dieses heiße, plötzliche Erröten, dieses befangene Niederschlagen der Augen Anneliese Kirchner einen ganz eigenen Zauber verleihe und daß sie ganz reizend mädchenhaft und frisch heute ausfehe in dem hellblauen Battiftkleid mit dem großen weißen Hut. Er hatte eigentlich nur einen ganz kurzen Besuch auf Laß- darf machen wollen, aber auf Annelieses Aufforderung blieb er nun doch länger. Die Zwillinge waren noch nicht aus Die- denburg znrückgekommen, und die Herren wurden erst gegen acht zum Abendbrot erwartet. Auf Ellinors Wunsch setzten sie sich wieder unter den großen Nußbaum im Garten. Anneliese nahm eine Näharbeit vor, und Ellinor holte eine große Mappe mit Bildern von New-Bork aus ihrem Zimmer, die Herter seh; interessierten. Gegen sieben kamen die Zwillinge aus Dreden- burg zurück. Sie waren stiller als sonst und verhielten sich Herters Fragen gegenüber, die sich auf den Empfang der drei jungen Hande bezogen, sehr ablehnend. Schließlich gestanden sie aber doch zögernd ein, daß sie die Hunde wieder mitgebracht hätten, über ihre sonstigen Erlebnisse beobachteten sie ein be harrliches Stillschweigen. Anneliese befand sich den ganzen Nachmittag über in einer sonderbaren Stimmung. Sie wußte ja, daß Herter Ellinors wegen nach Laßdorf kam; von dem Augenblick an, als sie beide zusammen auf dein Bahnhofe in Diedenburg gesehen hatte, wußte sie, daß es kommen würde, unabwendbar, daß er mit Herz und Sinnen dort gefangen werden würde. Es war ja auch so natürlich, welche von all den Damen der Gegend hätte sich auch mit Ellinor messen können! Sie überragte sie ja doch alle, alle bei weitem an Schönheit, Eleganz und Klugheit, und da sollte er nicht gefesselt werden? Nie, so lange ihm ihre stille, tiefe, so sorgsam verborgene Liebe gehörte, hatte sie jemals mit der Möglichkeit gerechnet, daß er diese Liebe je erwidern könnte. Manchmal hatte sie sich ausgemalt, wie es sein würde, wenn die Nachricht zu ihr käme, daß er sich verlobt hätte, wenn er später vielleicht eine reizende, junge Frau mit nach Laßdorf brächte. O, sic hätte es ertragen, sie hätte ihr Herz zur Ruhe gezwungen und wäre ihren Weg weiter gegangen, bis sie alt geworden und der kurze Jugendtranm vergessen war. Aber daß sich das alles vor ihren Augen abspielen könnte, hier auf Laßdorf, daß sie alles mitansehen sollte, das Erwachen seiner Liebe, das Worben und endlich die Erfüllung seiner Wünsche — mit der Möglichkeit hatte sie nicht gerechnet, und das ging beinahe über ihre Kraft. Ein paarmal, als sie hier so still unter dem Nußbaum zusam- men saßen, überkam sie ein so schneidendes Weh, daß sie die Augen schließen mußte, und die Hände, unter ihrer Arbeit ver steckt, zusammenkrampfte. Aber trotzdem erfreute sie sich an feiner Gegenwart und genoß den Zauber seiner Persönlichkeit. Sie hatte ja so wenig Freude auf der Welt, sie wußte ja kaum, was Glück sei, deshalb kam es ihr schon unbeschreiblich schön vor, einen ganzen Nachmittag mit ihm zusammen zu sein, ihn zu sehen, sein herzliches Lachen, seine geliebte Stimme zu hören. Nach dem Abendessen ging sie etwas später in den Garten als die anderen. Eine graue Dämmerung war schon herein- gebrochen; die Blumen dusteten jetzt stärker als am Lage, und auf dem Hofe spielte ein Knecht auf der Ziehharmonika eine kleine, traurige Melodie. Sie blieb stehen, um zu horchen, aus welcher Richtung die Stimmen der anderen schallen würden, denn sie sah nichts von ihnen. Jetzt hörte sie Ellinor sprechen, und dann lachte Herter, fröhlich, übermütig, wie oben nur er lachte. Nun kam es wieder über sie, das Weh, gegen das sie heute nachmittag fortwährend gekämpft hatte und zugleich ein Gefühl trostloser, unendlicher Verlafsenheit. Sie nahm den Kopf in beide Hände und lehnte sich gegen den Stamm einer Linde. Noch konnte sie nicht zu den andern gehen und mit ihnen plaudern und lachen. Sie weinte nicht, sie stand reglos still und preßte ein paarmal die Hände fester gegen die Schlä fen. Von den Stimmen hörte sie jetzt nichts mehr; über ihr in den Blättern rauschte es leise, und vom Hofe her klangen noch immer die wehmütig klagenden Töne der Ziehharmonika. „So verzagt?" sagte da jemand neben ihr. ' Sie ließ die Hände sinken, blieb aber gegen den Baum gelehnt stehen und sah mit traurigen Augen in Herters hübsches Gelsicht, ohne zu antworten. „Anneliese, was ist Ihnen?" fragte er mit leiser, weicher Stimme. Sie antwortete noch inimer nicht. Was sollte sie ihm sagen? Die Wahrheit durfte er nicht wissen, und etwas anderes fiel ihr nicht ein. „Sie nehmen das Leben zu schwer," sagte er jetzt. „Sie sor gen und mühen sich für andere und darüber vergessen Sie sich und Ihr eigenes Glück." „Mein Glück!" kam es leise und bitter über ihre Lippen. Sie hätte aufschreien mögen: „Mein Glück liegt in Deiner Hand, aber Du trittst es mit Füßen." Aber sie biß die Zähne aufeinander und sah gerade aus an ihm vorbei. „Ich möchte Ihnen so gern helfen," sagte er nach kurzer Pause, „aber ich kann es doch nicht, wenn ich nicht weiß, was Ihnen fehlt." Sie schüttelte den Kopf und lächelte schmerzlich. „Nein, Sie können mir nicht helfen." Dann richtete sie sich plötzlich auf, als ob sie etwas von sich abschüttelte und fragte: „Wo sind denn die anderen?" „Sie sind alle den schmalen Weg über die Wiese entlang gegangen. Ich will jetzt nach Hause gehen und habe mich schon empfohlen." „Hat Papa Ihnen keinen Wagen angeboten?" „Die Pferde sind heute alle gebraucht, und ich gehe sehr gern. Gute Nacht, Anneliese." Sie sah trotz der Dunkelheit, daß er ihr die Hand entgegen streckte, und sie legte ihre kleine braungebrannte Rechte hinein. Er hielt sie fest und strich leise mit der Linken darüber und um schloß sie dann fest init seinen beiden Händen. Es lag etwas von einer lvarmen, beschützenden Liebe in dieser Bewegung, und Annelieses Herz tat ein paar jähe, rasche Schläge. „Gute Nacht," sagte sie jetzt und machte ihre Hand frei. Er blieb noch zögernd stehen. Ihm war, als sei er noch nicht fertig, als müsse er noch irgend etwas beginnen. Aber was? Am liebsten hätte er sie in seine Arme genommen, ihren KoUf an seine Brust gedrückt und gesagt: „Weine Dich aus, Kind." Ihre Stimme klang so sehr nach verhaltenen Tränen. Aber natürlich unterließ er das, 'er seufzte schwer und ging dann langsam fort. Das arme kleine Ding, die Anneliese! Immer dachte sie an andere, sorgte sie für andere. Und wer vergalt es ihr? Gab es einen Menschen auf der Welt, der für sie sorgte, dem sie das Höchste war? Wie traurig das geklungen hatte: „Mein Glück!" Ihm tat ordentlich das Herz Weh, als er daran dachte. Im Darfe war alles still und dunkel, nur aus dem Hause der alten Krüger drang Licht und Stimmengewirr; die Ge burtstagsfeier war fetzt geräuschvoller als am Nachmittage. Hinter dem Dorfe bog links ein Feldweg von der Straße ab. Diesen schlug Herter ein, denn die Straße nmchte einen Bogen, den dieser Feldweg abschnitt, und so kürzte er seinen Weg. Zwischen dem Feldwege und der Straße dehnten sich Wiesen