Volltext Seite (XML)
ein Bild aus der Tasche. Ein reizendes Mädchenantlitz sah ihm daraus entgegen, ein bißchen schelmisch und ein bißchen Kaumensch. „Lore" stand mit etwas kindlicher Schrift am Rande.- Er sah es lange an. Das war jeden Abend der Schluß des Tages für ihn. „So lange ich das noch täglich mit mir rumschleppe, darf ich mich Ellinor nicht als Bewerber nahen — und ich glaube, ich werde es noch sehr lanye-änit nur herumtragen." Ec wickelte es wieder umständlich in das^SW- denpapier ein und steckte es in die Tasche. „Lore!" Er reckte" die Arme. „Ach, Lore!" ' Er gab sich selbst einen Ruck, als wenn er ärgerlich auf sich wäre. Dann löschte er das Licht aus und ging ini Dunkeln in das Bett. Auf der Terrasse des Herrenhauses von Passov stand der Frühstückstisch gedeckt. Die Kaffeekanne war mit einem Wärmer verhüllt und über die Schüssel mit Eiern sorglich eine Ser viette gebreitet. Frau von Strehlen, die Herrin von Passow, saß allein am Tisch. Sie hatte ihre geleerte Tasse beiseite ge schoben und rechnete ein Wirtschaftsbuch nach. Die ersten Strahlen der Morgensonne fielen schräg über das Dach und be leuchteten den Rasenfleck vor dem Hause, der von großen Rosen- beeten unterbrochen wurde. Vom Park her scholl Vogel- gezwitscher, und manchmal krähte ein Hahn laut und durch dringend. Frau von Strehlen mochte Wohl an vierzig Jahre alt sein. Sie hatte ein kluges, energisches Geisicht mit lebhaften dunklen Augen, und ihre sehr schlanke Figur, die jetzt in dem eng an liegenden Rcitkleide besonders zur Geltung kam, verlieh ihr etwas sehr Jugendliches. Sie klappte jetzt das Wirtschaftsbuch zu und stand auf. Ihr Reitpferd wurde eben von einem Diener gebracht, aber sie setzte das Herrenhütchen, das auf der Balustrade lag, noch nicht auf, sondern rief: „Führen Sie den Schwarzen noch, einen Augenblick herum!" Dann wandte sie sich lebhaft um. „Lore, Kind, kommst Du endlich? Langschläferin!" Ein reizendes junges Mädchen in einen: Weißen Morgen kleide war aus dem Hause getreten und schlang den Arm um sie. „Morgen, Mutti. Schon Kaffee getrunken?" „Schon vor einer halben Stunde. Na, komm. Einen Augenblick bleibe ich noch bei Dir. Ich wollte auch Lengendorff gern noch sprechen, ehe ich fortreite. Er steckt schon seit einer Ewigkeit in den Ställen." „Laß ihn Dir doch rufen." „Ach, er wird ja Wohl kommen. Schließlich muß er doch da was zu tun haben, und wenn ich ihn rufen lasse, läuft er da weg, und das hat schließlich auch keinen Zweck." Frau von Strehlen hatte sich wieder zu ihrer Tochter an den Tisch gesetzt und strich ihr ein Brötchen. „Hier, mein Kind, und vergiß die Eier nicht. Du siehst wieder blaß aus. Du gefällst mir seit einiger Zeit überhaupt nicht recht." „So! Wollen wir uns scheiden lassen, Mutti?" Lore lachte übermütig. „Wegen unüberwindlicher Abneigung?" „Kind, rede nicht am frühen Morgen schon so viel Unsinn. Mit dem Sanitätsrate werde ich sprechen, daß er Dir mal wie der Pillen verschreibt!" „Aecks!" machte Lore und verzog die Lippen. Frau von Strehlen fing langsam an, ihre Handschuhe an zuziehen. „Das Wirtschaftsbuch kannst Du nachher der Bechmann geben. Es wäre alles in Ordnung, aber sie sollte mit dem Weine dein: Kochen etwas sparsamer sein, und heute mittag kann sie Schinken mit frischen Gemüsen als Mittelgang geben. Nachher machst Du einen Spaziergang, hörst Du! Du kannst zum Waldwärter gehen und ihm sagen, daß der Sturm neulich am Eichenweg ein paar junge Bäume entwurzelt hat. Er wird wohl noch nicht dagewesen sein." Lore nickte. Frau von Strehlen wurde ungeduldig und stand auf. „Lengendorff kommt immer noch nicht. Ich reite jetzt. Wenn er kommt, sage ihm, ich wäre auf der großen Koppel und ritte dann den Laßdorfcr Weg entlang. Er soll mir nachkommen. Adieu, Kind." Lore stand auch auf und nahm ein Stück Zucker aus der Schale. „Ihr bekommt jeder noch was Süßes. Du kannst wählen, einen Kuß oder ein Stück Zucker." „Wenn ich nun den Zucker wähle, bekommt Kasper dann den Knß?"z fragte Frau von Strehlen lachend. „Na," meinte Lore, „da ich annehme, daß Kasper sich in seiner Dummheit mehr aus dem Zucker macht, will ich Dir doch lieber den Kuß geben." Sie umarmte die Mutter und küßte sie auf beide Wangen, dann reichte sie den: Pferde den Zucker auf der flachen Hand. Als Frau von Strehlen im Sattel saß, nickte sie noch ein mal zurück und ritt dann davon. Lore nahm ihren Platz wie der ein und frühstückte weiter. „Lengendorff kommt immer noch nicht," sagte sie nun auch etwas seufzend, wurde ein bißchen rot und lächelte. „Aber ich muß ja hier auf ihn warten, ich soll ihm doch etwas bestellen." Sie warf einem frechen Spatzen ein paar Brotkrumen hin urch nippte an ihrem Kaffee. Endlich kam Lengendorff. In der kurzen Lodenjoppe, mit den hohen Stiefeln und dem weichen, grünen Hut 'sah er sehr hübsch und Fott aus. „Morgen, gnädiges Fräulein, schon auf?" rief er schon von weitem. „Lange. Maina hm auf Sie gewartet, Herr von Lengen dorff, und ich habe eine lange Bestellung an Sie." Er sprang die Stufen zu ihr hinauf. „Sprich, Herrin, Dem Knecht hört." Sie richtete ihre Bestellung aus. Er hatte sich dabei über die Lehne eines Stuhles gebeugt und sie angesehen; sowie sie geendet hatte, reichte er ihr die Hand und sagte: „Nun erst mal: Guten Morgen!" „Sie haben mir ja sclan Guten Morgen gesagt." „Ja, aber L>:e mir nicht.^Schön geschlafen, süß geträumt?" „Schön geschlafen, ja, süß geträumt nicht." „Aber ich!" sagte er mrt Rachdruck und sah sie so innig an, daß sie ganz rot wurde. „Was haben Sie jetzt vor?" sragtc ?r dann. „Ich soll spazieren gehen und dem Waldwärter eine Be stellung machen." „Darf ich Sie ein Stück begleiten? Mein Weg führt auch da hinunter." Sie sah ihn erstaunt an. „Sie sollten doa,Mama auf die große Koppel folgen." „Ganz recht, ja." Er biß sich auf die Lippen um zögerte einen Augenblick. „Aber ich muß vorher unbedingt nach dem Eichenkamp, und da komme ich am schnellsten hin, wenn ich durch den Wald gehe. Also wollen Sie mich mitnehmen?" „Ja, gern. In fünf Minuten bin ich fertig." Sie eilte ins Haus, und er hörte sie drinnen nach der Wirt schafterin rufen. Als sie wiederkam, hatte sie einen großen, Weißen Strohhut auf das blonde Haar gedrückt und Lederhand schuhe angezogen. „Ich habe noch einige Wirtschaftsangelegenheiten ordnen müssen," bemerkte sie wichtig. Er nickte. „Ich bin überzeugt, gnädiges Fräulein, wenn Sie nicht wären, bekämen wir heute nichts zu essen." Sie machte ein ernstes, nachdenkliches Gesicht. „Ich werde wohl nächstens anfangen, kochen zu lernen." Jetzt lachte er hell auf. „Warum denn?" „Finden Sie nicht, daß es nötig ist? Jede Frau muß doch kochen können." „Wollen Sie denn heiraten?" fragte er mit vergnügtem Augenzwinkern. „Ach!" Sie wurde rot. „Ich meine doch überhaupt." „So! Sie meinen überhaupt!" „Na, und ausgeschlossen ist es doch nicht, daß ich mal heirate!" „Ach nein!" Er machte ein schelmisches Gesicht. „Aber cs wird Wohl kaum einen Mann geben, der Ihnen zumutet, den Kochlöffel zu schwingen." „Mama kann auch kochen, und Anneliese Kirchner beschäf tigt sich sehr viel in der Küche." „Ihre Frau Mutter kann alles. Was Fräulein Kirchner aber anbetrifft, gnädiges Fräulein — Verhältnisse wie die Laß- dorfer werden Sie bei Ihrer Zukunft doch nicht in Betracht ziehen." „Warum nicht? Ich könnte doch auch einen armen Mann heiraten." „Ja — aber—" Er vollendete den Satz nicht, sondern lächelte nur. „Sie retten nicht?" fragte er nach kurzer Pause. Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Lust dazu und auch keinen Mut." „Sie haben wenig Aehnlichkeit mit Ihrer Frau Mutter, äußerlich und auch im Wesen." Sie sah ihn etwas erstaunt an. „Das ist doch sehr natür lich, Herr von Lengendorff. Mama ist ja gar nicht meine rich tige Mutter, sondern meine Stiefmutter." „Ach was!" Er fchien sehr überrascht zu sein. „Dann sind Sie wohl eigentlich Herrin von Passow?"