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Allgemeiner Anzeiger : 09.03.1907
- Erscheinungsdatum
- 1907-03-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
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- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190703091
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19070309
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1907
-
Monat
1907-03
- Tag 1907-03-09
-
Monat
1907-03
-
Jahr
1907
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 09.03.1907
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politische Kunälchau. Deutschland. * Der Kaiser beauftragte den Vizeadmiral Fischel für die Dauer des Urlaubs des Prinzen Heinrich, der mit seinem Sohne, dem Prinzen Waldemar, eine Mittelmeerreise unternommen hat, mit der Führung der Hochseeflotte. *Die Großherzöge Friedrich Franz von Mecklenburg-Schwerin und Adolf Friedrich von Mecklenburg- Str elitz kündigten Vorlagen wegen Ein führung einer Verfassung in beiden Staaten an. *Jm Bundesrat wurden die Ausschuß berichte über den Entwurf eines Gesetzes betr. die vorläufige Regelung des Reichshaushalts für die Monate April und Mai 1907, sowie über den Entwurf eines Gesetzes betr. die vor läufige Regelung des Haushalts der Schutzge biete für die Monate April und Mai 1907 an genommen. *Der weimarische Landtag nahm einstimmig das Gesetz über die Aufbesserung der geringer besoldeten Staatsbeamten und Forst aufseher an. * Dem Landtage des Fürstentums Schaum burg-Lippe ist eine Gesetzesvorlage der Staatsregierung auf dauernde Erhöhung aller Beamtengehälter um 10 bis 15 Prozent zuge gangen. Osterreich-Ungarn. * Kaiser Franz Joseph empfing den russischen Staatsrat v. Martens in Audienz und unterhielt sich mit ihm lebhaft über die Aus sichten der zweiten Haager Konferenz. *Die vorläufigen Ministerberatungen hatten den Zweck, die ganzen Ausgleichsfragen durchzusprechen und zu den Ergebnissen der durch die Fachkommissionen erledigten ersten Lesung Stellung zu nehmen. Tatsächlich wurden sämtliche Fragen durchgesprochen, sodaß den beiderseitigen Fachkommissionen Aufträge für die weitere Behandlung der einzelnen Fragen ge geben werden konnten. Die Fachkommissionen sollen im Laufe der nächsten Wochen ihre Arbeiten beendigen; und dann sollen die beider seitigen Minister von neuem zusammentreten. * Wegen erneuter Studentenkrawalle wurden die Vorlesungen an der Universität zu Lemberg bis auf weiteres geschlossen. Frankreich. *Die Deputiertenkammer hat ein Gesetz wegen Registrierung der Gründung dermarok - konischen Staatsbank angenommen. * Der französische Abgeordnete Lucien Hubert wird am 15. d. in der Deutschen Kolonial gesellschaft zu Berlin einen Vortrag über die französische Kol^tnialpolitik halten. England. * Im Unterhause brachte Kriegsminister Hal- dane das Gesetz betr. die Durchführung der Heeresneuordnung ein, wobei er er klärte, daß die Regierung in den Grundzügen an diesem Plane festhalten werde, aber nicht abgeneigt wäre, einzelne Abänderungen in Er wägung zu ziehen. Italien. *Der Vatikan erklärt die in einigen französischen Zeitungen angeblich aus den Papieren der Pariser Nunziatur veröffentlichten Enthüllungen für völlig währheits- widrig. Holland. *Die Retter der Schiffbrüchigen des Dampfers „Berlin" wurden im Auftrage der KöniginWilhelmina von ihrem Gemahl, dem Prinzen Heinrich der Niederlande, mit dem Hausorden von Oranien dekoriert. *Für die Tagesordnung der zweiten Friedenskonferenz sind nur solche Fragen vorgesehen, deren Regelung allen Teil nehmern erwünscht ist. Eine Ausnahme macht die Frage der Beschränkung der Rüstungen, die wahrscheinlich von Rußland oder von den Ver. Staaten angeregt werden wird. *Es ist jetzt sicher, daß der Architekt Cordonnier das Friedens Palais nach einem neuen, umgeänderten Plan bauen wird. Um die Einzelheiten des Planes zu vollenden, wird er sich zeitweise im Haag niederlassen. Schweden. *Die Verlegung der Flotten station in Stockholm nach der Lidinginsel bei Stockholm ist von der Regierung im Reichstag beantragt worden. Die Verlegung wird etwas über 38 Millonen Kronen kosten, von welcher Summe jetzt 19 Millionen gefordert werden; 4 Millionen sollen der Regierung sofort zur Verfügung gestellt werden. Spanien. *Wie aus Madrid gemeldet wird, ist der Vertrag zwischen Spanien und Frankreich über den Bau von drei die Pyrenäen durch schneidenden Eisenbahnen abgeschloffen worden. Rußland. * Die neue Reicksduma wurde ohne Zwischenfall eröffnet. Golowin, der Führer der Kadettenpartei, wurde mit großer Mehrheit zum Präsidenten gewählt. Sobald er sich dem Zaren vorgestellt haben wird, beginnen die ge schäftlichen Sitzungen. *Jn der Petersburger technischen Hoch schule wurde ein großes Bombenlager entdeckt. Die Polizei verhaftete infolgedessen eine ganze Anzahl von Studenten, sowie Per sonen, die sich ohne Befugnis in dem Hause aufhielten. Balkanstaaten. * Die Angelegenheit des Chefs der tückischen Geheimpolizei Fehim Pascha, der auf Be treiben des deutschen Botschafters abgesetzt wurde, soll in Konstantinopel, umlaufenden Gerüchten zufolge, noch nicht völlig zum Abschlusse gelangt sein. Es heißt, daß er tief ins Innere verschickt worden sei. Ferner wird behauptet, daß eine Justizkommission mit dem Generalprokurator Nedschmeddin Effendi an der Spitze an Ort und Stelle entsendet werden soll, um ihn ab zuurteilen. * Die serbische Skupschtina nahm in erster Lesung den Handelsvertrag mit Eng land und in zweiter Lesung den Handels vertrag mit Frankreich an. Amerika. * Präsident Roosevelt erklärte, die Ver. Staaten seien einverstanden, wenn die Frage der Schuldeintreibung europäischer Staaten in Südamerika (Dragodoktrin) auf der Friedens konferenz nicht erörtert würde. Afrika. *Der Sultan von Marokko hat die Wahl des Schweizer Obersten Armin Müller zum General-Inspektor der marokkanischen Polizei genehmigt. (Das ist natürlich eine inhaltlose Formensache.) Asten. *Jn China macht die Reformbewegung bedeutende Fortschritte. Wie aus Tientsin ge meldet wird, soll der Vizekönig Juanschikai ver setzt werden, um auch an andern Orten des Landes Militär- und Verwaltungsreformen durch zuführen. Die Kaiserin-Witwe entschied aber, daß er vorläufig auf seinem Platze bleiben solle, um Unruhen zu vermeiden. * Das persische Parlament hat einem Abkommen seine Zustimmung gegeben, demzufolge die Nationalbank der Negie rung 2 Millionen Tomans (ein Toman 7,14 Mk.), von denen ?/« in diesem Monat gezahlt werden sollten, leiht, um die Ausgaben für den Heeres sold, die auswärtigen Gesandschaften, den kaiser lichen Hof und die Rückzahlung der von Privat banken geleisteten Vorschüsse zu bestreiten. Die Nationalbank wird alle Regierungseinkünfte gegen eine Provision von 1 Prozent einziehen. Aus ciem Keicbsrage. Der Reichstag setzte am Montag die Etats debatte fort. Der Chef der Reichskanzlei v. Löbell erklärte zu der Aktennotiz über die Unterredung, die der Abg. Erzberger im Jahre 1905 in Sachen Pöplau bei Herrn v. Löbell nachgesucht hatte, Erzberger habe erklärt, Pöplau babe noch akten mäßiges Material hinter sich, dessen Bekanntgabe die Kolonialverwaltung aufs schwerste kompro mittieren müßte, er wolle bas Material aber herausgeben, wenn die gegen ihn schwebende Disziplinaruntersuchung ausgehoben würde. Erz berger hat diese Darstellung bestritten; er bestritt sie auch am Montag. Herr v. Löbell verlas darauf die vom Abg. Erzberger vor dem Untersuchungs richter am 10. Juli 1906 abgegebene und unter schriebene Erklärung in Sachen Pöplau. Sie kam dem Sinne nach durchaus auf die Notizen hinaus, die sich Herr v. Löbell unmittelbar nach seiner Unterredung mit Erzberger gemacht hatte und rief im Hause große Bewegung hervor. Danach ergriff der christlich-soziale Abg. Behrens das Wort, der für die christlich-sozialen Gewerk vereine sprach und gegen die Nationalliberalen pole misierte. Abg'. Graf Mielzynski (Pole) verwahrte sich dagegen, daß die Polen die russische Revolution über die Grenze schleppen wollten. Redner zog sich für heftige Ausfälle gegen Preußen zwei Ordnungs rufe zu. Staatssekretär Graf Posadowsky ver teidigte die Diskontpolitik der Reichsbank. Abg. Frhr. v. Hertling (Zsntr.) hielt die Auflösung des Reichstages mit allem, was darauf folgte, für ein Unrecht gegen das Zentrum. Redner griff auch den Reichskanzler scharf an, aber doch in einer Form, die den Weg zu neuer gemeinsamer Arbeit mit der Rechten und der Regierung keineswegs verlegt. Nach dem Abg. David (soz.) nahm Abg. Erzberger das Wort zu einer persönlichen Bemerkung, in der er der Erklärung des Chefs der Reichskanzlei ent gegentrat. Am Dienstag wird die erste Etatsberatung fortgesetzt. Abg. Paasch.e (nat.-lib.): Wir können nur be dauern, daß Herr v. Hertling erst gestern, als vierter Redner seiner Partei, das Wort genommen hat, nach den Herren Schädler und Gröber. Hätte er zuerst und allein für seine Partei gesprochen, so wäre der Eindruck seiner Rede ein ganz andrer ge wesen, und auch das Zentrum hätte besser abge schnitten I Meles von dem, was er darüber ge sagt hat, können wir unterschreiben. Aber was er darüber gesagt hat, daß die Nationalliberalen sich seinerzeit aus Machthunger in die Regierung ge drängt hätten, das ist nicht wahr, ebensowenig sein Hinweis auf Bennigsen. Herr v. Hertling meint, der Reichskanzler habe ja nicht einmal die dritte Lesung abgewartet, sondern aufgelöst gleich nach Ablehnung des Antrages Ablaß bei der zweiten Lesung. Ja, wäre wirttich die dritte Lesung ab- gewartet worden, so wäre das Resultat auch kein andres gewesen! Wenn Sie im Zentrum hcrum- liefen, um „Einleitung und Überschrift" zu retten, und so eine dritte Lesung zu ermöglichen, so wäre doch nur die Folge gewesen, daß zwischen der zweiten und dritten Lesung wieder ein Kuh handel eingeleitet worden wäre. Und dem hat sich der Reichskanzler mit Recht ent zogen im Interesse seines Prestige! Gegen den Vorwurf, einen Kulturkampf gewollt zu haben, verwahre ich mich und meine Parteifreunde auf das entschiedenste. Wir lasten jede Konfession frei ihre Religionsübungen abhalten! In meinem Wahl kreise dagegen sind die Zent, umswählerversamm- lungen geschlossen worden mit dem Rufe: Fort mit dem Protestantismus, fort mit dem Liberalismus! Nun zum Schluß: Sollte das Zentrum fortan ver sagen in nationalen Fragen,Sdann wird hoffentlich die jetzige Mehrheit erst recht zusammenhalten, damit die nationalen Fragen zu ihrem Rechte kommen. Abg. v. Kröcher (kons.): Ich will nur einige mehr persönliche Bemerkungen machen. Ich habe allerdings das allgemeine gleiche Wahlrecht in Ver sammlungen scharf kritisiert, weil ich es allerdings für schädlich halte. Und zwar weil es berechtigte Einflüsse nicht zu ihrem Rechte kommen läßt. Nun hat Herr David auch auf Äußerungen andrer hin gewiesen. Nun, wenn Graf Mirbach im Herren hause gesagt hat, daß man das gleiche Wahlrecht abschaffen sollte, so mißbillige ich das allerdings, und zwar weil das ein Wunsch ist, der zur Zeit unerfüllbar ist. Deshalb halte ich es für falsch, solchen Wunsch zu äußern. Aber wenn von unsrer Seite aus solche Wünsche geäußert werden, so tun Sie doch auch dasselbe, ivenn Sie die mecklen burgische Verfassung und die preußische geändert wissen wollen! Sie sehen eben nur bei andern den kleinen Splitter, bei sich selbst nicht den Balken! Abg. Erzberger (Zentr.) geht auf seinen Streit mit Herrn v. Löbell ein. Ich muß wieder holt daraus Hinweisen, daß Irrtümer, Mißverständ nisse überall möglich sind, daß also schon deshalb die einseitige Niederschrift des Herrn Chefs der Reichs kanzlei keine Beweiskraft haben kann, dasselbe hat ja auch neulich der Staatssekretär Graf Posadowsky bezüglich der Memoiren des Fürsten Hohenlohe gesagt. Ich habe nicht die Einstellung des Ver fahrens gegen Pöplau, sondern eine Untersuchung der von diesem behaupteten Mißstände verlangt. Nun muß ich sagen, ich wundre mich, daß Herr v. Löbell mir gegenüber erst so zarte Rücksicht genommen hat, die Niederschrift unter Verschluß zu halten, um sie merkwürdigerweise genau ein Jahr nach der Unterredung in die allgemeine Registratur zu geben. Ich wundre mich aber noch mehr, daß er, wenn er mein Vorgehen für so unerhört bält, vor der Abstimmung Wer die Errichtung des Kolonialamts in der dritten Lesung an mich einem Vorschläge herantrat. Redner behauptet nicht, daß das Protokoll absichtlich falsch aus genommen worden sei, aber jedenfalls würde in Zukunft für ihn, und wie er glaube auch für feine Fraktionsgenosten, der Versuch unmöglich sein, solche unangenehmen Zwischenfälle auf vertraulichem Wege zu erledigen. Der Chef der Reichskanzlei Herr v. Löbell erwidert, merkwürdig sei, daß der Abg. Erzberger jetzt als den springenden Punkt bezeichnet, daß er eine Einstellung des Verfahrens gegen Pöplau nicht verlangt habe, das sei nun die dritte Version, die er über die Unterredung gebe. In seiner eidlichen Aussage vor dem Untersuchungsrichter gab er aber als Zweck seines Besuches bei dem Chef der Reichs kanzlei an, zu versuchen, ob sich die Affäre nicht auf andre Weise als durch Einstellung des Diszi plinarverfahrens gegen Pöplau erledigen lasse Herr v. Löbell verliest noch einen Brief des Geheimrats v. Helferich, worin ihm dieser bestätigt, daß ihm dieser alsbald nach der Unterredung den Inhalt so dargestellt habe, wie er in der Registratur nieder gelegt sei. Abg. Neumann-Hofer (frs. Vgg.) beleuchtet das Verhältnis der deutschen Kleinstaaten zum Reiche und zu dem Großstaate Preußen. Die Klein staaten führen geradezu ein Märtyrerdasein; sie müssen durch Steuern allzu schwer hclastet werden, und das Kapital, die Beamten, die Lebrer, alles trachtet nach Preußen auszuwandern. Man köri in diesen Staatan oft das Wort: Unsre Selbst ständigkeit ist uns zu teuer. Es muß also bei der Umlage der Matrikularbeiträge nach Maßgabe der Steuerkraft verfahren werden; die Umlage nack der Kopfzahl kann nach der geschilderten Sachlage nicht als gerecht erscheinen. Ebenso benachteiligt sind wir bezüglich der Eisenbahnen. Die preußischen Staatsbahnen zahlen bei uns keine Kommunal umlagen, ihre Beamten sogar keine Staatsneuem. Das zweckmäßigste wäre gewiß eine Übernahme der Bahnen durch das Reich, aber auch eine Reichs steuer auf die Reinerträgnisse der Staatsbabnm würde sich empfehlen. Ebenso enthalten die Militär konventionen mit Preußen mancherlei Nachteile. Man sollte daran denken, diese Konventionen zu lösen. Ich meine, den Abschluß solcher Konventionen etwa mit Bayern oder einem andern größeren Staat in Erwägung ziehen, die sich vielleicht ent gegenkommender zeigen würden. Wir verlangen keine Bevorzugung der kleinen Staaten, sondern nur gleichmäßige Behandlung, damit nicht' am diesem Wege die Reichsverdrosscnheit einziehe. Abg. Gamp (freik.) polemisiert kurz gegen die Ausführungen des Staatssekretärs Grafen Posa- dowsky bezüglich des Reichsbankdiskonts und tritt für die Witwen- und Waisenversicherung ein. Wir wenden uns nicht so sehr gegen unsre wirtschaftliche Belastung als gegen die Art, wie das Interesse der Arbeiter gegen die Arbeitgeber vertreten wird. Die großen sozialpolitischen Aufgaben müssen eben ge meinsam von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gelöst werd». Nach einigen Bemerkungen des Staatssekretärs Grasen Posadowsky, welcher erklärt, daß er, so lange er im Amte bleibe, ein Staatssekretär für Sozialpolitik sein werde, erhält zum Schluß das Wort Abg. F ü r st Radziwill (Pole): Es ist be dauerlich, daß sich die Neichsregierung trotz allem immer wieder dazu hergibt, die preußische Polen- Politik zu decken. Viel gereckter, als die Abgg. Winckler und Liebermann v. Sonnenberg hat sich der Abg. Schrader gezeigt, dem ich hiermit meinen Dank aussprechen möchte. Ich möchte mit dem Ausdruck der Hoffnung schließen, daß eine solche Auffassung in der Zukunft die herrschende sein wird. Hierauf wird die Etatsdebattc geschlossen und der Entwurf der Budgctkommission überwiesen. Es folgt die erste Beratung des Gesetzentwurfs über die Berufs- undBetriebszählung. Der Entwurf geht nach kurzer Debatte an eine Kommission von 14 Mitgliedern. Hierauf vertagt sich das Haus. Von wab und fern. X Die bestohlene Prinzessin. Prinzessin Mathilde von Sachsen, die ihrem Bruder, dem König Friedrich August, auf dem Landwege nach Lissabon, der Hauptstadt Portugals, vor aufgereist war, hat dort einen empfindlichen Verlust erlitten. Gelegentlich eines Besuches des Blumenmarktes auf der Praca da Figueira wurde ihr bei dem herrschenden Gedränge ein kostbarer Elfenbein-Rosenkranz von einemTaschen- diebe entwendet. K 6etreu bis in den ^oä. 18) Erzählung von Martha Neumeister. (Fortsetzung.) „Es ist mir wahrlich die höchste Freude, liebe Elisabeth, daß dich die Erfüllung meines Wunsches trotz deines anfänglichen Widerstrebens nicht gereut hat," sagte er herzlich,' so bitte ich dich, auch einem wohlmeinenden Rat, den ich dir für die Gestaltung eures ferneren Lebens erteilen möchte, freundlich Ge hör zu geben Sieh, Elssabeth, du darfst dich jetzt, nach Ablauf des Trauerjahres, deiner jungen Tochter zuliebe, nicht mehr so gänzlich, wie du es bisher unter den traurigen Ver hältnissen gewohnt gewesen, von Welt und Leben zurückzuziehen. Sie hat bisher nur den Ernst des Lebens kennen gelernt und dir tapfer und treu zur Seite gestanden, und du weißt, daß es für Erika keinen Genuß, keine Freude gibt, an der die geliebte Mutter nicht teilnimmt. So bitte ich dich von Herzen, Elisabeth, dein mauerndes Herz zu bezwingen, und deiner Tochter in bescheidener Weise allmählich die Rechte der Jugend zu erschließen. Ein gemein samer Theater- oder Konzertbesuch sowie die Geselligkeit in dem kleinen Kreise eurer Be kannten hier, die euch gewiß von Herzen will kommen heißen, wird Erika in ihrer lebhaften Empfänglichkeit gewiß aufrichtig beglücken, und auch dir, Elisabeth, werden in der blühenden Jugend, der Frische und Fröhlichkeit deines Töchterleins noch fülle Freuden erblühen!" Atemlos, mit glühenden Wangen hatte ihm Erika zugchört, und ein glückseliges Lächeln ver klärte ihr liebliches, junges Antlitz, als ihre Mutter mit sanftem Lächeln erwiderte: „Ich sehe wohl ein, Georg, daß ich mich deinem Rate fügen muß, da du die Rechte deiner jüngsten Schutzbefohlenen in so liebe voller und verständiger Weise mir gegenüber vertrittst. Es wäre allerdings selbstsüchtig von mir gehandelt, — ich muß es zugeben, — wollte ich Erika auch ferner von allen Ver gnügungen der Jugend abschließen, die mir selbst einst in so reichem Maße zu teil ge worden sind. So will ich denn, so schwer es mir auch wird, aus der langgewohnten Zurück gezogenheit unsres füllen Lebens wieder her vortreten, meiner Tochter zuliebe an den be scheidenen Freuden und Anregungen, die sich ihr, unsern Verhältnissen entsprechend, hier bieten werden, deinem Wunsche gemäß fortan mit ihr tellnehmen." „Wie soll ich dir für diese frohe Aussicht danken, mein geliebtes Mütterchen," rief Erika freudig, „und auch dir, Onkel Georg, der du sie zu diesem verheißungsvollen Versprechen so freundlich veranlaßt hast! Ich selbst hätte nie mals gewagt, mir solch großes Opfer zu er bitten, aber du, Onkel Georg, verstehst es auch wahrlich am besten, die Mama ihrer üefen Trauer zu entreißen und sie wieder frischer und fröhlicher zu sümmen. Sieh nur, Onkel, wie sie sich auf unsrer herrlichen Reise erholt und gekräftigt hat," fuhr sie fort, indem sie die Mutter zärtlich umschlang, „wie lieb und schön, wie frisch und rosig sie wieder aussieht I Ach, könntest du doch immer bei uns bleiben, Onkel Georg," fügte sie mit kindlicher Offenheit hinzu. Ein feines Rot überflog Elisabeths zartes Antlitz; Georg erwiderte nichts, aber seine Augen blickten mit sonderbar träumendem Blick ins Weite, wie in eine ferne, sonnige Zukunft. In stiller Behaglichkeit war beiden Frauen der Winter vergangen; getreu ihrem Versprechen hatten Elisabeth mit ihrer Tochter manchen kleinen, geselligen Freuden und geistigen Anregungen bei gewohnt, wie sie das große Weltbad auf so ange nehme und bequeme Weise ihnen bot. Mit freudiger Dankbarkeit und jugendlichem Frohsinn hatte Erika die harmlosen Vergnügungen an der Seite der Mutter genoffen, weigerte sich aber beharrlich, ohne dieselbe an irgend einer kleinen Zerstreuung teilzunehmen, so oft und gern auch ihre näheren Freunde das reizende junge Mädchen zu froher Geselligkeit auf forderten. „Ich hätte überall doch nm Sehnsucht nach dir," sagte sie stets, „und unser Mes, trauliches Beisammensein, mein geliebtes Mütterchen, ist doch uns beiden die liebste Unterhaltung." In ihrem sonnig heiteren Wesen, doch weit über ihre Jahre gereift und verständig, war sie der Mutter eine wahre Freundin geworden, und beide schienen unzertrennlich voneinander. Wer sie nicht kannte und ihnen in ihrer gleichen Größe, Arm in Arm miteinander, auf ihren täg lichen Spaziergängen begegnete, hielt sie für Schwestern, so mädchenhaft schlank war Elisabeths Gestalt, so zart und rosig noch ihr Antlitz mit den tiefblauen Augen und dem dunklen, welligen Haar. Es war an einem schönen, sonnigen Früh lingstage, Elisabeth hatte die ersten Veilchen in ihrem Gärtchen gepflückt und blickte lächelnd der Tochter entgegen, die freudig erregt, einen Brief in der Hand, ihr von der Straße ent gegen kam. „Sieh, Mütterchen, ich habe dir eine Über raschung mitgebracht," rief sie fröhlich, „einen Brief von Onkel Georg, den wahrlich nur ein außergewöhnlicher Grund veranlaßt haben kann, uns heute schon wieder Nachricht zu senden. Dn weißt, wie pünktlich er sonst seine vierwöchent- liche Schreibefrist, wie er selbst oft scherzend be tont hat, stets einhält. Wahrscheinlich will er uns mitteilen, daß er seinen Urlaub früher er halten und hoffentlich recht bald schon zu uns kommt!" War es das zufällig ränderte Format seines Briefes oder sein verfrühtes Eintreffen, das auch ihr auffällig erscheinen mußte, Elisa beth wußte es selbst nicht, aber es durchzuckte sie ein eigenartiger Schrecken, als sie schweigen» Georgs Brief entgegennahm und seine feste, wohlbekannte Handschrift auf dem Umschlag erblickte. Sie nickte Erika freundlich zu um ging still ins Haus zurück, wo sie sich, ües am' atmend, in ihres Gatten Lehnstuhl niedersetzte- Mit zitternden Händen öffnete sie den Bries, und ein tiefes Rot überflog ihr blasses Antlitz, als sie die Überschrift las, dieselbe, die GeorS einmal nur, vor langen Jahren, an sie richtet hatte: „Meine liebe, teure Elisabeth! Darf ich Dich jetzt so nennen, darf ich foo an mit heiligem Recht das Wörtchen ,meM vor Deinen geliebten Namen setzen, der E ! wie ein Leitstern durch mein ganzes Leben
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