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Allgemeiner Anzeiger : 06.02.1907
- Erscheinungsdatum
- 1907-02-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190702065
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19070206
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1907
-
Monat
1907-02
- Tag 1907-02-06
-
Monat
1907-02
-
Jahr
1907
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 06.02.1907
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polmfcbe t<unclMau. Deutschland. * Kais er Wilhelm empfing anläßlich des Grubenunglücks in Reden herzliche Bei leidstelegramme vom Zaren, vom König von England und vom König von Italien. * Der für die Friedensbewegung tätige EngländerStead wurdevom Reichskanzler Fürsten v. Bülow in längerer Audienz empfangen. Der Reichskanzler erklärte bezüglich der Friedensfrage, daß Deutschland es ebenso wie die übrigen Staaten für seine Pflicht er achte, auf der bevorstehenden zweiten Haager Friedenskonferenz für die Fortbildung des Völkerrechts im Sinne des Friedens und der Menschlichkeit einzutreten. Die Regierung habe deshalb die Emladung Rußlands mit lebhasterGenugtuung angenommen. Das Programm scheine diejenigen Fragen zu enthalten, die in erster Linie einer praktischen Erledigung bedürften. * Kolonialdirektor Dernburg erklärte in Beantwortung einer an ihn gerichteten Anfrage: „Eine menschliche Kriegführung gibt es über haupt nicht. Der Zweck jeder Kriegführung ist die Vernichtung des Gegners. Der Zweck der Kriegführung ist demnach untrennbar verknüpft mit der Tötung oder der Verstümmelung; beides ist nicht menschlich, aber im Leben der Völker nicht zu vermeiden. Dennoch braucht der Krieg nicht grausam geführt zu werden, indem Nicht kämpfende erschlagen werden!" * Der Bundesrat stimmte dem Gesetz entwurf betr. die Vornahme einer Berufs- und Betriebszählung im Jahre 1907 zu. * Der Reichstag wird wahrscheinlich am 20. d. einberufen werden. *Bei der Stichwahl in Bremen siegte Hormann (frs. Vp.) über den Sozial demokraten Schmalfeld. Bremen war seit 1903 durch den Sozialdemokraten Schmalfeld im Reichs tag vertreten. *Jn der Budgetkommission des Preuß. Abgeordnetenhauses gab der Handels minister eine amtliche Darstellung des Gruben- unglücks im Saarrevier, aus der hervorgeht, daß weder ein Versehen noch eine Unvorsichtig keit der Bergbehörden Anlaß zu der Katastrophe waren. *Jn der Budgetkommission des Preuß. Ab geordnetenhauses wurde nach kurzer Debatte der Etat des Finanzmini st ers unverändert bewilligt. * Die endgültige Neubesetzung desPosen - Gnesener erzbischöflichen Stuhles wird wahrscheinlich Ende Februar erfolgen. Eine Hauptschwierigkeit bei den schwebenden Verhandlungen bildet angeblich die Forderung der preußischen Regierung, der künftige Erz bischof solle über seine Stellung zum polnischen Schulstreit bindende Zusagen machen. * Etwa 600 Personen in Nordschleswig haben infolge des deutsch-dänischen Vertrages den Antrag auf Aufnahme in den p r eu ßi s ch en Untertanen verband gestellt. Osterreich-Ungarn. * Der ungarische Justizminister Polonyi, der nun endlich mündlich und schriftlich seine Entlassung erbeten hat, ist von seiner Partei (der Unabhängigkeitspartei) bei seinem Abgänge mit Ehren überschüttet worden. Sie nahm zu gunsten des Scheidenden eine Beschlußfassung an, in der die Gründe gebilligt werden, die den Minister zur Klage gegen seine Verleumder zwangen und in der zugleich das Bedauern über den Rücktritt PoloNyis ausgesprochen wird. (Rian will ihn offenbar dadurch zum Schweigen bringen, weil man weiß, daß er manchen Parteiführer, wenn er wollte, in seinen Sturz verwickeln könnte.) *Der Wiener Bürgermeister Lueger ist schwer erkrankt. Es verlautet, sein Zustand sei sehr bedenklich. Frankreich. * Der König und die Königin von England sind in Paris eingetroffen, wo sie als Herzog und Herzogin von Lancaster einige Zeit in der englischen Botschaft wohnen werden. Der „Herzog von Lancaster" wird aber ohne Zweife», wie bei früheren solchen Besuchen, mit der französischen Regierung Fühlung nehmen. *Jm Ministerium herrscht nicht mehr die alte Einigkeit, seit Clemenceau, der Ministerpräsident, seinen Kollegen Briand in der Kam vier scharf kritisierte. Zwar gelang es der Überredungskunst des Ministerpräsidenten, den zum Rücktritt entschlossenen Briand zum Verbleiben im Ministerium zu bewegen, aber es heißt in eingeweihten Kreisen, daß durch diesen Zwischenfall die frühere Einigkeit zu verborgener Mißstimmung geworden sei. * Im Ministerrate kündigte der Justizminister die Vorlage eines Gesetzentwurfs an über die den Staatsbeamten zu gestattenden Jnteresfenverbände. Die Veranlassung Der schweizerische Oberst Müller. Oberst Armin Müller in Bern, der dem Sultan von Marokko von dem schweizerischen Bundesrat zum General-Polizei-Jnsvektor in Marokko vor geschlagen wurde, ist 1855 in Biel geboren. Nach dem er die Kurse der Landwirtschaftlichen Schule Rütti absolviert hatte und zum Polytechnikum nbergegangen war, wurde er 1874 Artillerielcutnant. 1876 trat er in das Jnstruktionskorps der Artillerie ein, dem er heute noch als Instruktor 1. Klasse angehört. 1885 zum Stabsoffizier befördert, erhielt er 1899 die Ernennung zum Obersten der Artillerie und führte 1904 das Korpsartillerie- Regiment Nr. 3. zu diesem Gesetzentwurf bot dem Justizminister offenbar der Streik der Postbeamten im vorigen Jahre. Schweiz. * Dem Bundesrat ist ein Antrag eingereicht worden, nach dem die Fabrikation, die Einfuhr und der Ansschank von Absinth in der ganzen Schweiz verboten werden soll. Der Antrag trägt 168 341 Unterschriften statt der erforderlichen 50 000. (Die Bundesversammlung muß den Antrag binnen Jahresfrist behandeln und nachher dem Volke zur Annahme oder Ver werfung vorlegen.) Belgien. * In der Angelegenheit der Erwerbung des Kongostaates durch Belgien hielt die Kommission für die Beratung des bezüglichen Gesetzentwurfs ihre erste Sitzung ab und be schloß Geheimhaltung ihrer Verhandlungen, ooch erklärte die Minderheit, daß sie sich durch diesen Beschluß nicht für gebunden erachte. Dänemark. * Da in weiten Kreisen der zwischen Däne mark und Deutschland abgeschlossene Staatsvertrag Mißverständnisse wach gerufen hat, will die Regierung dem Reichstag eine Erklärung über die Entstehung und die richtige Auslegung des Abkommens zugehen lassen. Rußland. *Der Ministerpräsident Stolypin erließ an läßlich der Dumawahlen ein Rundschreiben an die Oberbehörden, worin er die Politik der Regierung darlegt. Das Rundschreiben weist besonders daraus hin, daß die Behörden in keiner Weise die Wahl beeinflussen dürften. Der Ministerpräsident erklärt, daß sich die Re gierung unter allen Umständen unwandelbar an die bestehenden Gesetze hallen werde. * Die Revolutionäre halten in ihrer blutigen Arbeit nicht ein. Fast kein Tag ver geht ohne die Meldung einer ihrer Schreckens taten. In Warschau wurde der. Gehilfe des Geheimpolizeichefs und Privatdetektivs Viktor Grun, als er im Zweispänner mit einem Geheim agenten den Zjazdplatz passierte, von Revolu tionären durch vier Revolverschüsse getötet. Die Attentäter entkamen. In Odessa drangen 20 bewaffnete MSpner in eine Druckerei ein, banden sämtliche Arbeiter, bemächtigten sich der Druckkästen und druckten mehrere tausend Exem plare eines Aufrufs an die Seeleute. Dann luden sie diese auf einen Wagen und fuhren eilends fort. Amerika. * Der amerikanisch - japanische Schul st reit scheint mm doch noch zu einer friedlichen Lösung zu gelangen. Nach einer Meldung aus Washington haben die kalifornischen Kongreßmitglieder an einer zweistündigen Be sprechung über die japanische Schulfrage im Weißen Hause teilgenommen und darauf eine Erklärung abgegeben, in der es heißt: Die kalifornischen Mitglieder des Kongresses haben eine Besprechung mit dem Präsidentin über die japanische Frage gehabt, die einen durchaus harmonischen Verlauf nahm und sie zu der Überzeugung gebracht hat, daß eine befriedigende Lösung der Frage gefunden werden wird. Asten. * Die Räumung der Mandschurei von den russischen Truppen hat mit der Zurück ziehung des 65. (Moskauer) Infanterie-Regi ments begonnen. *Jn den Küstengewässern des südlichen China liegen die Sicherheitsverhältnisse an dauernd im argen. Wie aus Hongkong ge meldet wird, sind in den Gebieten am West flusse in großer Anzahl Flußräuber vor handen. Im Laufe des Dezember wurden von ihnen 15 Dschunken fortgenommen. Die chine sischen Kaufleute beklagen sich über den unge nügenden Schutz der Wasserstraßen und die dort herrschende Unsicherheit, die es nötig macht, eine bewaffnete Schutzwache mitzunehmen. kuropatkins Merk über äen letzten Xrieg. Der ,Voss. Ztg/ wird aus Petersburg ge schrieben: Vor einiger Zeit brachten einige hiesige Blätter die Meldung, das große Werk des Generals Kuropatkin über den russisch- japanischen Krieg sei in dem Augenblick, als es dem Buchhandel übergeben werden sollte, von der Zensurbehörde beschlagnahmt worden. Die Meldung war nicht richtig und konnte es nicht sein. Wohl hat Kuropatkin einen drei bändigen Bericht über den unglücklichen Krieg verfaßt und ihn auch drucken lassen, doch ist dieser Bericht nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, vielmehr traf der Verfasser selost die umfassendsten Vorsichtsmaßregeln, damit er der Öffentlichkeit vorenthalten bleibe. Kuropatkin hatte anscheinend ganz bestimmte Leser im Auge, die nicht unter der Bevormundung der Zensur stehen. Es ist mir gelungen, mir das Werk zu ver schaffen und es zu lesen. Das Bild, das Kuropatkin darin von den Zuständen in der russischen Armee entwirft, ist trostlos. Unfähige Generale und Offiziere, eigenmächtige, den Be fehlen deS Generalissimus widersprechende Hand lungen, lügenhafte, irreführende Berichte der Kommandanten der einzelnen Armeen, mangelnde Vorbereitung und verblüffende Ortsunkenntnis bei großen Aktionen, unverzeihliche Fehler, Ver- Wechselungen und Irrtümer auf Schritt und Tritt, unnötige Opfer an Menschenleben und Kriegsmaterial — das alles schüttet Kuropatkin aus dem Füllhorn seines Materials nur so heraus. Sind seine Erzählungen wahr, so ver dienen die meisten der nächsten Mitarbeiter nichts Besseres, als sofort erschossen zu werden, und man wundert sich nur, daß Kuropatkin sie so lange um sich dulden konnte. Ihnen schreibt er die Hauptschuld an seinen Mißerfolgen und Niederlagen zu. Sich selbst schildert er immer auf ragender Höhe, und nur in einem einzigen Falle gibt er zu, gefehlt zu haben. Dieser „Fall" ist allerdings ernst genug; er heißt Mukden. Aber auch hier erklärt sich Kuropatkin nur insofern für schuldig, als er es verabsäumt hat, den pflichtvergessenen Kaulbars und den von diesem nebst einigen andern Generalen ohne zureichenden Grund abgesetzten Korpskommandanten Mylow durch seine eigne Person zu ersetzen. Nebenher gesteht er noch einige Irrtümer von verhältnismäßig unterge ordneter Bedeutung zu, so z. B., daß er den Rückzugsbefehl 24 Stunden zu spät erteilt habe, doch geht aus'seiner Darstellung hervor, daß nach seiner Ansicht alles noch hätte gut gemacht werden können, wenn er im entscheiden den Augenblick selbst das Kommando über die zweite Armee übernommen hätte. Den Glauben an sich und seine Fähigkeiten als Heerführer hat Kuropatkin also im vollen Maße behalten. Auch an seiner Unparteilichkeit zweifelt er keinen Augenblick. Auf den Leser macht sein Bericht aber gerade nach dieser Richtung hin einen wenig günstigen Eindruck. Unter seinen Mitarbeitern mögen ja viele völlig unfähige Persönlichkeiten gewesen sein, seine Be fehle mögen häufig unausgeführt geblieben sein, es fragt sich aber, ob Kuropatkin selber auf der Höhe war, ob seine Anordnungen überhaupt ausführbar gewesen sind. Man kennt ja Kuro« patkins Vorliebe für ins kleinste gehende, aber der wirklichen Sachlage nicht entsprechende Be fehle, die auf Grund falscher Voraussetzungen erlassen wurden. Man kennt auch seine Ge wohnheit, andre für seine Fehler verantwortlich zu machen. Sein Buch bestätigt auch für den Laien diese längst bekannten Tatsachen. Der ungünstige Eindruck wird noch erhöht durch den pathetischen Schlußsatz, der im schärfsten Gegensatz steht zu der von ihm so ausführlich erzählten Komödie der Irrungen der russischen Befehlshaber. Dieser Satz lautet: „Hätte das große Rußland, einig mit dem Zaren, fest und einträchtig über die Japaner zu siegen gewünscht und keine Opfer gescheut, um sein Gebiet zu schützen und seine Ehre zu wahren, so hätte die glorreiche russische Armee, gefestigt durch daS Vertrauen des Zaren und des ganzen russischen Volkes, furchtlos gekämpft, ohne ihre Kräfte und ihr Leben zu schonen, bis der Feind besiegt worden wäre." Diese schwulstige Prah lerei läßt deutlich erkennen, daß Kuropatkin bei Abfassung seines Berichts nicht durch sachliche, sondern in erster Linie durch persönliche Beweg gründe geleitet worden ist. Und es scheint, daß seine Bemühungen nach dieser Richtung nicht ganz erfolglos geblieben sind. Man spricht jetzt mit großer Bestimmtheit davon, daß Kuropatkin zum Statthalter des Kaukasus ernannt werden wird an Stelle Woronzow-Daschkows, der von seinem Urlaub nicht mehr auf den Posten zmück- kehrt. Damit wäre für ihn die trübe Zeit der kaiserlichen Ungnade beendet, und in der Sonne der kaiserlichen Huld würde der geschlagene Feldherr wieder ein großer Mann werden. Von l^ab unä fern. t. Kaiserlicher Dank. Die Festnahme eines entflohenen Strafgefangenen hat eine kaiserliche Anerkennung gefunden. Bei der Wiederergreifung eines Strafgefangenen Schmet- tow in Koltbus hatte sich der Gerichtsvollzieher Glomp aus Peitz besonders hervorgetan, indem er den gefährlichen Menschen, dec ihm mit einer Axt schwere blutende Kopfwunden beigebracht hatte, trotz des starken Blutverlustes so lange festhielt, bis Hilfe kam. Diese brave Tat lohnte jetzt der Kaiser durch Verleihung des Allge meinen Ehrenzeichens an Glomp. k. Eine wohl einzig dastehende Kosten berechnung hat das Oberlandesgerichl zu Naumburg in einem Gerichtsurteil ausgesprochen. In der Streitsache eines Müllers gegen die Stadt Wittenberg verurteilte nämlich das Ge richt die Stadt zu — '/-« und den Kläger zu der Kosten. Der Prozeß hat dreizehn Jahre gedauert und durchlief alle Instanzen, io daß die Kosten ganz ungeheuer sind. Merk würdig ist, daß der obsiegende Kläger zum größeren Teile der Kosten verurteilt wurde. O 6etreu bis in äen Hoä. Sj Erzählung von Martha Neumeister. sFortteSlurg,i Kurt schreckte empor, als ob er aus tiefem Traum erwache, ein Zittern überflog seine Ge stalt; er fiel auf die Knie vor seinem Weibe nieder und drückte sein erblaßtes Antlitz mit heißen Tränen auf ihre Hand: .Elisabeth!" flüsterte er, „vergib mir und auch du, liebe, verklärte Entschlafene, ich habe wie ein Wahnsinniger gehandelt, eurer und meiner selbst nicht würdig." Sie erwiderte nichts, nm tiefe, unendliche Trauer sprach aus ihren Blicken, als sie ihn mit sanfter Gewalt eniporzog und ihm den Lehnstuhl am Bette der Mutter zurechtschob, während sie sich selbst auf den Rand desselben setzte, dicht neben der teuren Toten, deren ahnungsvolle, mütterliche Sorge sich so bald schon bewahrheften sollte. „Vielleicht, Elisabeth," fuhr er mit leiser, gebrochener Stimme fort, „wird deine Liebe zu mir erloschen sein, wenn ich dir gebeichtet, was ich in unseliger Verblendung getan habe, und glaube mir, dies wäre die furchtbarste Strafe für meinen freventlichen Leichtsinn, was mir auch sonst noch geschehen mag. Aber offen und rückhaltslos will ich dir alles bekennen. „Ohne dein Wissen, Elisabeth, war ich vor kurzem, um einige ausstehende Forderungen auszugleichen, eine hohe Wette beim Rennen eingegangen, die mir unbedingt sicher erschien, da erhielt ich gestern, als ich vom Dicnst heim kehrte, die mich wie eia Blitzstrahl treffende Nachricht, daß ich durch einen unberechenbaren Zufall die Wette verloren habe. Dieselbe mußte sofort ausgezahlt werden, was mir selbstver ständlich von den laufenden Einnahmen unmög lich war; ich war zu stolz, ich schämte mich, Elisabeth, die du mich so oft gewarnt, meinen abermaligen Leichtsinn einzugestehen und dich um Hilfe und Rat zu bitten, so sann ich in quälender Angst und Sorge vergebens auf Rettung. Da durchzuckte mich wie ein Hoffnungs strahl der plötzliche Gedanke, dieses Mal in umgekehrter Weise, wie ich sonst getan, also durch Glück beim Kartenspiel, zu dem ich mich abends mit den Kameraden bereits verabredet hatte, meinen Verlust beim Wettrennen auszu gleichen. Zu gewohnter Stunde ging ich inS Kasino, und mein Vorschlag, heute sogleich eine kleine Bank auizulegen, ward dort mit allge meinem Jubel begrüßt. Was weiter geschah, Elisabeth", — er blickte düster vor sich hin, — „wirst du wohl ahnen I Ich spielte wie unsinnig, zuerst mit Erfolg, der mir gänzlich Vernunft und Besinnung benahm, fast schon hatte ich die notwendige Summe erreicht, da setzte ich, von Leidenschaft berauscht, den zweifachen Gewinn nochmals ein, um ihn zu verdoppeln, und — verlor doppelt alles! „Wie ein Wahnsinniger stürzte ich im Morgendämmern nach Hause, nur von dem einen Gedanken erfüllt, daß mir jede Zahlung, jede Quittung meiner Ehre unmöglich war; es blieb mir nichts übrig, als mir kurz entschlossen eine Kugel durch deu Kopf zu jagen. Ich wat an meinem Schreibtisch, die Pistole herauszu nehmen, da lag dort deine soeben eingetroffene Depesche: „Unsre liebe Mutter sanft entschafen, komm sofort zu Deiner tiestraurigen Elisabeth." „Die Todesnachricht, die mich aufs tiefste er schütterte, rief mich zum Leben zurück. Wie eine jähe Erkenntnis kam es über mich, was ich zu nächst den Meinen schuldig sei, denen ich feige entfliehen wollte; ich durste dir und unserm Kinde zu deinem tiefen Leid nicht noch Schmerz und Schande hinzufügen. Du hattest mich ge rufen, und mit Allgewalt zog es mich in Schuld und Trauer zu meinem Weibe hin. In fliegender Eile schrieb ich meinen Vorgesetzten, daß der plötzliche Tod meiner Schwiegermutter meine sofortige Abreise erfordere, ebenso den Kameraden, denen ich zur Zahlung verpflichtet bin, und ist daher die Einlösung meiner Ehren schulden bis zu meiner Rückreise aufgeschoben. Mit dem ersten Morgenzuge reiste ich fort, denn ich durfte niemand daheim mehr begegnen; wie ein Schlafwandelnder fuhr ich hierher. Erst dein Erschrecken bei meinem Anblick erweckte mich wieder zur vollen, trostlosen Wirklichkeit, und hier, am Sterbebette unsrer teuren Mutter, be kenne ich dir voll Neue und Verzweiflung meine Schuld, die unser Lebensglück vernichtet hat!" Seme Stimme brach in wildem Schluchzen, und er barg sein tränenüberströmtes Antlitz tief in ihrem Schoß. Still und regungslos, ohne ihn zu unterbrechen, hatte sie ihm zuge hört, nm ein schmerzlicher Seufzer drang über ihre Lippen. Nun strich sie leicht mit der Hand über sein krauses, blondes Ham, hob seinen Kopf empor, und aus ihren klaren blauen Augen leuchtete ihm ein fester, opferfreudiger Entschluß hoffnungsvoll entgegen. „Sei ruhig, Kurt, sei verständig," sagte sie mit sanfter Stimme, „was du getan hast, be klage auch ich aus tiefstem Herzen, aber da- Geschehene läßt sich nicht mehr ändern, so tief du es auch bereust. Es ist eine eigenartig« Fügung, daß, während du so hohe Summen verspieltest, unsre liebe Mutter hier in meinen Armen sanft und friedlich entschlafen ist. So hoffe ich, dir nun helfen und die traurigen Folgen deines Leichtsinns von dir abwenden zu können. „Die Mutter hat mir und unsrer Kleinen," fuhr sie langsam fort, „zu eigener, freier Ver fügung je ein besonders abgeteiltes Kapital hinterlassen, wie sie mir am Abend meiner An« kunst noch mitgeteilt. Ich will dir nun das meine sofort zur Deckung deiner Schulden über« lassen; sollte die Summe noch nicht genügen, so fügen wir von der übrigen Erbschaft hinzu, soviel eben erforderlich ist. Siehst du, nun werden wir es doch noch lernen müssen, unS auch mit verringerter Einnahme fortan zu be schränken," setzte sie mit schmerzlichem Lächeln hinzu. Eine dunkle Röte der Scham überflog sei" blasses Antlitz, und seine Augen blickten zaguH wie ein Ertrinkender seinen Retter begrüßt, angstvoller Freude zu ihr empor. „Du willst mir helfen, mich erretten a"s Schuld und Schande?" stammelte er, „Elisabeth mein Weib, wie soll ich dir danken!" Er wollte sie mit stürmischer Bewegung,«" die Arme schließen, aber der tiefe, traungt Ernst ihres lieblichen Antlitzes, das sie der teuren Entschlafenen zugewendet, hielt ihn >"
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