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„Was sagst Tu uur zu Bruno? Sri» Betragen gestern war doch wieder unerhört." Hans zuckte die Schultern und antwortete gleichmütig: „Er ist und bleibt eben ein vollendeter Bauer." „Aber er sollte doch wenigstens auf unsere Gäste einige Rücksicht nehmen." „Was man nicht hat, kann man nicht geben; Du verlangst eben zu viel von ihm." „Ich werde mal ernsthaft mit ihm reden." „Wird recht was nützen. — Sieh mal, den solltest Du unter die Haube bringen! Da könnte er vielleicht ein anderer werden." „Der wird sich auch gerade von mir verheiraten lassen, der Trotzkopf!" „Aha! Aber bei mir, da übst Du Dein Recht aus!" rief er heiter. „Du bist ja auch mein Liebling, dessen Wohlergehen mir am Herzen liegt," sagte sie und streichelte seine Hand. Die Unterhaltung nahm ein Ende, denn der Diener mel dete, daß die Modistin gekommen sei. So ging die Konsulin ins Ankleidezimmer, und Hans suchte die Bureamäume auf ... . Noch am Nachmittag desselben Tages fuhr Frau Konsul hinaus nach Nuhhof, um sich mit Bruno auszusprechen. Die Sache ließ ihr keine Ruhe, sie mußte Klarheit haben. Bruno war gerade dabei, den neuen Buchhalter mit seinen Obliegenheiten bekannt zu machen, als er den Wagen seiner Mütter in den Hof fahren sah. Wie komme ich denn zu dieser seltenen Ehre, dachte er lächelnd, denn seit Jahren war die Mutter nicht auf seinem Gut gewesen. Indes ging er hinunter, den seltenen Gast zu empfangen. „Guten Tag, Bruno," begrüßte ihn die Mutter. „Guten Tag, Mutter," dankte er ruhig, ihr die Hand rei chend. „Ich war lange nicht hier," sagte sie, als sie im Zimmer stand und die prüfenden Blicke über den Raum gleiten ließ. „Ja, es ist schon ein Weilchen her," meinte er nur, indem er ihr einen Fauteuil heranrückte und zum Sitzen einlud. „An mir liegt das sicher nicht, Bruno," sagte sie mit einer Stimme, die stark sein sollte, die aber wie eine Entschuldigung klang. „Liegt es an mir, Mutter?" fragte er ruhig, aber ernst. Einen Augenblick lang sahen sie sich fest an, dann senkte sie den Blick in leichter Verlegenheit. „Nun, vielleicht haben wir beide gleich viel schuld," meinte sie darauf, ohne ihn anzusehen. Bruno schwieg, aber unausgesetzt ruhte sein prüfender Blick auf der Mutter. Endlich fragte er mit ganz leise erzitternder Stimme: „Seien wir offen, Mutter. Was bezweckst Du mit Deinem Kommen?" Da blickte sie ihn offen an. „Das kann doch so nicht weiter gehen, Bruno. Die Art, wie Du Dich mir gegenüber benimmst, gibt schon fremden Leuten den Stoff zum Klatsch, zum Beispiel gestern abend. Nach kaum einer Stunde Aufenthalt bist Du gegangen, und zivar ohne mir Adieu zu sagen." Er lächelte bitter. „Ja, ich wollte Dich nicht stören, denn Du nahmst mit Hans die Huldigungen Deiner Gäste entgegen. Und ich glaubte auch gar nicht, daß man mich vermißt hätte. Uebrigens war es eine Dummheit von mir, daß ich überhaupt da war, denn für solche Schaustellungen fehlt mir jedes Verständnis." „Wenn Du schon auf uns keine Rücksichten nehmen willst, dann denk' doch wenigstens an die Gäste:" „Rücksichten? Wer nimmt denn auf mich Rücksichten? Was gehen mich denn die fremden Menschen an?" „Die Leute fragen sich doch: leben so Mutter und Sohn miteinander?" „Vielleicht anch mit Recht! Oder willst Du am Ende gar behaupten, daß wir wie Mutter und Sohn miteinander leben?" Wieder iahen sie sich fest und ernst an. „Trag' ich die Schuld daran?" rief sie mit zitternder, zor niger Stimme. „Ja, Mutter, Du trägst die Schuld daran," antwortete er fest. „Bruno! Du vergißt, daß ich Deine Mutter bin!" „Ja, weiß Gott! Du hast redlich dafür gesorgt, daß ich es beinahe schon vergessen habe!" Weinend sank sie in den Sessel. * „Mein Gott! mein Gott! Ivas hab' ich denn nur getan, daß ich mir diesen Vorwurf gefallen lassen muß?" Ruhig und ernst sprach er weiter. » „Was Du getan hast, Mutter? Du hast mir das Beste, das Schönste, was ein Mensch haben kann,. Du hast mir meine Jugend geraubt, vergällt, vergiftet! Einsam und ohne Liebe bin ich aufgewachsen! Das liebe Wort, die Zärtlichkeit einer Mutter, hab' ich nie von Dir gehört! Einsam und verlassen bin ich durchs Leben gegangen! Du hast einen Teil meiner Seele, und vielleicht den besten, in mir getötet! Das hast Du an mir getan!" Schluchzend stammelte sie: „Aber Du, Du warst ja doch auch stets so schroff und so unfreundlich zu mir! Wie konnte ich da gut zu Dir sein!" „Ich wurde es erst durch Dich! Ich wurde es erst, als ich sah, wie Du all die Liebe, nach der ich so sehnend verlangte, an Deinen jüngsten Sohn in so reichem Maße verschwenden konn test! Da erkannte ich, daß Du mich haßtest! — jawohl, Mutter, daß Du mich haßtest, wie Du auch meinen Vater gehaßt hast! — o ja, das habe ich alles mit dem Spürsinn des frühreifen Kna ben damals schon gemerkt; und als ich zu dieser Erkenntnis ge langt war, da fühlte ich, wie etwas in mir zerbrach, etwas Hohes, an das . ich geglaubt hatte, zu dem ich gebetet hatte — und da bin ich hart und trotzig und verschlossen geworden, da erst, Mutter! ^ Siehst Du, das hast Du an mir getan!" Ganz zusanlmengesunken unter der Wucht seiner Anklage saß sie da, das Gesicht ins Tuch gepreßt, und schluchzte unauf hörlich. Und ruhig und ernst sprach er weiter. „Das kann nicht so weiter gehen, sagst Du. Ja, wodurch sollte denn jetzt sich etivas ändern in unserem Leben? Ver langst Du denn wirklich von mir, daß ich auf Deine Freunde Rücksicht nehmen soll?" Da rief sie flehend dazwischen: „Bruno, sei nicht so hart! Sieh, ich bin zu Dir gekommen, Dich zu versöhnen." Und nun antwortete er, bleich und zitternd, aber auch jetzt noch ruhig: „Nein, Mutter, zu so einer Komödie gebe ich mich nicht her. Das, was Du mir jetzt an Liebe darbietest, ist ein Almosen, nein, das nehnie ich nicht an, jetzt nicht mehr. Da mals, als ich klein war, da wäre ich auch damit zufrieden ge wesen — heute aber, nun ich ein reifer Mann bin, nun ist die Wunde in mir vernarbt, nun bin ich hart und fest geworden, und nun danke ich für das Almosen Deiner Liebe." Sie hatte sich erhoben, sie weinte jetzt nicht mehr. Hoch aufgerichtet standen sie sich gegenüber und maßen sich mit prüfenden Blicken — eine Mutter und ihr Sohn, und innerlich, so weltfremd wie die erstbesten Menschen! „Also Du willst ewig in Feindschaft mit mir leben?" fragte sie zitternd. Und ruhig erwiderte er: „Ich will mit niemand in Feind schaft leben, am wenigsten mit Dir und Hans; aber ich will niir und Euch keine Komödie Vorspielen, dazu ist mir das Leben zu ernst." „Und Du weisest meine versöhnende Hand zurück?" „Ich bitte Dich, Mutter, lassen wir doch die großen Worte. Wir sind doch so lange ganz gut miteinander ausgekommeü. Weshalb denn jetzt auf einmal diese Gefühlskomödie?" „Du glaubst nicht daran?" „Nein, ich glaube nicht daran, ich kann nicht daran glauben." „Dann also muß ich wohl so wieder heimgehen," sagte sie seufzend, „also Adieu dann, leb Wohl." Sie reichten sich die Hände. Einen Augenblick lang kämpfte er mit sich: sollte er jetzt nachgeben? Dann aber siegte sein Mannesstolz und sein Bauerntrotz — und stumm grüßend be gleitete er sie an ihren Wagen. In der nächsten Minute fuhr sie davon, ohne sich urnzusehen. Und als er allein war, keimte in seinem Herzen etwas auf, etwas wie ein lange verhaltener Schmerz, wie ein quälender Druck, ein Weh, ein so unsagbar großes Weh, daß ihm ein paar Helle Träuen in die Augen traten, daß er all seine Kraft, all seinen Stolz hinsinken fühlte und nichts war als ein unglück licher, verlassener Mensch, der all sein Leben und Streben mit Freuden hingegeben hakte, wenn er noch einmal jung sein und an der Brust der Mutter sich ausweinen könnte — einen Augen blick lang übermannte ihn dies Gefühl. Dann aber raffte er sich auf, machte sich stark und fest und dann ging er an die Arbeit. * * * s*