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Nr. aa. >ör Mch°" ^ ,en^ Leipzig, Montag den 13. März i916. 83. Jahrgang. Redaktioneller Teil. Aus den Briefen einer Königin an ihren Verleger. Von Dora Duncker. Am Anfang der achtziger Jahre war es, als sich zwischen Carmen Sylva und dem Verlagsbuchhändler Alexander Duncker in Berlin ein reger Briefwechsel über die Herausgabe jener Ar- beiten entwickelte, die den dichterischen Ruf der rumänischen Kö nigin begründen halfen. »Meine Ruh«, »Handwerker lieder«, »Leidens Erdengang«, »Handzeichnungen« hielten die Königin zu jener Zeit in fieberhafter Erregung. Immer neue Pläne und Ideen sprangen in dem leb haften Geist der königlichen Frau auf und wanderten, kaum ge boren, von ihrem Arbeitstisch in Bukarest, Sinaia, Pelesch, Cotroceni nach Berlin. Nicht nur Dichterisches gab es da in Fülle zu besprechen, nein auch Äußerlichkeiten, die zuweilen eines humoristischen Bei geschmacks nicht entbehrten. So exzellierte die Königin durch vollständige Unkenntnis, ja Naivität in bezug auf Pflichten und Rechte zwischen Autor und Verleger. Sie disponierte kaltblütig über längst zugesagte Arbeiten, gab ohne weiteres das Über setzungsrecht fort, versprach Beiträge für Sammlungen aus be reits erschienenen Büchern, ohne sich das geringste dabei zu den ken. Kam dann ein solcher Fall, aus dem die Königin sich nicht zu retten wußte, so hieß es: Bukarest, 30. Januar 83. » . . . . Nun müssen Sie mir aus der Klemme helfen. Ich verlasse mich ganz aus Sie. (Es han delte sich in diesem Falle um eine unberechtigt« Übersetzung von -Meine Ruh'.) Mir geht es wie dem Erfinder: das Ausdenken ist eine Kleinigkeit, aber die äußere Gestaltung, das Praktische ist mir ganz unmöglich und vollständig gleichgültig.« Im gleichen Briefe ließ die Königin eine herzliche Einladung an ihren Verleger ergehen, sie im April oder Mai in Segenhaus (Neuwied) bei ihrer Mutter zu besuchen. Dieser Einladung folgt die erste, humoristisch« Anspielung auf einen Klatsch, der zu jener Zeit die Runde durch die Blätter machte: »Ich möchte Sic so gerne sehn, lieber als den deutschen Schriftsteller, mit dem ich so intim sein soll, daß er mir Wohl nächstens meine Sachen korrigiert haben wird . .« Über diesen selben Klatsch schrieb die Königin ein ander mal aus Cotroceni: »Seien Sie ganz unbesorgt über Zeitungsgerüchte. Ich habe keine inoogrüto-Zusammenkünste; ich wüßte auch nicht wozu?! Mir kann ja doch niemand helfen, das habe ich schon lange ge- seh»; ich muß meinen eigenen Weg gehen und selber meine Bahn fegen. Niemand, anderes weiß, was in mir steckt, nnd ich weiß es auch nicht. Bis jetzt habe ich auch noch kein Trauerspiel ge schrieben. Das habe ich mir immer für das erreichte vierzigste Jahr aufgehoben. Ich bin aber doch mit einem schwanger und weiß schon, da Hilst kein Sträuben und kein Wehren; wenn die Geburtswehen kommen, so muß ich hindurch. Wer weiß, ob's Talent reicht!! — ich zweifle ganz furchtbar und denk« doch Tag und Nacht daran.« Wenige Wochen nach diesem Briefe kam die Königin noch mals auf die Übersetzung von »Meine Ruh« zurück. »Die Idee, .Meine Ruh' auf Französisch zu sehn, liegt mir etwas auf den Nerven. Aber ich kann unmöglich Nein sagen. Ich finde sogar, daß die lateinische Rasse geradezu anders fühlt, als wir. Seit 13 Jahren mache ich darüber sehr genaue Be obachtungen. Neulich sagte mir jemand etwas, das mich frap pierte: Wie wären Sie Wohl geworden, wenn Sie nicht in den Positivismus der lateinischen Rasse verpflanzt worden wären? Ich Hab« noch dazu einen Mann, der mehr als zur Hälfte dazu gehört und entschieden mehr Lateiner ist als Germane. Mir war das Einleben in die ganz andere Denkungs- und Empfin dungsweise ganz außerordentlich schwer. Daß ich es aber ge lernt habe, beweisen meine auf Französisch geschriebenen Ge danken. Für so etwas ist die französische Sprache einzig. Wie kann man auf Deutsch so präzis und scharf sein. Es scheint, die pensees (es sind gemeint ,I^es xensöes ck'une Reine' 1882) haben in Frankreich und Italien viel Aufsehen gemacht. Ich bin über zeugt, in Deutschland las sie kein Mensch, und sie treffen dort auch nicht. Ich kenne überhaupt Deutschland nicht mehr recht; ich bin schon zu lange fort. Ach!, es ruht ein Segen und ein Fluch aus dem Auswandern!« Den Wert der Kritik pflegte Carmen Sylva nicht besonders hoch einzuschätzen. So schreibt sie aus Castell Pelesch vom 16. Dezember 1883 über die Beurteilung der »Handwerkerlieder«: »Sehr haben mich die Kritiken amüsiert, lieber Herr Duncker, die Sie mir neulich zuschickten und die sich zum Teil genau wider sprechen! Schade, daß der Dichter wie der König alles über sich mutz sagen lassen, ohne sich verteidigen zu können.« Besonders scharf geht die Königin in diesem Briese mit einer Dichterin ins Gericht, die ihre »Handwerkerlieder« zu »salonmätzig« findet: ». ... ich habe sie doch meinen Freunden, den Handwerkern und Hüttenarbeitern, selbst mit Beifall vorge lesen. Sie hätten sollen den Segendorfer Schreiner sehn, wie der sich in die Hände und auf die Beine schlug und immer rief: ,Da sich emal! Woher weiß sie denn das!' Das Gärtnerlied habe ich einem Gärtner aus dem Munde genommen: ,Jm Winter halb verbrennt, im Sommer halb dersrore, das is Gärtncrloos? Und da ich ein« Gärtnerstochter bei mir im Dienst habe, so las ich es ihr vor. Sie lernte es sofort auswendig und schrieb es für ihren Vater ab, und beide hatten Tränen in den Augen vor Freude. — Sie meint wohl, unsereins käme nie mit den Arbeitern in Berührung. Aber wir sprechen ja stundenlang mit ihnen; von klein auf gingen wir ihnen nicht von der Seite, wenn es etwas zu tun gab, und Buchbinderei haben wir selbst gelernt. Das Maurerlied habe ich den Maurern aus dem Munde genommen und ins Deutsche übertragen, und das Wäscherinnenlied habe ich ge schrieben, weil die Waschfrauen den meisten Skandal erzähle» und umhertragen. — Ich kann nicht auf alles eingehen; aber ich habe den deutlichen Eindruck, daß ich dem .Volke' viel näher siehe, als meine verehrte Kritikerin, oder daß am Rhein und in Rumänien aufgewecktere Leute sind, als im Norden. Ich habe doch den ganzen Sommer Hamburger und Mainzer Schreiner und Tapezierer im Hause gehabt und fand die Hamburger mindestens ebenso gescheidt. Ich gestehe, daß ich viel lieber mit den Arbei tern spreche, als mit der Gesellschaft. Einige haben diesen Som mer noch bei Licht gearbeitet, bis in die Nacht ohne Lohn, nur um 265