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Allgemeiner Anzeiger : 06.10.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-10-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190610067
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19061006
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19061006
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1906
-
Monat
1906-10
- Tag 1906-10-06
-
Monat
1906-10
-
Jahr
1906
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 06.10.1906
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politische Ktmäscbau. Deutschland. * Der Kaiser trifft am 14. d. auf Schloß Meerholz ein zur Teilnahme an der Hoch zeit des Prinzen Albert zu Schleswig-Holstein mit der Gräfin Ortrud zu Isenburg-Büdingen. Von dort aus begibt sich der Monarch nach Essen zur Teilnahme an den Hochzeitsfeierlich keiten im Hause Krupp. * Wie dasbraunschweigischeStaats- ministerium mitteilen läßt, liegt zu einer beschleunigten Wiedereinberufung der Landes versammlung weiter kein Anlaß vor. Beim herzoglichen Staatsministerium ist am 29. September lediglich ein an den Staats minister Dr. v. Otto gerichtetes Schreiben des Chefs der Verwaltung des Herzogs von Cumberland, eingegangen, in dem mitgeteilt wird, daß der Herzog das Schreiben des herzoglichen Staatsministeriums vom 25. September, mit welchem ihm die Beschlußfassung übersandt wurde, mit Dank empfangen und zur Kenntnis genommen habe, während irgendwelche weiteren Äußerungen über die politische Lage nicht darin enthalten sind. * Wie verlautet, wird eine neueMilitär- Vorlage mit nicht unbedeutenden Mehrforde rungen dem Reichstage in den nächsten Monaten zugehen. Es handelt sich dabei hauptsächlich um eine ziemlich erhebliche Vermehrung der Genie- Truppen zur ausgiebigeren Verwendung des Telegraphen- und Telephondienstes, sowie um eine ausgedehnte Verwendung des Automobils im Heeresdienste. Daneben dürfte, nach den Er fahrungen der letzten Manöver zu schließen, auch eine nicht unerhebliche Verstärkung der schweren Feldartillerie gefordert werden. *Der preuß. Finanzminister und der Minister des Innern haben die in Frage kommenden Behörden aufgefordert, ihnen Bureaubeamte, die für eine Verwendung im Kolonialdienst in Frage kommen könnten, für den Schutzgebietsdienst tauglich sind und zum Übertritt bereit sein würden, in Vorschlag zu bringen. Herr Dernburg wünscht also offen bar einen völlig neuen Beamtenstab. Frankreich. * Ministerpräsident Sarrien hielt auf einem landwirtschaftlichen Bankett eine Rede, in der er auf die Vorteile hinwies, welche das Trennungsgesetz der Kirche biete, Vor teile, die leider zurzeit vom Klerus verkannt würoen. Die Regierung werde das Gesetz ohne Bedrückung, aber auch ohne Schwäche anwenden, da sie nicht wolle, daß der Staat sich gebiete rischen Forderungen unterwerfe. *Jn Paris wurde eine militärische Feier durch Antimilitaristen unter Führung des Anarchisten Hervö gestört. Es kam zu einem scharfen Zusammenstoß mit der Polizei, die Hervö und eine Anzahl andre Personen ver haftete. England. * Zehntausend Bergleute derKochlen - bergwerke in Rhonddavalley, Südwales, erklärten, daß sie die Arbeit niederlegen würden, wenn nicht die Nichtorganisierten Bergleute dem Bergarbeiterverbande beitreten. Dänemark. *Jn Kopenhagen erfolgte nach einem Gottesdienst in der Marmorkirche durch den König Friedrich VIII., der vor einigen Monaten einem Vater Christian IX. auf dem Throne olgte, die feierliche Eröffnung des Reichs- ages. Die Thronrede erwähnte eine Reihe lievorstehender neuer Gesetzentwürfe und gab der Hoffnung Ausdruck, das; der Reichstag für die notwendigen Verteidigungsmittel des Landes einmütig eintreten werde. Sie betonte ferner das freundschaftliche Verhältnis Dänemarks zu allen übrigen Ländern und be rührte den vom König beabsichtigten Besuch bei den verschiedenen Höfen. Ruhland. * Zur Reise des Zaren, der mit seiner Gemahlin und den kaiserlichen Kindern seit etwa drei Wochen auf einer Seefahrt durch die finnischen Schären und die Gewässer des Finnischen und Bottnischen Meerbusens begriffen ist, verlautet jetzt, daß die Rückkehr nach Peterhof in wenigen Tagen erfolgen soll. Ein: Reise ins Ausland wird der Zar in diesem Jahre nicht mehr machen. * Wegen der Matrosenmeuterei in Kronstadt wurden vom Kriegsgericht neun zehn Matrosen zum Tode, 132 zu Zwangs arbeit, 429 zu Gefängnisstrafen verurteilt, 129 freigesprochen. Balkanstaaten. *Die Vertreter der Mächte in Kon stantinopel haben auf der deutschen Bot schaft die abgeänderte gemeinsame Note über die Zollerhöhung unterzeichnet; die Note wurde sofort überreicht. Kriegssekretär Taft, Regent von Kuba. * Infolge des österreichisch-serbi schen Zollkrieges kann Serbien seine Landesprodukte, vor allem „Borstenvieh und Schweinespeck" nur sehr schwer los werden, namentlich^ da es ihm an Verbindungswegen für den Export fehlt nach Ländern außerhalb der österreichisch-ungarischen Zone. Nunmehr hat eine englische Gesellschaft der serbischen Negierung ein Angebot unterbreitet für den Bau einer transbalkanischen Eisenbahn von Kladowo über Nisch und die serbisch-türkische Grenze an die Adria und ein weiteres Angebot betr. die Errichtung einer großen Konserven fabrik in Serbien, die sich zu einer jährlichen Verarbeitung von 100 000 Stück Vieh ver pflichten würde. Amerika. * Präsident Roosevelt ist von seinem Landsitz Ohsterbay nach Washington zu rückgekehrt und wird bis zur Rückkehr Tafts sein eigener Kriegsminister sein. Ein hoher Schatzamtbeamter hat über die Lage auf Kuba folgende Finanzberechnung aufgestellt: Die Landung und Erhaltung von 10 000 Mann während zweier Monate auf Kuba und ihre Rückkehr wird 50 000 000 Dollar kosten. * Nach Meldungen aus Havanna ist der amerikanische Kriegssekretär T a ft, der einstweilen auf Kuba die Regierung übernommen hat, jetzt dort der beliebteste Mann, zumal da seine erste Regierungshandlung die Freilassung von siebzig politischen Gefangenen war. Taft hat den Präsidenten-Palast bezogen, vor dem sich häufig Volksmengen versammeln, um ihm Beifall zu zurufen. Offenbar wird dem Eingreifen der Ver. Staaten wenig Widerstand geleistet werden, soweit Gewalt in Betracht kommt. Die Insurgenten in der Provinz Havanna sind überglücklich über die Wendung und betrachten den Zweck ihres Aufstandes für erfüllt. Sie brachten Hochs auf die Amerikaner aus und stimmten Tafts Vorschlag zu, die Waffen niederzulegen. Taft wird nicht auf die Dauer als Gouverneur in Kuba bleiben, sondern wahr scheinlich nur so lange, bis die erste amerikanische Expeditton ankommt; er traf Maßregeln, daß der jetzige Gouverneur von Portoriko, Beekman td-inthrofs, sein Nachfolger wird. Asten. * In der Mandschurei klären sich nun mehr allmählich die Besitzverhältnisse der drei beteiligten Nationen. Die russischeRegie- rung hat durch ihren Vertreter in Peking zu erkennen gegeben, daß sie in die zeitige Ein richtung chinesischer Zollhäuser an den Grenzen der russischen Mandschurei einwilligen werde. Zwischen den Regierungen von China und Japan sind Verhandlungen im Gange über die Rückgabe von Niutschwang; China besteht auf der unbedingten Rückgabe des Hafens, wäh rend die Japaner gewisse Ansprüche geltend machen. *Ohne sich um alle Abrüstungsbestrebungen zu kümmern, vermehrt Japan mit Eifer seine Flotte. Für Reparaturen und Bau von Kriegsschiffen hat der Marineminister beim Parla ment einen auf die Zeit bis zum Jahre 1913 zu verteilenden Kredit von 270 Millionen Den beantragt, davon 23 Millionen für 1906. Vom Kriegsressort wird in Hiroshima ein neues Arsenal erbaut. Die Sachalin-Bahn soll bis zum Winter fertiggestellt sein und anfangs aus schließlich Militärvorräte befördern. Ihre be sondere Aufmerksamkeit wendet die Regierung der Verstärkung der Freiwilligen-Flotte zu. * Der chinesische Vizekönig Iuanschikai, der „Reformator des himmlischen Reiches", hat an die Gouverneure ein Rundschreiben erlassen, in dem er sie auffordert, ihm regelmäßig Bericht über die Fortschritte zu erstatten, die die Ein führung der neuen Verfassung macht. * Eine der ersten im persisthenParla- ment besprochenen Vorlagen wird sich mit der Vermehrung der Heer es macht befassen. Dem Vernehmen nach werden auch die Straf bestimmungen einer eingehenden Erörterung unter zogen werden. Okmas Reformator. Die neuesten Nachrichten aus China lassen kaum einen Zweifel darüber, so wird der ,Schl. Ztg/ aus London geschrieben, daß man den Erlaß gegen das Opiumrauchen in China ernst zu nehmen hat und daß die chinesische Regierung wirklich entschlossen ist, eine Zeit der Reform einznleiten. Es bestätigt sich auch, daß die Seele dieser Reformbewegung der Vizekönig Juanschikai ist. Juan war stets ein bitterer Gegner des Opiumhandels. Er entließ jeden Offizier und jeden Beamten, der auch nur in den Verdacht geriet, dem Opiumlaster zu stöhnen. Noch vor sieben Jahren ein fast unbekannter und am Hofe in Peking nichts weniger als angesehener Truppenkommandant, ist er feit dem 1. Juli d. zur Macht gelangt. Kurz vorher war es ihm gelungen, seinen letzten gefährlichen Gegner, den vielgenannten Obereunuchen des inneren Palastes, Li zu stürzen, der bis dahin in inneren An gelegenheiten, sowohl über die Kaiserin wie über den ganzen Hof einen fast unbegrenzten Einfluß besaß. Er war der tatsächliche Beherrscher der „verbotenen Stadt". Noch wochenlang nach seinem Falle zitterte die Kaiserin und die ganze kaiserliche Familie vor diesem Manne, dessen Rache sie befürchteten. Um ihn zu entfernen, mußten gleichzeitig alle seine Kreaturen beseitigt werden, d. h. fast das ganze zahllose Beamten tum der inneren Stadt, der Kaiserpaläste und ein großer Teil der vertrautesten Diener des Hofes. An dem entscheidenden Tage brachte Juanschikai seine sämtlichen Truppen nach Peking, und seine zuverlässigsten Regimenter mußten tue verbotene Stadt besetzen und mit scharfen Pattonen und aufgepflanzten Bajonetten alle Straßen und Plätze abpatrouillieren. Die Palast wachen wurden vervierfacht. So wurde Juan Herr der Lage. Seine Macht ist heute größer, als je die irgend eines Bizekönigs oder Hausmaiers gewesen, Li-Hung- Tschang nicht ausgeschlossen. Ungleich diesem, der einer der gelehrtesten Literaten Chinas, von Haus aus einer seiner vornehmsten Familien angehörte und als der reichste Mann des Reiches und wahrscheinlich der Welt starb, ist Juanschikai niederer Herkunft, nichts weniger als ein Ge lehrter, sondern einfach einer der bisher so wenig geachteten Truppenführer. Er kommandierte chinesische Truppen in Korea, als der junge Kaiser von China 1898 seinen Neformversuch machte. Dieser brauchte eine zuverlässige Leib garde, und da Juan für zuverlässig galt und seine 5000 Mann für tüchtige Truppen — da mals die einzigen europäisch gedrillten — so be rief ihn der Kaiser und vertraute sich ihm an, den er zum Palastwachenkommandanten machte. Als die Kaiserin-Mutter am 22. September 1898 ihren Staatsstreich ins Werk setzte, lag die Ent scheidung über dessen Erfolg in Juans Hand. Er verriet seinen Kaiser, dessen Schwäche er er kannt hatte, an die Kaiserin-Mutter und legte so den Grund für seine heutige Macht. Er be festigte diese, als er 1900 scharfsichtig den Be fehl der Kaiserin mißachtete, in Tientsin sich auf Seite der Boxer zu schlagen. Seit Beendigung der Chinawirren stieg Juans Macht ununterbrochen. Er schuf ein Heer, brach die Vorurteile der chinesischen Großen gegen den Militärdienst, sodaß deren Söhne heute stolz die vordem verachtete Offiziersuniform tragen, reformierte das Erziehungssystem, schaffte die Tortur ab und modernisierte selbst die Straßen Pekings. Von und fern. Wettrennen in den Lüften. Am Sonn tag fand in Paris das erste Wetttennen von Luftballons um den goldenen Bennettpokal der Lüste statt. Die Fahrt sollte von Paris über den Kanal nach England gehen. Wie gemeldet wird, landeten die meisten Ballons im nord westlichen Frankreich. In England landeten und zwar in Singleton der Franzose Balsan und in Chichester der Spanier Kindelan. Der Engländer Butler war der erste, der wieder in in Paris eintraf; er erzählt, er habe in Blon- ville bei Villers-sur-mer keine Unterkunft ge funden und in seinem Korbe übernachtet. Santos Dumont, der Erfinder deS lenkbaren Luftschiffs, erschien im Luftschiffahrts-Klub mit dem Arm in der Binde. Den Sieg errang LeutnantLahn (Ame rika). Einer der Luftschiffer hatte ein aufregendes Abenteuer bei Alton. Ein dichter Nebel hing über der Stadt, und das Schleppseil verfing sich im Drahtgitter eines Hopfengartens. Nach dem es wieder frei geworden war, segelte der Ballon über die Stadt. Hierbei verfing sich das Schleppseil in den Telephon- und Tele graphendrähten und riß sie zur Erde. Endlich wickelte sich das Seil um einen Schornstein. Der Ballon wurde jedoch durch Zerschneiden des Taues befreit und verlor sich im Nebel. Einer der Ballons fiel in New-Holland am Ufer des Humber aufs Dach einer Hütte, die er zerstörte. Die beiden Insassen entkamen wie durch ein Wunder und wurden aus dem von der Mauer herabhängenden Korbe gerettet. Sie hatten vorher zu ankern versucht, doch wollte der Anker in dem harten Boden nicht halten. Mangels Beweis entlassen. Der unter dem Verdacht der Urheberschaft des auf den Koblenz-Trierer Schnellzug am 15. Juli bei Schweich verübten Anschlages verhaftete Strecken wärter Heinz wurde aus der Untersuchungshaft entlassen, da Beweise für seine Schuld nicht bei gebracht werden konnten. ' X Der gemeinsame Selbstmord eines Ehepaares wird aus Zeitz gemeldet. Aus dem Wohnhause der Tischlermeister Burkhardtschen Eheleute drangen plötzlich Rauchwolken hervor. Da die Türen verschlossen waren, holte ein vorübergehender Ponzeibeamter eine Leiter herbei, mit deren Hilfe er in das Haus einstieg. Beim Betreten des Schlafzimmers bot sich ihm ein schauriger Anblick dar. Die beiden Gatten lagen als Leichen in einem Bett, das lichterloh in Flammen stand. Ein sofort herbeigerufener Arzt stellte fest, daß die Frau durch Erhängen, der Mann durch Offnen der Puls- und Hals schlagader den Tod gefunden hatten. Es liegt zweifellos Selbstmord vor, dessen Motive in Nahrungssorgen zu suchen sein dürften. Die Lebensmüden standen beide in den 50er Jahren; ihre Leichen wurden polizeilich beschlagnahmt und das Wohnhaus gerichtlich versiegelt. Oil Paul unä Paula. 1) Novelle von Helene Stökl.*) 1. Bon Navresina her kam ein einzelner Wanderer ein junger Mann von vielleicht 18 bis 2l> Jahren, im leichten Sommeranzug, den Plaid über die Schulter geworfen und eine kleine Reisetasche am Riemen an der Seite tragend, den Weg über den Karst geschritten, der ihn nach Optschina führen mußte. Jetzt lagen die ersten Häuser des Dorfes Optschina vor ihm, das hier, auf dem schroff ab stürzenden Karst sich erhebend, weithin die Küste und das Meer beherrscht. Mit schnellem Über blick sich orientierend, schritt er, so wenig als möglich um sich blickend, auf den Obelisken zu, der einige Schritte seitwärts von dem Orte über das steinige Gefilde hervorragt. Erst als er ihn erreicht hatte und daran gelehnt stand, blickte er auf und ließ seine Augen nach allen Seiten schweifen. „Das Meer, das Meer!" quoll es jauchzend über seine Lippen. Ja, das war das Meer! Unabsehbar dehnte es sich vor ihm aus in matt schimmerdem Grau, auf' dem das Morgenlicht einige breite Helle Streifen malte. Fischerbarken zogen darüber hin und einzelne große Schiffe mit ihren großen hochgetürmten Segeln. Zu seinen Fußen, noch halb von Dämmerung umhüllt, lag Triest, um schlungen von seinem mastenstarrenden Hafen und überragt von dem altertümlichen Kastell, sich von *) Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. der Meeresküste an malerisch die Anhöhen des Karstes hinaufziehend. Die Arme fest über der tiefatmenden Brust verschränkt, stand der junge Mann da. Seine feingeschnittenen Züge entbehrten der Fülle, zeigten aber dafür eine Regelmäßigkeit, wie sie im Leben selten gefunden wird, und erschienen in den Strahlen der Morgensonne, die jetzt darauf fielen, von fast durchsichtiger Klarheit und Rein heit. Die hohe Stirn mit den stolz geschwungenen Brauen, die edle gerade Nase, die frischen Lippen, die nicht sehr großen, aber fehlerlos geschnittenen Augen, welche von so dunklen Wimpern beschattet wurden, daß sie fast schwarz erschienen, obwohl sie blau waren, vereinigten sich zu einem Antlitz, das seinen eigentümlichen Reiz erst durch den Ausdruck erhielt, der sich in schnellem Wechsel darauf ausprägte. „Ich hätte diese Herrlichkeit nicht sehen sollen?" flüsterte er erregt. „Ich hätte ausge schlossen bleiben sollen von der Pracht, die Gottes Hand so verschwenderisch über Berg und Tal und See gegossen hat, um in Verhältnissen dahin zu leben, die mir das Herz vertrocknen und den Atem in der Brust beengen? Warum sollte ich in Unfreiheit leben, wenn ich Freiheit atmen kann? Tat ich unrecht, Schranken zu überspringen, welche Herkommen und Gebrauch um mich errichtet hatten? Nein, tausend mal nein! Kein beunruhigender Gedanke trübt den Frieden meiner Seele. Es ist mir jetzt so froh, so fromm zu Sinne, als ruhte ich un mittelbar in Gottes Hand und könnte jeden Augenblick anbetend vor seiner Größe und Herrlichkeit niedersinken." Er legte die Hand über die von der höher steigenden Sonne geblendeten Augen und mur melte wieder: „O, das Meer, das Meer!" „Sie sehen das Meer zum ersten Male?" tönte da eine tiefe Stimme fragend neben ihm. Er fuhr erschrocken zusammen und sah hastig auf. An seiner Seite stand ein hoher, statt licher Mann, in der Vollkraft seines Lebens, dem Anscheine nach dem Ausgang der Dreißiger sich nähernd. Ein dichter Bart umgab das scharfgeprägte Gesicht. Man sah der breiten, gewölbten Stirn und den tiefblickenden Augen das ernste Denken an, in dem das Leben an ihm vorübergegangen war, während ein edler, genialer Zug die Strenge milderte, welche sonst in seinen Zügen gelegen. Reisetasche und Plaid, die auch er trug, kenn zeichnen ihn als Reisenden, während die Skizzen mappe an seiner Seite den Maler verriet. „Optschina ist der geeignetste Punkt, einen vollen Überblick über Triest und das Meer zu geben," fuhr er jetzt unbekümmert darum fort, daß der junge Mann nach einem flüchtigen Blick auf ihn wohl grüßend an seinen leichten Sommerhut gegriffen, die Anrede jedoch un beantwortet gelassen hatte. „Den Eindruck, den man von der See empfängt, wenn man mit der Eisenbahn nach Triest fährt und sie von dort zum ersten Male sieht, ist nur ein unvoll kommener und nicht im entferntesten mit dem zu vergleichen, den man von hier aus hat." Noch immer erfolgt keine Antwort. „Sie sind jedenfalls auch in Navresina aus gestiegen wie ich und habe« den Weg über den Karst zu Fuß gemacht?" Die Frage hatte, so direkt sie gestellt war, auch nicht den leisesten Anflug von Zudringlich- - leit an sich, sie verriet so einfach das Interesse, das ein Reisender an dem andern nimmt, daß der junge Mann fast unwillkürlich, wenn auch noch immer mit leichtem Zögern erwiderte: „Ich habe die Eisenbahn schon bei Klagenfurt ver lassen." „Ahl" rief der andre überrascht, „und von dort kommen Sie zu Fuß?" „Kleine Strecken, die ich im Wagen zurück legte, ausgenommen, ja," sagte der junge Diann. „Ich liebe die Fußwanderungen." „Sie wissen nicht," war die lebhafte Ant wort, „wie sehr Sie mir aus der Seele sprechen. Eine Reise zu Fuß weitet die Seele, stärkt den Körper und erfrischt die Nerven; eine Eisenbahnfahrt tut von alledem gerade das Gegenteil. Ich benutze diese Art des Fort kommens auch nur, um über weite Strecken ohne zu großen Zeitverlust hinwegzukommen oder wenn es sich darum handelt, solche Gegenden zu durcheilen, welche völlig reiz los sind." „Völlig reizlos?" wiederholte der Jüngling sinnend. „Ich möchte keine Gegend so nennen. Die Schönheiten der Erde sind nicht gleich mäßig verteilt, ganz aber fehlen Sie meiner Meinung nach nirgends." „Sie haben recht. Ein liebevolles Ein gehen auf die Natur wird auch da Schönheiten finden, wo die oberflächliche Bettachtung kerne zu entdecken vermag. Auch die ärmste Land schaft besitzt ihren eigentümlichen Zauber. Die Gegenden indessen, durch welche Ihre Reise Sie
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