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Allgemeiner Anzeiger : 03.10.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-10-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190610038
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19061003
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19061003
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1906
-
Monat
1906-10
- Tag 1906-10-03
-
Monat
1906-10
-
Jahr
1906
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 03.10.1906
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einen. Bericht England. * Der Premierminister Campbell-Ban- nerman erklärte in einer Rede, die er gegen Chamberlain hielt, mit dem Rücktritt dieses geistvollen Verfechters der Allengland-Jdee auS dem politischen Leben Englands sei dem gegen wärtigen Kabinett die Möglichkeit gegeben, seine über das Gefecht am Tsamarob erzählte er uns folgendes: Am Morgen des 13. April sei er mit Sebulon — auch ein Unterkapitän der Hottentotten an der Wasserstelle Tsamarob gewesen. Als ow ersten Schüsse gefallen seien, wäre er ans . Jagd gewesen. Durch die Schüsse alarmiert, wäre er sofort ins Lager zurückgekehrt, habe dem Sebulon noch Vorhaltungen gemacht, warum dieser trotz seines ausdrücklichen Befehls, nicht anzugreifen, doch angegriffen hätte; da auf seiner Seite aber schon einige Tote und Ver wundete gewesen wären, so hätte er das Ge fecht nicht abbrechen können, sondern hätte sich nun, wie er sich ausdrückte, verteidigt. Nach seiner eigenen Angabe standen uns in dem Gefecht vierzig Bewaffnete gegenüber, inr ganzen war seine Bande achtzig Köpfe stark. Wie noch bekannt sein durste, hatten wir in dem Gefecht vier Tote und vier Verwundete. Auf Seite der Hottentotten fielen vier Mann, und wir fanden seinerzeit nicht die geringsten Blutspuren. Die Toten werden mitgeschleppt. Auf meine Frage, warum die Witbois und überhaupt alle Hottentotten sich in Hinterhalt legen und die ahnungslos vorbeiziehenden Deutschen hinterrücks niederschössen, gab er mir zur Antwort, das; dies ihre Kriegführung sei. Jetzt sitzt Samuel Isaak mit seiner ehemaligen Bande hier in Windhoek im Kraal. Wenn er mir begegnet, so glüht er stets sehr ehrerbietig, wie dies bei allen Hottentoten und Kapitänen der Fall ist, sobald sie ihrer Würde als Macht habende enthoben sind." Asien. *Die japanische Regierung wird demnächst eine Note an die Mächte richten, in der sie Einspruch gegen die Art und Weise er hebt, wie Rußland die Abmachungen bezüglich der Mandschurei innehält. * Der Gouverneur von Su tschau, dessen Provinz von der anhaltenden Neis teuerung hart betroffen ist, hat an die Re gierung die Bitte gerichtet, aus den in Schang hai hinterlegten Mitteln 100 000 Taels zum Ankauf von Neis zur Verfügung zu stellen. An zahlreichen Orten des chinesischen Reiches sind Hungerrevolten ausgebrochen, die aber sämtlich unterdrückt wurden, ' Bacon gestelltes Ultimatum herbeigeführt worden, das besagte, daß, falls die Partei nicht der Vernunft Gehör schenken würde, die V er. Staaten durch Proklamation eine Militär- Regierung einsetzen würden, die so lange bestehen bleiben sollte, bis die Ordnung wieder hergestellt und eine unbeeinflußteWahl gesichert sei. Afrika. *Jn Marokko, der südwestlich von Fes gelegenen zweiten Hauptstadt des gleichnamigen Sultanats, scheint durch religiöse Fanatiker eine fremdenfeindliche Bewegung ein geleitet worden zu sein. Dem Überfall auf den Franzosen Laffallas folgt jetzt die Nachricht von einem Überfall auf den Vorsteher derdeutschen Post in Marakesch. Der Überfall, dessen Opfer der deutsche Postvorstand in Marakesch, Herr Holtze, geworden ist, vollzog sich in der Nähe des Grabes des Wundertäters Maelain. Einem mit Holtze befreundeten mohammedanischen Kaufmann aus Fes gelang es, die Fanatiker zu vertreiben, übereinstimmenden Aussagen zu folge hat Holtze nicht den geringsten Anlaß zu den Ausschreitungen gegeben. (Dieser Zwischen fall, der noch der näheren Aufklärung bedarf, beweist, wie nötig eine rasche Durchführung der Beschlüsse der Konferenz von Algeciras ge wesen wäre, mit der Frankreich und Spanien bisher noch immer nicht den Anfang gemacht haben.) pottlLfcke Kunälckau. Deutschland. * Das Kaiserpaar wird sich voraussicht lich am 4. Oktober zu kurzem Aufenthalt nach Cadinen begeben. * Der Kaiser hat dem Bischof von Ermland, Dr. Andreas Thiel, zu seinem 80. Geburtstage ein in überaus herzlichen Worten gehaltenes Glückwunsch-Telegramm ge sandt. * Der Grobherzog von Hessen, der sich angeblich auf einer Reise nach Rußland be finden soll, ist in München eingetroffen. *Der braunschweigische Staats minister Otto ist in Homburg eingetroffen und wurde vom Reichskanzler Fürsten Hon Bülow in längerer Audienz empfangen. * Das Reichsmarineamt hat das Flottenkommando und die Befehlshabers der übrigen im Dienst befindlichen Schlachtschiffe) und Panzerkreuzer angewiesen, Erhebungen! darüber anzustellen, wie eine Gewichts-- erleichterung der Schiffe herbeigeführt; werden kann. Es soll dadurch erreicht werden,' daß der Panzergürtel der Fa^zeuge höher auss dem Wasser kommt und somit die Breitseite nach ' oben mehr schützt. t. Die Frage des Mennonrten- Zeugeneides soll durch ein Reichs gesetz geregelt werden. In Preußen sind die Mennoniten von der gesetzlichen Eichespflicht entbunden; es genügt wenn ein Mesnnonit an Stelle des Eides ein einfaches „Ja" sagt, das allerdings» sofern es sich als wahrheitswidrig herausstellen sollte, wie ein Fakscheid mit Zucht haus bestraft wird. Nur noch wenige kleine deutsche Einzelstaaten haben diese Eidesform zugelaffen. Da sich auch bei der Vereidigung der Mennoniten »Militärrekruten häufig Unstimmigkeiten einstellen, ist geplant, eine allgemeine deutsche gesetzliche Form des Mennoniteneihrs festzusetzen. .Osterreich-Ungarn. * Im W ahlreform ausschuß des österreichisch eu Abgeordnetenhauses wurde ein Antrag auf Schaffung einesWahl- gerichtshofes abgelehnt, nachdem mehrere Redner darin eine Gefahr für das Zustande kommen der Wahlreform erblickt hatten und da für eingetreten waren, daß das Haus das Kontrollrecht über angefochtene Wahlen bei behalte. Der zur Verhandlung stehende Para graph wurde in der Fassung der Regierungs- Vorlage, nach der wie bisher das Abgeordneten haus selbst über die Gültigkeit der Wahl zu entscheiden haben soll, angenommen. * Die Vorverhandlungen zum öster reichisch - ungarischen Ausgleich sollen, wie auS Budapest berichtet wird, sehr gute Fortschritte machen. Die beiderseitigen Unterhändler haben die Ausgleichspunkte bereits in allen ihren Einzelheiten besprochen. Frankreich. Von unä fern. t. Rückwanderung aus Südwestafrika. Von der deutschen Neichsregierung waren vor etwa drei Jahren 1200 italienische Arbeiter zum Ausbau von Eisenbahnstrecken in Süd-' westasrika angeworben worden. Wegen des inzwischen ausgebrochenen Krieges sowohl als auch wegen großer Entbehrungen kehrte ein großer Teil der Leute wieder in die Heimat zurück. Mit den jetzt in Hamburg eingetroffenen Dampfern „Ernst Wörmann" und „Kronprinz" traf wiederum eine Anzahl der Arbeiter ein, die als mitellos erst dann gelandet werden durften, nachdem die Reederei sich verpflichtet hatte, die Kosten der Heimreise der Leute nach' Italien zu tragen. — Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, daß gegenwärtig für den gleichen Zweck deutsche Arbeiter angeworben werden und zwar - mit Verpflichtung auf drei Jahre. Der Münchener Golddiebstahl. Vom Münchener Münzraub ist nunmehr auch der Rest des gesamten Geldes von 130 000 Mk. beigebracht worden, und zwar ohne Zutun der Verhafteten. Es wurde mit Reisig und Holz bedeckt im englischen Garten gefunden, wo es an einer Mauer der Vcterinürschule nur not dürftig zugedeckt die Zeit über gelegen hat. Der Münchener Münzräuber König, Soldat beim Bekleidungsamt, ist der Sohn eines verstorbenen Beamten der Münchener Ortskrankenkasse. Er ist ein gelernter und mit den MünzverhältnisM wohlbekannter, rüchtiger Feinmechaniker. In dem seiner verwitweten Mntter gehörigen, beim Vorort Haar im Walde versteckt gelegenen Wohnhaus, wohin er heimlich einen Teil des geraubten Geldes 'gebracht hatte, war eine fein mechanische Werkstätte eingerichtet, in der König und sein Anstifter, der gleichfalls verhaftete- Münzarbeiter Ruf, in ihrer freien Zeit Motor räder reparierten. Daß sie dort auch Falsch münzerei getrieben haben, ist bis jetzt nicht er wiesen. Für die Fangprämie von 1000 Mk. und. den Anteil des wiedergebrachten Geldes kommt vor allem der Kriminalkommissar Effi mit denr Hauptanteil in Betracht, alsdann zwei Kriminalschutzleute, mehrere Schutzleute in Uniform sowie der Unteroffizier des Belleidungsamts» ver den König in der Kaserne verhaftet hat. Nutomobilzusammonstosz. Auf der Land straße zwischen Schreich rind Trier find zwei Automobile in voller Geschwindigkeit zusammen geprallt. Alle Insassen wurden herausgefchleusert. Zwei davon sind lebensgefährlich, die übrigen leicht verletzt; die Automobile wurden vollständig zertrümmert. Neformpläne nach jeder Richtung hin Ruhe zu verwirklichen. Schweiz. *Die Konferenz der Internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz ist in Genf zusammengctreten. * Tatjana Beretjew, die Mörderin des Rentiers Müller aus Paris, wird aus der Gefangenschaft in Interlaken zur Beobachtung (nach der Irrenanstalt Münsingen gebracht. Belgien. k * Für die Zukunft des Kongostaates Mrd die am 13. November beginnende Tagung (der Kammer voraussichtlich wichtige Ent- zscheidungen bringen. Von sozialistischer Seite list eine Anfrage angekündigt, worin Aufklärung -über die durch die jüngsten Erlasse des Königs geschaffene Lage gefordert wird, und die belgische Regierung beabsichtigt, angeblich bei dieser Ge legenheit eine entscheidende Diskussion über den Gesetzentwurf betr. die Übernahme des Kongostaates durch Belgien herbeizuführen. Diese Stellungnahme der Regierung soll auf die Unterredung zurückzuführen sein, die kürzlich König Leopold mit Kaiser Wil Helu: in Karlsruhe hatte. Norwegen. * König Haakon wird die erste Sitzung des Storthings selbst eröffnen. Wie ver lautet, wird das gegenwärtige Ministerium auf den dringenden Wunsch des Königs von dem Ersuchen eines Vertrauensvotums in der Volksvertretung Abstand nehmen. Rustland. *Jn Peterhof wurde eine Dame arre tiert, die sich als gefährliche Anarchistin erwies. Sie wurde unter starker Bewachung in der Petersburger Festung untergebracht. In Kronstadt gelang es ebenfalls, 14 Revo lutionäre zu verhaften, die eine Hand druckerei zur Verbreitung aufrührerischer Schriften besaßen. Auf der Batterie 4 in Kronstadt liegen 100 Matrosen in Ketten, die ihre Abfertigung zur Zwangsarbeit in Sibirien erwarten. *Jm Gouvernement Kutais sind ernste Unruhen ausgebrochen. Der Landbevölkerung ist eine Frist von acht Tagen zur Entrichtung der Staatsstellern gestellt worden. Die Ver waltungsbehörde hat die Verhängung des außerordentlichen Schutzes nach gesucht. * Die aus Sozial-Revolutionären bestehen den Räuberbanden der Ostseepro- vinzen scheinen den Schauplatz ihrer Tätig keit vergrößern zu wollen. Eine Schar von 30 Esten ist im Kreise Jamburg aufgetaucht, und beginnt dort die Bevölkerung wie in den baltischen Küstengebieten mit bestem Erfolge zu ihren revolutionären Ideen zu bekehren. Hier Wie dort soll die durch Mord und Brand er- , zeugte Furcht die Landbevölkerung ju ihre Reihen treiben. Viele Güter Md bereits ge plündert und in BxM gesteckt worden. Der bewaffnenden Macht gelang es bisher nicht, Herr dieser Räuberbanden zff werden. Bttlkanstaare», * Me Baffchgften sind beauftragt, dem Der- mjftetungSvorsch lag Italiens betr. die- Hprozentige Zollerhöhnng zuzustimmen, Wonach die Pforte, falls die Finanzkom mission Änderungen am mazedonischen Budget für nötig ergchtet, diesen nachzukyMMN hat. Dso PfEe erklärte M Wit diesem Anträge ein- yMgnden. Die deutsche Erklärung steht noch auS wegen der Abwesenheit des Botschafters. * Die politischen Wirren auf der Balkan- Halbinsel fördern mancherlei abenteuerliche Pläne zutage. Die Grüdung eines selbständigen Albanien vorzubereiteu, bemüht sich ein Nachkomme jenes Georg Kaftriota, der durch ruhmreiche Kämpfe gegen die Türken im sünf- zehnten Jahrhundert unter dem Namen Skan- derbeg zum Nationalhelden der AWnesen ge worden ist. Er bereist dell gäbzen Balkan und erklärte in Sofia, daß er im geeigneten Augenblick mit 50 000 Albanesen gemeinsam mit Bulgarien gegen die Türkei kämpfen werde, Amerika. * Ein Umschlag in der Haltung der ge mäßigten Partei ist durch ein von Taft und * Im Ministerrat legten Bourgeois und Doumergue den Stand der gegen wärtigen Handelsvertrags-Verhandlungen mit Spanien dar. Dor Ministerrat entschied daß, im Falle sich bis zum 1. Oktober kein Einverständnis erzielen läßt, der bisheriges Ver trag um einen Monat verlängert werden kgM. *General Langlois Wo» den Schweizer Manövers mit der dringenden Auff"»^' ^meten fische Heeresl» ' -^erung an dce franzö- sür einen " .rung, nach Schweizer Muster ' nichtigen Nachwuchs an Reserve- »zieren der höheren Grade zu sorgen, über haupt der Ausbildung der Reserve - O f f l - ziere für den Kriegsdie n st größere Aust merksamkeit zu widmen. Sein Beucht soll nach einem Regierungsbeschluß vervielfältigt und allen Truppenteilen übersandt werden. Über die gefangenen Hottentotten veröffentlicht der ,B. L.-A/ einen interessanten Brief ans Südwestafrika: „Als sich im Januar d. Samuel Isaak mit etwa 100 Bewaffneten seines Stammes dem Leutnant Westernhagen in Berseba, etwa 60 Kilo meter südlich von Gibeon, stellte und dann nach Gibeon transportiert wurde (dies geschah durch eine leere Proviantkolonne), erfuhren wir, daß unser Gegner am Tsamarob S. Isaak gewesen sei. Einige Kameraden und ich gingen nach der Feste, ast hem Tage als Samuel Jsauk mit sMen Leuten ankam. Wir staunten über die Ordnung und Disziplin, hio her olle Samuel — er ist ein Mainz Mitte, der Vierziger, sieht natürlich etwas älter aus, wie es bei allen Ein geborenen der Fall ist — seiner Bande beige bracht hatte. Ganz vorn marschierte Samuel mit seinem Stabe, dies sind die Grootleute, dahinter die Krieger, je zwei und zwei, dann kamen die unbewaffneten Witbois, dyM die Bambusen, das Arbeitervolk, bestehend aus Kaffern, heruntergekommenen Hottentotten usw., diejenigen, die keine „Nunnnez" mehr haben. Die Bambusen waren bepackt mit Decken, Eß geschirren usw., dahinter die Weiber. Auf dem Platze wurde aufmarschiert, an den rechten Flügel kamen die Grootleute, die Waffen waren schon in Berseba abgegeben, einer von ihnen hafte einen Feldstecher, ein andrer wieder einen vollständigen Neitauzug, dies alles hat die Bande den Gefallenen ausgezogen. Samuel selbst trug einen schwarzen Filzhut, graues Jackett und Weste, eine Kakihose und Schnür schuhe. Er stellte sich vor die Front wie ein älter Feldwebel und zählte seine Leute nach, ob noch alles da war. — An einem Nachmittag ging ich mit zwei Kameraden in die Gefangenen werft. Wir setzten uns bei Samuel I. in den Ponlok und unterhielten uns über das Gefecht äm Tsamarob; wir boten ihm etwas Tabak an, auch wir qualmten unsre Pfeifen. Samuel spricht ziemlich gut Leutsch, es ist eine Art „Platt", ähnlich der holländischen Sprache. Oil 6m frauenleben. 14j Erzählung von Fritz Reutter. „Tot!" Bruno stößt die Worte mit einem Seufzer hervor, und blickt den Mann, der ihm diese Nachricht mitteilt, ungläubig an. „ES scheint," fährt der Bekannte leichthin fort, als fände er Gefallen daran, ein Geschwätz, ein Gerücht, das ihm zu Ohren gekommen, weiter zu verbreiten, „eS scheint, sie hatte die Gewohn heit, vor dem Schlafengehen Chloral zu nehmen; gestern abend jedoch nahm sie eine zu starke Dosis — heute morgen fand man sie tot im Bette." Bruno Stauffer wankt, als wollte er zu sammenbrechen — die Wirkung dieses Schlages vermag er vor dem geschwätzigen Bekannten nicht zu verbergen. Energisch rafft er sich wieder zusammen, geht auf ihn zu und faßt ihn am Arm: „War eS . . . Selbstmord? fragt er stöhnend. „Hier kennt man den Selbstmord nicht," versetzt der andre nachlässig, „wenigstens wird er, wenn'S je möglich ist, hier nicht eingestanden. Sie verstehen, derartige Vorkommnisse würden dem Otte Nachteil bringen. ES ist ja wohl wahr, sie verlor hohe Summen, sie war tief verschuldet; aber wenn eine Frau einmal Schlaf, mittel brauchst, so kann man nie sagen, ob sie sich nicht irren möge, ob eine starke Dosts bloßem Zufall oder bestimmter Absicht zugeschrieben werden dürfe. Und die Behörden hier sind nachsichtig genug, immer den Zufall walten zu lassen." Voll Abscheu wendet sich Bruno Stauffer weg. Von emem der Beamten im Saal er fährt er den Namen des Hotels, wo Madame de Neuville lebte und starb, und so macht er sich auf den Weg dorthin, um sie vielleicht noch einmal sehen zu können. Unterwegs überlegt er. Hat er ein Recht, sich ihr im Tode noch zu nähen? Soll er ihr Geheimnis, ihre Schande, die sie während ihres Lebens ängstlich verbarg, offenbaren? Anstatt nach dem Hotel zu gehen, schreitet er stundenlang durch den Park dahin, bis er sich endlich entschließt, nach Hause zu gehen und Gertrud alles zu sagen. Als er Gertrud die Nachricht vom Tode der unglücklichen Frau erzählt, bleibt diese einen Augenblick bleich und wie vor Schrecken und Kummer gerührt stehen. Plötzlich bricht sie in Tränen auS. „Uno ich sagte, ich würde ihr nie verzeihen," spricht sie vorwurfsvoll. „Du hattest recht und ich unrecht. Ich durste sie nicht Haffen. Ich hätte sie bemitleiden sollen. Aber ich dachte nur an den Kummer, den sie Georg bereitet, ich dachte nie an das Elend ihres eigenen Lebens? Er gibt keine Antwort, der Schmerz über dieses traurige, einsame Ende eines Menschen lebens ist zu tief. „Es dünkt mich seltsam," bemerkt Gertrud nach einer Weile, die feuchten Augen empor richtend, „seltsam und furchtbar zugleich, daß einer Frau alles Glück dieser Erde m den Schoß fallen sollte, während der andern gar nichts — keine einzige glückliche Stunde ge schenkt wird." „JeadensllS," versetzt er nach einer Weste düster, „dürfen die, die sich um sie kümmerten, vielleicht noch froh sein, daß sie Frieden ge funden. Irgendwo, sprach sie zu mir, muß es ja doch ein besseres Leven geben. Und sie hatte recht." End». Jus alter Teit. Ein ErmnencngSbsatt von Paul Bliß- (Nachdruck vrrbokit.) Durch das saftig Helle Grün schimmert eS goldhell und leuchtend hervor und hängt herab m langen, blütenschweren Dolden und wiegt sich im leichten Winde und Vausende von fnnkelnden Tauperlen hängen an den gelben Blüten, und die Morgensonne glitzert und glänzt in den kristallenen Tropfen. Der Goldregen steht in voller Blüte. Und unter dem blühenden Strauch steht eine Holzbank, morsch und verfallen, verwittert und alt. Dorthin habe ich mich gerettet — dort sitze ich und träume und blicke hinein in die tan zenden, zuckenden Sonnenstrahlen und blicke hinein in die lachende Sommerluft, hinein in die rastlos freudige Tätigkeit all' der Millionen Menschen, die da schaffen und sich Plagen, die da ammeln in ihre Scheunen, die sich nicht genug un können an Arbeit und Erwerb, die da chaffen, als schaffen sie für die Ewigkeit, und wch — wie bald ist all' ihr Raffen und Streben dahin, verweht wie Spreu, vergessen ihre Spur — wenig Tränen wohl, manch heimlicher Seufzer der Nächsten und vorüber — Wie wenn ein Blatt vom Baume fällt. So geht cm Leben aus der Welt — Die Vögel singen weiter. Und der Wind rüttelt an dem Strauch, der sich über mir wölbt zum schattigen Laubdach, und er weht mir viele von den goldgelben Blüten in den Schoß, die nun verweht werden in alle Winde. Da denke ich denn zurück an ferne Tage, die aus nebelhaft dämmernder Ferne wieder emportauchen vor meinem Horizont. Und ich denke an dich, mein blondes MSd- chen, die ich hier zum erstenmal gesehen, ich denke an die selig schönen Tage, in denen wir unsre ersten Küsse hier austauschten, ich denke an alle die Hoffnungen, mit denen wir unsre junge Liebe nährten — und ich denke an alle die bitteren Enttäuschungen, an alle die qual vollen Stunden, die uns bereitet wurden durch die Trennung; alfi das ist längst vorüber. Längst sind die Wunden vernarbt, die einst so klaffend und todbringend schienen, all' das hat nun die Zeit, die alles lindernde, geheilt. Hier aber an diesem Ort, unter diesem Strauch mit den goldhellen Blüten, hier erwacht es wieder, alles lebt auf, ersteht wieder vor mir in faß' barer Gestalt, denn ich selbst, ich fühle mich zurück in die selige schöne Zeit un rer ersten Liebe — ich atme Liebeshauch wieder und höre wieder deine glockenhelle, reine Stimme, ich fühle wieder deine warme, weiche Hand, und wieder lechze ich nach deinen keuschen Küssen. Auch damals blühte der Goldregen, genau wie heute, und genau wie heute stand die alte morsche Holzbank, und alles ringsum, die Bäume,
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