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sag oaoel und sah zu, als verstände er jetzt schon was man von ihm wolle. Die Ahne aber erklärte: „Joschko, du nimmst den Hund und fährst mit ihm bis an die kaputgeschossene Brücke . . . Bis Golivin gegenüber. Dort nimmst du einen Stein und wirfst ihn so weit du kannst in den Fluß, Golivin zu. Dann kommst du zurück, denn das andere wird schon der Hund machen. Nicht wahr?" Und der Hund bellte freudig und wollte schon zur Tür hinaus ohne auf Joschko zu warten. Es war keine Kleinigkeit für den Grafen in Golivin den Bjelo Bjelovolski zu finden. Schon darum nicht, weil er im Kittchen saß und dort hatte man ihn nicht gesucht. Endlich aber war einer darauf gekommen: war das nicht der Bursche, der . . ja ganz gewiß war er's, der Bursche, den man wegen Spionageverdachtes festgenommen hatte. Der immer herumlungerte und dann auf Tage ver schwand, und den man hopp, hopp genommen hatte, gerade wie er triefnaß über die Flußböschung kroch. Ganz gewiß war es. Aber er sagte nichts. Kein Wort sagte er. Wozu auch. Wenn er doch gehängt würde, brauchte er auch nichts zu sagen. Am liebsten hätte der Josip, der mit dabei war, dem Kerl den Schädel eingeschlagcn und wenn's mit seinem Holzbein gewesen wäre. So aber redete er ihm zu. Gerade wenn er gehängt werden sollte, sollte er mit einem guten Werk vor den lieben Gott treten. Der Bursche aber pfiff auf das gute Werk. War's denn ein gutes Werk, wenn man ihn hängte? Wer kann ihm denn beweisen he? Daß er bei den Ruffen war? Wer kann ihm denn beweisen, daß er nicht bei der Mirka war und wer kann ihm verbieten drüben ein Liebchen zu haben? Der Jofip aber ließ sich auf derlei nicht ein. Und er redete ihm so ins Gewissen wie man einem störrischen Pferd zuredet. Aber umsonst. „Macht mit mir was ihr wollt, was ihr wollt, aber . . . laßt mich leben, dann werd' ichs euch sagen." Und da Nachricht über eines deutschen Hauptmanns Leben mehr wert ist, als das Leben selbst eines russischen Spions, so gab der Etappenkommandant sein Wort: „Gehängt wird er nicht, sondern kommt vor das ordentliche Gericht." Und da erst nannte denn auch der Bjelo, der Lump, den Namen. Nannte den Joschko Strzelcziskp, der drüben am andern Ufer wohnte, auf jetzt noch russischem Gebiet. „Da können gnädigstes Fräulein unmöglich hinüber. Das kann und darf ich nicht zulaffen. Außerdem wie sollte der Wagen hinüber, wo die Brücke zerstört ist? Es ist, so leid es mir tut, ganz undenkbar." „Dann geh ich allein", sagte das Mädchen. „Keiner unserer Posten läßt sie ja durch." »Ich gehe trotzdem", und man sah es ihr an, daß sie es tat. Graf Ehrbach sprach lange und eindringlich mit dem jungen Etappenkommandanten. Dann sprach er am Telephon. Erklärte, erzählte. Es sei eine schwache, schwache Möglichkeit den Helden von Golivin vielleicht noch zu finden. Ihn oder Nachricht von ihm. . . „Nun?" fragte der Etappenkommandant. Schweigend gab ihm der Graf den Hörer. Einige wenige Worte, dann hängte der Oberleutnant an. „Aber nur auf Ihre eigene Gefahr." Über Nacht war von polnischen Flössern ein Floß ge zimmert. Über Nacht wurde der Wagen auf das Floß geschoben, und gleich bei Tagesanbruch wurde der Fluß überquert . . Eine Patrouille war vorausgeschickt worden, die sollte auf alle Fälle eingreifen können, eingreifen, nicht vorgreifen. Und so rollte denn der Wagen über den holprigen staubigen Weg, und ihm entgegen kam ein Karren, von einer armen Schindmähre gezogen. Neben dem Karren her ging ein Bauer und ihm vorauf barkte und kläffte ein Hund und sprang freudig voran und immer wieder und wieder zurück. Als er aber den heranrollenden großen Kraftwagen sah, da bellte er ihn an, und plötzlich . . . „Kleinchen!" rief Josip. Und Kleinchen sprang an ihm empor und war ganz toll vor Jubel und Freude. Drin aber im Wagen wurde eine todbleich. Ein schönes Mädchen mit schwarzem Haar Uttd tiefblauen Augen. Ein Mädchen, wie man es nur in Kaschau oder in Budapest findet, und dieses Mädchen legte wie erschreckt die Hand auf jene der Gräfin und sagte: „Ist ... ist das nicht der Hund? Ist das nicht Kleinchen?" Und der Wagen stoppte und der Karren hielt auch und Josip brachte das Kleinchen herein und die Tränen rannen ihm nur so übers Gesicht. „Kleinchen, Kleinchen", schluchzte auch das gnädige Fräulein von Uj und halste und herzte den Hund und drückte ihn an sich. Und der Graf streichelte dem Hunde den Kopf. Die Gräfin aber, die kleine, liebe, blonde Gräfin sagte: „Da steckt etwas im Halsband. Ein Papier. Irgend envas. Ein Brief." Und mit zitternder Hand nahm das schöne Fräulein von Uj das Papier und entfaltete es. Dann aber fiel sie der Länge nach hin, gerade dem Josip in die Arme. Der Geheimrat aber hatte da zum erstenmal auf dieser Fahrt etwas zu tun. Nicht viel und nicht lange, denn das schöne Mädchen schlug die Augen auf und schien mit fast hungrigem Blick etwas zu suchen. „Da", sagte die Gräfin und öffnete den Brief und gab ihn dem Mädchen zu lesen. „Ich liege hier in einer armseligen Hütte, bei armen, an Liebe und Mitleid und Menschlichkeit wunderreichen Leuten. Ich liege hier und eine Rose liegt vor mir, auf meiner Streu, meinem Bett . . ." Sie schluchzte laut auf, als sie das las, aber sie las weiter, jeden Buchstaben, jedes Wort ein saugend in sich, wie die hungernde Biene den Honigseim der Blumen und Blüten in sich einsaugen mag: „Wie ... wie frisch . . . welke . . . Rosen . . . doch sind. Dreißig Werst von Golivin lieg' ich in Joschkos Hütte und denke ... An wen denke ich wohl? . . ." Und tief durchschüttert von diesem Briefe reichte sie ihn tränenüberströmt der Freundin. „Er lebt! er lebt! und denkt an mich!" . . . „Bist du der Joschko?" fragte der Graf. „Der bin ich." Da gab der Graf ihm die Hand und schüttelte sie ihm. „Du bist ein braver, wackerer Mensch, dir wird dein Lohn nicht fehlen." Und dann mußte der Joschko erzählen. Und dann mußte er umdrehen und der Wagen fuhr weiter. Oben auf dem Hügel spielten die Kinder . . . Jeschus Kriste Pane, was kam denn da für ein Wagen. „Mamminka, Mamminka komm." Und der Wagen hielt und als erster sprang wer hinaus? Kleinchen — und sprang bellend den Berg empor und sprang bellend hinein in die Hütte. „Kleinchen? Kleinchen schon da? Da konnte er ja unmöglich die Briefe ..." In demselben Augenblick aber ging die Tür wieder auf, und sie stand darin. Sie! Und hinter ihr einer, den er nie, nie zu sehen gewünscht, der Graf. Und während das schöne Mädchen auf ihn zueilte, wehrte er, halb aufgerichtet, mit zitternden Händen ab ... „Nicht, nicht, Frau . . . Gräfin", und sank mit einem Wehlaut zurück. Der Joschko und der Kraftwagenlenker, der die Binde des Roten Kreuzes trug, schafften die Tragbahre herauf, die sich plötzlich wie durch Wunderhand von der Wagen wand losgelöst hatte, mit der sie früher förmlich wie in eins verwachsen gewesen zu sein schien. Und sachte, ganz sachte, wurde der Kranke auf die Bahre gelegt. Die Frau sah apathisch zu, sie hatte an anderes zu denken. Die Ahne aber trat an die Tragbahre hin: „Gott sei mit dir, preußischer Offizier", sagte sie und streckte ihre zitternde Hand wie segnend über den Kranken. Sarolta aber, die bisher wie eine Statue des Schmerzes dagestanden hatte, streckte der Alten dankbar die Hände entgegen und drückte die Runzelhand jener so fest, daß das ganze Dankgefühl eines überquellenden Herzens darin zum Ausdruck kam. Dann nestelte sie eine kostbare Brosche, die an ihrem Halse ihr glitzerndes Feuer auszusprühen schien, los und steckte sie der sich wehrenden, sträubenden, widerstrebenden alten Frau an. Und zu den Kindern, den ungewaschenen, schmierigen Kindern beugte sie sich herab und küßte sie, gleich als hätten auch diese ihr Teil dazu beigetragen, ihn, ihn, am Leben zu halten. Und auch iedes Kind wurde reich, überreich von dem schönen Mädchen beschenkt. Der Joschko aber, der Joschko selbst kratzte sich, als der Haupt mann an Ort und Stelle lag, hinter dem Ohr und: „Halten zu Gnaden", sagte er zu dem Grafen, den er für den Herrn des Wagens hielt, „halten zu Gnaden, aber ich hab hier", und er zog ein schmieriges Päckchen heraus, „das Geld von. . . von Pane Offizier. Hat er mir zwar geschenkt, aber weiß ich nicht, ob darf ich behalten." Her Graf aber klopfte ihm mir auf di« Schulter: „MÄ dürft Ihr behalten, alles und hier hast du noch mehr/ Der Joschko aber... der Joschko ergriff die Hand des Grafen und küßte und küßte sie und sank auf die Knie und rief: „Kann ich nicht, kann ich nicht nehmen! Nehmen Sie'S wieder zurück, denn bin ich ein so schlechtes Mensch!" Und nun konnte der Wagen fort. „Es ist ein nicht unbedenkliches Fieber", sagte der Geheimrat. Die Erregung war für ihn zu groß. Wir müssen sehen, was sich tun läßt. In jedem Fall muß er von hier fort gebracht werden, und vielleicht, vielleicht darf er auch vor der Hand niemand sehen." „Mich wird er sehen", sagte das Mädchen. „Ich werde ihn pflegen. Ich werde nicht von seinem Bette weichen, bis er gesund, bis er gerettet ist." (Schluß folgt.) bin Legenäienst. Von Heinrich Goldmann. (Nachdruck verboten.) Die ersten Sommerwinde liefen durch Wälder und über Wiesen und überwarfen alles mit grünen Schleiern. Und sie liefen an Flüssen und Bächen entlang und be steckten die Ufer mit bunten Blütenköpfen. Darüber hin schwangen sich gleich singenden Harfensaiten jauchzende Vogelstimmen, und die Sonne beglänzte alles mit warmen Lichtschauern. . . Aus dem Parktor des weiten Herrensitzes sprengte auf schneeweißem Zelter die junge Gräfin. Unschlüssig über die Richtung, die sie für ihren Morgenritt einzuschlagen gedachte, brachte sie, auf der Landstraße angelangt, ihr Pferd für einen Augenblick zum Stehen und blickte lange nach rechts und wieder nach links. Aus der zuletzt eingehaltenen Richtung der Blicke grüßte von weit hinter den welligen Kuppen der Stein brüche her das im Sonnenlicht blitzende Turmkreuz des Landstädtchens. Und einem halb unbewußten Entschlusse nachgebend, trieb sie ihr Pferd nach dieser Seite. Der Weg lag schnurgerade und trocken vor ihr. Da ließ sie die dünne Reitgerte durch die Luft sausen, und das Tier flog mit seiner schönen Herrin über die Land straße. Die ganze Lebensfreude ihrer achtzehn Jahre funkelte aus den Blicken der schönen Reiterin. Alle Gnaden eines überreichen Jugendglückes schwammen wie Rosenwölkchen begleitend neben ihr her. Die Seele des jungen Mädchens glich einem einzigen duftblauen Traum, durchwirft von , den Sternen goldiger Hoffnungen für die Zukunft . . . Jetzt führte der Weg an den Steinbrüchen vorüber. Da plötzlich hob sich ein Kopf und ein Arm über die Böschung. Das Pferd bäumte sich und kam mit den ' Hinterbeinen über den Rand des Bruches. Ein Schrei gellte durch die Lust, und im nächsten Augenblick rollte ! der schwer« Leib des Tieres in die Tiefe. In rascher Erfassung der Gefahr war das Mädchen noch rechtzeitig aus dem Sattel gesprungen, aber es war mehr ein Fall, und beim Ausschlagen auf den Boden . verlor die verunglückte Reiterin die Besinnung. Langsam und vor Schreck stöhnend kam jetzt die Gestalt, deren so unvermutetes Austauchen den Unfall veranlaßt hatte, herangehumpelt. Es war die alte „Kräuterhexe" aus dem Dorfe, die hier wieder nach ihren Heilpflanzen gesucht hatte. Die Alte machte sich mit einer sonst nicht von ihr zu erwartenden Behendigkeit an dem bewußtlos daliegenden Mädchen zu tun und wischte mit Grasbüscheln die immer wieder aufspringenden Blutstropfen von der bleichen Stirn der Verunglückten. „Nicht schlimm! Nicht schlimm!" murmelte sie vor sich hin. Dann blickte sie in den stillen Steinbruch hinab. Unten lag das schöne Tier, mit gebrochenem Genick. Die Alte blickte die Landstraße hinunter. Kein lebendes Wesen war zu sehen. Da raffte sie sich plötzlich auf und lief, was sie laufen konnte, dem weit zurück liegenden Schlosse zu. Mötzlich mußte sie etwas bemerkt haben. Mit aus- zebreiteten Armen stellte sie sich mitten auf den Weg und chrie allerhand beschwörende Worte, die in dem heiseren Ton ihrer gepreßten Stimme völlig unverständlich blieben, dem in scharfem Trabe anrollenden Gefährt entgegen. „Aus dem Wege, alte Hexe!" klang es schon von weitem ihr entgegen, aber die Alte wich nicht von ihrem Platze und brachte so wirklich das Gespann zum Halten. „Soll ich dir die Peitsche um die Ohren schlagen, unverschämte Hexe?" ließ sich die herrische Stimme des ungen eleganten Wagenlenkers vernehmen, aber aus einen Augen, die mehr das Komische der Lage still be lächelten, sprach nicht die Gewißheit, daß er seine Drohung ernst nähme. Und da war auch schon die Alte an seiner Seite und 'prach zu ihm hinauf. Eiligst sprang der junge Mann vom Bock, hob das chmutzstarrende Weib ohne jedes Bedenken auf den Sitz. Dann schwang er sich selbst neben ihr auf den Wagen, und während die Alte ihm mit dauernd ausgestrecktem Arm die Unfallstelle wies, fuhr Graf Berkhausen, in dem wir es mit dem Nachbar der Kräuterhexe zu tun haben, in tollster Gangart dem bezeichneten Ziele zu . . . Gräfin Herta von Hasselbach hatte im elterlichen Schlosse das Bewußtsein wiedererlangt und konnte ihrem Helfer persönlich danken. Die alte Kräuterhexe wurde für ihr entschlossenes Handeln doppelt belohnt. Im Schlosse wurde sie bewirtet und mit einem Geldgeschenk entlassen. Daß sie die eigent liche Ursache des Unfalls gewesen, konnte man ihr nicht gut anrechnen. Aber auch Graf Berkhausen beschenkte sie. Hatte er ihr doch zu verdanken, daß er zum erstenmal, wenn auch unter so wenig glücklichen Umständen, die Bekanntschaft des künftigen Gutsnachbarn machen durfte und damit auch das Glück finden durste, in ein paar Mädchenaugen zu blicken, auf deren Grunde er ein ungeahntes Zauberreich entdeckte. Graf Berkhausen hatte das hinter den Steinbrüchen liegende Gut erst vor wenigen Tagen gekauft, und wenn er als Landwirt, der er mit Leib und Seele war, in dieser Erwerbung ein besonders dankenswertes Aufgabenfeld er blickt hatte, so wollte es ihm jetzt, wo er auf so unver hoffte Weise im Schoße der gutsnachbarlichen Familie weilen durfte, scheinen, als sollte ihm der Gutskauf nicht allein die Befriedigung seines Ehrgeizes als Landwirt bringen, sondern noch ein viel Höheres Glück in Aussicht stellen. Als er wieder aus dem Park auf die Landstraße zu seinem Wagen schritt, mußte er sich sagen, daß mit ihm eine ganz merkwürdige Veränderung vorgegangen war. Und viel Heller pfiff der Peitschenknall durch den Sommer morgen . . . Die verhängnisvollen Augusttage des Jahres 1914 hatten den Kriegssturm aus seinen Fesseln gerissen. Die ganze Welt lag in lohendem Brand, und unter ungezählten Wunden bluteten die Opfer . . . In einem Lazarett, fern auf französischem Boden, lag ein junger Kürassieroffizier schwerverwundet in seinen Kissen. Neben ihm am Bett hielt treue Wacht eine Schwester, jung an Jahren und totenbleich. Vergeblich waren die Mahnungen der Oberin ge blieben, die sie an die junge Gräfin Herta von Hasselbach richtete. „Sie brauchen Schonung, mein liebes, gutes Kind! Ihre Aufopferung ist ja übermenschlich! Sie sind ja selbst schon krank! Ich werde Sie ablösen lassen." Die Mahnungen, so herzlich und eindringlich sie waren, — sie blieben ohne Erfolg. Der junge Krieger, der sich einer so aufopfernden Pflege zu erfreuen hatte, war — Graf Bodo von Berk hausen. Er lag nicht hoffnungslos danieder. Eine unsichtbare Gewalt goß neue Kraft in seine Adern, und in seinen Träumen sah er eine Welt, in der es blühte und sang, und die junge Zauberin, die ihn mit all diesen! Glück umgab, saß neben ihm. . .