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Allgemeiner Anzeiger : 29.09.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-09-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190609296
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19060929
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19060929
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1906
-
Monat
1906-09
- Tag 1906-09-29
-
Monat
1906-09
-
Jahr
1906
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 29.09.1906
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politische kunctlckau. Deutschland. * Der Kaiser wird anfangs Oktober der Hochzeit im Kruppschen Hause beiwohnen und sich dann nach Bonn zur Enthüllung des Kaiser Wilhelm-Denkmals begeben. * Prinz Heinrich von Preußen wird dieser Tage das Kommando über die aktive Schlachtflotte übernehmen. * In der braunschweigischen Erb- folgesrage macht sich immer mehr und mehr ein Umschwung in der öffentlichen Mei nung sowie in maßgebenden Kreisen zugunsten des Herzogs von Cumberland geltend. Es erscheint nicht mehr ganz ausgeschlossen, daß derselbe endlich die Regierung antritt. Natürlich müßte seine endgültige Verzichtleistung auf Han nover dem vorangehen. * Die Roheinnahme aus den neuen Steuern ergab bis Ende August insgesamt: aus der Zigarettensteuer 1887 459 Mk., aus der Frachturkundensteuer 3 126 869 Mk., aus der Fahrkartensteuer 91215 Mk., jedoch ist in dieser Summe die Steuereinnahme von den Staatsbahnen noch nicht enthalten, aus den Steuerkarten für Kraftfahrzeuge 802 795 Mk., aus den Vergütungen an Aufsichtsratsmitglieder 8864 Mk. und aus der Erbschaftssteuer 10207 Mk. * Die Regierungen der thüringi schen Staaten wollen gemeinsam den Reichskanzler um Eröffnung der Grenzen zur Linderung der Viehnot ersuchen. Schweiz. *Die Bewohner des Kantons Waadt verwarfen am Sonntag in einer Volks abstimmung mit 22530 gegen 15676 Stimmen einen Dringlichkeitsantrag auf Be seitigung des erst kürzlich erlassenen Gesetzes, welches den Kleinverkauf von Absinth im Kanton verbietet. Das Absinthverbot bleibt also bestehen. Ein Bewegung für die Aus dehnung dieses Verbotes auf die ganze Schweiz ist gegenwärtig im Gange und findet in der deutschen Schweiz lebhaften Anklang. Italien. *Jn Mailand wurde der internationale Handelskammerkongreß eröffnet. Belgien. *Die Negierung hat der Pforte abermals eine Note überreicht, worin die Auslieferung des Attentäters Joris auf Grund des belgisch-türkischen Vertrages von 1842 gefordert und eventuell die Vorlegung des Falles vor ein internationales Schiedsgericht vor geschlagen wird. Holland. *Der Widerstand der Aufständischen auf der Insel Vali ist vollständig gebrochen, nachdem jetzt auch Pamatjutan von holländischen Truppen erobert worden ist. Als die Holländer jenen Ort stürmten, ließ der Fürst sich in einer Sänfte, umgeben von allen Häuptlingen und Frauen, nach dem Kampfplatz tragen, wo seine mit Lanzen bewaffneten Krieger vom Gewehr feuer der Holländer fortgemäht wurden. Der Fürst starb mit der Mehrzahl seiner Krieger den Heldentod; wer noch am Leben war, be ging nach Landessitte Selbstmord. Die Be völkerung der Hauptstadt bot darauf Unter werfung an. Schweden. * Nachrichten aus Stockholm zufolge wurde bei Bornholm der Dampfer ^Skan dinavien" von zwei russischen Kriegs schiffen angehalten und die Ladung unter sucht. Es wurden 3000 Gewehre und eine Menge Munition gefunden. Sowohl der Dampfer wie die Ladung wurden beschlag nahmt. * Gerüchtweise verlautet, in Stockholm sei der Chef der finnischen Roten Garde Luoto mit zwei ihn begleitenden Finnländern in einem Hause verhaftet worden, in welchem eine Bombenfabrik entdeckt worden war. Spanien. *Jm letzten Ministerrat legte der Minister der öffentlichen Arbeiten eine Denk schrift vor betr. die Schaffung von Hast«, anlagen, die Anlegung von-Magazinei^md Kohlendepots, sowie die Ausführung von WMer- und Kanalisationsarbeiten in Ceuta und Melilla. Ruhland. * Die der Auflösung verfallene Duma be reitet eine Veröffentlichung der von ihren Kom missionen geleisteten Reformarbeiten vor, um dem Volke ihre Fähigkeit und ihren Willen zu praktischer Regierungstätigkeit vor Augen zu führen. Von diesen Publikationen verspricht sich insbesondere die Kadettenpartei eine Rechtfertigung ihres Verhaltens, die die Grund losigkeit der vom russischen Ministerium unlängst gegen sie erlassenen feindseligen Maßnahmen er weisen soll. Der frühere Dumapräsident Generalleutnant Kluck, der vom Kaiser an Stelle des Generals v. Stülp nagel zum Kommandeur des 5. (posenschen) Armee korps ernannt worden ist. Muromzew sprach die Anschauung aus, daß die neue Duma nicht vor April 1907 zusammen treten werde. Stolypin, dessen persönliche Ehren haftigkeit unantastbar sei, arbeite gegen die Kadetten mit für die Staatsautorität gefähr lichen Mitteln. In der künftigen Duma werden Bauern und Kadetten die herrschenden Parteien sein. *Aus Lodz ist eine ganze Kompanie eines Jekaterinburger Regiments nach Warschau ge bracht und durch das dortige Kriminalgericht zu lebenslänglicher Zwangsarbeit wegen Meuterei verurteilt worden. * Aus den weiten Ebenen im Norden des Kaspischen Meeres, zwischen der Wolga und dem Ural, kommen Nachrichten von einer furchtbaren Hungersnot, die die Land bewohner im Gouvernement Samara zur Verzweiflung treibt. Die Unterstützung, die die Regierung den von Mißernte betroffenen Kreisen zuwendet, ist viel zu gering, um der Not steuern zu können. Und ferner vereitelt die Ordnungslosigkeit unter den russischen Gouver- nementsbeamten auch die guten Absichten der Reichsregierung, indem die für den Ankauf von gutem Getreide ausgeworfenen Summen zum größten Teil in die Taschen der Beamten wandern. Im Zusammenhang mit diesen Zu ständen steht die Weigerung der südrussischen Bauern, irgendwelche Steuern zu entrichten. Balkanstaaten. *Das Befinden des Sultans ist nach neuerlichen aus Konstantinopel nach London gelangten Nachrichten zufriedenstellend. Geheim rat Professor Dr. Bergmann, der jüngst in Konstantinopel war, soll sich sehr zuversichtlich über den Gesundheitszustand des Sultans ge äußert haben. * Prinz Georg von Griechenland, der frühere Generalgouverneur von Kreta, soll jüngst in einer vertraulichen Mitteilung die Erwartung ausgesprochen haben, Kreta in ab sehbarer Zeit wieder zu verwalten, aber als „Königlich griechischer Statthalter". Einstweilen will der Prinz eine größere Seereise unter nehmen. Zaimis, der eben ernannte neue Kommissar für Kreta, hat unter den gegen wärtigen französischen Ministern persönliche Freunde. Man glaubt, daß die sehr großen Einkünfte aus seinem Privatvermögen ihm er möglichen werden, in seinem neuen Wirkungs kreise zahlreiche Anhänger zu erwerben. * Wie ausSaloniki gemeldet wird, haben drei türkische Divisionen in llsküp, Köprülü und Serres Befehl zur Mobili sierung erhalten. Amerika. * Die Bemühungen der inKuba weilenden Vertreter der Ver. Staaten, Klarheit in die verworrenen Verhältnisse der Insel zu bringen und Frieden zwischen den streitenden Parteien zu stiften, haben bisher nur schwachen Erfolg gehabt, trotz des Entgegenkommens einiger Rebellenführer. General Pieno Guerra, der hartnäckigste Rebellenführer, erklärte sich damit einverstanden, daß Präsident Palma im Amte bleibe, wenn eine neue Kongreßwahl an geordnet würde. Die andern Liberalen sind mit einer teilweisen Aufhebung der Wahlen zu frieden. Trotz des getroffenen Übereinkommens betr. einen Waffenstillstand treffen die Rebellen Vorbereitungen für die Fortführung des Krieges. Asten. * In der Mandschurei haben die Russen ausgespielt. Selbst das bißchen Besitz, das ihnen Japan gelassen, wird ihnen durch chinesische Ränke verleidet. Von Juanschikai, dem chinesi schen Vizekönig, abgesandte Agenten suchen die bei der Eisenbahn beschäftigten Chinesen zu über reden, nach Tschili zurückzukehren und bei den von Juanschikai organisierten Truppen einzu treten mit der Begründung, daß daselbst Chinesen vorgezogen würden, die ortskundig wären, Russisch verständen und Bescheid wüßten, wo die die Eisenbahn bewachenden Truppen ständen. *Jn China ist durch einen kaiserlichen Erlaß der Opiumgenuß für Eingeborene und Fremde nach Ablauf von zehn Jahren v e r- boten worden. Vie Breslauer Arbeiter- Krawalle vor Gericht. Staatsanwalt Dr. Hensel führt am Dienstag in seinem Plaiboyer aus, daß die Angeklagten in zwei Kategorien zerfallen, von denen sich die eine wegen Aufruhrs, Widerstandes und Auflaufes, die andre Wegen Vergehens gegen die Gewerbe-Ordnung und Beleidigung zu verantworten habe. Gegen die letzteren find eine Anzahl Strafanträge wegen Beleidigung zurückgezogen worden, so daß sie deshalb nicht mehr bestraft werden können. Auf dem Striegauer Platz handelte es sich von dem Augenblick ab, als dem Verlangen des Hauptmanns Roll, sich zu entfernen, nicht Folge geleistet wurde, um einen Aufruhr. Der Aufruhr kam erst zum Stillstand, nachdem die Beamten sich zurückgezogen hatten. Die Verantwortung für alles, was vor gekommen ist, insbesondere für die schweren Ver wundungen, tragen die Personen, die die Kanonen schläge losgelassen haben. Gegen ^7 Uhr entstand dann aus dem Striegauer Platz, wohin sich die Menge aus den Straßen begab, ein Aufruhr, an dem sich Tausende beteiligten. Der Aufruhr war auch nicht mehr zu lokalisieren, obwohl Beamte in großer Zahl anwesend waren. Sie konnten in ihrer Minderheit nichts ausrichten und wirk same Verhaftungen nicht durchführen. Ohne Gefahr konnten sie sich auch nicht zersplittern, denn einzelne Schutzleute waren machtlos. Die Verteidigung hat uns nun hier eine Reihe von Fällen vorgeführt, in denen Schutzleute auf Unschuldige losgeschlagen haben sollen. Das größte Aufsehen hat in dieser Beziehung der Fall Biewald erregt. Es ist aber nirgends bewiesen worden, daß ein Schutzmann sich einer vorsätzlichen Über schreitung seiner Amtspflichten schuldig gemacht hat. Ich bedauere selbst, daß der Schutzmann sich nicht gemeldet hat, der dem Biewald die Hand abgeschlagen hat. Wer aber kann wissen, ob er sich nicht ge irrt hat, ob er eine Handbewegung des Biewald nicht irrtümlich als einen Widerstand auf faßte und glaubte, von der Waffe Gebrauch machen zu müssen. Dann hat er sich keine strafbare Handlung zuschulden kommen lasten. Man kann nun einwcnden, daß sich der Beamte ja hätte melden können, wenn ihn keine Schuld trim. Aber da ist doch zu betonen, daß ihn sowohl die Furcht vor einer strafrechtlichen Verfolgung als auch vor einem Disziplinarverfahren davon abhattcn konnte, und schließlich konnte er auch aunchmen, daß Biewald ihn zivilrechtlich zur Verantwortung ziehen würde. Wo so viele Gründe vorliegen, braucht es nicht allein bas Schuldbcwußtsein zu sein, das den Schutzmann von der Meldung abhielt. Aber alles zugegeben: können sich denn die Angeklagten als Entschuldigung für ihre Ausschreitungen auf die Übergriffe einzelner Beamten berufen, die sie gar nicht gesehen haben? Kein einziger der der Angeklagten hat z. B. den Fall Biewald gesehen. Der Staatsanwalt beantragt gegen den Angeklagten Schneider, der nach einem Schutzmann mit einem gezückten Messer gestochen haben soll, Jahr, gegen einen weiteren Angeklagten ebenfalls 1'/. Jahr und gegen weitere zehn Angeklagte Gefängnis strafen von zehn bis zwei Monat. Den jugend lichen Arbeiter Schimpf beantragt er freizusprechcn. Zur zweiten Kategorie der Anklagen — Vergehen gegen die Gewerbeordnung (Beleidigung von Arbeits willigen usw.) — beantragt der Staatsanwalt gegen 32 Angeklagte die Höchststrafen von 3 Monat Ge fängnis und gegen einige weitere Angeklagten eine Zusatzstrafe von 2 Monat. Von den Verteidigern sprach 'zuerst Rechtsanwalt Weizmann, der als Anwalt der Mitglieder des Hirsch-Dunckcrschen Gewcrkvereins für Freisprechungen bezw. mildernde Umstände für seine Klienten eintrat. — Ausführungen allgemeiner Natur auf die Rede des Staatsanwalts machte machte Justizrat Hein: Der Staatsanivalt hat ge glaubt, der Polizei ein Leumundszeugnis ausstellen zu müssen. Meine Ansich geht dahin, daß, wenn die Feuerwehr in Funktion getreten wäre und einen kalten Wasserstrahl abgegeben hätte, das ganze Blutbad hätte vermieden werden können. Die Angeklagten haben sich in gerechtfertigter Erregung befunden uud einer gerechten Entrüstung Lust gemacht. — In später Abendstunde sprachen dann Rechtsanwalt Simon und Justizrat Mamroth. Letzterer besprach die Vorgeschichte des Prozesses. Es gereiche ihm zur besonderen Genugtuung, daß der Staatsanwalt in seinem Plaidoher und auch die Richter die Glaub würdigkeit des Zengen Biewald nicht bezweifelt haben, wodurch bewiesen sei, daß Biewald an jenen Krawallen nicht beteiligt sei. Der Redner schloß mit der Bitte an das Gericht, ein Urteil zu fällen, das dem Volksempfindcn entspreche. Von IVak unä fern. Beendeter Streik. Der Ausstand dec Maurer und Bauhilfsarbeiter in Nürnberg ist nach fast dreimonatiger Dauer beendet worden. Die Arbeitgeber verlangen jetzt den Abschluß eines für längere Zeit gültigen Tarifvertrages. Wegen Lotterievergehens verhaftet. Der Serienloshändler Wehrmann, der trotz des neuen Lübecker Gesetzes gegen die Serienlos- aesellschaften massenhaft neue Gesellschaften bildete, ist verhaftet worden. Kirchenraub. In der Johanniskirche zu Halle a. S. haben Diebe den Opferstock aus geraubt. Durch.Feuer zerstört wurde das Hotei Blüchertal in Bacharach am Rhein. Auch drei Wohnhäuser sind niedergebrannt. Der Schaden ist sehr groß; der Besitzer ist unter dem Ver dacht der Brandstiftung verhaftet worden. Das Spielen mit Schießgewehren hat in Naumburg a. S. über zwei Familien schweres Leid gebracht. Im Delikateßgeschäft Riek spielte der 16 jährige Lehrling Wille mit einem Re volver und schoß seinen 15 jährigen Mitlehrling Rottig an. Als er das Blut fließen sah, richtete er die Waffe gegen sich selbst und schoß sich tot. Bedeutende Warendiebstähle sind in einem Münchener Luxuswarengeschäft entdeckt worden. Zwei Ausgeher, die jahrelang das größte Vertrauen genossen, wurden verhaftet, und bei einer Haussuchung wurden wertvolle Kunstgegenstände bei ihnen gefunden. Die Hehler sucht man noch. In der Eifersucht. In einein Tanzsaal zu Ingolstadt erschoß der Schlosser Grahmmer aus Eifersucht ein Mädchen und dann sich selbst. jugendlicher Dieb. Der zwölfjährige Lateinschüler und Seminarverwalter Höst in Neuburg a. d. Donau hat aus seines Vaters Amtskasse 7000 Mk. bar gestohlen und ist mit einem gleichalterigen Jungen flüchtig. U 6m frauenleben. 13^ Erzählung von Fritz Reutter. <Fottftbung> Frau Forster richtet den Kopf empor und blickt hinauf in den tiefblauen, sternhellen Himmel und fährt in ihrer Erfählung fort: „Als ich Sie verließ, sagte ich Ihnen, ich hätte e i 11 Leben probiert und wollte nun auch das andre versuchen. Einst war es meine Absicht, gut zu sein, in der Einsamkeit und Vergessen heit über die Schande hinwegzukommen, die auf mir lastete — und es mißlang — Sie wissen, wie es mißlang. Damals machte ich alles, was ich besaß, zu Geld und wechselte meinen Namen. Ich begab mich ins Ausland und zog von Ort zu Ort und nannte mich Madame de Neuville — beim Mädchennamen meiner Mutter. Als mein Geld auf die Neige ging, befand ich mich zufällig an der Riviera. Damals spielte ich zum ersten Male. Ich fand Gefallen uud Zerstreuung dabei, ich ge wann so hohe Summen, daß ich reich wurde. Ich warf das Geld mit vollen Händen von mir, jede Extravaganz, jede Kaprice be friedigend. Die dem Leben nötige Erregung fand ich im Spiel." Wie sie ihr Geständnis abgelegt hat, schweigt Bruno immer noch, trotzdem sie ihn fragend anblickt. „Wollen Sie mich tadeln? Sagen Sie mir, was ich hätte tun können?" „Nein," antwortet er milde, ich habe kein Recht, Sie zu tadeln. Ich warte bloß auf den Schluß Ihrer Erzählung. Ich meine eben, eine so schöne Frau wie Sie konnte doch nicht leben ohne — Freunde — ohne Lieb haber ?" Ihr Auge blitzt zornig auf, und ihr weißes Antlitz scheint noch bleicher zu werden. „Ah, versetzt sie mit kaltem Hohn, „so ver stehen Sie mich auch nicht bester als alle andern. Man nennt mich hier die Sphinx, weil eine Frau, die hier «sns a nants lebt, ihnen als ein unerklärliches Geheimnis erschein. bR bien, so wie ich den Leuten hier ein Geheimnis bin, so muß ich es auch Ihnen sein." Er schämt sich der Zweifel, die er ausge sprochen. Sie aber fährt sanft fort: „Konnten Sie nicht begreifen, daß nach all dem Leid, daß ich dem besten und liebsten Manne zugefügt, es mir nicht möglich war, nur auch an die Liebe eines andern Mannes zu denken?" Die Worte klingen einfach. Ihre Entsagung rührt sie nicht mehr; er aber fühlt das Martyrium ihres unverd'enten Leidens. „Wie soll das enden?" ruft er plötzlich. „Wie lange können Sie dieses Leben fortsetzen ?" „Das Ende ist gekommen," antwortet sie ruhig, mit einem Lächeln, das ihm unheimlich vorkommt. „Als ich vorhin den Spielfisch ver ließ, hatte ich meinen letzten Frank verloren. Die Juwelen, die ich noch trage, genügen, um einige kleine Schulden, die ich habe, zu bezahlen. Das ist alles. Ich werde nie mehr spielen." „Sie sollen nie Mangel leiden," versetzt er hastig, kaum wissend, was er sagt. „Ich habe Geld genug — Geld von Georg Baumbach — und er hätte sicher gewünscht —" „Schweigen Siel" ruft sie, die Hand wie abwehrend erhebend. „Sie wissen nichts was Sie sagen. Sie meinen es gut. Ich weiß das. Aber sagen Sie daS nicht mehr." Er schweigt beschämt vor diesem Stolz. „Dies ist unser Lebewohl," fährt sie fort auf ihn zutretend und ihm die Hand entgegen streckend. „Unsre Pfade trennen sich . . . Ah I" ruft sie, sich der Vergangenheit erinnernd, „denken Sie noch daran, als ich Ihnen dies sagte — lang' ist's her?" Er erinnert sich an die Worte, sie kann es in seinen Zügen lesen. „Damals sprach ich Sie, als Sie glücklich waren — und ich unglücklich. Sie waren geehrt, und ich war entehrt. Und ich hatte recht. Die Zeit hat Ihnen alles Gute eines glücklichen, ehrenvollen Lebens gebracht — und mir — Sie sehen selbst, woran ich bin." Eine leichte Gebärde ihrer emporgehobenen Hand verstärkt den Nachdruck dieser Worte. „Damals konnten Sie mir nicht vertrauen, so wie Sie es jetzt auch nicht können," fährt sie fort mit leise zitternder Stimme; „aber ich glaube, mein Los wäre glücklicher gefallen, wenn Sie mir Ihr Vertrauen hätten schenken können." Er antwortet nicht, aber sein Antlitz verrät vielleicht etwas von den ihn bewegenden Ge fühlen; denn rasch setzt sie hinzu: „Tadeln Sie sich nicht. Sie handelten recht — ganz recht — denn," sie blickt zitternd und ängstlich um sich — „ich hatte ein Ge heimnis, und Sie waren es allein, der tief blickend genug war, zu erkennen, daß ich Ihnen etwas verhehlte." „Ach l" rnft er vorwurfsvoll. „Wenn Sie es mir damals gestanden hätten I Wollen Sie es mir jetzt nicht sagen?" „Es ist zu spät," antwortet sie, vor dem durchdringenden Blick seiner dunklen Augen zurückschreckend; „und obgleich es nicht schaden könnte, kann es auch nichts mehr nutzen." „Sagen Sie es mir," spricht er befehlend- Er hat immer einen gewissen dominierenden Einfluß über sie besessen. Sie schwankt und zögert. Endlich aber beginnt sie, etwas in den Schatten zurückweichend, mit bebenden Lippen: „Als ich Ihnen wie aller Welt damals die Einzelheiten beim Tode meines Gatten erzähle, sagte ich Ihnen die ganze Wahrheit — mit einem Vorbehalt." „Und?" „Ich fand ihn, wie ich damals geschildert, in todähnlichem Schlafe liegen," und wieder blickt sie verstohlen scheu umher, wie er sie nur einmal zuvor gesehen; „aber er hielt einen Brief in der Hand, den ich versteckt«, sobald ich ihn gelesen hatte. Der Brief machte mir einen unverdienten Vorwurf, den ich nicht zu ertragen wagte; und in dem Schrecken und der Ver wirrung jenes Augenblickes verbarg ich den Brief. Erst nachher, als es zu spät war, er kannte ich, daß, wenn ich den Mut gefunden hätte, den Brief vor aller Welt zu zeigen, da mit bewiesen worden wäre, daß er sich selbst das Leben genommen, und der Verdacht deS Mordes hätte nie auf mir gelastet. „Warum sprachen Sie damals nicht?" ruft er mit nichtigem Vorwurf. „Was stand in dem Brief?" „Sie wissen," antwortet sie aufs tiefste be»
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