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Allgemeiner Anzeiger : 08.09.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-09-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190609083
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19060908
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19060908
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-09
- Tag 1906-09-08
-
Monat
1906-09
-
Jahr
1906
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 08.09.1906
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politische Kunclschau. Deutschland. *Die Abreise des Kaiserpaares in das Manövergelände ist auf Donnerstag, den 6. d. festgesetzt. Die Majestäten begeben sich zunächst nach Breslau. * Das deutsche Kronprinzenpaar ist in Tegernsee eingetroffen. * Reichskanzler Fürst v. Bülow hat sich nach Norderney zurückbegeben. Vor her wurde er noch einmal vom Kaiser empfangen. *Wie halbamtlich gemeldet wird, hat der mit der Leitung der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts betraute Erbprinz zu Hohenlohe-Langenburg, gebeten, ihn von dieser Stellung zu entbinden. Es ist in Aussicht genommen, dem Direktor der Bank für Handel und Industrie, Bernhard Dernburg, die Leitung der Kolonial- Abteilung zu übertragen. * Die jetzt vorliegenden Ergebnisse des Reichshaushalts-Etats für das Rech nungsjahr 1905 lassen erkennen, daß die Reichs kasse diesmal nicht nur kein Defizit, wie in den letzten Jahren, sondern einen, wenn auch kleinen Überschuß von 6 248 000 Mk. gegen den Vor anschlag aufzuweisen hat. Dieser Erfolg wurde erzielt, obwohl der Ausgabebedarf des Reiches um 9 278 000 Mk. die etatsmäßigen Bewilli gungen überstieg. Auch für die Einzel- staaten bedeutet dieser Abschluß eine erhebliche Besserung ihrer Finanzlage, denn die eigenen Einnahmen des Reiches erlaubten nicht nur, die ihnen für 1904 und 1905 gestundeten Matrikular- beiträge in Abgang zu stellen, sondern der er zielte Überschuß von 6 248 000 Mk. konnte ihnen auf die für 1905 bereits erhobenen und durch die Überweisungen nicht gedeckten Matrikular- beiträge erstattet werden. * Oberst v. Deimling beabsichtigt, durch eine allgemeine militärische Streife dasHerer o- land von den kleinen, zerstreuten Banden zu säubern. Osterreich-Ungarn. *Kaiser Franz Joseph hat dem Kardinal Kopp das Großkreuz des Stephanordens verliehen. (Zur Diözese des Kardinal Kopp gehört auch Osterreichisch- Schlesien.) *Jm ungarischen Kohlenrevier ist die Zahl der Streikenden auf 7000 ange wachsen. Alle Vermittelungsversuche sind ver geblich gewesen. Da die Lage sich mit jedem Tag verschlimmert, hat man regierungsseitig be schlossen, falls nicht bald die Arbeit wieder aus genommen wird, über das ganze Kohlengebiet den Belagerungszustand zu verhängen. Bei einem Zusammenstoß der streikenden Arbeiter der Petrosenyer Kohlenbergwerke im Komitat Hunyad mit dem Militär wurden 175 Personen leicht verwundet. Der Anführer der Streikenden, Mihaly Gulassy, wurde mit 15 Genossen verhaftet. Frankreich. *Mit der sozialen Gesetzgebung in Frankreich hapert es bedenklich. Bei der Ausführung der bisher vom Parlament be schlossenen Gesetze mit sozialpolitischem Inhalt ergeben sich große Schwierigkeiten, vor allem hinsichtlich der Durchführung derSonntags- ruhe. Der H an d els minist er hat ein Rundschreiben erlassen, das die Unsicherheit in bezug auf die Handhabung des Gesetzes über den wöchentlichen Ruhetag beseitigen soll. Das Rundschreiben schließt von der Wohltat des Gesetzes alle diejenigen aus, die nicht Arbeiter oder Angestellte sind, so auch insbesondere Zeitungsredakteure und dramatische Künstler, die beide einen freien Beruf ausüben. In den Berussklassen, zu denen diese gehören, haben Anspruch darauf einerseits die Drucker, Boten usw., anderseits Maschinisten, Beschließerinnen, Kon trolleure usw. Ferner haben Anspruch darauf die Wechsel- und Handelsmakler. Dienstpersonal, wie Kammerdiener, Dienstmädchen usw. werden durch das Gesetz nicht berührt. Den Gewerbe- Inspektoren wird zunächst bei der Ausführung des Gesetzes die größte Nachsicht anempfohlen. * Die aus 18 Mitgliedern bestehende ständige Abordnung des französischen Episkopates hat ihre erste Sitzung ab gehalten, um das Programm der Vollversamm lung der französischen Bischöfe vorzubereiten. Sie besprach hierbei die durch dieEnzyklika des Papstes und das Rundschreiben des Unterrichtsministers Briand geschaffene Lage. Spanien. * In Regierungskreisen heißt es, das spanisch - schweizerische Überein kommen sei nunmehr unterzeichnet worden; die von der auswärtigen Presse veröffentlichten Einzelheiten über das Übereinkommen seien jedoch vollkommen unrichtig, die einzelnen Be stimmungen würden erst bekannt werden, wenn General Min ch. In Rußland hat die Hydra der Propaganda der Tat mit erneuter Kraft wieder das Haupt er hoben. Die Männer und Frauen der Revolution suchen durch schreckliche terroristische Taten die be stehende Regierung ins Schwanken zu bringen, und täglich meldet der Telegraph von neuen Mordtaten. Eines der letzten Opfer war der russische General Min, der Kommandeur des Leibgarde-Semenowschen Regimentes, der durch fünf Revolverschüsse auf dem Bahnhof Neu-Peterhof von einem jungen Mädchen getötet wurde. General Min hatte sich im Dezem- byr v. besonders bei der Niederwerfung des Mos kauer Aufstandes hervorgetan. Die Mörderin nennt sich Sophie Larinow und gibt ihr Alter auf 27 Jahre an. Sie stammt aus dem Gouvernement Pensa. die Cortes und der Bundesrat gleich zeitig darüber beraten werden. *Jn dem Streikgebiet in Nord spanien hat sich die Lage ein wenig ver bessert. Die vom Militär-Proviantamt herge stellte Brotmenge reicht für die Bevölkerung nicht aus, weshalb es immer wieder zu kleinen Zusammenstößen mit dem Militär kommt. In Santander ist die Lage noch immer gespannt. In Bilbao hofft man, daß die Arbeit bald wieder ausgenommen werden wird. Rustland. * Ein geheimnisvoller Vorgang, der den Revolutionären sehr wertvolles Material in die Hände gespielt haben soll, bildet in der Hauptstadt des Zarenreiches das Tagesgespräch. Der Kutscher einer Mietdroschke, die der Kurier des Mi nist errate s benutzte, um ver schiedene wichtige Schriftstücke den einzelnen Ministern zuzustellen, verschwand plötzlich mit dem Koffer des Kuriers, worin noch zwei Porte feuilles mit Dokumenten enthalten waren. Trotz dem der Kurier sich die Nummer der Droschke gemerkt hat, ist der Kutscher unauffindbar. Die Revolutionäre sind, wie der Vorfall zeigt, un ermüdlich an der Arbeit. * Die revolutionäre Werbearbeit in der russischen Armee wird von den Anarchisten nach wie vor niit großem Eifer betrieben und findet nicht nur bei Soldaten, sondern auch bei einzelnen Vorgesetzten vorwiegend niederen militärischen Ranges willige Helfershelfer. Mehrere Mitglieder der M ili tä r o r g an is at i o n in Odessa, ein Arzt Dr. Levenson, der Adlige Leontiew, die Tochter des Obersten Michailova, ein Freiwilliger des Dimai - Regiments, drei Unteroffiziere des Ismail-Regiments und zehn Soldaten von andern Regimentern wurden verbastet. Sie werden be schuldigt, die gegenwärtige Regierungsform stürzen zu helfen durch Organisationen und Kundgebungen. 100 Soldaten seien zur Empörung anfgereizt worden durch die Zusammenstellung und Verbreitung verbrecherischer Aufrufe an Soldaten und Arbeiter. Den Verhafteten drobt nach der Rechtsprechung des Militärgerichts die Todesstrafe. * Die wegen Teilnahme an der Meuterei inSweaborg zum Tode Verurteilten wurden zu Freiheitsstrafen begnadigt. Balkanstaaten. * Infolge der jüngsten Kriegsersahrungen hat auch dieTürkei beschlossen, die Kavallerie mit Maschinengewehren auszurüsten. Der in türkischen Diensten stehende französische Waffentechniker Berthier-Pascha ist zu Vorver handlungen über die betreffende Bestellung nach Frankreich abgereist; denn da die Streitfrage wegen der Oase Djanet als geregelt betrachtet wird, sollen gegebenenfalls französische staatliche Fabriken die Bestellung erhalten. * In Mazedonien bereiten sich, als natürliche Folge der jüngsten Vorgänge auf bulgarischem Boden und von deren Einwirkung auf die Türkei, wieder ernstere Dinge vor. Boris Sarafow, das Haupt der bulbarischen Aktionspartei, hat eine neue allgemeine Er hebung angekündigt. Amerika. *Wie aus Washington berichtet wird, hat Bryans Eintreten für die Verstaat lichung der Eisenbahnen sehr erregte Erörterungen in der Presse veranlaßt, und Republikaner wie Demokraten verkünden über einstimmend, daß er damit seine Aussichten für die Präsidentschaft verloren habe. * Wieder hat sich bei der Seehunds- jägerei im nördlichen Teile des Stillen Ozeans ein japanisch-amerikanischer Zwischenfall ereignet, unweit der Insel, wo kürzlich mehrere Japaner erschossen wurden. Aus Washington wird amtlich gemeldet, daß fünf Japaner auf der Insel Saint-Georges im Bering-Meer verhaftet wurden unter der Be schuldigung widerrechtlichen Robbenschlages. Asien. *Jn Indien erregt es großes Aufsehen, daß ein Eingeborener, Surendrauath Bajernee, der bei der Agitation gegen die Teilung Bengalens in zwei Provinzen eine hervorragende Rolle spielte, in Kalkutta mit allen königlichen Ehren gekrönt wurde. Die Zeitungen der Eingeborenen sprechen sich darüber abfällig aus und erklären, Bajernee habe sich und Bengalen lächerlich gemacht. (Wenn nicht alle Anzeichen trügen, wird die englische Re gierung wieder Arbeit vollauf bekommen.) * Unter den Eingeborenen von Englisch- Indien herrscht seit einiger Zeit eine steigende Unzufriedenheit mit der englischen Verwaltung, die neuerdings wenig Rücksicht auf alte Gewohn heiten der Bevölkerung genommen hat. Am meisten Unwillen erregte die neue administrative Einteilung der östlichen Hauptprovinz. Oer mäkrilcke Kusgieick. Die politische Herbstsaison wird in Österreich mit einem für die innerpolitische Entwickelung recht bedeutungsvollen Ereignisse einsetzen. In diesen Tagen ist ein kaiserliches Patent er schienen, das den mährischen Landtag auflöst und Neuwahlen ausschreibt, und zwar auf Grund einer Reform der Landes- und Land tagswahlordnung in Mähren, die die Nationali tätenfrage in diesem Kronlande regeln soll. Dem mährischen Landtage gehörten bisher an: zwei Bischöfe, 30 Großgrundbesitzer, 37 städtische und 31 ländliche Abgeordnete. Von diesen 100 Mandaten hatten die deutschbürgcrlichen Parteien 33 und die deutschen verfassungstreuen Großgrundbesitzer 17 Mandate inne, denen 35 tschechisch-bürgerliche und 8 tschechisch-konser vative Großgrundbesitzer gegenüberstanden, wäh rend die Regierung in den zwei bischöflichen und in den fünf Stimmen der Mittelpartei das Zünglein an der Wage in der Hand hatte. Da nun die Bevölkerung in Mähren zu zwei Dritteln tschechisch ist, wurde einerseits von den Tschechen fortgesetzt über die Ungerechtigkeit einer Wahlordnung geklagt, die der deutschen Minorität die Mehrheit im Landtage sicherste, während andrerseits die Deutschen dieser Majorität nicht froh wurden, da sie sie in ein gewißes Abhängigkeitsverhältnis von der jeweiligen Re gierung brachte und sie darum auch im Reichs« rate oft empfindlich lähmte. Da überdies die zunehmende Werbearbeit zugunsten des allge meinen Wahlrechts die Änderung der mährischen Landtagswahlordnung immer wahrscheinlicher machte und die Gefahr vorhanden war, daß dann die gegenwärtige, die Deutschen be günstigende Wahlordnung ohne und gegen die Deutschen geändert werden könnte, stimmten die Deutschen im letzten Frühjahre einem Vor schläge zu, nach dem die Mehrheit im mährischen Landtage zwar auf die Tschechen übergehen, gleichzeitig aber die deutsche Minderheit in Mähren in verfassungsrechtlicher und nationaler Beziehung geschützt werden wird. In Zukunft wird nämlich der mährische Landtag aus zwei Bischöfen, 30 Großgrund besitzern, 40 städtischen und 53 ländlichen Ab geordneten, sechs Vertretern der Handels kammern und endlich 20 Abgeordneten der allgemeinen Wühlerklasse bestehen. Großgrund besitzer und Handelskammern werden proportional wählen, so daß man bei der geringen sozialen Verschiebung in diesen Kategorien auf abseh bare Zeit damit rechnen kann, daß von den Handelskammermandaten alle und von denen des Großgrundbesitzes 20 auf die Deutschen entfallen werden. Die Wählerschaft in den übrigen drei Klassen wird in zwei getrennte nationale Kataster, einen deutschen und einen tschechischen, eingereiht, so daß in den Städten wie in den Landgemeinden und in der all gemeinen Klasse die deutschen und die tschechischen Wähler getrennt die auf ihre Kataster fallenden Mandate vergeben werden; und zwar wählen die Deutschen in den mährischen Städten 20, in den Landgemeinden 14 und in der allgemeinen Wählerklasse sechs Abgeordnete, während die Tschechen 20, 39 bezw. 14 Abgeordnete wählen. Im künftigen Landtage werden also außer den zwei Bischöfen nebst 46 deutsch-bürgerlichen und 20 deutschen Großgrundbesitzern 73 Tschechisch« Bürgerliche und zehn tschechische Großgrund besitzer sitzen. Damit aber diese Kräfteverschiebung im Landtage nicht zur Vergewaltigung der Deutschen führe, wird jede Abänderung der Landes- und Landtagswahlordnung, ferner der Bestimmungen über den Gebrauch der beiden Landessprachen bei den Landes- und Gemeindebehörden und -Anstalten sowie über die Organisation des Landesschulrats und des Landeskulturrats an die Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit des Landtages bei Anwesenheit von mindestens 121 Abgeordneten gebunden. Endlich werden der Kurie der Großgrundbesitzer und der deutschen bürgerlichen Landtagskurie je zwei, der tschechisch-bürgerlichen Landtagskurie je vier Sitze im Landesausschusse (dem Exekutiv-Organ des Landtages) gesichert. Die Deutschen Mährens tauschen also gegen eine zweifelhafte und von der jeweiligen Regierung abhängige Landtagsmehrheit die verfassungsrechtliche Sicher stellung der deutschen Minderheit im Lande gegen alle Übergriffe seitens der Regierung und der Tschechen ein, und man darf hoffen, daß dadurch nunmehr wenigstens in diesem Kron lande dem nationalen Kampfe die bisherige Schärfe genommen und damit für ein Zu sammenwirken in wirtschaftlicher Beziehung der Boden geebnet wird. Von ?^ak unä fern. Die Überführung der Überreste des Papstes Leo X I11. nach der Kirche St. Johann von Lateran findet am 1. Oktober in feierlichem Zuge statt. Der Zug wird von den Mitgliedern verschiedener kaiholischer Verbände Roms sowie den Delegierten des Auslandes ge bildet werden und eine Länge von 6 Kilometer haben. Die Einsegnung der neuen Gruft wird Kardinal Rampolla vornehmen. Oi bin frauenleben. 7j Erzählung von Fritz Reutter. lFon-eyung ) Bruno blickt Frau Falkner stumm an und er wartet, daß auch sie ihn wiedererkenne. Ihr plötz liches Erbleichen allein offenbart ihm, daß sie ihn wiedererkannt. Sie senkt das schöne Haupt, lächelt ein wenig und bewegt sich der Türe zu. „Ich habe micht verspätet," sagt sie gelassen, „und muß mich beeilen. Ich habe gelesen und die Zeit darüber ganz vergessen." Nicht das leiseste Zeichen, kein Zittern in ihren Worten verrät die Verlegenheit, in der sie sich fühlen muß. Ihrer absoluten Gelassen heit muß er sich fügen. Einen Augenblick ist er wie gelähmt im Gefühl der entsetzlichen Lage, in der er sich auf einmal befindet. Er tritt einen Schritt vor wärts, und sein erster Gedanke ist, sie mit dem Namen anzureden, unter dem er sie früher gekannt. Er zögert, und im gleichen Augen blick wird die Tür aufgerissen, und Georg Baumbach erscheint, tritt beiseite, um Frau Falkner Platz zu machen, die das Zimmer verläßt, während Bruno Stauffer von seinem Freunde am Arme fortgezogen und nach seinem Zimmer geführt wird. „Wir sind genötigt, dir das rote Zimmer zu geben," sagt Georg, sich entschuldigend. „Ich hätte dir lieber dein eigenes Zimmer von früher gegeben — du weißt, wir nennen es immer noch dein Zimmer, obgleich du seit Jahren nicht mehr darin geschlafen hast. Aber Gertrud gab es Frau Falkner — es ist das freundlichste im ganzen Hause — und wir konnten sie jetzt doch nicht vertreiben, du ver stehst, nicht wahr?" Sobald sie auf Brunos Zimmer ange kommen sind, verweilt Georg noch einige Minuten, wie um nachzusehen, ob alles in Ordnung sei, und als er sich schließlich der Tür zu bewegt, sagt er zögernd und glück strahlend : „Du hast sie gesehen, du kennst nun auch die Entschuldigung für das, was du für meine Torheit hieltest. Gefällt sie dir?" „Gefällt sie mir?" ruft Stauffer laut auf lachend, so daß er sich selbst schämt, „und ich habe kein Wort mit ihr gewechselt!" Und wie sich Georg etwas enttäuscht abwendet, fügt er rasch hinzu: „Jedenfalls ist sie eine sehr schöne Frau." Und wie sich die Tür schließt und er allein zurückbleibt, blickt er verwirrt um sich, als befinde er sich in einer ganz unwirklichen Welt. Binnen weniger Augenblicke hat diese Welt für ihn ein ganz andres Gesicht an genommen. Dieses glückliche Landhaus, wo er Ruhe und Behaglichkeit zu finden hoffte, wird mit einem Schlage der Ort eines furchtbaren Geheimnisses, dessen Lösung er kennt, und ihm bleibt nichts übrig, als, so bald die Glocke läutet, hinunterzugehen und mit Mathilde Forster als der Braut seines alten Freundes Georg Baumbach zu Tische zu sitzen. 7. Stauffer hatte sich gefreut auf den Tisch seines Freundes; aber die Gegenwart des einen schönen, traurigen Antlitzes ließ keine Freude in ihm aufkommen. Sie sitzt fern von ihm. Er ist dafür dankbar. Denn er hätte es nicht vermocht, mit ihr über ganz gleichgültige Dinge zu reden. Glücklicherweise sitzt sie am andern Ende des Tisches an Georgs Seite, während er selbst der Fürsorge der hübschen Hauswirün Gertrud überlassen ist, die ihre braunen Augen voll unverhohlener Freundlichkeit auf ihn richtet. Das Souper ist gut, die Weine sind tadel los — Bruno war von jeher ein Freund der Tafelfreuden und weiß ein gutes Essen wohl zu schätzen. Das Gespräch wird lebhaft dank der übersprudelnden Heiterkeit der Frau Armur und der scharfen, bissigen Reden der Baronin Bassus. So findet er auch einige Augenblicke, um seine Augen nach Frau Falkner zu werfen und zu sehen, welche Stellung sie in diesem ruhigen Hause einnimmt. Diese unauffällige Beobachtung überzeugt ihn auch bald, daß Georgs charakteristisches Wort wohl die Wahrheit sagt. Sie ist oder erscheint wenigstens die ruhigste Frau der Welt. Sie spricht wenig, lächelt selten, und es schwebt um sie eine Atmosphäre voll Würde und Zurück haltung, die sie über die alltägliche Bewunde rung gewöhnlicher Männer erhebt. Selbst Georgs Verhalten ihr gegenüber kommt ihm vor wie das eines Mannes, der einer Königin huldigt, nicht das des Bräutigams; und sie nimmt all seine Aufmerksamkeiten entgegen mit einer Ruhe, die fast an Kälte grenzt. Der Ge danke aber, daß es seinen Händen überlassen war, das Glück seines Freundes zu stören und sie selbst, die er einst fast geliebt, für immer unglücklich zu machen, raubt ihm allen Genuß, verwandelt die Speisen in Asche in seinem Munde und macht die Wein» gallenbitter. Wenn er nur früher gekommen wäre — oder lieber gar nicht. Die Gegen' wart der Frau, die er einst geliebt — B» nicht tief genug, um sie auch zu heiraten macht ihm die Gegenwart der andern, die jetzt zu heiraten wünscht, zum Vorwurf und vertreibt alle Freude aus seinem Herzen. Aber diese Blicke, so unauffällig sie aum gewesen sein mochten, waren doch den scharfe" Augen der neben ihm sitzenden Baronin nicht entgangen. „Sie ist eine sehr schöne Frau, nicht wahr r fragt sie plötzlich, ihm ins Auge blickend. Er nickt gelaffen, ohne jedoch die Verstellung soweit zu treiben, als verstünde er gar nicht, von wem sie rede. „Ein schönes Geheimnis," fährt die BaronM im gleichen Tone fort. „Ich bin nur begierig, wann es gelöst wird — oder ob es je gelöst wird! Aber ums Leben gem möchte ich das Ende davon sehen; leider muß ich morgen ab' reisen uud so wird meine Neugier schwerlich be« friedigt werden." „Inwiefern ist Frau Falkner denn em Geheimnis?" gibt Stauffer zurück, nicht wenig erstaunt über den Scharfblick der älteren Dame- Er ist sich kaum bewußt, daß er über Namen — Frau Falkner — fast gestolpert ist; aber auch dieser Umstand entgeht der Baronin mmu „Vor allem," antwortet sie so leise, daß »» niemand hören kann, „ist es ein mir unerktar«
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