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Allgemeiner Anzeiger : 22.09.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-09-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190609229
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19060922
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-09
- Tag 1906-09-22
-
Monat
1906-09
-
Jahr
1906
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 22.09.1906
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Potttilcke Kunälckau. Deutschland. X Der Kaiser wird, wie nunmehr fest steht, am 22. d. zu einem etwa achttägigen Jagd aufenthalt in Ro minten eintreffen. * In Kamenz fand Montag vormittag in Anwesenheit des Kaisers die feierliche Bei setzung des Prinzen Albrechtvon Preußen, Regenten von Braunschweig, statt. Weder der Herzog von Cumberland, noch sonst ein Mitglied der herzoglichen Familie nahm an der Beisetzung teil. * Das deutsche Freiwilligen-Auto mobil-Korps, das mit 42 Automobilen am Kaisermanöver in Schlesien teilnahm, hat sich auch diesmal bestens bewährt und seine feldmäßigen Aufgaben in zufriedenstellender Weise erfüllt. Am Schluffe der Manöver hat sich der Kaiser in anerkennenden Worten über die Leistungen des Automobil-Korps aus gesprochen. * Landwirtschaftsminister v. Podbielski hat sich, nachdem die Manövergäste Dallmin verlassen haben, auf etwa vierzehn Tage zur Herbstjagd nach Westpreußen begeben, und wird dann nach Berlin zurückkehren, um sich wieder ganz seinen Amtsgeschäften zu widmen. * General der Artillerie Eduard v. Le winski ist in Schloß Burgwitz-Trebnitz im 78. Lebensjahre gestorben. * Auf Grund der Ausführungsbestimmungen zum Reichsstempelgesetze hat der Reichskanzler bestimmt, daß hinsichtlich der im Auslande für den Verkehr nach und durch Deutschland mit Ausnahme des Bodensee- Rundreiseverkehrs ausgegebencn Fahrkarten, die Vorschriften über die Besteuerung der Personenfahrkarten mit dem 1. Oktober dieses Jahres in Kraft treten. * Amtlicher Nachweisung zufolge belief sich die Einnahme an Wechsel st empel st euer im Deutschen Reiche für die ersten fünf Monate des laufenden Finanzjahres auf 6 327 970 Mk. oder 392 381,50 Mk. mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Osterreich-Ungarn. * Fürst Ferdinand von Bulgarien ist in Wien eingetroffen. Er hat auf der Reise ein unangenehmes Erlebnis gehabt. In Ungarn, kurz vor der Station Salgo Tarjan, als der Zug sich eben in Bewegung gesetzt hatte, flogen große Steine durch die zertrüm merten Fenster in seinen Salonwagen. Eine Untersuchung ist eingeleitet. * Bei den Ausgleichsverhand- lungen zwischen der österreichischen und der ungarischen Regierung handelt sich's hauptsächlich um folgende Streit punkte: Ungarn fordert, daß das Handels bündnis durch einen Handelsvertrag ersetzt werde, sowie daß es über seine Verzehrungs steuern selbständig versügen könne; Österreich verlangt Teilung der bisherigen gemeinsamen Zolleinnahmen nach dem Orte der Erhebung. Ungarn fühlt sich ferner durch die Handels verträge geschädigt, da die Zollerhöhung auf die landwirtschaftlichen Produkte nicht zur Geltung komme, während die österreichischen Jndustrieprodukte den Vorteil der Schutzzölle genössen. Ungarn hält jedoch an den Handels verträgen fest. Ungarn will ferner den Beitrag eur gemeinsamen Staatsschuld durch Kapital rückzahlung ablösen; strittig ist aber die Höhe des Zinsfußes, zu dem die Ablösung des Kapitals berechnet werden soll. Österreich fordert schließlich Erhöhung der Beiträge zu den gemeinsamen Kosten. — Unter diesen Umständen darf man auf die Ausgleichsunterhandlungen gespannt sein. Frankreich. * Bei dem Austrag des Kir ch en str eit e s ist der Regierung der Republik eine an scheinend sehr willkommene Hilfstruppe in der Liga der freien Katholiken Frank reichs erstanden, die sich dieser Tage gebildet hat. Die Liga beabsichtigt, auf Grund der Be stimmungen des Trennungsgesetzes überall Kultusvereinigungen zu bilden, die den Besitz der Kirchengüter sicherstellen würden, und versichert itt einem Aufruf, daß keine geistliche Amtsperson jenen Vereinigungen die A'-sübung religiöser Kultushandlungen versagen werde. England. * In einer längeren Rede billigte Kriegs- minister Haldane zwar die Ab rüstungsbestrebungen, doch sei es bei der bestehenden Lage der Dinge nötig, die nationalen Verteidigungsmittel auf recht zu erhalten. Wenn irgend eine Ver ringerung der Rüstungen zustande gebracht werden solle, so müßten sich die großen Nationen zu ihrer Durchführung vereinigen, aber England könne sich nicht selbst in eine schwache Stellung begeben. (Nun merkt man schon nach und nach, wo hinaus die englische Negierung mit der ganzen Abrüstungsfrage will.) Schweiz. * In Bern haben die Verhandlungen der internationalen diplomatischen Arbeiter schutzkonferenz begonnen. Spanien. * Da in Bilbao die Streikunruhen gänz lich aufgehört haben, beschloß die Regierung, denBelagerungszustand aufzuheben. Rußland. * Der Zar kehrte aus den finnischen Ge wässern nach Peterhof zurück, um an der Bei setzung des plötzlich verstorbenen Palast kommandanten Generals Trepow teil zunehmen. Wie verlautet, wird der Zar nach der Beisetzung seines Ratgebers, der in der Geschichte Rußlands insbesondere während der letzten zwei Jahre eine wesentliche Rolle spielte, wieder auf die See zurückfahren. * Au Stelle des verstorbenen Generals Trepow ist der bisherige Kommandeur des Gendarmeriekorps, General Dedjulin, zum Palastkommandanten ernannt worden. Balkanstaaten. * Der serbisch-türkische Handels vertrag wird einem Ukas des Königs zufolge im Einverständnis mit der Pforte noch vor der Billigung durch die Skupschtina vorläufig zum 31. Dezember 1906 alten Stils in Kraft gesetzt. *Ans Belgrad wird zum Zollkonflikt zwischen Serbien und Osterreich- Ungarn gemeldet, daß ein Friedens- schluß und eine Wiederaufnahme der Handels vertragsverhandlungen mit Österreich nicht früher möglich sei, bis nicht das Ministerium Paschitsch gestürzt, was innerhalb vier Wochen sicher zu erwarten wäre. Paschitsch sei Österreich überaus feindlich gesinnt, deshalb stelle er fortwährend für Österreich-Ungarn unannehm bare FriedWspropositionen. Im serbischen Volke, das die Beendigung des Zollkonflikts sehnlichst herbeiwünsche, herrsche große Erbitterung gegen das Ministerium Paschitsch, das im Oktober bei Wiederbeginn der Skupschtinasitzungen schweren Angriffen entgegensieht. *Auf dem in Port Said liegenden türki schen Truppen schiff „Assyr" brach eine Meuterei aus, wobei mehrere Soldaten getötet wurden. Die Ruhe wurde bald wieder hergestellt. * Prinz Georg von Griechenland hat eine Proklamation an das kretische Volk erlassen, in der er seinen Rücktritt von der Stellung als Oberkommissar bekanntgibt und erklärt, daß die Ernennung seines Nach folgers den nationalen Erwartungen entsprechen werde. Prinz Georg wird die Insel verlassen, ehe sein Nachfolger dort eintrifft, der, wie es bestimmt heißt, der frühere griechische Minister präsident Zaimis sein wird. Amerika. *Jn seinem Sommersitze zu Oysterbai hat Präsident Roosevelt eine Abordnung deutscher Fabrikanten empfangen, die ihm Beschwerden über das Zollverfahren der Ver. Staaten unterbreitete. Der Präsident erklärte, die Herren sollen ihre Beschwerden ein gehend den Beamten des Schatzamtes und des Staatsdepartements auseinandersetzen, die ihm dann darüber berichten würden. Daraufhin hat sich die Abordnung sogleich nach Washington be geben. * Unter dem Eindruck der nordamerikanischen Kriegsrüstungen scheinen sich die st reitenden Parteien auf Kuba endlich eines Besseren besonnen zu haben. Die Gegner wollen offen bar einem Eingreifen der Ver. Staaten aus dem Wege gehen. Wie aus Havanna, der Hauptstadt Kubas, berichtet wird, kündigte die Regierung nach einer Beratung mit den gefangenen Verschworenen und den Abgesandten der Aufständischen die Einstellung der Feindseligkeiten auf unbestimmte Zeit an, in der Absicht, vor dem Eingreifen der Ver. Staaten Frieden zu schließen. Die Friedens verhandlungen sollen angeblich schon im Gange sein und sehr viel Aussicht ans Erfolg haben. Andre Nachrichten besagen, Präsident Palma wolle das Land zwischen seiner Regierung und der der Aufständischen entscheiden lassen. Asien. * Die japanische Regierung be schloß die Aufnahme einer neuen äußeren An leihe im Betrage von 25 Millionen Pfund. Zu diesem Zwecke ist der Finanzagent Taka gascht nach London abgereist. Es ist zweifellos, daß Japan von seinem Bundesgenossen diese neue Anleihe bewilligt, bekannt. Man ist sich im Ministerrat schon einig geworden, wie man das Geld anwenden will. An der Mündung des Sussujaflusses will Japan nämlich eine Flottenstation für Torpedoboote und Kreuzer einrichten. * In Teheran, der Hauptstadt Persiens, wurde mit Genehmigung des Schahs ein Erlaß über die Wahlen zur National versammlung veröffentlicht. Tum Verbot äes Xaäettenkougresles wird der ,Schles. Ztg.' aus Petersburg ge schrieben: „Der Ministerpräsident hat seine Ge nehmigung zur Abhaltung des Kadetten- Kongresses bedingungslos versagt. Hierzu ist zu bemerken, daß die Genehmigung anfänglich zugesichert, wenn auch an gewisse Vorbehalte geknüpft war, daß alsdann Herr Stolypin die definitive Entscheidung dem Ministerrate anheim stellen zu wollen erklärte und daß er schließlich nun doch von sich aus, ohne Befragung des Ministerrates, das Verbot verfügte. Das sind die äußeren Sachumstände. Es wäre nun das einfachste, auf den Widerspruch hinzuweisen, in den der Minister sich dadurch mit seinen Ver sicherungen in der Regierungserklärung gesetzt hat. Denn dort wurde die Gruppe jener Leute, deren schonungslose Unterdrückung das Ministerium ankündigte, aufs deutlichste von den bürgerlichen Parteien unterschieden, letzteren aber feierlich Bewegungsfreiheit im Sinne des Oktobermanifestes versprochen. Es kann daher nicht fehlen, daß das Verbot des Kongresses der stärksten politischen Partei als Zurücknahme der Versprechungen und als Akt der Willkür- Politik aufgefaßt wird. So kommt es, daß auch die rechts stehenden politischen Gruppen, sofern sie unabhängig sind, die Entscheidung bedauern und daß sie davon nur eine Kräftigung der revolutionären Bewegung befürchten. Man vergißt aber gar zu leicht, daß ein russisches Ministerium der Gegenwart den Einflüssen von oben unterworfen ist. Wenn man in Peterhof den Kongreß für unmöglich hält, so kann ihn Herr Stolypin nicht gestatten. Er selbst hat sich nie, weder öffentlich noch in privaten Äußerungen, als Gegner der Partei der Volks freiheit bekannt, und wenn er auch nur einen Teil ihres Programms für möglich hält, ist er doch fern von dem Vorsatz, sie polizeilich be kämpfen zu wollen. Die gegenteilige Annahme bedeutet nichts als eine starke Unterschätzung dieses Staatsmannes, der das nationale Leben keineswegs nur aus der Einsamkeit der Kanzlei studiert hat. Das Verbot des Kongresses ist ein aus dem Zwange der Umstände erflossener Akt, und dieserhalb bemerken wir auch in der Kadettenpresse nicht, daß der Ministerpräsident persönüch dafür verantwortlich gemacht werde." Von IVak und fern. t. Kaiserliche Gnade. Wegen fahrlässiger Tötung war vor einiger Zeit der Kaufmann Benscheck zu Hohensalza von der dortigen Stras- kammer zu 3 Monat Gefängnis verurteilt worden. Jetzt hat der Kaiser, auf Fürsprache des Gerichts, diese Strafe in einen Monat Festungshaft umgewandelt. x Das seltene Fest der diamantene« Hochzeit feierten dieser Tage in geistiger und körperlicher Frische die Zimmermann Laurentschm Eheleute in Hohenfinow. Der Jubilar ist 83, die Jubilarin 86 Jahre alt. Von ihren sieben Kin dern leben noch vier, die mit 16 Enkeln und 8 Urenkeln zur Feier erschienen waren. Das Jubelfest hatte der Gutsherr, der preußische Minister des Innern v. Bethmann-Hollweg, ausgerichtet, der auch der Feier persönlich mit seiner Gemahlin und Mutter beiwohnte und dem greisen Paare eine Ehrengabe in bar ein händigte; vom Kaiser erhielt es das übliche Gnadengeschenk von 50 Mark, auch die Gemeinde Hohenfinow spendete ein Gnadengeschenk. X Der Spion im Kaisermanövergelmrde. Der unter dem Verdacht der Spionage im Kaiser manövergelände bei Licgniy verhaftete ehemalige österreichische Offizier Paul Bartniann hat, wie auS Wien berichtet wird, eine ziemlich bewegte Ver gangenheit hinter sich und ist erst kürzlich aus einer dortigen Strafanstalt entlassen worden. B., der gegenwärtig im 45. Lebensjahre steht, wurde nach Absolvierung der Wiener Kadcttenschule im Jahre 1884 Leutnant und 1888 zum Oberleutnant be fördert, verlor jedoch ein Jahr später wegen Ver letzung der Standeschre den Offizierscharakrer. Ob wohl es B. nun bei seinen Kenntnissen und Fähig keiten ein leichtes gewesen wäre, sich eine neue Existenz zu gründen, kam er im Jahre 1890 aus den Gedanken, seine Dienste als Kundschafter einer fremden Regierung anzubieten; er wurde auch ange nommen und war bis 1897 fiir diese fremde Macht tätig. Im Februar 1897 wurde er wegen Spionage verhaftet und später vom WienerLandcsgericht zu süus Jahr schweren Kerkers verurteilt, welche Straft er im Juni 1902 verbüßt hatte. Bald nach seiner Entlassung stellte er sich abermnals in die Dielte jener fremden Macht und tauchte einige Monate später in Wien auf. Aus seiner letzten Strashast hatte er dem österreichischen Kriegsministerium eine Denkschrift übersandt, betitelt: „Die Kräftigung und der organisatorische Ausbau der österreichisch-un garischen Wehrmacht." Nach seiner Ankunft in Wien richtete B. an den Chef des General stabes, Feldzeugmeister Grasen Beck, einen Brief, der ihm eine Anklage wegen Erpressung einbrachte. In diesem Schreiben stellte B. die Heeresverwaltung vor die Alternative, ihm entweder seine Broschüre abzukaufen, oder durch eine Ablehnung die Über gabe der für einen fremden Staat sehr wertvollen Arbeit an eine fremdländische Heeresabteilung zu zulassen. Hierin erblickte die Staatsanwaltschaft die Deliktsmerkmale der Erpressung und B. wurde Anfang April 1903 von einem Senat des Wiener Erkenntnisgerichts dieserhalb zu 3^ Jahr schweren Kerkers verurteilt. Vor kurzem in Freiheit gesetzt, scheint B. seine Tätigkeit als Spion sofort wieder ausgenommen zu haben. Aunge Nodinfons. Mit Revolvern be waffnet, zogen kürzlich zwei Obertertianer in Hameln aus, um die in ihren jugendlichen Köpfen spukenden Abenteuer eines Robinson Crusoe oder Lederstrumpf einmal praktisch zu er leben. Sie gelangten auch richtig bis Bremer haven, wo sie sich bemühten, als Schiffsjungen auf einem Segelschiff angestellt zu werden. Aber sie hatten kein Glück damit, und nach langen fruchtlosen Versuchen hatte sich ihrer schon eine große Niedergeschlagenheit bemächtigt, bis schließ lich ein Spiel des Zufalls ihrem abenteuerlichen Unternehmen ein jähes Ende bereitete. Zwei Herren aus Hameln, die in Geschäften nach Bremerhaven gekommen waren, erkannten den einen der jungen Ausreißer auf der Straße, der andre tatendurstige Jüngling wurde bald darauf in der Lloydhalle angehalten. Bis zum Ein treffen der sofort benachrichtigten Angehörigen ließ man den jungen Leuten einstweilen polizei liche Obhut angedeihen. Gefährliche Weintrauben. In Rosen- Hein in Oberbayern sind die elf- und zwölf jährigen Töchter des Bezirkhauptmanns Bauer nach dem Genuß von Weintrauben gefährlich erkrankt. Wahrscheinlich war das Obst, um es besser zu erhalten, mit einer chemischen Lösung befpritzt und dann vor dem Genüsse nicht ge waschen worden. Ä 6m frauenleben. 11) Erzählung von Fritz Reutter. lForlietzung.l „Ich werde nicht fortgehen. Ich werde hier bleiben, bis du mich liebst." Gertrud schweigt, ihr Blick senkt sich zu Boden, aber über ihr Antlitz huscht ein fröhliches Lächeln. „Weißt du," fährt Bruno, durch dieses unbe wußte Zeichen ihrer Zuneigung ermutigt, fort, „daß ich während all dieser Jahre von dir als von meiner Frau geträumt habe, und als ich zurückkam und in dir nicht nur ein schönes, son dern auch gutes, edles und zartes Mädchen fand, liebte ich dich mehr denn je. Gertrud, du liebtest mich einst — damals scheutest du dich nicht, es mir zu gestehen. Willst du es mir jetzt nicht wiederholen?" Nach einer Welle schlägt sie die Augen zu ihm empor. „Ich habe dich immer geliebt, soviel wie Georg," beginnt sie mit bleichen, zitternden Lippen. „Aber —" „Aber," ruft er, sie plötzlich in seine Arme schließend, „ich will nicht geliebt sein, soviel wie Georg, sondern mehr als er, mehr als die ganze Welt." Sie antwortet nickt. Aber trotzdem fie nicht sagt, daß sie ihn liebe, bleibt sie in seinen Armen und erduldet seine Küsse — und er ist zufrieden. Mehrere Minuten verstreichen — die glück lichsten ihres Lebens — dann richtet sie den Kopf auf. „Aber Georg," flüstert sie plötzlich vor wurfsvoll über ihre eigene Vergeßlichkeit seines Unglücks in ihrem Glück, „mein armer Bruder!" „Mein LiÄ," versetzt er, sanft ihr das Haar streichelnd, „nichts in der Welt wird Georg so glücklich machen, als die Mitteilung, daß wir uns lieben. Ich bin fast sicher, daß er das immer gewünscht hat." Die Nacht senkt sich herab, der Wind bläst seufzend durch die alten Linden, und der Regen schlägt plötzlich gegen die Scheiben. „Wenn nur Georg zu Hause wäre!" sagt Gertrud zusammenschaudernd. „Er wird bald zurückkehren," antwortet er heiter, obgleich auch ihn allmählich eine leise Un ruhe beschleicht. „Soll ich Licht machen?" „Noch nicht. Warte noch eine Welle. Viel leicht hören wir ihn kommen." Sie warten einige Minuten, und durch das Ächzen der Bäume, das Seufzen des Windes und das Aufschlagen des Regens hindurch hören sie den Galopp eines in den Hof sprengenden Pferdes. „Er ist da!" ruft sie tief aufseufzend, „Gott sei Dank!" Sie eilen auf die Terrasse und warten. Die Dunkelheit draußen macht es ihnen unmöglich, ofort zu erkennen, daß der Mann, der auf chäumendem Pferde heransprengt, mcht Georg, ondern einer der Jagdfreunde ist. Er springt vom Pferde und eilt auf sie zu. „Georg!" ruft Gertrud. „Wo ist Georg?" Der junge Mann blickt Stauffer und nicht sie an. .Leider ist ihm ein Unfall zugestoßen," ant wortet er zögernd, nervös. „Sie bringen ihn nach Hause. Aber um Gottes willen, führen Sie sie beiseite!" Diese letzten Worte spricht er im leisesten Flüstertöne zu Bruno, aber das Mädchen hat sie trotzdem vernommen. „Ein Unfall," wiederholt sie langsam. „Sagen Sie mir die Wahrheit. Ist er tot?" „Nein, nein, nicht tot! Ich hoffe, er wird sich bald wieder erholen," antwortet er mit bleichem Gesicht. Dann faßt er Stauffer am Arm und zieht ihn auf die Seite. „Man bringt ihn den Weg herauf. Sorgen Sie dafür, daß sie ihn nicht sieht. Können Sie das nicht? Er ist gefährlich verwundet." Aber Bruno Stauffer versucht es nicht ein mal, sie auf ihr Zimmer zu führen. Er weiß, es wäre unnütz. Er schlingt den Arm um sie und fühlt, daß sie am ganzen Leibe zittert. Er spricht kein Wort, blickt sie auch nicht an. Er wartet einfach mit ihr, und diese wenigen Augenblicke bedeuten eine Welt voll Schmerz und Kummer, die keines von beiden je wieder vergessen. Im dumpfen Rauschen der Blätter hören sie den gleichmäßigen Marsch von Männem, die eine schwere Last tragen. Man öffnet die Türe des Hauses und trägt Georg Baumbach ins Vestibül, und Gertrud entreißt sich dem Arm, der fie hält, und stürzt sich mit herzzerreißendem Schrei auf ihren Bruder. Ein Mann, in dem Stauffer den Arzt aus dem benachbarte» Dorfe erkennt, legt ihr sanft die Hand auf die Schulter und spricht freundlich: .Wir müssen ihn ins nächste Zimmer schaffen. Ich will alles für ihn tun, was in meinen Kräften steht,, und dann dürfen Sie zu ihm kommen." Widerwillig gibt sie nach, und man trägt Georg auf sein Arbeitszimmer, wo er pol wenigen Tagen den schwersten Schlag seines Lebens erhielt, und als Bruno zögert, darauf bedacht, bei Gertrud zu bleiben, gibt sie ihm ein Zeichen, den andern zu folgen, so daß sie allein bleibt. Kummervoll steht sie vor der Tür und horcht und wartet. Sie weiß nicht, wie lange; bis sich plötzlich die Tür öffnet und Bruno wieder erscheint. Sie richtet sich empor, und er faßt ihre Hände. Als er endlich spricht, klingt seine Stimme rauh und zurück haltend : „Mein Lieb, sei tapfer! Sein Pferd fiel auf ihn, und das Rückgrat ist verletzt. Der Arzt meint, er werde nicht viele Stunden mehr leben." Sie empfängt den Schlag auf eine Art, die ihm schrecklicher erscheint, als wenn sie in Tränen und Geschrei ausgebrochen wäre. Sie wankt, drückt die Hände gegen die Brust und blickt ihn verständnislos, betäubt an. „Du darfst sofort zu ihm gehen," sagt er und vermeint ihr damit den einzigen Trost zu bieten, den er findet. „Du darfst zu ihm gehen und bei ihm bleiben." Sie stößt einen leisen Schrei aus wie daS Stöhnen eines zu Tode getroffenen Rehes, und ihre Hände schlagen gegen die geschlossene Tür. Fast im gleichen Augenblick wird diese leise geöffnet, und die Männer, die Georg hinein« getragen, verlassen das Zimmer leise und traurig.
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