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vergessen! Na, gelegentlich muß man sich die Wunderbüste doch einmal anschauen. Denn wenn mein Freund in Ekstase geraten kann, dann muß Las Werk ja himmelhoch erhaben sein." „Schön ist die Büste, Herr Graf," bemerkte Feodora, „das muß man sagen, allein ein solches Wesen daraus zu machen, wie es der Herr Baron tat, ist mindestens übertrieben." „Da haben Sie recht, Baronesse, übertrieben auf jeden Fall." „Sehen Sie sich doch erst Lie Büste an, Herr Graf, ehe Sie urteilen," sagte Eder spitz. „Lieber Baron, Sie erinnern sich, daß wir schon früher ein mal auseinander gehende Meinungen in der Beziehung hatten. Ich bin nämlich der Ansicht, gnädige Baronesse, daß man recht Wohl eine hübsche Mädchenbüste aus Marmor bewundern kann; allein man bewundert sie doch um so mehr, je treuer das Kunst werk die Natur nachahmt. Nun schließe ich aus dieser Tat sache, daß die Natur selbst unsere höchste Bewunderung fordert, so daß es sicher unverantwortlich wäre, Bewunderung, Ver ehrung, Aufmerksamkeit einem steinernen Kunstwerk zu widmen, wenn dicht daneben Las lebende Kunstwerk atmet und in seiner Schönheit strahlt. In einem solchen Falle würde ich den Marmelstein keines Blickes würdigen." „O doch, Herr Graf," sagte Feodora errötend, „Sie treiben Ihre Logik zu weit; ich meine, man kann beides in vernünf tigen Grenzen verbinden. Wenn es Ihnen genehm ist, Herr Graf, zeige ich Ihnen gern die Büste der Prinzessin, von der jetzt so viel Lie Rede ist." „O, nicht um den Anblick von tausend Büsten möchte ich jetzt Ihre werte Unterhaltung tauschen. Ich werde die berühmte Bildhauerarbeit gelegentlich ein anderesmal in Augenschein nehmen. Eine Photographie der Büste habe ich übrigens schon geschen, Ler Baron zeigte sie mir bereits auf Lem Bahnhof; er tragt Las Bild nämlich stets bei sich." „Wirklich? Da sehen Sie, daß ich recht hatte, der Herr Baron übertreibt den Kultus der Kunst —" „Glauben Sie Leni Herrn Grafen gefälligst die Hälfte, Ba ronesse, dann haben Sie ihm vielleicht schon zu viel geglaubt." „Ich bitte L>ie, Baron, Sie sind mir doch nicht böse?" tragte Heimborn in besorgtem Tone. „Im Grunde genommen geht es mich gar nichts an, wenn Sie auf Ihre Weise für schöne Mädchenbüsten aus karrarischem Marmor schwärmen, allein Sie dürfen meine Wahrheitsliebe nicht verdächtigen, bester Baron. Ist das mit Ler Photographie etwa nicht Tatsache?" „Jawohl, das Bild hat Ihnen sehr gut gefallen —" „Das steht auf einein andern Blatt! Sie sehen, Baronesse, er ist ein edler Charakter, er leugnet nichts ab." „Wenn ich nicht wüßte, Herr Graf, daß Sie die gnädige Ba ronesse zum erstenmal sehen, so könnte ich Lenken, Sie hätten sich mit ihr gegen mich verschworen. Uebrigens, was Lie Büste betrifft, beharre ich trotzdem auf meiner Ansicht. Laß sie ein be deutendes Kunstwerk ist; ich werde es in einer eigenen Broschüre beweisen." „Das hat noch niemand bestritten, lieber Baron; ich glaube sogar, Sie haben ganz recht. Ich meine nur, Sie sollten vor sanier KunststuLien die Lebensstudien nicht vernachlässigen. Was müssen Sie von uns denken, gnädige Baronesse? Wir kommen Hierher, um unsere Meinungsverschiedenheiten auszufechten, und Sie hören uns auch noch geduldig zu, nein, das ist zu stark. Kommen Sie, Baron, es ist die höchste Zeit, daß wir uns reuig iUrückziehen. Gnädige Baronesse, verurteilen Sie uns nicht ^oreilig, wir hoffen uns noch zu bessern. Empfehlen Sie uns ,chrem Herrn Oheim; auf Wiedersehen, wenn ich so sagen darf!" „O gewiß, Herr Graf, mein Oheim und ich werden uns jederzeit freuen, Sie hier zu sehen!" „Unter Komplimenten verabschiedete man sich; der Baron Idar verstimmt, er begriff das Benehmen des Prinzen nicht. Auf der Straße sagte er nur verdrießlich: „Nun haben Sie die Büste nicht gesehen." „Man muß nicht gleich mit der Türe ins Haus fallen. Wissen Sie übrigens, was mir für ein Gedanke gekommen ist? Die Baronesse wäre eine Frau für Sie!" „Sie haben aber heute seltsame Ideen." „Dort ist ein Fiaker, nehmen wir ihn!" Während der Fahrt setzten sie ihr Gespräch fort. „Faktisch, lieber Hofrat, dieser Gedanke ist mir bei der Unterhaltung mit der Baronesse gekommen. Ueberlegen Sie sich die Sache einmal." „Hoheit, ich muß allerdings mit Freude konstatieren, Laß Sie außerordentlich guter Laune find. So erfreulich das ist, so schwer wird es einem Untergebenen, immer den richtigen Gegen - ton zu treffen. Man weiß niemals, wie man sich Verhalten soll, ohne anzustoßen. Ich bin nicht leicht außer Fassung zu bringen, aber Ihre Unterhaltungsweife im Salon Weraschek schnitt mir häufig völlig Las Wort ab, La ich doch den Respekt nicht ver letzen durfte." „Sie haben eben Ihre Rolle nicht gehörig ersaßt, lieber Baron, das ist alles. Ich bin und soll sein der Graf Helmborn, Ler ebenbürtige Freund des Barons v. Eder. Eine zwanglose Unterhaltung ist da nötig. Wenn freilich Ler sogenannte Freund des Grafen vor lauter geheimem Respekt zu keiner pointierten Entgegnung kommen kann, dann wird eI mit Lem Inkognito des Prinzen bald ein Ende haben. Lieber Hofrat, so lange mein Inkognito währt, alfo hier in München und vielleicht später auf unserer Tour in Südrußland, Lie doch unausbleiblich ist, betrachten Sie mich ruhig als Ihresgleichen, ich nehme nichts übel; na, und die rechte Grenze wissen Sie ja innHuhalten. Was ich Ihnen da bezüglich der Baronesse Nutkorow sagte, ge hörte jedoch nicht zu meiner Rolle, sondern ist meine wahre Herzensmeinung. Sie wäre die richtige Frau für Sie." „Erstens, Hoheit, kennen Sie Feodorowna viel zu wenig, um ein solches Urtel fällen zu können, zweitens käme in Frage, ob Lie Baronesse einen solchen Mann möchte, wie ich bin, und drittens vermag ich den Ansprüchen einer solchen Dame nicht zu genügen. Ich war mit meinem Vermögen zu leichtsinnig." „Armer Baron, trotz alledem würde ich zu diesem Weibe meine Augen aufschlagen, die Baronesse schaut nicht auf Geld und Stellung, sie scheint es nicht nötig zu haben. Sie ist schön, geistreich und einfach, was wollen Sie mehr?" „Warum wollen Sie mich denn absolut verheiraten, Hoheit?" „Sie können doch nicht ewig Junggeselle bleiben." „Warum nicht; mein Junggesellentum war mir bisher noch nicht hinderlich. Aber Scherz beiseite, Hoheit, ich denke faktisch nicht daran, die Baronesse für mich zu erobern; Lie Prozedur, die ich Lutzendmal bei anderen beobachtet, ist mir zu langwierig." „Aha, das soll eine Anspielung auf meine Liebe sein." „Nicht im entferntesten, Hoheit, obwohl ich zugestehe, daß Sie es sich um ein gut Teil leichter gestalten könnten." „Verfallen Sie doch nicht in diesen spießbürgerlichen Ton. Was heißt „leicher gestalten"? Soll ich die Braut aus den Händen meiner Eltern entgegennehmen, was bei den Männern meines Standes meistenteils geschieht? Danken Sie Gott, daß Sie nicht auf folche Umwege denken müssen, wie ich!" Der Wagen hielt; sie waren am Hotel. Otto Embder hatte alles zur Mittagstafel hergerichtet. „Sehr schön arrangiert, Embder," sagte Frazzilo, „aber leider umsonst. Wir speisen an der Table d'hote, falls ich es ausnahmsweise nicht anders bestelle. Melden Sie das gleich unten." „Zu Befehl! Der Oberkellner brachte das Fremdenbuch zur Einzeichnung, ich habe es auf Len Schreibtisch nebenan gelegt." „Gut, ich werde die Eintragung besorgen." Noch hatte jedoch Lie Table d'hote nicht begonnen, als Embder Lie Karte des Bankiers Weraschek hereinbrachte mit Ler Nachricht, der Bankier lasse um gütigen Empfang bitten. Das geschah denn mit Vergnügen, und die Unterhaltung war so lebhaft, daß man noch beisammen saß, als die Glocke zur Table d'hote rief. „Wenn Sie gestatten, meine Herren, schließe ich mich an; inan erwartet mich zu Hause ohnehin nicht." Der Bankier, ein hochgebildeter und gesellschaftlich routi inerter Mann, gestaltete Las Zusammensein zu einem sehr an genehmen. Für den Abend verabredete inan den Besuch der Oper und der Graf gab seine Zustimmung für einen gemein samen Ausflug nach der Türkenkneipe an einem Ler nächsten Abende, sowie für seine Anwesenheit am Jour fix Werascheks. Da derselbe meist von Künstlern beehrt wurde, war es vorteil haft, diese Künstler vorher kennen zu lernen. Das war nun ein Leben so recht nach dem Herzen Frazzilos, ungeniert und dennoch in den Grenzen des Anstandes, frei und ohne die steife Etikette des Hoftones und doch achtungsvoll und dein Rang an gemessen, den Frazzilo sich beigelegt. Der offenmütige, herzlich wohlwollende und für Künstlers Freud und Leid empfängliche Graf Helmborn war in Künstlerkreisen bald eine beliebte und gern gesehene Persönlichkeit; natürlich verkehrte er nicht nur in der Türkenkneipe, sondern auch in mehreren Häusern, so weit es sich um verheiratete Künstler, wie Professor Meperheimb und andere, handelte. Am liebsten freilich bewegte er sich im Hause des kunstverständigen Bankiers, Lessen feinsinnige Gattin er hochschätzen lernte und dessen Nichte er nach seiner Art verehrte, da sie in ihrer ruhigen, anspruchslosen Weise wie ein Genius Les Weraschekschen Hauses schaltete und waltete. Sie kam mit