Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 18.04.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-04-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190604180
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19060418
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19060418
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-04
- Tag 1906-04-18
-
Monat
1906-04
-
Jahr
1906
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 18.04.1906
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
politische Kuncifchau. Deutschraid. * Der Besuch deS Kaisers in Madrid, der Mitte Mai erwartet wurde, soll auf den Oktober verschoben worden sein. * Die zur öffentlichen Zeichnung aufgelegten 260 Millionen Mark 3V2 Prozentiger Reichs- anleihe find nach einer vorläufigen Fest stellung rund eineinhalbfach gezeichnet worden. Von den 3V- prozentigen preußischen Konsols sollen über 400 Millionen ge zeichnet worden sein. "Die Schaffung eines Reichs schul amte 8 soll für die nächste Zeit beabsichtigt sein. Das Reichsschulamt soll sich nicht mit Schulfragen der deutschen Bundesstaaten be schäftigen, die verfassungsmäßig der deutschen Landesgesetzgebung unterstellt find, sondem sich der deutschen Schulen im Ausland annehmen. "Eine preußische Studi enkom- Mission, die nach dem Vesuv geht, ist mit Unterstützung des preußischen Kultusministeriums gebildet worden. An ihrer Spitze begab sich Prof. Dr. Otto Jäckel aus Berlin nach Neapel, um den Ausbruch des Vesuvs zu studieren. Ihm folgte Dr Emil Philippi-Berlin, der Geo loge der deutschen Südpolarexpedition, nach. Österreich-Ungar«. * Der neue ungarische Minister- Präsident Dr. Wekerle hielt am 11. d. in der Versammlung der koalisierten Parteien eine Programmrede, in welcher er darlegte, daß die große VerfassungSkrifis Männer ver schiedener Parteirichtung gezwungen habe, ein Kabinett zu bilden, um den konstitutionellen Notstand zu beendigen. "Die ungarische liberale Partei hat beschlossen, sich aufzulösen. Graf Tisza sowie andere hervorragende Angehörige der Partei werden sich nicht um ein Ab geordnetenmandat bewerben. Frankreich. "Die auswärtige Politik Frank reichs bot im französischen Senat den Anlaß zu überaus heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und einigen Mitglie dern. Verschiedene Redner hoben unter schreck lichem Lärm der Anwesenden hervor, daß daS Einvernehmen mit England der schlimmste diplomatische Fehler sei, den Frank reich seit etwa 50 Jahren begangen habe. Sie erwarten von der Regierung bestimmt, daß sie die geheime und versteckte Politik des vorigen Ministeriums aufgebe und ohne Zurückhaltung der russischen Allianz treubleibe. Bourgeois, der Minister des Äußern, wies geschickt alle Angriffe zurück und schloß seine Rede: „Un mittelbar nachdem wir der Allianz mit Rußland den Abschluß des Einvernehmens mit England haben hinzufügen können, können wir nicht den Gedanken fassen, etwas daran zu ändern. Ich bin sicher, mich hierin mit dem ganzen Senat im Einvernehmen zu befinden." * Der Streik der Pariser Post unterbeamten gewinnt an Ausdehnung. Man befürchtet,daß die inderTivolihalle mit ihren Frauen und Kindern weilenden Briefträger sich den Zugang zu den Postbureaus werden er zwingen wollen. In allen Pariser Postbureaus ist ständig militärische Bewachung eingerichtet. England. * Der Minister des Äußern erklärte im Unterhause, daß die vorläufige Wiederher- stellungdiplomatischerBeziehungen zuSerbien nicht eher erfolgen würde, als die amKönigs - mord beteiligten Offiziere aus ihren Stellungen entfernt wären. "Der Lord-Mayor von London wird am 18. Mai zu Ehren mehrerer hervor ragender Mitglieder der Stadtverwaltungen von Berlin, Dresden, Köln, Aachen und anderen deutschen Städten, die in nächster Zeit London besuchen wollen, ein Festmahl veranstalten. Holland. * Die zweite Haager Friedenskon ferenz wird wahrscheinlich nun doch um- einige Wochen verschoben werden. Frankreich hat sich nämlich im Interesse des allamert r- Nischen Kongresses an Rußland mit vw- traulichen Vorstellungen wegen der Verschiebung gewandt. Auch Deutschland, Belgien und die Niederlande haben gegen solchen Aufschub nichts einzuwenden. Die Vertreter der Mächte werden fich daher erst im Hochsommer oder zu Beginn des Herbstes im Haag versammeln. Rußland. "Die über den glänzenden Wahlsieg der Opposition überaus bestürzte Regie rung greift in ihrer Ratlosigkeit zu allerhand Mitteln, um ihre Gegner zu schwächen. In mehreren Kreisen wurden aus nichtigen Gründen die Wahlen ungültig erklärt, in andern die demokratischen Wahlmänner von der Liste gestrichen und durch regierungsfreundliche Kandidaten ersetzt, in andern Kreisen wieder einfach verhaftet. So beginnt in Rußland die Zeit der verfassungsmäßigen Regierung und Volksvertretung. * Die Lage im Innern gestaltet fich immer trostloser. Die Hungersnot wird von Tag zu Tag größer und dementsprechend wächst auch die Erregung der ländlichen Bevölkerung. In dem Flecken Blome bei Warschau überfiel eine nach Tausenden zählende Menge Bauern die Mariaviten-Sektierer, die seit Sonntag die Kirche versperrt hatten. Die Sektierer ver- teidiaten fich mit Revolverschüssen aus dem Glockenturm. Schließlich erstürmten die Bauern das Gotteshaus, wobei 20 Personen, meist Frauen und Priester, so schwer verletzt wurden, daß sie kaum mit dem Leben davonkommen werden. Balkimstaaten. "Ein Riesenskandal macht zurzeit in Sofia großes Aufsehen. Die Oppofitions- blätter beschuldigen nämlich den Minister präsidenten General Petrow, den Kriegs minister General Savow und den gewesenen Artillerie-Inspektor General Balobanow, bei einer ersten Gewehrlieserung 750 000 und bei einer zweiten 160000 Frank unter schlagen zu haben. Die genannten Minister haben gegen das Blatt ,Mir', das in erster Linie diese Beschuldigung ausgesprochen hatte, die gerichtliche Klage erhoben, und man erwartet mit großer Spannung die Entscheidung des Gerichtshofes. Amerika. * Der vielgenannte Präsident von Vene- zuela, Castr 0, ist zeitw eilig von der Präsidentschaft zurückgetreten. Der erste i Vizepräsident Gomez Hai die Präsidentschaft ! übernommen. — Dieser Schritt soll offenbar dazu dienen, die Lösung der Streitigkeiten mit - Frankreich und andern Staaten zu fördern. Castro deutet in seinem RückaittSschreiben an, daß er seinen Schritt zu einem dauernden machen würde, wenn er fich überzeugt, daß er zu seines Landes Besten diene und ihm Frieden und Eintracht bringe. * Das General-Lohnskala-Komitee derH ar t- kohlengräber hielt eine Versammlung ab, in der die durch die Gegenvorschläge der Berg- werksbefitzer geschaffene neueLage besprochen wurde. Im allgemeinen herrscht große Nieder geschlagenheit, aber trotzdem wird ge hofft, daß eine Einigung erzielt werden kann, da man sonst einem langwierigen Streik ent- gegenfieht. Das Anerbieten der Arbeitgeber, nur die Lohn- und die sog. Kkagewsg-Frage einem Schiedsgericht zu unterbreiten, wurde allgemein als engherzig verworfen. Zu einem endgültigen Entschlusse wird man wahrscheinlich erst in einer neuen Versammlung kommen. Afrika. "Nicht ohne politisches Jnieresse ist die mehrfach angekündigte Europareise deS Sultansvon Sansibar. Der Sultan hat fich am 11. d. in Begleitung zweier Sekre täre an Bord des österreichischen Dampfers „Körber" nach Triest begeben, um von dort nach London zu reisen. * Zwischen den Regierungen des Kongo- staats und des Sudans ist die Streitfrage wegen des Besitzes von Bahr-el-Ghazal durch ein vorläufiges Abkommen dahin geregelt worden, daß der Kongostaat die Posten nördlich der Wasserscheide zwischen Nil und Kongo zurückzieht. Die streitigen Gebietsteile werden von einer durch sudanesische Beamte emannten Kommission verwaltet; die Nilsperre für bel gische Waren und Schiffe des Kougostaats wird aufgehoben. Affe«. "Japan macht von seiner Stellung als Vormacht in Asien ausgiebigen Gebrauch. Wie es heißt, hat eS jetzt in aller Form verlangt, China solle Mukden und die Provinz Antung bestimmt im nächsten Monat für den Handel öffnen. Man darf gespannt sein, wie fich die chinesische Regierung zu dieser Forderung stellen wird. (Hoffentlich kommt es nicht zu dem so beliebten Notenwechsel I) "Die Unruhen in China greifen weiter um fich und berühren auch schon die Provinz Schantung, wo das deutsche Schutz gebiet Kiautschou liegt. Wieder find es, wie in der Zeit des Boxerausstandes, die ge heimen Gesellschaften, die die Waffen gegen die bestehende Ordnung ergreifen, zum Teil offenbar aus sehr niedrigen Moiiven. Es heißt, daß die Banditen in Honan 12 000 Mann zählen, und Banner tragen mit der Inschrift: „Nieder mit der Mandschu-Dynastie". Der Schauplatz der Unruhen in Honan liegt nahe an der Hankau—Pekinger Eisenbahn, so daß die Rei senden aus der Ferne das Schießen hörten. Von Hankau find Truppen entsandt worden; man hofft, daß es ihnen gelingen wird, die Unruhen zu unterdrücken. EntfetrUcke Tustanäe am Vesuv. Die Feuerströme, die dem verderblichen Vesuv entströmten, find zwar erstarrt, doch dichte, schwere Aschen- und Schlackenregen legen fich wie ein Leichentuch über die hartgeprüsten Ortschaften rings um den grollenden Berg, vernichten allen Pflanzenwuchs und erdrücken unter ihrer Wucht Häuser und Kirchen. Der bisher angelichtete Schaden wird auf eine halbe Milliarde geschätzt; die gerüchtweise verlaut barten Ziffern über Verluste an Menschenleben schwanken zwischen achthundert und tausend. Hungersnot, einstürzende Häuser und Verkehrs stockungen treiben die erschreckte Bevölkerung zur Verzweiflung. Es scheint, als sollten die Vesuvdörfer langsam unter dem stetigen Aschen regen verschüttet werden. Die Zugverbindung zwischen Nom und Neapel geriet teilweise ins Stocken, wie überhaupt im Vesuvgebiet aller Verkehr nach und nach zur Unmöglichkeit wird. In San Giuseppe arbeiten Tag und Nacht Soldaten an der Befreiung der in ihren Häusern begrabenen Menschen. Die Asche liegt dort meterhoch; es herrscht infolge der Unterbindung jeglichen Verkehrs Hungersnot. Die Regierung entsandte zwar reichliche Mengen Brot, die aber nicht verteilt werden können. In Torre del Greco stürzen täglich Häuser ein. Hungrige Banden durchziehen die Stadt und werden nur durch den Anblick der Soldaten verhindert, Räubereien auszuführen. In Somma, Sarno und Csrcola sieht es gleichfalls verzweifelt aus. — In Neapel begegnet man von früh bis spät Bittprozessionen. Wegen Einsturzgefahr ist die berühmte Humbertgalerie gesperrt. In rat- und sprachloser Verzweiflung starren Tausende von Flüchtlingen mit bangen Blicken auf den Vesuv, der sich jedoch in undurch dringlichem Dunkel verbirgt — und aus dem Dunkel strömt unaufhörlich in stetem Gleich maß der alles Leben bedrohende Aschenregen. Ministerpräsident Sonnino traf trotz heftigen SandregenS in Neapel ein und fuhr sofort mittels Automobil in das Vesuvgebiet, um die geschädigten Gemeinden zu besuchen und Unter stützungen zu verteilen. Aber das Unglück ist so unermeßlich groß, daß eS nicht gehoben, nur gelindert werden kann. Wäre doch die ganze italienische Armee nicht imstande, die gesährdeten Städte vor Verschüttung zu retten. Die Brot- und Wafferverteilung, wenn sie auch noch so ausgedehnt betrieben würde, wird nie den ungeheuren Ansprüchen genügen, wenn es nicht gelingt, die wenigen Verkehrsstraßen mit den Städten am Golf aufrechtzuerhalteu. Die letzten Nachrichten aus den am Vesuv liegenden Ortschaften lauten etwas günstiger; der Aschenregen jedoch dauert mit unverminder ter Kraft an. Eine große Menge Arbeiter und Soldaten find damit beschäftigt, die Aschen- maffen von den Häusern und Straßen wegzu- räumen. Der Verkehr der Straßenbahnen ist teilweise wiederhergestellt. Zur Linderung deS schreiendsten Elends hat Ministerpräsident Sonnino eine Kommission unter dem Vorsitz deS Herzogs von Aosta er nannt und zu deren Verfügung als erste Rate die Summe von einer halben Million Lira zur Verteilung an die Notleidenden gestellt. ES wird aber viele Millionen erfordern, wenn man allen ihrer Habe Beraubten auch nur einiger maßen eine Grundlage für ein neues Leben schaffen will. Von unä fern. Deutsche Luftschiffer tu England. Die deutschen Luftschiffer Hauptmann Hilde brandt von der Luftschiffer-Abteilung und Baron Hewald, die von London aus eine Ballonfahrt über den Kanal zu machen beabsichtigten, stiegen Dienstag in einem dem Luftschifferklub gehörenden Ballon in Wandswork auf, fuhren nach Richmond Park und dem Windsor-Schloß hinüber und landeten schließlich auf einem Land gut bei Winchfield. Die Genickstarre-Epidemie im Ruhr- rcvier hat noch immer nicht zum Stillstand gebracht werden können. Mit Abschluß der letzten Woche waren innerhalb der Hombarner Bürgermeisterei nach amtlicher Angabe 73 Genick starre-Erkrankungen zu verzeichnen. Zum Einsturz des Gasthofes „Zum Hirsch" i» Nagold. Gegen den Bau unternehmer und Architekten Erasmus Rück gauer in Stuttgart ist Anklage erhoben worden. Er hatte für seinen Sohn, den Bauwerkmeister Eugen Rückgauer, der das Unternehmen leitete, einen Bauvertrag mit dem Wirte des Gast hofes „Zum Hirsch" in Nagold sür 4000 Mk. abgeschlossen. Die Zig unerplage auf dem Eichsseide. Laute Klagen über die Zigeunsrplage kommen wieder aus verschiedenen Orten des Eichsfeldes. Eine große Zigeunerkarawane hatte sich in den letzten Tagen bei Dingelstädt niedergelassen. Die Mitglieder der Bande hatten sich als Künstler, Seiltänzer und Akrobaten ausgegeben und brandschatzten die Einwohner durch Betteln, Geldwechselgeschäfte, Pferdevertauschungcn und alle möglichen Betrügereien. Ein Gastwirt, bei dem das Pferd eines Zigeuners eingestellt war, hat sein den braunen Gesellen erwiesenes Ent gegenkommen mit dem Verlust einer größeren Summe Geldes büßen müssen. Als sich später herausstellte, daß das Pferd einen Scharren erlitten hatte und geschlachtet werden mußte, machte der Zigeuner den Wirt haftbar. In Kefferhausen verübten mehrere zu dieser Zigeuner bands gehörende Weiber eine Reihe von Taschen diebstählen. Einer alleinstehenden alten Witwe stahlen sie 40 Mark Geld aus der Kleidertaschr. Ehe die Gendarmerie des Diebesgefindels habhaft werden konnte, war die Karawane schon wieder über die Berge abgezogen und zwar in der Richtung auf Thüringen. x Selbstmord -i«eS Postdirektors. Selbstmord verübte der Leiter des Postamts in Schöningen (Braunschweig), Postdirektor Perkuhn, indem er sich in seiner Wohnung erhängte. Der Grund zu der unseligen Tat ist noch nicht bekannt. Das von ihm bisher verwaltete Postamt wird gegenwärtig durch einen Ober- postinspeltor einer eingehenden Revision unter zogen. X Die Verhaftung eiues vierfache« Mörders. Der Arbeiter und Hauseigentümer Vincke in Herford, der seinerzeit seine Frau und seine drei kleinen Kinder mit einer Axt er- chlug und dann flüchtig wurde, ist in Salz uflen in einer Scheune versteckt aufgefunden und verhaftet worden. Der Unmensch hat also eine ursprüngliche Absicht, seiner ermordeten Familie in den Tod zu folgen, nicht zur Aus führung gebracht. K Vie letzte Kate. 17f Roman von Karl S chmeling. tFortsetznng.) „Ja, ja, mein lieber Wellmann," sagte wenigstens der Oberst mit einem spöttischen Lächeln, „Ihr jungen Herren denkt immer, der alte Donner kann nichts als donnern und blitzen; er hat indessen auch seine guten Stunden, freilich nicht oft. Gehen Sie jetzt mit Goll; es tut mir leid, daß ich Ihnen den Wurm ins Ohr setzen mußte, doch morgen früh wäre es vielleicht zu spät gewesen, meine Warnung anzubringen. Bis jetzt weiß ich nur privatim von den Geschichten, die ich berührt habe und wie es infolgedessen sein kann, nichts Genaueres oder Bestürmtes. Habe ich erst dienstliche Mitteilung und Weisung, so ist es mit unserm unmittelbaren Verkehr vorbei. Also nochmals: möge kommen, was da wolle — ruhigen, klaren Kopf behalten; vor allen Dingen nicht übereili, sondern mit Überlegung gehandelt! Je schwerer die Anklage, desto leichter die Reinigung von derselben. Adieu, Herr Leutnant v. Weilmann." Der alte Kanonendonner unterstützteseinenEnt- laffungswink für den Leutnant noch durch eine lebhafte Handbewegung und Weilmann kam dieser doppelten Andeutung auch schnell nach. Eine Minute später befand er sich schon auf der vereinsamten dunklen Straße. Weilmann machte einen wellen Umweg, während er nach Neusers Besitztum zmückkehrte. Er fühlte das Bedürfnis, nochmals alle Einzel- Hellen seines Gesprächs mit dem Obersten Donner an seiner Seele vorüberziehen Zu lassen. Außerdem mußte er fich auch klar darüber werden, ob er dem Kommerzienrate mitteilen solle oder nicht. Weilmann hatte bei seinen Reisen nach und von Berlin stets die größte Vorficht walten lassen; Mr Abend- oder Nachtzüge waren von ihm benutzt worden. Eine Nacht hatte er nie in Berlin zugebracht. Die Leute, mit denen er geschäftlich verkehrte, wußten nicht, daß sein Besuch in der Stadt Berlin ein unerlaubter sei. Auch auf der Eisenbahn war ihm seines Wissens noch nie etwas begegnet, wodurch er vielleicht in Weitläufigkeiten kommen konnte. Es war ihm daher völlig unmöglich, den Gmnd zu der Warnung deS Obersten ausfindig zu machen. Wer mochte ihm aber in Lühne eine solche Aufmerksamkeit schenken, sein Treiben zu über wachen, um dasselbe in der Landeshauptstadt bei seinen Vorgesetzten an die große Glocke zu hängen? — Eine solche Hinterlist hatte in dem kleinen Kreise keinen Boden. Auch machte fich wohl jedes Mitglied desselben gelegentlich des Vergehens schuldig, einen Ausflug ohne Urlaub zu wagen, wenn auch nicht gerade nach Berlin. Anzeigen von Zivilpersonen konnten aber keinen Zweck haben, da jene ja nicht festzustellen ver mochten, ob er Urlaub gehabt habe oder nicht. Der Leutnant befand fich hier vor einem völlig unlösbaren Rätsel; rur so viel schien ihm aus den Andeutungen des Obersten mit Sicherheit hervorzugehen, daß nicht diesem, sondern einem höheren Vorgesetzten über feine Person Anzeige gemacht worden war. Wäre der Oberst Donner dem Leutnant als ein ängstlicher Mann bekannt gewesen, so würde er fich viel leichter beruhigt haben. Seine Warnung durfte aber keineswegs leicht ge nommen werden, und in aubetracht dieser Not wendigkeit beschloß Weilmann auch, Reuser mit dem Inhalte des zwischen dem Oversteu und ihm stattgefundenen Gespräches bekannt zu machen. Mit diesem Entschlusse betrat der Leutnant die Fabrikanlagen, wo er, außer dem Kommerzienrat und Luise, von niemand vermißt worden war. WeilmannS sorgenvolles Aussehen entging so wenig dem Fabrikherrn, wie der Tochter desselben. Beide bestürmten ihn mit Fragen deswegen, und der Leutnant bat, fich mit ihm auf einige Zeit zurückzuziehen. Man tat dies sofort, und Weilmann teilte mit, was er auf dem Herzen hatte. „Ich habe es mir gedacht!" rief Luise heftig erregt. „Wir waren zu glücklich, um nicht eine Erinnerung zu verdienen, daß ein ungestörtes Glück keinem Menschen be- schieden ist." „Lassen wir solche empfindsame Redens arten auS dem Spiele!" meinte indessen oer Kommerzienrat. „Meine Meinung über eine mögliche Entlassung aus dem Militärstande kennen Sie ja, lieber Weilmann. Die Form, in der eine solche stattfindet, hat für die Zu kunft, die fich Ihnen darbietet, gar keine Be deutung, Sie werden selbst am besten wissen, welcher Verstöße gegen das Militärgesetz Sie fich schuldig gemacht haben. Es ist ja doch möglich, daß der alte Kanonendonner als eingefleischter Soldat irgend eine Ihrer Handlungen für ein schweres militärisches Ver gehen hält. Er schenkt Ihnen ja aber trotzdem Achtung Md Teilnahme. Nun, daS werden auch noch viele andere Leute tun, und bös willigen Anschuldigungen gegenüberzutreten, find Sie der Mann, übrigens kann ja auch Irrtum, Personenverwechselung oder dergleichen vor liegen, was fich jedenfalls bald, aufklären wird." „Das ist ebenfalls meine Ansicht," ant wortete Weilmann. „Ich habe zwar meinem braven Obersten eine Art von Geständnis ab gelegt, doch werde ich bei etwaigen spätere« förmlichen Vernehmungen meine Taktik ändern und nur auf bestimmte Anklagen, sowie erst nach Nennung deS Anklägers Auskunft er teilen. Ohne mein Zugeständnis soll es dem selben doch wohl schwer werden, seine Behaup tungen nachzuweisen." „Ja, waS mir da einfällt," rief Reus« lebhaft, „find Sie mit dem am hiesigen Ge richte beschäftigten Referendar von Huldringeu bekannt?" „Oberflächlich," antwortete der Leutnant ver wundert. „Weshalb?" „Haben Sie irgend eine unangenehme Be rührung mit dem Herrn gehabt?" forschte nun der Fabrikherr Weller. „Das gerade nicht," erwiderte Weilmann, „ich habe nur seine Annäherungsversuche kalt ausgenommen." „Hm," brummte Reuser, „ist dieser Referendar von Huldringen ein Verwandter des Generals gleichen Namens?" „Sein Sohn," erklärte der Leutnant.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)