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Allgemeiner Anzeiger : 17.08.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-08-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1912
-
Monat
1912-08
- Tag 1912-08-17
-
Monat
1912-08
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 17.08.1912
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Vcr Kanzler in 6aftem. Seit.Herr v. Bechmann-Hollweg den Fürsten Bülow im Reichskanzlerpalais ablöste — drei Jahre sind darüber ins Land gegangen — hat er jetzt zum erstenmal einen längeren Erholungs urlaub genommen, der einem Kurgebrauch in Gastein gewidmet sein soll. Man ist nach gerade daran gewöhnt, in Zeiten politischer Ruhe in diesem oder jenem Organ zu lesen, des Reiches fünfter Kanzler werde „demnächst" seinen Posten verlassen. Es kann also schließlich nicht wundernehmen, wenn auch der Gasteiner Kur aufenthalt wieder mit einer Kanzlerkrise in Verbindung gebracht wird. Es heißt viel fach, der Gesundheitszustand des Reichskanzlers sei ein schwankender und Herr v. Bethmann- Hollweg werde nach der Beendigung seiner Kur sein Abschiedsgesuch einreichen. Aus der Um gebung des Kanzlers hört man es indes wesentlich anders. Da heißt es, „der Kanzler wolle sich stärken für die umfangreichen Aufgaben des Winters; denn Herr v. Bethmann hofft noch mindestens zwei wichtige Aufgaben zu er füllen, deren eine auf dem Gebiet der äußeren Politik liegt, während die andre innerpolitischer Natur ist. Vor Erledigung dieser beiden Auf gaben wird Herr v. Bethmann-Hollweg kein Riicktrittsgesuch wieder einreichen, nachdem das erste (im An schluß an die Reichstagswahlen) vom Kaiser abgelehnt worden sei." — Was nun die beiden Aufgaben anbelangt, deren Lösung das Ziel des Reichskanzlers ist, so läßt sich unschwer erraten, um was es sich dabei handelt. Herr v. Bethmann-Hollweg hat in seinen parlamenta rischen Reden wiederholt betont, wie sehr ihm an einem endgültigen Ausgleich mit England gelegen ist und er hat durch die Tat bewiesen, daß er diesem Ziele nahe zu kommen bestrebt ist, indem er den Botschafter Frhrn. v. Marichall von Konstantinopel abberief und nach London entsandte. Wenn dem Kanzler in dieser Frage ein Erfolg beschieden sein sollte, so würde er, der-während seiner Kanzlerschaft neben mancher Anerkennung auch heftige Gegnerschast erfuhr, das ganze deutsche Volk hinter sich haben. Aber es läßt sich nicht verschweigen, daß weite Kreise des deutschen Volkes an der Möglichkeit eines Ausgleichs mit England gewichtige Zweifel hegen. Man glaubt viel mehr, daß dem Kanzler bei der Lösung der andern, der innerpoMchen Aufgabe, eher Eriolg winken wird, nämlich mit dem Entwurf einer Besitzsteuer. Diese Frage steht in enger Ver bindung mit dem tiefen Gegensatz der Parteien und es will dem unbefangenen Beobachter fast scheinen, daß auch in dieser Frage sich dem Kanzler schwer überwindliche Hindernisse bieten werden. Das zeigt ein Blick aus die Ent stehungsgeschichte dieser Steuer. Die Reichs tagsmehrheit hat sie gelegentlich der Beratung der neuen Militäroorlage gefordert und aus drücklich die Bedingung gestellt, daß der Entwurf einer allgemeinen Besiksteuer bis zum April 1913 eingebracht werde. Da die Steuer eine „allgemeine" fein soll, so scheiden die Steuerarten, die nur einen Teil der Besitzenden treffen, also Dividenden-, Börsen steuer u. a., aus. Es bleibt lediglich die Wahl zwischen einer Vermögenssteuer und einer Erb anfallsteuer, die (im Gegensatz zu der jetzt er hobenen) auch Kinder und Ehegatten trifft. Es ist also die Frage zu prüfen, welche der beiden Steuern den Vorzug verdient. Was nun die Vermögenssteuer anbelangt, jo darf nicht das Verhältnis der Reichssteuern zu den Steuern der Einzelstaaten und Gemeinden übersehen werden. Die Steuertechnik bei der Reichsgründung war nämlich so gedacht, daß dem Reiche alle indirekten Steuern (Zölle, Verbrauchsabgaben), den Einzelstaaten aber alle direkten Steuern überwiesen werden sollten. Wenn diese Zwei teilung auch nicht immer genau durchgeführt "rden ist, so sind die Bundesstaaten doch agsweise auf die direkten Steuern ange ¬ wiesen. Wenn man aber diese Steuern auf ihren Prozentsatz prüft, so wird man finden, daß dieser nicht niedrig bemessen ist, und daß mancher Steuerzahler 13—15 Prozent entrichten muß. Werden die Bundesstaaten, wird die Reichstagsmehrheit bei solcher Erwägung einer Vermögenssteuerzustimmen? Schwerlich! Dazu kommt, daß für den Fall eines Krieges, der ja bei finanztechnischen Berechnungen nicht außer acht gelassen werden darf, einzig und allein (die Türkei hat jetzt das Beispiel ge liefert) auf eine Vermögenssteuer zurückgegriffen werden kann, wenn das Reich sich in außer gewöhnlicher Notlage befindet. Es bleibt allo schl eßlich nur die Erbanfallsteuer. Nun weiß aber Herr v. Bethmann-Hollweg wohl am besten, wie heiß sie in deuischen Landen umstritten ist. Es erscheint deshalb verfrüht, wenn einige Blätter meinen, daß man sich im Reichsschatz amt lediglich mit einem Entwurf betreffend die Besteuerung des Erbanfalls beschäftige. Biel glaubwürdiger klingt eine Meldung aus halbamtlicher Quelle, wonach sich mehrere Gesetzentwürfe in Vorbereitung befinden, aus deren Verschmelzung sich dann der eigentliche Entwurf ergehen soll. Deshalb denkt man — immer nach der halbamtlichen Verlautbarung — vor allem an eine Besteuerung des jährlichen Vermögenszuwachses. Man sieht, Herr v. Bethmann-Hollweg tut recht daran, sich für die kommenden Winterdebatten zu stärken, denn es wird ein heißer Kampf werden, dessen Aus gang noch völlig ungewiß ist. N. L.. D. Politische Kuncilckau. Deutschland. *Jm Jahre 1913 sollte in der Nähe von Koblenz eine große Kaiserparade ab- gehalten werden. Auf Beiehl Kaiser Wilhelms ist die Parade auf das Jahr 1915 verschoben worden. Sie bildet einen Teil der großen Feier zur Erinnerung an die hundertjährige Zugehörigkeit der Rheinprovinz zu Preußen. Der Monarch wird bei dieser Gelegenheit über eine Woche in der Rhein provinz bleiben. *Die Ausreise des Prinzen Heinrich von Preußen, der als Vertreter Kaiser Wilhelms an den Beisetzungsfeierlichkeiten in Japan teilnimmt, erfolgt am 20. d. Mts. Die Fahrt geht über Sibirien nach Kiautschou. Von dort aus wird zur Über ahrt nach Japan ein deutsches Kriegsschiff benutzt. Auf der Rück reise wird Prinz Heinrich das deutsche Kreuzer geschwader und die Kolonie Kiautschou be sichtigen. *Eine internationale Regelung des Auslieferungsverfahrens ist nach der Moss. Ztg/ von der belgischen Re gierung bei der deutschen Reichsregierung an geregt worden. Falls diese Anregung zu einer internationalen Vereinbarung führen sollte, würde eine reichsgesetzliche Regelung des ge samten Auslieferungsverfahrens herbeigeführt werden, die wiederholt vom Reichstage erstrebt, aber bisher noch nicht durchgeführt ist. Gegen wärtig haben sowohl das Deutsche Reich wie die meisten größeren Bundesstaaten AuS- lieferungsverträge mit fremden Staaten ab geschlossen. Denn da bisher eine reichsgesetz liche Regelung der Auslieferung von verurteilten oder angeschuldigten Personen an fremde Re gierungen nicht vorgenommen ist, halten sich die Bundesstaaten zum Abschluß neuer Verträge berechtigt, so lange das Reich mit solchen Staaten keinen Vertrag abschließt. Unter diesen Umständen ist es begreiflich, daß der Reichstag wiederholt den Versuch gemacht hat, eine reichs gesetzliche Regelung herbeizuführen. Rußland. * Die Rußland fahrt des französischen Ministerpräsidenten Poincarö, die wo-en- lang in Frankreich der hervorragendste Gesprächs stoff war, wird jetzt mit dem Schleier tiefsten Geheimnisses umhüllt. In Paris ist man offenbar enttäuscht, weil der Minister vom Zaren streng nach dem Zeremoniell behandelt wird. Poincare selbst hat seinem Berichterstatter nur gesagt — was man in solchen Fällen immer hört^.7 daß „zwischen den leitenden Männern beidMStaaten völlige Übereinstimmung in allen schwebenden Fragen herrscht." Balkanstaaten. * Die Vorgänge in dem mazedonischen Ort Kotschana, wo die Mohammedaner unter der christlichen Bevölkerung (Bulgaren) vor einiger Zeit ein Blutbad anrichteten, scheinen ernste politische Folgerungen zu zeitigen. Die bulgarische Bevölkerung gerät in immer größere Aufregung, da das Gemetzel noch immer ungesühnt ist. Die bulgarischen Blätter wollen den Krieg, und durch ganz Bulgarien ziehen Redner, die das Volk gegen die Türkei aufhetzen. So droht der Türkei, deren Konflikt mit Montenegro eben beigelegt worden ist, ein weit ernsterer Zwist mit Bulgarien. Afrika. *Die vielbesprochene Abdankung des Sultans Muley Hafid kann als vollendete Tatsache betrachtet werden. Der Sultan hat dem französischen Oberkommandierenden in Marokko, General Lyautey, ein Schreiben über reicht, in dem er erklärt, daß er nur einer Krankheit wegen dem Thron entsage. Er emp fiehlt darin, einen seiner Brüder zu seinem Nacknolger zu ernennen. Die französische Re gierung hat demgemäß beschlossen, die Nach folgerschaft dem Prinzen Muley Jussuf, der gegenwärtig Statthalter in Fez ist, zu über tragen. Daß der neue Sultan keinerlei Re gierungsgewalt haben darf, bedarf kaum einer Erwähnung. Die CrÄbebenkatasrropke m äer Türkei. G Nach und nach läßt sich der Umfang der Erdbebenkatastrophe am Marmarameer über blicken, da Eisenbahnen und Telegraphen, die zum größten Teil zerstört oder verschüttet waren, notdürftig wieder hergestellt sind, nnd da vor allem die türkische Regierung das in der ersten Bestürzung erlassene Telegrammverbot wieder aufgehoben hat. Augenzeugen geben folgende Einzelheiten über die Schäden des Erdbebens: In den verschiedenen Städten an den Dardanellen sind alle Gebäude am Meere zerstört worden. In Galata bei Galipoli sind viele Häuser ein gestürzt. In Galipoli wurden viele Minarets und zwanzig Häuser in Trümmer gelegt und andre beschädigt. In Scharkeny sind alle Häuser, Kirchen und Schulen gänzlich ruiniert und durch den gewaltigen Brand vernichtet worden. In Myriofito wurden von 1200 Ge bäuden nur zweihundert von dem Erdbeben verschont, und diese wurden dann durch den Brand vernichtet. In Chora wurde das ganze Stäbchen verwüstet, ausgenommen fünf Häuser. Jn Milia ist der größte Teil von 600 Gebäuden zerstört; in Platana sind alle Gebäude zerstört. In Kumbaghi sind viele Häuser eingestürzt, und in Jsterna wurden alle Gebäude vom Erdbeben und dem Feuer zerstört. In Ereyli ist der größte Teil von 4000 Gebäuden durch Brand und Erdbeben eingeäschert und zertrümmert worden. Das Dorf Addim und ein andres türkisches Dorf sollen gänzlich verschwunden sein. Nach den letzten Nachrichten beziffern sich die Opfer des Erdbebens auf lausend Tote und dreitausend Verwundete. Etwa 5000 Personen sind ohne Obdach. Es heißt, daß 28 von Griechen bewohnte Städtchen und Dörfer voll kommen zerstört seien. Das Schloß von Adria nopel ist stark beschädigt, die Nebengebäude und das Gefängnis sind eingestürzt. Andern an geblich auf amtlicher Schätzung beruhenden Nachrichten zufolge sollen 1200 Menschen um gekommen sein und sich der Gesamtschaden auf etwa 15 Mill. Mk. beziffern. Infolge der inneren Wirren leitete die türkische Regierung recht spät eine Hilfstätigkett ein, die den an den Dardanellsnuferu obdach los Gewordenen eine vorläufige Unterstützung bringen sollte. Fünf Dampfer gingen von Konstantinopel mit Eßwaren und Arzneien in das am schwersten heimgesuchte Gebiet um Galipoli. In Konstantinopel hat das Erdbeben übrigens größeren Schaden angerichtet, als zuerst gemeldet worden ist. Das Finanz- ! Ministerium und andre öffentliche Gebäude er litten zum Teil schwere Beschädigungen, mit deren Feststellung jetzt Ingenieure beschäftigt sind. Wenn man italienischen Blättern-glauben darf, Hai die türkische Regierung merkwürdiger weise fremde Hilfeleistung, sowie Geldunter- stützung abgelehnt. Die von allen Seiten und auf mannigfache Weise bedrängte Türkei hätte am wenigsten Ursache, so stolz zu sein. Vie Ordemaurzelchnungen siir die Helden von Vinz. UN Die wackeren „blauen Jungens", die bei dem Brückeneinsturz von Binz tatkräftig Hilfe geleistet haben, sollten bekanntlich für ihr braves Verhalten mit Ordensauszeichnungen bedacht werden. Die Erhebungen, die zu diesem Zwecke Veranstalter wurden, sind nun -zum Ab schluß gelangt und haben ein ungewöhnlich günstiges Ergebnis gehabt, trotzdem — wie aus den folgenden Angaben hervorgeht — nur außergewöhnliche Verdienste zur Ver leihung von Rettungsmedaillen vorgeschlagen wurden. Es kamen nur diejenigen Mannschaften in Betracht, die mehreren Menschen das Leben gerettet hatten. Es sind insgesamt 6 Mann zur Ordensverleihung vorgeschlagen worden. Welche Heldenarbeit sie geleistet haben, kann man daraus erkennen, daß diese sechs Mann nach den Erhebungen nicht weniger als 44 Menschen das Leben gerettet haben. An erster Stelle steht der Obermatrose Margot von der „Preußen", der die stattliche Anzahl von zehn Lebsns- rettungen aufzuweisen hat. An zweiter Stelle folgt der Matrose Marquart von der „Pommern", dem neun Menschen heut ihr Leben zu ver danken haben. Den Ruhm, acht Menschenleben gerettet zu haben, können zwei Mann in An spruch nehmen, nämlich der Wachtmeister der Maschinengewehrabteilung aus Hagenau, Römer, und der Matrose Boska von der „Preußen". Der Matrose Rose von der „Preußen" hat außer fünf Lebensrettungen noch das Lob erhalten, daß er sich ganz hervorragend bei Tauchversuchen nach Untergesunkene» betätigt und dadurch zum Gelingen des Reltungswerkes viel beige tragen habe. Endlich wird noch der Matrose von der „Preußen", Scheidert, zur Verleihung der Rettungsmedaille vorgeschlagen werden, da er vier Menschen das Leben gerettet hat. Aber auch die andern Matrosen, denen es nicht gelungen war, soviel Menschen den Fluten zu entreißen, haben in hervorragender und aufopfernder Weise ihr Leben aufs Spiel geletzt und einer weiteren großen Anzahl Verunglückter das Leben gerettet. Der hervorragende Geist, der in unsrer Marine herrscht, ist aber daran zu erkennen, daß diese Helden eben nur ihre Pflicht getan haben und ihren Lohn in diesem Bewußtsein finden. Die sechs obengenannten Mann haben aber einen Rekord aufgestellt, der bisher in der Well wohl einzig dasteht, und der in das goldene Buch der Helden des Friedens eingezeichnet zu werden verdient. Schweres dnglück auf äem Aus dem westdeutschen Industriegebiet kommt, kaum daß die Toten der Zeche „Lothringen" begraben sind, die Kunde von einem neuen schweren Unglück, das eine Reihe von Menschen leben zum Opfer forderte. Auf dem Gelände des Eisen- und Stahlwerks Hoesch in Dortmund waren 26 Arbeiter damit beschäftigt, eine große Schlackenhalde, die inwendig noch glühend war, ab zutragen. Mitten in der Arbeit stürzte plötzlich die imJnnern glühende Schlackenhalde ein; ein großer Teil der Halde begrub zwölf Arbeiter einer Kolonne. Die andern konnten sich durch schleunige Flucht retten. Neun Tote und drei Schwercerletzte, die unmittelbar darauf starben, wurden in aller Eile geborgen. Die Arbeiter waren gänzlich verkohlt; sie wurden in der Leichenhalle des nahen Ostentotenhoses aui- gebahrt. Die Ursache des Unglücks ist, daß sich infolge von Feuchtigkeit in der glühenden Schlacke Gase gebildet hatten, die dann explo dierten und den Schlackenberg emporschleuderten. Ek Vurck eigene Xraft. Gj Novelle von Hans Lingg. <K»r:ietzuug. Während der Oberst die Zeugnisse las, wurde ein Leutnant namens Walden gemeldet, ber mit Remontepserden aus Trakehnen zurück- k^te. Derselbe trat ein und wurde vom Obersten freundlich begrüßt. „Herr Leutnant Walden," sagte der Kom mandeur, „wir werden uns noch kurze Zeit in Berlin aufhalten. Sie haben den Befehl, die Freiwilligen einzuüben. Ganz besonders empfehle ich Ihrer Obhut diesen Mgen Mann." Em Blick voll Freude und Dankbarkeit aus Karls dunklen Augen sagte dem Kommandeur, daß er einen Menschen glücklich gemacht habe. Leichten Herzens folgte Karl dem Leutnant, unter dessen Führung er in der Folge ein Leben voll Gefahren und Mühen, aber auch voll Freuden und Ehren durchmachen sollte. 4. Mit eisernen Schritten war der Krieg über die Fluren Frankreichs dahingegangen. Die deutschen Heere hatten Sieg auf Sieg errungen, aber mit verzweifelter Tapferkeit hielten die Franzosen ihren Widerstand aufrecht. Nach der Katastrophe bei Sedan hatte die Republik fort- gMhrt, was das Kaiserreich begonnen, mit denselben Mitteln, mit demselben Mißerfolg. Schon lagen die Deutschen vor Paris. Es war zu der Zeit, als der französische General Ehsnzy von der Lotte aus persuchte, die Haupt- stabr zu entsetzen, und Prinz Friedrich Karl von Preußen sich ihm entgegenstellte. Die verzweifeltsten Schlachten wurden hier geschlagen, die blutigsten Siege errungen und Beispiele von Heldenmut und Todesverachtung gegeben, wie sie nur vereinzelt in der Geschichte dastehen. An einem naßkalten Tage im Anfänge des Dezember schritten zwei preußische Kavalleristen auf der Landstraße dahin. Der eine war ein Ulan, der andre ein Kürassier. Sie blickten suchend rechts und links, ohne das Ziel ihrer Sehnsucht zu finden. Wohl standen hier und da vereinzelte Bauernhöfe, aber man konnte an dem wüsten, ausgestorbenen Aussehen der selben schon auS der Ferne erkennen, daß da nichts zu holen war. Nachdem beide Kavalleristen einige Zeit schweigend und suchend hinter einander fortgeschritten waren, begann der Kürassier eine Unterhaltung. „Wie heißt du, Ulan?" „Karl Wilde." „Ah, ich hab« schon von dir gehört. Deine Kameraden nennen dich den wilden Karl." „Ja, doch ohne Grund. Mld sind sie alle, wenn's darauf ankommt." „Na, es ist immer ein Unterschied dabei. Das Stück, als du neulich drei von den braunen Teufeln, von der afrikanischen Reiterei, meine ich, vom Pferde herunterstachst, kommt doch nicht alle Tage vor." „O, sie find feige!" rief Karl. „Sie hallen nicht stand; wenn es zur Attacke kommt, reißen die Kerle aus wie Schafleder." „Das ist wahr," entgegnete der Kürassier. „Aber man sagt auch, daß es ein Mittel gäbe, sich gegen Schuß und Stich fest zu machen. Ich glaube gar, mit dir ist so etwas. Me wärst du sonst so kühn und toll!" „Was für ein Mittel?" „Man sagt, es gäbe einen Brief, der vom Himmel herunterqefalleu ist. Man nennt ihn Himmelsbrief. Wenn man eine Abschrift davon auf der Brust trägt, dann kann einem nichts etwas anhaben.' Karl sah den Kürassier lächelnd an. „Ich habe ja auch nie daran glauben wollen,' fuhr dieser wie entschuldigend fort. „Aber wenn einem die Granaten über den Kopf hinfliegen, daß die Ohren sausen und das Herz bebt, da lernt man beten ' „Aberglaube ist es, Kürassier, nichts weiter. Das mit dem Betenlernen hat wohl seine Richtigkeit; aber ein solches Geheimmittel wie dieser Himmelsbrief hat mit dem Boten nichts zu tun. Ich will dir ein besseres Mittel nennen. Dai Gegner herunterschieben, ehe er züm Schuß fertig ist, ihn treffen, ehe er zu schlägt. Das heißt: mit Mut und Besonnen heit Hinern in den Kampf! Und sind der Feinde zu viele, nun, dann muß Gott halfen." „Da magst du recht haben. Und weißt du, Ulan, so ein frischer, fröhlicher Reitertod ist zu letzt noch nicht das schlimmste. Dieses Biwa kieren hier auf freiem Felde! Sein andres Lager als die nasse Erde, keine andre Decke als den Himmel! Die Kälte zieht einem die Glieder und der .Hunger die Gedärme zu sammen. Ich glaube, wenn ich heute nicht etwas zu eßen finde, stehe ich morgen nicht wieder aui." „Denke, daß es keinem andern besser gehr als dir! Und das Aushalten in der Not ist auch eine Tapferkeit, die gewiß nicht wenig« hoch auzuschlagen ist, als die Tapferkeit vor dem Feinde." „Ulan!" rief plötzlich der Kürassier, indem er nach der Sette hindeutete. „Sieh dort!" Wie ein Triumphgeschrei klang des Kürassiers Ausruf. Es mußte etwas ganz Besonderes iein, was ihn erfreute. Und richtig, als Karl nach der Sette hinblickte, gewahrte er ein Dorf und vorn, einige hundert Schritte vor demselben, ein einsames, verlassenes Gehöft, auf bestem Hofe zwei Hühner traurig einher- gingen. Sie hungerten offenbar ebenso sehr, als die beiden Soldaten „Ah, den armen Tierchen kann geholfen werden!" rief Karl, ebenfalls hoch erfreut. Sie eüten hinzu, und in einigen Minute« hatten sie die Hühner gefangen und ihnen d» Köpfe abgehackt. „Und jetzt gleich gerupft!" sagte der Kürassier. Das geschah denn auch mit der freudige« .hast, die durch die Aussicht auf eine schmack hafte Hühnersuppe erklärt ist. Nach kurzer Zett wanderten die beiden, jeder sein Huhn unter dem Rocke bergend, zum Biwak zurück. „Du hast mir deinen Namen noch nicht ge nannt," sagte Karl beim Abschiede. „Martin Buder heiß ich und bin im Spree walde zu, Hause," entgegnete der Kürassier. „So, das soll eine schöne Gegend sein. Ra, Glück auf, Kamerad! Wenn Gott will, sehe» wir uns wieder!" Karl hatte sich in dem halben Jahre sauet
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