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X^Leopardenjagden in der Provinz Schleswig. Ein aus einer Menagerie in Pinneberg entsprungener Leopard konnte bisher nicht unschädlich gemacht werden. Die Bestie scheint vielmehr ihre Wanderung nach dem Westen sortzusetzen. Während er zuerst in der Gegend von Wedel auftauchte, dann in der Haseldorfer Marsch beobachtet wurde, ist er dieser Tage bei den letzten Häusern an der Chaussee, die von Ütersen nach Elmshorn führt, von Passanten aus nächster Nähe gesehen worden. Am Donnerstag wurde der Leopard am Seestermüher Andeich bei Elmshorn be obachtet. Er sprang über einen breiten Graben und suchte dann Unterkunft in einer Weiden- anpflanzung. Die Verfolgung durch mehrere mit Jagdgewehren bewaffnete Einwohner, unter denen sich auch der Graf v. Kielmannsegge nebst Sohn befanden, war ohne Erfolg. Bei der Absuchung der Weidenanpflanzung sand man deutlich die Spuren des Raubtieres. Der Leopard ist nach den Angaben von Augenzeugen «was größer als ein großer Jagdhund, eine iebr dunkel gefärbte Spielart, und durch den langen Schwanz jedem, auch aus der Ferne, sofort auffällig. Ein Ehedrama spielte sich in Essen ab. Der in der Herkulesstraße wohnende Schneider Gerhard Lewenthal hat seine Frau aus zweiter Ehe bei einem häuslichen Streit durch Messer- inche in die linke Brust und im Gesicht so schwer verletzt, daß sie kurz darauf starb. Der Vianu stellte sich freiwillig der Polizei und wurde so- ivri in Haft genommen. Aus Gram um seine Frau erschossen. Der Gendarmeriewachtmeister Krone in Lünen hat sich neben der Leiche seiner Frau, die im Wochenbett gestorben war, erschossen. Ein Vatermörder. In dem Dorfe Groß rechtenbach geriet ein Vater mit seinem Sohne in Streit, sodaß beide schließlich handgemein wurden und der Sohn seinen Vater in den vorüberfließenden Bach warf. Der alte Mann sand seinen Tod in den Wellen. Der Vater mörder wurde verhaftet. X Zwei Menschenleben wegen einer Wildente. Bei einer auf dem Fischteiche unweit Bohdalec in Böhmen abgehaltenen Wildentenjagd konnte eine erlegte Ente nicht aus dem Wasser geschafft werden. Am Abend begaben sich nun der Kaufmann und Grund besitzer Johann Myslewicz und dessen Knecht Anton Sklenar zum Teiche, um sich beim Mondschein die geschossene Wildente widerrechtlich anzueignen.' Hierbei ertranken beide. Neben ihren Briefen, die man am andern Morgen sand, schwamm die tote Ente auf dem Wasser spiegel. Der Kurier des Königs. Ein Kurier König Eduards ist auf der Reise von Paris Vach Marseilles beraubt worden. Der könig liche Bote war auf dem Wege von London nach Saloniki und benutzte den Erpreßzug der Süd bahn. Während der Nacht hatte er sich in Wine Schlafkabine zurückgezogen, als er jedoch aufwachte, bemerkte er, daß man ihm seine Brieftasche, die eine größere Summe Geldes Und seine Pässe enthielt, sowie wichtige Akten stücke deren Überbringer er war, gestohlen hatte, ßwei' andre Reisende, ein Engländer und ein Franzose, hatten gleichfalls den Verlust ihrer Brieftaschen zu beklagen. Sofort nach seiner Ankunft in Marseilles machte der Kurier den Stationsbeamten von dem Diebstahl Mitteilung, gelang jedoch nicht, des Täters, der einer der Mitreisenden gewesen sein muß, habhaft zu Werden. Eine Million Lira veruntreut. Großes Aussehen erregt in Genua die Verhaftung eines Abgeordneten des Verwaltungsrats der Jndustrie- bank in Genua wegen Veruntreuung von AvO OOO Lira. Zu den Geschädigten gehören diele italienische und französische Banken. Das Tesamtdefizit beträgt eine Million. Der leere Geldschrank. Der Geldschrank des kürzlich an der spanischen Küste unter fangenen Personendampfers „Sirio" wurde durch Taucher gehoben. Man erwartete darin Held und Juwelen der Fahrgäste zu finden. Ter Schrank war indes leer, obgleich er ver flossen nach oben kam. Die allgemeine Em pörung gegen die Offiziere und Mannschaften des „Sirio" wegen ihres Benehmens Lii dem Unglücksfall wird dadurch noch erhöht. 108 Stunden in der See. Der dänische Dampfer „Texas" hatte, als er von New Orleans in Kopenhagen einlief, einen jungen deutsch-amerikanischen Matrosen an Bord, der zu der Mannschaft eines amerikanischen Schoners gehörte, der am 9. September im Atlantischen Ozean zugrunde ging. Der junge Mann, der sich Höck nennt, wurde aus dem Meere gezogen. Als man ihn fand, war er 108 Stunden, auf einer Planke sitzend, im Wasser gewesen. Als man ihn auffischte, zeigte er Spuren von Leben, war aber vor Hunger und Erschöpfung bewußt los und blieb in diesem Zustande noch zwei Tage lang. Der junge Mann ist vollständig hergestellt und schiffte sich nach seiner Ankunft in Kopenhagen sofort wieder nach Amerika ein. Riesenbrand in einem Petersburger Hafen. Nach einer Meldung aus Petersburg richtete eine Feuersbrunst auf dem Kalachnikow- Kai enormen Schaden an. Vier Schiffe mit Korn verbrannten; die Mannschaft wurde aus dem Schlafe geweckt und viele erlitten schwere Brandwunden. Eines der Schiffe trieb mit 35 Feuerwehrleuten vom Kai ab. Sie wollten sich durch Schwimmen retten, das Schiff schlug jedoch um, wobei zwei Feuerwehrmänner er tranken. Der erste Offizier wurde bewußtlos aus dem Wasser gezogen. Sechs Unschuldige erschossen. Die „Feld gerichte" in Rußland arbeiten mit solcher Ge schwindigkeit, daß ihnen keine Zeit bleibt, zu prüfen, ob Angeschuldigte wirklich schuldig sind oder nicht. Ein solcher Fall übereilter Justifizierung wird aus Czenstochau gemeldet. Dort sind am letzten Freitag zehn Banditen durch Erschießen hingerichtet worden. Nunmehr stellt sich heraus, daß sechs von ihnen unschuldig waren. Bei der Verhaftung von vier Räubern hatten sich diese seinerzeit, um die Verfolger zu täuschen, unter eine Anzahl Männer gemischt, die im Walde Pilze sammelten. Diese Leute und die Ban diten, die die Unschuldigen als Komplicen be zeichneten, wurden festgenommen und vom Feld gericht zum Tode verurteilt. Depeschen an den Ministerpräsidenten Stolypin, in denen der Tat bestand klargelegt wurde, fanden nicht ihre recht zeitige Erledigung, so daß das Urteil, das be kanntlich nach den Bestimmungen des Feld gerichts innerhalb 24 Stunden vollzogen sein muß, vollstreckt wurde. Somit sind sechs Männer unschuldig erschossen worden. Frühwinter in Nordamerika. Mit überaus gewaltigen Stürmen macht sich in Nordamerika der Herbst fühlbar. Es ist ge wissermaßen ein Frühwinter eingetreten. In Buffalo, New Jork und Umgebung herrschte einer der schwersten Stürme, deren man sich erinnern kann, 24 Stunden fiel Schnee und HaZel, begleitet von einem zyklonartigen Wind. Im ganzen Westen rast der stärkste Oktober- sturm, begleitet von Schnee, und Flüsse und Kanäle beginnen zu gefrieren. Im Süden ist Frost eingetreten, und man hat große Befürch tungen wegen der Baumwolle. Die Liebe des weiblichen Detektivs. Eine Miß Hewitt, eine schöne junge Dame aus bekannter New Zorker Familie, war bei dem Millionär Cyrus N. Perkins als Privatsekretärin angestellt. Mr. Perkins machte vor einiger Zeit die Entdeckung, daß die Einnahmen aus seinen geschäftlichen Unternehmungen bedenklich zu- sammenschrumpfcn, und sprach den Gedanken aus, daß er von einem seiner Angestellten offen bar betrogen werde. Detektivs vermochten nichts ausfindig zu machen, und deshalb erbot sich schließlich Miß Hewitt, die Nolle eines Detektivs zu spielen. Sie tat dies mit großem Erfolg und setzte in ihren täglichen Berichten klar auseinander, daß der Kassierer Bird der Dieb sei. Dieser sollte nun auf Gmnd des von Miß Hewitt eingebrachten Materials verhaftet werden. Er erschien jedoch nicht im Geschäft und es fehlte auch die freiwillige Detektivin Miß Hewitt, die brieflich mitteilte, daß sie zu Bird in Liebe entbrannt sei und ihn deshalb nicht der Polizei ausliefern könne. Mr. Perkins bietet alles auf, um den ungetreuen Kassierer und seine getreue Detektivin in die Hände zu PMegg.-) stellen. Die Folje war, det mein Verhältnis jloobte, ick hätte ihn versetzt, und det er mir dann ooch versetzte. — Dem Zureden des Vorsitzenden gelingt es schließlich, einen gütlichen Ausgleich her beizuführen. Die Klägerin trägt die Kosten, der Angeklagte gibt den Zopf zurück. bekommen, denn er hat die Entdeckung gemacht, daß ihm 80 000 Pfund fehlen. Es ist festge- steH worden, daß die beiden unter dem Namen „Daniel Smith und Frau" nach Vera Cruz geflohen sind. Ein Tschungtschusen-Werfall auf einen deutschen Dampfer. An Bord des nach Tschifu gehenden deutschen Dampfers „Anna" überfielen zehn Tschungtschusen, die sich als chine sische Arbeiter ausgegeben hatten, den Kapitän und die Offiziere, banden sie, beraubten die Passagiere und entkamen auf Schaluppen mit einem Raub von 7000 Rubel. Nur ein Mann wurde an der Flucht gehindert und festge nommen. Gericktsballe. X Düsseldorf. Wegen Körperverletzung in folge heftigen Umdrehens der Telephonkurbel wurde der Angestellte einer hiesigen Firma vom hiesigen Schöffengericht zu 30 Mk. Geldstrafe verurteilt. Der Angeklagte hatte beim Anruf des Fernsprechamts eine Telegraphistin durch mehrmaliges, schnelles und heftiges Umdrehen der Kurbel derart verletzt, daß das junge Mädchen ohnmächtig zusammenbrach und seitdem infolge heftiger Nervenzuckungen dienst unfähig ist. X Stallupünen. Wegen Begünstigung eines Mörders wurde der Speisewirt Johann Rosczewsky in Evdtknhnen von der Strafkammer zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, auch seine sofortige Verhaftung im Gcrichtssaale angeordnet. Der An geklagte hatte vor mehreren Jahren einen russischen Unteroffizier, der nach Ermordung seines Vorgesetzten über die deutsche Grenze geflüchtet war, bei sich ver borgen gehalten und später durch seinen Angestellten, den jetzt selbst im Gefängnis sitzenden Arbeiter Rudolf Schulz, seinerzeit nach London befördern lassen. Durch einen Brief des Unteroffiziers, den er nach seiner Heimat richtete, kam die Sache ans Tageslicht. Der Mörder wurde später in London verhaftet und von zwei russischen Offizieren von dort zurückgeholt. Schweidnitz. Das Schwurgericht verurteilte den Kutscher Hentschel aus Lagsan wegen Erdrosse lung seiner Geliebten zum Tode. buntes Mlerler. Ein bedenkliches Zeichen. Kellner (zum Wirt): „Herr Wirt, soeben ist wieder ein Gast, ohne zu zahlen, davongegangen!" — Wirt: „Was hat er denn für eine Zeche gehabt ?" — Kellner: „Einen Hasenbraten und eine Flasche Wein — aber er hat alles stehen gelassen!" Erstaunliche Leistungen von Krüppeln. A Vor kurzem berichtete der Jobe Herald' von einem Japaner, der in dem letzten Kriege eines seiner Beine verloren hatte und nun mit einem künstlichen Bein, das ihm der Kaiser ge schenkt, den höchsten Berg Japans, den 13 000 Fuß hohen Fuji Jama bestieg. Diese außer ordentliche Leistung steht jedoch nicht allein da, sondern auch andre Unglückliche, die eines oder mehrerer ihrer Gliedmaßen beraubt waren, haben trotzdem, wie eine englische Wochenschrift schreibt, Erstaunliches geleistet. So vermaß sich im Mai 1904 ein einarmiger Kesselflicker aus Bologna, mit Hilfe des Blitzableiters an dem 350 Fuß hohen Asinelli-Turm emporzuklimmen. Man zweifelte an seinem Verstände und eine große Menschenmenge sah mit atemloser Spannung seinem Beginnen zu. Der Kesselflicker aber klomm geschickt bis zur Spitze des Turmes hinauf und wieder hinunter und wurde dann mit einem donnernden Hurra begrüßt. In London erschien eines Tages ein armloser Herr, namens Uthan, auf einem mit zwei Pferden be spannten Phaeton, den er selbst lenkte. Ec hielt die Zügel mit dem linken Fuß und hatte die Peitsche fest mit den Zehen des rechten Fußes umfaßt; so lenkte er sicher das feurige Gespann. Uthan ist ohne Arme geboren, aber seit früher Jugend bereits hat er sich mit Pferden beschäftigt und reitet mit den Zügeln in die Steigbügel gesteckt, von denen aus er das Pferd lenkt, so sicher, wie nur irgend ein Reiter, der seine Arme gebrauchen kann. Ein vorzüglicher armloser Künstler ist Bartram Hiles, der Mitglied der „Königlichen Gesellschaft englischer Künstler" ist, als ausgezeichneter Maler gilt und auch in Ton modelliert, indem er das Modellierholz mit den Lippen hält. Ein Mann, der als ein wirklicher Tausendkünstler er scheint, obwohl er ohne Arme geboren wurde, ist Frank Knight in Bunstable. Er kann auch seins Füße nicht gebrauchen, und man glaubte deshalb, daß er zu keiner Arbeit tauge. Er aber lernte zuerst schreiben, indem er die Feder in seinem Munde hielt, dann malen und entschied sich zuletzt für den Beruf eines Photographen, dessen komplizierte Verrichtungen vom Aufnehmen bis zum Abziehen der Platte er alle absolut selb ständig verrichtet. Er ist auch als Schmied tätig gewesen und hat eine mehr als durch schnittliche Geschicklichkeit entwickelt, ja er hat sich sogar das kleine Ponygespann, in dem er herumfährt, selbst gefertigt. Auch nimmt er großen Anteil an Gartenkunst und Bienen- züchtung. Ein Amerikaner George Sutton, der als Knabe durch eine Kreissäge seine Hände verlor, hat während einer Tour in Europa durch seine Kunst des Billardspielens Aufsehen erregt. Er hält das Queue in der Krümmung seines rechten Ellbogens und lenkt den Stoß mit dem Stumpf seines linken Armes. Gustav Carlson, ein Schwede, der in Amerika lebt und der in einem furchtbaren Schneesturm einfror, so daß ihm beide Arme und beide Beine ab genommen werden mußten, geht mit ein paar künstlichen Beinen seinem Beruf als herum wandernder Hausierer nach. In seinen beiden Armstümpfen hat er eine große Kraft, so daß er mit Leichtigkeit einen erwachsenen starken Mann mit ihnen umstoßen kann, und eine erstaunliche Geschicklichkeit; er vermag mit den Stümpfen zu rasieren, zu schreiben, Knöpfe zu zumachen und Bänder zu rollen. K berliner Humor vor 6erickt Wunderbar ist ein Zopf mit blondem Haar. Der Barbier Fritz F., ein lockiger Jüng ling, dem man seinen Beruf unschwer ansieht, hat sich wegen tätlicher Beleidigung zu verantworten. „Sie haben wenig ritterlich gehandelt," sagt der Vorsitzende zu dem Angeklagten, „als Sie der Klägerin Ema L. einen so häßlichen Streich spielten! Wahrscheinlich handelten Sie aus Neid und Eifer sucht?" — Angekl.: Det is eejentlich nich der richtije Ausdruck. Sie benahm sich aber so hochnäsig, det ick nich umhin konnte, ihr eenen kleenen Dämpfer uffzusetzen. — Bors.: Erzählen Sie uns mal, was Sie gemacht haben und weshalb Sie es taten. — Angekl.: Ick hatte bis vor eenije Wochen mit die Person een rcellet Verhältnis. Ick habe aber denn Schluß jemacht, weil ick ihr näher kennen lernte ... — Klägerin (unterbrechend): Det is nich wahr! I ck habe Schluß jemacht. — Angekl.: Jedenfalls war eben Schluß. Zu ihren letzten Jeburtsdage habe ick ihr eenen Zopp jeschenkt. Er war von die beste Qualität und kostete mir bei meinen Chef bare fünfund dreißig Mark; da sie aber sehr wenig Haare hat, und wir jrade det passende Dessäng uff Lager hatten, schenkte ick ihr den Zopp, über den sie sich, wie et schien^ riefst (reute. An den betreffenden Abend — wir verkehrten schon 14 Dage nich mehr zusammen -- traf ick ihr zufällij uff'n Kränzchen. Sie saß am Nebendische mit'n Herrn und behandelte mir mit be- leidijende Nichtachtung. Als der Herr zu ihr sagte: „Liebe Erna, ick bewundere bloß dein scheenet blondet Haar!" da hielt et mir nich länger. Ick bat ihr, uff eenen Oogenblick in de Jarderobe raus zukommen, wat sie ooch dat, und draußen löste ick ihr mit een paar fachmännische Jriffe den Zopp ab und steckte ihn in de Tasche. — Vorf.: Sie sollen dabei etwas unsanft zu Werke gegangen sein und der Klägerin wehe getan haben? — Angekl.: Absichtlich nich. Mir war et bloß um den Zopp zu dun. — Erna L. schildert die fatale Situation, in die sie geraten war, folgendermaßen: „Mit Jewalt konnte ick ihn doch den Zopp nich wieder wejnehmen. In den Saal traute ick mir ooch nich mehr rin, wejen die Blamasche. Die Jardrobeweiber machten faule Witze. Eeene sagte, ick sähe aus, wie eene Jans, die der Schwanz abgeschnitten worden is. — Et blieb mir nischt übrig, als schleunijst zu Hause zu jeh'n und mir dann eenen andern Zopp zu be «uf demselben. Zuerst verschwanden die Damen enter das Verdeck, dann folgten die Herren, hner nach dem andern, ihrem Beispiel. , Es wird Zeit, daß auch wir unsre Kojen «ifsuchen," sagte Konstantin, fügte aber, als er bemerkte, wie Paul sich in seinen großen Plaid wickelte und einen Feldstuhl neben das Geländer dickte, so daß er sich daran lehnen konnte, ver wundert hinzu: „Du triffst ja Anstalten, als wolltest du die ganze Nacht auf dem Verdeck Wbringen?" „Das denke ich auch zu tun," entgegnete sicher; „ich werde die herrliche Nacht doch nicht °ort unten zubringen!" . „Aber die Lust weht scharf auf dem Meere, Ku wirst dich erkälten, Paul." . „Erkälten, bei dieser milden Nacht? Nein, "sw, gehe du nur hinunter und lege dich Veder, ich will meine Ankunft in Venedig nicht verschlafen." .^.»So bleibe ich bei dir," sagte Konstantin schlossen, sich ebenfalls in seinen Plaid hüllend. lohnt sich ohnehin nicht, für ein paar Stunden su Best zu gehen." zog seinen Feldstuhl neben Paul und fink ° ete mit diesem, wie die Lichter des allmählich erblaßten, wie der dunkle Küste mehr und mehr zurücktrat, über unge Haupt des Leuchtturms mcht mehr nickkL - , Horizont auftauchte und sie endlich über sahen, als den sternbesäten Himmel kchimnm und die in seinem Widerscheine Kein» See um sie. durchbrach die Stille, als das - n der Wellen am Kiel des Schiffes und dann und wann das Auf- und Abgehen der Matrosen. Dicht nebeneinander gerückt, saßen die Freunde da und blickten in die Nacht hinaus. Mit stiller Freude fühlte Konstantin, wie Pauls Haupt sich mehr nnd mehr zu ihm neigte, bis es endlich ganz auf seiner Schulter ruhte. Er wagte sich kaum zu rühren, aus Furcht, ihn wieder zu verscheuchen. Nach einer Weile erst fragte er leise: „Schläfst du?" „Wie könnte ich schlafen!" „Warum bist du denn so still?" „Ich meine, ich dürfe nicht atmen, um den Zauber dieser Nacht zu stören. Seit ich ein .Kind war und in meines Vaters Armen ruhte, habe ich mich nicht so ruhig und glücklich gefühlt wie heute." Konstantin blickte gerührt auf das ver trauensvoll an ihn gelehnte Haupt des Jüng lings. Auch ihm war es, als löse sich in dieser Stunde jeder Mißklang seines Lebens in sanfte Harmonie auf, als käme jedes Wünschen zum Schweigen und jedes Sehnen zur Ruhe. In leisem Tone begannen sie miteinander zu reden. Paul erzählte, seine sonstige Scheu vergessend, von seinem Vater, an dem er mit leidenschaftlicher Liebe gehangen hatte, und von der einsamen, unverstandenen Jugend, die er nach dessen Tode verbrachte, und Konstantin sprach zu ihm von den Träumen seiner Mmmes- jahre, von dem vergeblichen Ringen nach dem Glück und seinem endlichen Entsagen. „Sieh," schloß er bewegt, „ich habe das Glück nicht finden können, so viel ich auch danach suchte. Seit ich dich jedoch kennen ge ¬ lernt habe, ist es mir, als sei deine Freund schaft das Glücksantsil, den das Schicksal mir Vorbehalten hat. Warum wollen wir wieder auseinandergehen, da wir uns kaum gefunden haben? Du darfst deinen Weg frei wählen, — — so wähle meinen Weg. Sei mein Bruder! Meiner Mutter Herz ist reich genug, noch einen Sohn mit vollster Liebe zu umfangen." Er wollte sich zu Paul neigen, aber dieser erhob sich schnell und Konstantin sah, daß jeder Blutsiropfen aus seinem Antlitz gewichen war. „Du bist unwohl?" rief er, erschrocken auf springend. „Nein, nur die Morgenluft macht mich er- schaudern." Er begann hastig auf dem Verdeck auf- und abzugehen. „Und du antwortest nicht auf meine Frage?" sagte Konstantin, an seine Seite tretend. „Doch, doch, ich will antworten, aber nicht gleich, nicht jetzt. Lasse mir Zeit." Paul sah in heftiger Bewegung zu ihm ans. „Wie du zitterst! Die Nacht war zu kühl für dich, du solltest eine Weile hinunter in die warme Kajüte gehen." „Laß mich nur hier bleiben. Sieh, wie hell es dort im Osten wird. Die Sonne muß gleich aufgehen." Sie lehnten über die Brüstung des Schiffes und sahen zu, wie die Dämmerung mehr und mehr von dem jungen Tage verscheucht wurde. Eben war die Sonne über dem Horizont auf getaucht, als Paul, plötzlich in die Ferne deutend, rief: „Was ist das? Ist das Venedig?" „Das ist Venedig. Die Spitze, die du er blickst, ist der Turm von Saut Markus." „Und dort, und dort! O steh', wie die Kupveln und Türme sich glänzend aus der Flut erheben." Sie näherten sich dem Lido und fuhren an ihm vorbei in die weite Bucht des Hafens. Haus an Haus, Palast an Palast, Kuppel an Kuppel tauchte Venedig vor ihnen auf, von den Strahlen der Morgensonne mit so irischem Jugendglanze umkleidet, als sei es heute noch die mächtige, stolze Dogenstadt, die Herrscherin der Meere, zu deren Füßen Könige huldigend lagen. „O, wenn du wüßtest, wie ich gewünscht habe, Venedig zu sehen!" rief Paul. „Schon als Kind nahm das Sehnen in die Ferne mein ganzes Sein gefangen. Und jetzt soll diese Sehnsucht gefüllt werden? Rom, Venedig, Neapel, ich soll die Wunderstädte betteten und ihre Herrlichkeit sehen dürfen? O Konstantin," er wandte sich mit leuchtendem Auge zu ihm, „verstehst du mich?" „Venedig ist die herrlichste Stadt unter der Sonne!" rief Paul, als er am Nachmittag des selben Tages mit Konstantin in der offenen Gondel den großen Kanal entlang fuhr und die düsterprächtigen Paläste desselben, die orientalisch- phantastischen Häuser und seine marmomen Kir chen an seinen Augen vorüberziehen ließ. „Unter der Sonne?" erwiderte Konstantin, „sage lieber in der Sonne. Du kennst Venedig im Regen nicht." PP i (Fortsetzung folgt.)