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Allgemeiner Anzeiger : 17.10.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-10-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190610176
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19061017
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1906
-
Monat
1906-10
- Tag 1906-10-17
-
Monat
1906-10
-
Jahr
1906
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 17.10.1906
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polinlcke k^uncisebarr. Teutschtand. * Der Kaiser wird am 13. November in München der Grundsteinlegung des deutschen Museums für Meisterwerke der Technik bei wohnen. * Anläßlich der Veröffentlichungen des Fürsten Hohenlohe aus den Märztagen 1890 (Einlassung Bismarcks) tauchen wieder eine An zahl von Legenden auf. U. a. berichten einige Blatter, eine Darstellung jener Tage sei auf Befehl des Kaisers niedergeschrieben worden. Richtig ist nur, daß der Kaiser selbst einem Adjutanten seine Unterredungen mit Bismarck, sowie ihre unmittelbaren Folgen und die daraus entspringenden Entschlüsse diktiert hat. DieVer- önentlichung dieses Dokumentes ist natürlich einer späteren Zeit Vorbehalten, wenn sie nicht Familieneigentum bleibt. * Als letzte der Kundgebungen, die durch den einstimmig geäußerten Wunsch der braun- schweigischenLandesversammlung nach endgültiger Regelung der Thronfrage veranlaßt worden sind, gelangt jetzt ein Schreiben des Herzogs von Cumber land zur Veröffentlichung. Es stellt einen Vrotest gegen die Zurückweisung seines Vermittelungsvorschlages durch Kaiser und Kanzler dar. Der Herzog scheint zu erwarten, daß der am 18. Oktober wieder zusammentretende Land tag seinen völlig unzulänglichen Versuch zur Be endigung des Provisoriums als ein „weit ¬ gehendstes Entgegenkommen" anerkennen werde, wie er es selber in seinem Schreiben nennt. Der Herzog vertritt die Auf fassung, daß der Bundesratsbeschluß vom 2. Juli 1885, nach dem er ohne Verzicht auf Hannover nicht den Thron Braunschweigs be steigen kann, sich nur gegen ihn, nicht aber gegen seine Söhne richte. Demgemäß vermag der Herzog die Ablehnungsgründe im Schreiben des Kaiser sowohl wie in dem des Kanzlers nicht anznerkennen und ebenso vermag er nicht einzu- schen, welche Hindernisse der Übernahme der Negierung durch seinen jüngsten Sohn im Wege stehen. Der Herzog hofft offenbar von der Landesversammlung, daß sie seiner Auffassung beitritt. * Ein Wechsel im badischen Ministe rium steht in der allernächsten Zeit bevor. Finanzminister Becker wird vom Amte zurück- lreten. Als Nachfolger kommen in Betracht Staatsrat Reinhard und Ministerialdirektor Tröger. * Anläßlich eines Streites zwischen dem Groß herzogtum Sachsen-Weimar und Reuß j. L. über die Landgerichtsgemein schaft in Gera droht in Weimar eine M i - n i st e r k r i s e. * Der Gouverneur von Deutsch-Süd- westafrika meldet, daß der Betrieb der Bahn L ü d e r i tz b u ch t—K u b u b bis zum Militär bahnhof Kubub eröffnet ist. *Wie sich jetzt herausgestellt hat, belaufen sich die Kosten des seinerzeit vom Reichstage ab gelehnten Bahnbaues Kubub-Ketmanns- hoop um mehrere Millionen billiger als an genommen wurde. Wie es Heißt, werden mehrere Berliner Firmen den Bau unter ge wissen Bedingungen, über die der Reichstag zu entscheiden haben wird, übernehmen. Osterreich-Ungarn. *Jm Wahlreformausschusse des österreichischen Abgeordnetenhauses wurden sämtliche, sowohl die deutscher-, als auch die tschechischerseits, zur Wahlkreiseinteilung Böhmens gestellten Anträge abgelehnt und eben falls der Antrag, den Wahlbezirk Budweis den deutschen Wahlbezirken einzufügen, verworfen. Hierauf erledigte der Ausschuß die Wahlkceis- einteilung für die überwiegend deutschen Wahl bezirke im wesentlichen nach dem Anträge der deutschen Parteien Böhmens. England. * Die Londoner Abordnung zur Überreichung einer Adresse an den Präsid enten der ehemaligen Duma, die dieser Tage nach Ruß land abreisen sollte, beschloß, ihre Abreise bis zum Eintreffen weiterer Nachrichten von dem englisch-russischen Freundschafts-Komitee in Peters burg zu vertagen, da die rechtsstehertzen Parteien im Zarenreiche sich sehr unwillig Wer das Unternehmen der Engländer geäußert hätten. * Aus London kommt eine seltsame Nach richt. Während man in allen Tonarten das Lied von der allgemeinen Abrüstung singt, sind dort auf den Werften in Clyde und Elswick drei Schlachtschiffe von gleich großem Breit seitenfeuer wie der „Dreadnought" (der größte Panzerkreuzer der englischen Marine) gebaut worden. Kann man unter solchen Verhältnissen Vertrauen zur englischen Friedenspolitik haben? Italien. * In Rom verlautet, Italien werde auf der in Berlin tagenden Telefunken-Kon ferenz den Antrag Englands unterstützen, nach dem ein Austausch von verschiedenen Systemen der Funkentelegraphie unter den be teiligten Mächten nicht stattfinden soll. (Eng land will nur das Marconisystem im internationalen Verkehr zulassen, weil seine Admiralität an dieses gebunden ist.) Dänemark. *Der Folketing hat die von der linken Reformpartei beantragte Antwort auf die Th ro nr ed emit 63 Stimmen bei 44 Stimmen enthaltungen angenommen. In ihr wird der Regierung bei Durchführung der in der Thron rede genannten Reformen die Unterstützung des Folketings zugesichert. Spanien. * Der Marinemini st er erklärte daß der von ihm in Anspruch genommene Kredit von fünf Millionen Pesetas ausschließlich zum Bau dreier Küstenverteidigungsschiffeund zum Ankauf eines Schulschiffes dienen soll. Letzterer soll in Anbetracht seiner Dringlichkeit im Auslande vorgenommen werden. Portugal. *Die Deputiertenkammer hat die Vorlage über den Vertrag bezüglich des Tabaksmonopols mit der Gesellschaft, die gegenwärtig das Monopol inne hat, an genommen. Rustland. * Der Kongreß der russischen Kadetten- partet, der in Helsingfors tagt, hat mit 84 gegen 44 Stimmen den vom Zentralaus schuß eingebrachten Beschluß angenommen, der den passiven Widerstand als unmöglich erklärt. Die gemäßigten Mitglieder der Kadettenpartei in Petersburg äußern offen, daß der gegen die Auslösung der Duma gerichtete Wiborger Aufruf ein großer Fehler gewesen sei, der von den Delegierten beim Helsingforser Partei tag einfach als solcher hätte anerkannt werden sollen. Dieses offene Eingeständnis hätte das Ansehen der Kadetten bei der Bevölkerung nur heben und ihnen neue Anhänger verschaffen können. Obgleich es innerhalb der Kadetten partei zu einer Spaltung in drei Gruppen kam, einigte man sich dahin, die gemeinsamen Ziele der Partei auf getrennten Wegen zu verfolgen. Balkunstaaten. * Da die Zustände in Mazedonien mit jedem Tage unhaltbarer werden, haben sich die Botschafter der interessierten Mächte abermals (züm dritten Male) mit einer Gesamtnote an den Sultan gewandt. Wieder wurde ihnen strenge Untersuchung der Mord- und Naubtaten versprochen, sowie die Einführung von ent sprechenden Reformen zugesichert. * Die zur Feststellung der türkisch-bul garischen Grenzlinien bestimmten Ab geordneten beider Länder sind nach einem Mei nungsaustausch Zwischen Konstantinopel und Sofia vor einigen Tagen neuerdings zusammen- getreten. Sie kamen mit der genauen Grenz bestimmung diesmal zustande und bereiteten das Protokoll vor, das von beiden Seiten unter zeichnet werden soll. Afrika. *Bei dem Generalgouerneur von Algier lief ein Telegramm ein, das ihn zur Bericht erstattung über die Zustände inMarokko nach Paris beruft. Dort soll er einem Minister ¬ rat beiwohnen, in dem Beschluß über die zu ergreifenden Maßregeln gefaßt wird. Asien. *Der japanische Prinz Fuschimi ist zum Besuch des Hofes in Peking ein getroffen. Er will die Besuche, die chinesische Prinzen in Japan gemacht haben, erwidern. Es ist das erstemal, daß ein japanischer Prinz den chinesischen Hof besucht. *Die japanische Regierung ver handelt mit Rußland wegen Herstellung einer Überland-Po st Verbindung, durch die die Dauer der Beförderung von Tokio nach London auf 17 Tage verringert würde. Von Äen „wahrhaft russischen Männern". Die „Partei der Monarchisten", d. h. die Moskauer Zentralgruppe der Verbände der wahrhaft russischen Männer, hat unter dem Vorsitz eines Herrn Gringmut im Moskauer Bischofs palais eine Generalversammlung abgehalten. Die Verhandlungen und Beschlüsse verdienen Beachtung, sofern sie sich auf die neuesten poli tischen Vorkommnisse richten. Da wurde u. a. der Mlaß des Ministerpräsidenten über die politische Haltung der Staatsbeamten erörtert und grund sätzlich gebilligt, zugleich aber die Erwartung betont, daß die Regierung anstelle der abzu setzenden „Feinde des autokratischen Zaren" fortan nur Männer aus den Reihen der wahr haften Ruffen" in die Ämter einführen werde. Da indes die Minister nicht durchweg „zuver lässig" seien, „besonders nicht der Unterrichts minister", so wurde beschlossen, eine Kontrolle über sie einzurichten, damit auch wirklich sämt liche „Aufrührer" aus den Ämtern entfernt und ausschließlich durch wahrhafte Russen ersetzt würden. Im übrigen votierte die Versammlung dem Ministerium Vertrauen, doch nur unter dem Vorbehalt, daß es „bis zu jenen logischen Schlüssen fortschreiten werde, die vollständig mit den Ansichten der Monarchisten übereinstimmen". Weiter beschloß man ein Telegramm an Herrn Stolypin, in dem ihm für die letzthin erfolgte Besetzung einiger hoher Verwaltungsposten durch Leute, die durch ihre Ergebenheit sür den auto kratischen Zaren bekannt seien, gedankt und gegen den Beschluß der Moskauer Stadtduma, das Andenken des ermordeten Abgeordneten Herzenstein zu ehren, als gegen einen revolutio nären Akt protestiert wird. Zum Schluß sprach Herr Gringmut über die Wirksamkeit der provinziellen Abteilungen der Partei und rühmte dabei die „Tat" der Kiewer Abteilung, die darin bestanden habe-, daß sie an den deutschen Kaiser eine „Interpellation" wegen des Grafen Witte gerichtet und dadurch „die Karten dieses politischen Abenteurers auf gedeckt" habe. So sei Kiew, die Mutter der russischen Städte, wieder als die feste Burg der Orthodoxie und des Absolutismus erschienen. Die Kiewschen Ideen seien dann auch nach Moskau und sogar „nach dem zur Hälfte deutschen St. Petersburg" fortgepflanzt worden, wo außer den Deutschen auch die Juden und als deren Häuptling Graf Witte, „den man jetzt in ganz Rußland verflucht", das große Wort geführt hätten. Auf der nächsten Hauptver sammlung soll verhandelt werden, was die Monarchisten gegen die englische Deputation unternehmen werden. Von vornherein stellte aber Herr Gringmut fest, daß die Deputation „ein herausfordernder Akt der vorigen Feinde Rußlands, der Engländer", sei und die Ver sammlung ging unter den Rufen auseinander: „Treibt sie hinaus! Wir werden ohne sie fertig! Nieder mit den Engländern!" Von und fern. t. RumänischeTorpedoboote in Deutsch land. Die deutsche Reichsregierung hat dem rumänischen Staate die Erlaubnis erteilt, acht in England gebaute Torpedoboote ohne Be waffnung (über Rotterdam) Rhein aufwärts und weiter auf dem Main, Ludwigs-, Donau-, Mainkanal und der Donau ihrem Bestimmungs orte zuzuführen. Vier der Boote passieren gegen ¬ wärtig den Rhein, die andern vier Boote werden im nächsten Frühjahr auf dem gleichen Wege nach Rumänien befördert werden. Vor den Eintritt in das deutsche Reichsgebiet wurden die Schiffe von dazu bestellten Regierungsbeamten auf ihre Unbewaffnung untersucht. Sieg des Luftballons über das Auto mobil. Die Ballonverfolgung durch Automobile, die am Mittwoch vom Tegeler Schießplatz bei Berlin, gegenüber der Kaserne des Luflschiffer- Bataillons, aus stattfand, hat mit einem aus gesprochenen Siege der Luftballons geendet. Drei von den aufgestiegenen Ballons, die sämt lich in der Nähe von Wusterhausen an der Dosse landeten, konnten von den verfolgenden Automobilen nicht erreicht werden, von denen eines übrigens wegen eines schweren Un falles die Verfolgung aufgeben mußte. Das Automobil des Direktors Linden-Hannover, das den zweiten Ballon verfolgen sollte, geriet in einen Graben. Sämtliche Insassen wurden herausgeschleudert und mehr oder minder schwer Karte zu der am Mittwoch stattgchabtcn Ballonverfolgung dnrch Automobile. verletzt. Der Kaufmann Karl Vincens ist seinen schweren Verletzungen erlegen, ohne vorher die Besinnung wiederlangt zu haben. Herr Vincens war bei dem Sturz aus dem Automobil gegen einen Baum geschleudert worden; die erlsttene Gehirnerschütterung führte seinen Tod herbei. Der Sieger im Berfolgungskampf, Herr de la Croix, der neue Sekretär des kaiserlichen Automobil klubs, dem es von den vier verfolgenden Automobilführern als einzigen gelang, den von ihm verfolgten Ballon „Lerche" zu erreichen, äußerte in einer Unterredung, daß sein Erfolg wohl im wesentlichen dem Zufall zu danken sei. Den übrigen Ballons, die gleich dem Ballon „Lerche" in der Nähe von Wuster hausen landeten, gelang es, den verfolgenden Automobilen zu entkommen. Graf Zeppelins Erfolg. Nach häufigen vergeblichen Versuchen ist nunmehr, wie aus Friedrichshafen (am Bodensee) gemeldet wird, dem Grafen Zeppelin ein Aufstieg mit seinem lenk baren Luftschiff genügend gelungen. Graf Zeppelin und sämtliche Offiziere sind nunmehr überzeugt, das Problem endgültig gelöst zu haben. Nachdem Graf Zeppelin persönlich sehr erhebliche Mittel für seine Sache aufgewandt hat, glaubt er jetzt, wo die Brauchbarkeit seines Luftschiffes erwiesen ist, mit Recht auf die Unterstützung, sei es des Reiches, sei es patrio tisch gesinnter Privatleute, rechnen zu dürfen, um sem Unternehmen weiterzuführen. In erster Linie wird es sich für ihn zunächst darum handeln, an Stelle der provisorischen Ballon halle eine geeignetere Hafenanlage zu schaffen, die ihm ein sicheres Aus- und Wiedereinbringen des Luftschiffes gewährleistet. Aufdeckung geschichtlicher Gräber. In einer Kiesgrube bei Kleinhettingen, Kreis Dieden- hofen, stieß man auf frühgeschichtliche Gräber, die in Gegenwart des Bezirkspräsidenten Grafen v. Zeppelin-Aschhausen und des Kreisdirektors Frhrn. v. d. Goltz geöffnet wurden. Die Gräber sind merowingiichen Ursprungs; man fand in ihnen außer Skeletten Messer, Perlengehänge und eine Streitaxt. Hk. Paul unä Paula. 4j Novelle von Helene Stäkt. (Fortsetzung.! „Ich wußte, daß es so kommen würde," murmelte Pau! traurig, das Haupt auf den Tisch gestützt. „Was soll ich tun, was soll ich tun? Weshalb ließ ich diese Freundschaft in mein Herz ziehen, wenn ich doch fühlte, daß es nicht in meiner Macht stehen würde, sie nach Belieben wieder daraus zu verbannen? Er wollte mich küssen!" Er sprang auf und durchmaß mit schnellen Schritten das Gemach. „Wenn er wüßte, wer ich bin! Doch er weiß es nicht und wird es nie erfahren. Lieber sterben, als es ihn wissen lassen. Doch weshalb bleibe ich hier, weshalb reise ich nicht weiter, allein, ohne ihn? — Ach, daß ich mich nicht loszureißen vermag, daß ich mich nicht fortreißen will, das eben macht mir das Herz so schwer. Ich erschrecke vor dem Gedanken, wie öde es sein wird ohne ihn, wie alle Schönheit der Welt zu wesenlosen Schatten verblassen wird fern von ihm. Ich muß ja allein weiter wandern, aber jetzt noch nicht. Nein, mag kommen was da will, noch einige Tage bleibe ich. Einmal in meinem Leben will ich doch empfinden, was Glück ist. Mag dann aus mir werden, was Gott will." Während Paul sich in bitterer Unruhe zu diesem Entschluß durchkämpfte, schrieb Konstantin in dem anstoßenden Zimmer an seine Mutter, mit einem io glücklichen Ausdruck seines Gesichts, daß wir nicht umhin können, uns näher anzu sehen was er denn schreibt: Sein Brief lautete: „Ich schreibe diesen Brief vom Hotel Daniel in Triest aus, wohin ich heute wieder zurückgekehrt bin, und in der wunderlichsten Stimmung der Welt. Mütterchen, Dein Sohn ist verliebt, was sagst Du dazu? Aber freue Dich nicht zu früh, mit der ersehnten Schwieger tochter ist es noch nichts. Ich bin verliebt in meinen kleinen Paul, den jungen Reisegefährten, von dem ich Dir schon von Duino aus schrieb. Du wirst den Kopf schütteln zu dieser schnell entstandenen Freundschaft; denn Du weißt, wie wenig ich in den letzten Jahren geneigt war, den Menschen freundlich entgegenzukommen oder mich ihnen schnell anzuschließen. Ich kann mich selbst nicht genug darüber wundern, wie es ge kommen ist, daß ich mein Herz so schnell und ganz an diesen Knaben (denn ein Knäbe ist er, so gem er als Mann erscheinen möchte) ge hängt habe. Er nahm es gefangen, als ich zum erstenmal in sein von reinster Begeisterung erglühendes Gesicht sah. Es ist etwas Heiliges um die Begeisterung eines jungen, unverdorbenen Herzens. Meine Seele erfrischt sich darin, wie in einem kühlen Bade. Berge und Wasser, Blumen und Bäume, an denen ich ost so gleich gültig vorüber ging, sie haben eine andre Fär bung für mich angenommen, seit ich sie mit den jungen Augen meines Paul betrachte. Es ist mir, als sähe ich an seiner Seite alles durch ein farbiges Glas, wie man es an Aüsfichtspunkten zu bekommen pflegt, um die Gegend zu betrachten. Was würdest Du wohl zu den schwärmerischen Gesprächen sagen, die Dein ernster Sohn seit einigen Tagen führt! Ich wollte, Du könntest Paul sehen. In jedem Augenblick wechselt der Ausdruck seiner Züge, oft glaube ich ein lächelndes Kind in ihm zu erblicken, und dann wieder äußert er Gedanken, so tief und wahr, daß sich mein eignes Ich beschämt vor ihm zurückzieht. Und wie schön er ist! Ich kann nicht müde werden, ihn zu betrachten. Wie stolz ruht sein feiner Kopf auf dem schlanken Halse, wie weich lockt sich sein seidiges dunkles Haar, wie zierlich geformt sind Hände und Füße! Ich bin gewiß, nie ein weib liches Wesen mit soviel Anmut gesehen zu haben, wie meinen Paul. Vielleicht beruht der Zauber, den er auf mich ausübt, in dem jungfräulichen Hauche, der über seiner Seele zu liegen scheint. Seine scheue Zurückhaltung, die heutzutage so selten unter den jungen Leuten seines Alters zu finden ist, fesselt mich, so unbequem sie mir zuweilen wird. Du hättest ihn sehen sollen, wie rot er wurde, als ich ihn küssen wollte, und er mir stolz er widerte: Männer küssen sich nicht. Ich glaube, ein zu freies Wort in seiner Gegenwart müßte einem die Lippen verbrennen. Wie er bei der Unabhängigkeit, in der er augenscheinlich lebt, zwanzig Jahre alt werden konnte, ohne diese fleckenlose Reinheit einznbüßen, ist mir unver ständlich. Ich habe ihm gegenüber immer das Gefühl, als müßte ich ihn schützen vor der unreinen Berührung der Welt. Mein Trost ist nur, daß ein unschuldvolles Herz sich am besten selbst behütet. Die Unkenntnis der Gefahr ist für den Reinen der mächtigste Talisman. Mit geschlossenen Augen geht er am Abgrund dahin, ohne hineinzustürzen, jein Weg kann ihn durch Schlamm und Moor führen, ohne daß er siä damit beflecken wird, er vermag es, über glühende Kohlen zu gehen, ohne die Spitzt seines Fußes zu versengen. Lächelst Du, Mutter, über Deinen Sohn, dec alt genug wäre, das Schwärmen zu lassen? Nun, ich höre auf. Morgen fahren wir nach Venedig. Von dort aus sollst Du mehr von uns hören." 4. Es war eine milde, klare Nacht, als Kon stantin und Paul auf dem Verdeck des Dampfers standen, der sie nach Venedig führen sollte. Vom Himmel blitzten die Sterne so hell her nieder, als wollten sie eifersüchtig mit den Lichtern der Erde wetteifern, die wie rote Blüten weithin über Land und Meer ausgeschüttet schienen, und von den Schiffen im Hafen schimmernd, einen leuchtenden Kranz um daS nächtliche Triest schlangen. Einzelne Barken lösten sich von diesem feurigen Streifen ab und schossen wie Leuchtkäfer durch die dunkle Flut, im regelmäßigen Wechsel kam.und verschwand das sich drehende Licht des Lenchtturmes. Jetzt durchbrach das gellende Pfeifen des Dampfers die Stille der Nacht, das Zeichen zur Abfahrt gebend. Die Schiffsbrücke ward ausgezogen, die Anker emporgewunden, die Maschine ächzte und stöhnte, und langsam be gannen die mächtigen Schaufelräder sich ihren Weg durch das Wasser zu bahnen. Die Milde der Nacht genießend, gingen die Passagiere auf dem VerdÄ auf und ab. uw aber ein kühler Wind die Nähe des offenen Meeres verkündete, ward es allmählich leerer
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