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„Aber, meine Herren, ich fürchte, Mc macken sehr schlechte Witze, auf Kosten einer abwesenden Dame!" tadelte Adjutant Briger. „Bitt' Sie, Beiger, das sind Tatsachen, keene Spur von schlechtem Witz!" beteuerte Brecht. „Wie hat Fräulein von Haseritz, die Hofdame Ihrer Hoheit der Fran Herzogin Max Ferdinand von Warteustein, denn diesen — diesen Herrn — jedenfalls Großhändler in Schwarzvieh, — kennen lernen können?" fragte nach einer klei nen Pause Ulrich. „Ja, das ist 'ne lange Geschichte, Ihre Frau Schwester kann Ihnen das ganz genau erzählen, lieber Briger!" sagte Herr von Quast, „ich muß jetzt zum Appell!" „Herrgott, ja!" rief der Stabsarzt, „ich habe ja auch noch drei im. Revier." „Und mich ruft auch der Königliche Menst!" Damit sprang Brecht auf, dem langsam Scholz und die anderen folgten. Briger stand einen Augenblick ganz allein in dem präch tigen Raum, dessen Decke schwere altdeutsche Burgtäfelung auf wies, während der lange Bauerntisch voller Humpen, Kannen und Gläser wirklich die Illusion erwecken konnte, als ob eine Schar tapferer Reisige des Mittelalters hier pokuliert hätten. Bier- und Tabaksdunst füllten ungemütlich den Raum. Brigers angeborener Schönheits- und Ordnungssinn sträubte sich ent schieden gegen dieses unangenehme Tohuwabohu, er klingelte die Ordonnanz herbei und trug ihr auf, zu lüften und aufzu räumen. Dann ließ er sich die leichte graue Pelerine reichen, die er des Staubes tvegen sorgsam um sich schlug, und verließ das Kasino. — Wunderbar, daß es ihn nicht heftiger gepackt hatte! — Er konnte es nur noch nicht so recht glauben und verstehen, was die Kameraden da erzählt hatten, — es war doch ganz gewiß alles Scherz, — freilich recht unfeiner törichter Scherz, gewesen, was sie da gesprochen hatten! — Rasch trat er auf den Paradeplatz hinaus, wandte sich rechts nach dem Stadtpark, den er durchqueren mußte, ehe er über das Brückchen, das den kleinen Enzelsbach überschritt, nach der Fasaneriestraße gelangte, deren Anlagen eine Reihe von hübschen Villen umgaben. In einer dieser Villen wohnte die erst kürzlich an den Hauptmann Alfred Seyfert verheiratete, einzige Schwester Ulrichs, Clementine. Er wollte ihr Grüße von daheim bringen, bei ihr zu Mittag speisen und bei dieser Gelegenheit näheres über die Verlobung des Hoffräuleins erfahren. Die junge Herzogin von Wartenstein stammte, wie die Brigers, aus altem, norddeutschem Hause. Die elterlichen Herrschaften der Herzogin, Ternewitz und Twaute, grenzten an Brigershof, und Clementine hatte in oer Kinderzeit oft mit der damaligen Gräfin Andy Warrach, Er laucht, gespielt. Diese Beziehungen hatte die Herzogin sofort zur Kennt nis ihres Gemahls gebracht, und so kam es, daß die bürgerliche Hauptmannsfrau Seyfert und ihr Bruder, der Oberleutnant und Rcgimentsadjutant von Briger, ost und stets gern will kommen geheißene Gäste auf Wartenstein waren. Das Schloß lag eine kleine Meile von Waldau entfernt, in einein lieblichen Tale des Bergwaldes, der im Halbkreis das Städtchen umschloß, während er sich eine Strecke hinter Wartenstein zur Ebene senkte und im Flußtal eines großen Stromes endigte. Hier breitete sich dann die schöne, große Reichsstadt ans, deren Nähe Waldau das Bewußtsein verlieh, selbst im Mittel punkt der Interessen zu stehen, und seinen Einwohnern einen gewissen, drolligen Hochmut einimpfte, als wären sie es, von denen das Wohl und Wehe des ganzen Landes abhinge. — Ein Stückchen dieses Hochmutes war auch schou den seit Jahren hier in Garnison liegenden älteren Offizieren, speziell einigen unverbesserlichen Junggesellen, zn denen auch Quast gehörte, in Fleisch und Blut übergegaugen. Ulrich konnte sich auf dem Wege zu seiner Schwester immer nur mit dem einen Gedanken beschäftigen: „Wie konnte nur Melitta zu dieser Verlobung gekommen sein?" — / . Die unmöglichsten Möglichkeiten durchkreuzten sein Hirn. Nun, Clementine mußte cs ja wissen, — hoffentlich war sic nicht gar zu rxnschwirgen. Er schritt durch den Vorgarten, — die kleine nette Villa, oin Einfamilienhaus, war ganz von Bäumen und Büschen umgehen, Rosen dufteten und die üppigen Ranken der Wald reben krochen bis unters Dach des Häuschens. Links davon lag der Pferdestall, — und in mächtigen Sprüngen kam von dort her ein großer Hund angesetzt, mit tiefem Gebrüll auf Ulrich zustürzend: „Aber Ruska!" verwies dieser den übereifrigen Wächter, — und die Stimme verneh men, und mit wahrhaft ohrenzerreißendem Freudengeheul an dem Offizier emporstreben, war das Werk eines einzigen Augenblicks. Da trat schon der Hauptmann Seyfert aus der geöffneten Glastür des Hanfes: „Ulrich, herzlich willkommen!" begrüßte er den Schwager, — „aber Ruska, — Viehch, bist Du denn des Deiwels," wehrte er dem sich ganz außer sich vor Freude gebärdenden Hunde „Guten Tag, Alfred - Clem ist in der Küche, — wir haben eine neue Fee, da das Brigershöfer Lining gestern, heim wehkrank, den heimischen Gefilden zugeschickt werden mußte!" berichtete der Hauptmann, bei dem der gute Haushahn alle früheren eleganten und schneidigen Seiten überkrähte. „So, — also Reinfall, — ist immer so!" meinte Ulrich wenig interessiert mit billiger Weisheit. „Weißt Du Uz, — überhaupt so'n Hausstand. — Du ahnst es nicht, Kerlchen, was das auf sich hat!" seufzte etwas niedergebeugt Seyfert, „und dabei ist meine Frau doch so tüch tig, so Praktisch, kurz, so vorzüglich —" „Wem sagst Du das, Alfred?" lachte Briger, — „ich bin doch ihr Bruder." Sie waren jetzt im Hanse angelangt. „Ja, Du, dann kann Clem mich wohl heute zu Tisch kaum brauchen?" fragte er, nachdem er sich des Sommerkapes, des Helms und des Degens entledigt hatte. „Aber Uz, das wäre ja noch schöner, natürlich bleibst Du!" dekretierte der Schivager, und zog ihn in den bequemsten der bequemen Juchtensesiel des Rauchzimmers. „Ja schön, aber laß mich mal erst meiner verehrten Frau Schwester di^, Hand küssen!" Er stand auf und ging zur Tür, die sich im selben Augen blick von außen öffnete: „Uz, lieber, lieber Bruder!" Clementine lachte und weinte in seinen Armen. „Nun erzähle von zu Hause!" bat sie dringend, „wie geht es Erich?" „Eigentlich immer gleich," seufzte Ulrich, „und seit jenem unglückseligen Automobilunfall an der Riviera kann und kann sich unser ältester Bruder nicht erholen, und doch drängt er danach, sich nun so bald als irgend möglich zu verheiraten!" „Welch ein Unsinn bei seinem Leiden!" warf Seyfert skep tisch ein. „Gewiß, lieber Alfred," versetzte Clementine, „aber die Majoratsbestimmungen der Briger verlangen, daß der Erbe der Güter bis zum Schluß des dreißigsten Lebensjahres ver mählt sein muß!" „Herrgott von Bentheim," rief der Hauptmann, „da ist doch noch Ulrich!" „Liebes Mannchen, der ist doch der Jüngere!" belehrte ihn seine Frau, „und Erich ist doch der nächste Agnat zum Majorat!" „Schön, schön, aber wenn er doch krank ist!" „Nun streitet Euch darüber nicht," lächelte der Adjutant, „Ihr könnt beruhigt sein, er hat schon gewählt, und die Trauung soll in aller Stille vor sich gehen, es ist die Gesell schafterin der Gräfin Menhard, Fräulein Lucie Reins." „Ach, die Pastortochter?" fragte Clementine gedehnt. „Jawohl, unebenbürtig, aber es hilft nichts, Vater besteht selbst darauf, Du weißt, Clem, Reins war sein Korpsbrnder, kurz, sie wird Frau von Briger, denn Erich hat ihr die Ehe ver sprochen !" „O weh," sagte Clementine nur, „unsere arme Mutter!" Weiter ging sie auf das Thenia nicht ein. „Seid Ihr heute nachmittag auch in Wartenstein?" fragte, während die drei zusammen bei Tisch saßen und der Livree bursche bediente, Ulrich. „Ja," sagte Seyfert, „Clem hat sogar einige Tage die Hof dame vertreten müssen, weil Frau von Bodenbach verreist war. als der Krach sich ereignete!" „WaS denn für ein Krach?" fragte Briger scheinbar ganz harmlos. „Aber hast Du denn nichts gehört?" rief erstaunt Clemen tine, „Melitta von Haseritz hat sich mit dem alten Viehhändler Menke aus Reichsstadt verlobt, die Herzogin hat sie förmlich beschworen, sich nicht ins Unglück zu stürzen, sie wollte ihr, sie wollte ihrer arg verschuldeten Mutter helfen, umsonst! Ich wurde sogar vün der Hoheit nach der Totenmühle geschickt, um niit den Damen zu konferieren, kam aber unangenehm an, in 27*