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Beilage zu Nr. 36 der Sächsischen Elbzeitung. Schandau, Sonnabend, den 2/. März 1915. Un;m Momenten ielrt erneuern MM die das Blatt durch die Post beziehen, müsseu,zur Vermeidung unliebsamer Unterbrechungen in der Zustellung, das Abonnement auf die „Sächsische (Llbzeituug" dein: Postamt des Wohnortes TUN' Me Uicv . . . Ein Kriegsteilnehmer, der verwundet von der Front zäräckgekehrt und nun in der Lage ist, allerlei Vergleiche zwischen „brausten" und „drinnen" anzustellen, schreibt der „Franks. Ztg." ein paar Worte über diejenigen, vor denen wir zu Hause uns hüten sollen: Hüte dich, solange wir Krieg führen, vor den Mit teilungen der Verwundeten und Kranken. Wem das Vein zerschmettert, die Vrust von einer Kugel durchbohrt oder der Darm durch die Nuhr zerwühlt ist, dem sicht die Welt anders aus als in gesunden Tagen. Warte, bis er gesund ist; dann sragc ihn. Hüte dich vor denen, die (meist zu ihrem Leid) die Größe der Schlacht, den Kampf im Schützengraben nie miterlebt haben, sondern hinter der Front ein nicht un- gescihrliches, aber nie vom Siege erleuchtetes Dasein sichren. — Sie haben einen schweren Dienst; von ihrer Pflichterfüllung hängt der Munitronscrsatz und die Nahrung der Kämpfenden, also das Unentbehrliche, ab. Aber trotz alledem: hüte dich vor ihn ihnen. Frage sie nicht nach Sieg und Niederlage. Sie wissen nichts da von und werden mit „Kvlonncngerüchten" antworten. Hüte dich vvr den Schreibern, die zwar draußen im Felde stehe», aber nicht mitkämpfen dürfen, sondern in düsteren Erdhütten oder in hohen Zimmern verlassener Schlösser, in deren Nähe hie und da eine Granate platzt, schreiben und immer wieder schreiben. — Auch sie sind unentbehrlich, aber auch sie wissen nichts von Sieg, und ihre lockere Phantasie wird durch die Nähe des Kampfes, den sie nicht kennen, zu schwärzlichen Vlascn aufgc- trieben, die manchmal mit Gestank zerplatzen. Hüte dich vor allem vor dem Philister zu Hause. Schon in Friedenszeiten ein gefährliches Ding, ist er in dieser großen Zeit ein Laster. Besonders der bicrtriukende Stammtischphtlisler. Aus seinem Munde fließen unaus gesetzt miUtärsachltche Urteile. Er, der sonst als Hand werker oder Jurist nur sein Fach zu beurteilen wagte, den hat jetzt der militärische Geist erfaßt; mit Kenner blick setzt er neue Armeekorps an der schwachen französi schen Front an, um sie endlich zu durchbrechen. Heute belächelt er überlegen den General, der nicht Fühlung gehalten hat und nennt ihn beim sechsten Glas einen Stümper. Morgen fasziniert er die Nunde mit düsteren Zukunstsbildern. Hüte dich vor ihm und renne ihm, wo er sich äußert, die Hörner deines Witzes in den dicken Leib, der recht eigentlich auch ein Symbol seines Geistes ist. Willst du aber wissen, wie es steht — innen und außen — dann srage den Kämpfer, der unverwundet und gesund einer neuen Zukunst entgegen ans der Front kommt; da wirst dudle einsachc stille Größe der Sieges zuversicht erleben. Vermischtes. Das bcrzwciscllc Berlin. Unter Berufung aus Berichte aus „zuverlässiger Quelle" schildert der „Daily Telegraph" das augenblickliche Leben in Berlin folgender maßen: In der Hauptstadt des Deutschen Reiches herrscht tiefgehende Verzweiflung. Tagsüber bietet Berlin einen düsteren, unsäglich traurigen Eindruck. Die Straßen sind völlig verödet. Nur Haufen von Verwundeten sind zu sehen, ohne Arme, ohne Beine, die sich mühselig, wie unter dem Druck fürchterlicher seelischer Depression, fortschleppcn. Außer ihnen begegnet man höchstens noch Frauen in tiefer Trauer mit verängstigten Augen. Ueberall herrschen Kummer und Not. Die Bevölkerung hat sich stoisch in ihr unabwendbares Schicksal ergeben und ist völlig teilnahmslos geworden. An allen Straßenecken werden die Siegesnachrichten des Großen Hauptquartiers angeschlagen, doch wirst kaum noch jemand einen Blick darauf. Erst des Nachts ändert sich der Anblick der Stadt dann strömen die Leute zu Tausenden in die glänzend erleuchteten Lafäs und suchen ihren Kummer uud ihre Verzweiflung in Wein und Bier zu ertränken. Wenn l Uhr nachts die Polizei die Lokale schließt, so begeben sich die Leute halbbetrunken Arm in Arm unter Absingen von allerlei Liedern in Privatklnbs, wo sic ihre Feste bis zum Morgengrauen fortsetzen. Dann ver sinkt wieder alles in öde Traurigkeit. Der Gegensatz zwischen Berlin bei Tag und Berlin bei Nacht ist ge radezu tragisch. Dieser stimmungsvolle Bericht des „Daily Telegraph" ist von Telcgraphenagenturen der französischen Presse übermittelt worden und wird überall abgedruckt. Die Pariser Blätter fügen noch einige eigene Depeschen dazu, aus denen hervorgeht, daß der Ausbruch einer allgemeinen Hungerrevolte in der Haupt stadt des Deutschen Reiches nur durch die scharfen Vor sichtsmaßregeln dec Polizei bisher verhindert worden ist. — Einfach schrecklich. - Eine kliriosc Geschichte berichten englische Blätter, über deren Zweck und Ziel man nicht ganz klar wird. Vier Kriegsgefangene deutscher Abkunft hatten Bewillig ung erhalten, sich mit Engländerinnen, darunter drei Londonerinnen, zu verheiraten. Die Trauung fand vor dem Zivilstandesamt des Londoner Southend statt. Die Bräutigame laugten unter bewaffneter Begleitung dort an, erwartet von den Bräuten, die von ihren Angehörigen und Freunden begleitet waren. Soldaten und Bekannte fungierten als Zeugen. Nach vollzogener Trauung be gaben sich die neuvermählten Paare mit der Hochzeits gesellschaft in ein nahes Restaurant, wv ein fröhliches Mahl sie bis nachmittags zusammenhielt. Dann dursten die Gatten ihre Angetrauten nach dem Bahnhos begleiten, von wo die jungen Frauen in die innere Stadt zurück kehrten, mährend die vier Ehemänner von ihrer Bewachung wieder in das Lager der Kriegsgefangenen gebracht wurden. Wahr wird die Geschichte schon sein, denn die englischen Blätter bringen ausführliche Schilderungen mit Namensnennungen. Man muß sich nur fragen, wie die Kriegsgefangenen ihre englischen Bräute kennen gelernt haben und wie es möglich ist, daß die englischen Be hörden den deutschen „Barbaren" ihre Landcstöchter zur Frau geben konnten. — Dcr gtmeittsqme Feind. Einen versöhnlichen Zug ain- dem gewaltigen Ringen in Polen teilt ein holländisches Blatt mit: Ein russischer Soldat Ist von seinem Regiment versprengt; er tappt sich in der Dämmerung durch einen Wald, um seine Truppen wiederzufiuden. Rufen darf er nicht; denn der Feind kann in der Nähe sein. Da hört er Zweige knacken. Lanernd, lauschend steht er still: es ist ein deutscher Soldat der sich nähert. Beide entdecken einander im gleichen Augenblicke — sollen sie aufeinander losgehen? Beide haben ihren Patronen vorrat verschossen — sollen sie zur blanken Waffe greifen? Beide sind verirrt und müde. Warum sollten sie sich hier in dem einsamen Walde ermorden? Sie setzen gemeinsam die Suche nach dem richtigen Wege fort, allein die Dunkelheit bricht schon herein, aus Zweigen bauen sic sich eine notdürftige Zufluchtsstätte für die Nacht, die sie gemeinsam verbringen wollen: einer muß wachen, während der andere schläft. Dem Russen sällt die erste Wache zu. Aber er hat kaum eine halbe Stunde seinen schlafenden Kameraden bewacht, da sieht er in der Dunkelheit merkwürdige Lichter schimmern. Es sind viele, cs werden Ihrer Immer mehr, und ringsherum glaubt der Russe kleine Funken zu sehen. Er weiß, was es ist: die Wölfe kommen! Er weckt den schlafenden Deutschen und macht ihn mit der drohenden Gefahr bekannt. Beide haben zwar keine Patronen, wohl aber haben sie Bajonett und Säbel, und so stellen sie sich Rücken an Rücken, um den gemeinsamen Feind zu bekämpfen. Eins der Raubtiere springt vor, sofort sitzt ihm das Bajonett in der Brust, ausheulend taumelt es zurück, und sofort bemächtigen sich die anderen Wölfe der will kommenen Beute. Die beiden Soldaten müssen hart um ihr Leben Kämpfen; kräftig setzen sie sich mit der blanken Waffe zur Wehr, einer wird am Arm ver wundet, der andere legt ihm einen Notverband an, und es gelingt ihnen, die angreisenden Wölfe abzuwehren. Endlos dehnen sich die Stunden der Nacht; ohne ein Auge zutun zu dürfen, aufeinander angewiesen, ver bringen der Russe und der Deutsche die Nacht im dichten Walde Polens, von Wölfen umheult, um ihr Haus der Väter. Ein Roman aus Hannovers jüngster Vergangenheit von N »nh Wot h e. ((>1. Fortsehnng.) (Nachdruck verboten.) Zitternd legten sich des Vaters Hände auf des Sohnes Haupt. „Schlafe in Frieden zum letztenmal in der Väter Haus sprach er feierlich, „und Gott geleite Dich sicher durchs dunkle Tal zur Pforte des Lichts'." Ein Zuckelt irrte um Jobsts Mund, ein seliges Lächeln. Müde, wie ein Kind, lehnte er sich in die Kissen zurück. Noch einmal haschte er nach Wilmas Hand, dann sank der Kopf matt zur Seite und die Hand des Majors drückte ihm leise die einst so strahlenden Augen zu. Durch die Fenster brach die Abendsonne mit goldenem Licht. Sie weckte mit ihren zuckenden Lichtern den Schläfer nicht, der im Vaterhaus nun so süß und so geborgen schlummerte. Draußen brauste das rastlose Leben und der Frühlingswind zog jauchzend durch die Straßen und über Feld und Rain. -I- -lc Nun blühte die Heide schon wieder in roter Sommer pracht nnd gelbe Ginsterbiische flammten goldig empor. Marlehn war wieder auf dem Heitmannshvf. Sie hatte nicht wiedersprochen, als Onkel Eggert nach all den aufregenden Geschehnissen im Hellburgscheu Hause sie mit sich nahm in die Heimat. Sic war müde geworden in Hannover, so grenzenlos müde. Sie sah Onkel Eggert mit feindseligen Augen an und doch hatte er kein Wort zu ihr erwähnt, als durch die Zeitungen die Nachricht ging, daß Leutnant Mencke, um der wohlverdienten Strafe zu entgehen, unter Zu rücklassung erheblicher Schulden spurlos verschwunden sei. Onkel Eggert hatte sie nur ernst rind mitleidig angeblickt und am liebsten hätte sie sich ja laut auf weinend in feine Arme geworfen, aber er sollte doch nicht sehen, daß er recht gehabt. Er sollte doch wissen, daß er auch Schuld daran hätte, denn wer weiß, ob Mencke so schlecht geworden wäre, wenn sie ihn geheiratet hätte, und er all ihr Geld gekriegt hätte. Jobsts Tod hatte die Untersuchung gegen ihn zunichte gemacht und die Tatsache, daß Wilmas Vater, allerdings unter unerhörten Opfern für ihn eintrat, die Wilma ganz arm machten, ganz arm, mar es zu danken, daß äußerlich kein Flecken auf Jobsts Ehre haften blieb. Desto mehr litt man im alten Haus in der Schmicde- straße innerlich. Der alte Major war ganz gebrochen und seine Gattin glitt wie ein Schatten umher. Irmentrude war in das Henriettenstift getreten, um sich für den Diakonissinnenberuf vorzubereiten und Anne-Lies besuchte in Hannover die Kvchschule, um das häusliche Szepter selbständig führen zu können, wenn sie im Herbst, ganz in der Stille, Lünnges Frau wurde. Marlehn dachte oft an Anne-Lies und wie in allem Leid um den Bruder doch ein so heißes Glück aus den jungen Augen brach, wie es die Dichter schildern und woran Marlehn noch nie geglaubt. Lünnges war in alle Sohnesrechte eingetreten in dem alten Haus in der Schmiedestraße. Er und Dietrich waren es, die unermüdlich immer wieder die gebeugten Eltern aufrichtcten, die fast zusammenbrcchen wollten, unter der Last ihres Schicksals. Jetzt kam die Zeit, da allerhand Gerüchte die Stadt durchschwirrten, daß Gericht über die Schuldigen gehalten würde. Als die Zeitungen endlose Berichte brachten, die den bekannten Spielerprozeß beleuchteten, und aus denen hervvrging, daß alle Schuldigen die verdiente Strafe getroffen, daß eine Anzahl Offiziere mit glattem Abschied entlassen, andere drüben in der neuen Welt ihr Heil versuchten und viele abberufen waren und hier und da einer ganz still dahingegangen war, von wv es keine Wiederkehr gibt, da litten die alten Leute alle Tage tausend Schmerzen. Von den Lahrischs hatte man nie wieder etwas gehört. Alle Forschungen nach ihrem Verbleib waren vergebens gewesen, obwohl die sorgfältigen Ermittelungen ergeben hatten, daß die Gaunergesellschaft sich noch tagelang in der Stadt verborgen gehalten haben mußte. Einmal irrte zwar die Nachricht durch die Blätter, daß man die Lahrischs in Mcntvne gesehen und sie dort ver haftet hätte, es erwies sich aber als Irrtum und schließlich wuchs auch darüber Gras und es dachte kaum jemand von den nicht Beteiligten mehr an die dunkle Gräfin mit den Feueraugen. Nur in Marlehns Gedanken tauchte sie zuweilen auf und dann überkam sie eine so grenzenlose Angst und sie meinte, die Füße wollten nicht mehr von dec Stelle. Wie kam das nur? Die Gräfin hatte ihr doch persönlich nichts getan. Im Gegenteil, sie war immer freundlich zu ihr gewesen. Einmal hatte sie es Onkel Eggert erzählt, da hatte er sie so seltsam angesehen und gesagt: „Du darfst niemals an diese Frau denken, Marlehn, sie verdient es nicht." Merkwürdig, heute wieder hatte Marlehn an die Gräfin denken müssen, als sie so still bei der „Grot- mudder" hockte und die alte Frau erzählte. Wie schön es doch auf dem Hofe war! Ihr Vater haus, wo all ihre Voreltern gelebt und gelitten, wo seit Jahrhunderten so still das Feuer geleuchtet, wenn auch das Sonnengold da draußen flimmernd lag. Die alten Eichen hatten alle braunrote Spitzen und in der Luft lag ein Flimmern von goldenem Licht. Da brachte der alte Postbote einen Brief fiir Marlehn. Kopfschüttelnd blickte das junge Mädchen auf die steilen großen Schriftzüge des eleganten Kuverts. Wer konnte ihr schreiben? Zögernd ging sie in ihre Stube. Vor dem breiten Fenster mit den vielen kleinen grünen Scheiben ließ sie sich auf dem Binsen- stuhl nieder und las: „Meine geliebte Marlehn! Sv habe ich Dich immer genannt in bangen trüben Tagen und Nächten in den vielen Jahren, die ich fern vvn Dir bin. Du weißt es nicht, daß Du nvch eine Mutter hast, eine Mutter, die sich nach ihrem fernen Kinde sehnt und deren Herz bricht, daß es nicht bei ihr ist. Ich weiß, daß ich Dir einst viel genommen habe, aber jetzt, mein süßes, mein geliebtes Kind, wo Du älter geworden bist, wirst Du vielleicht verstehen, daß ich Dich verließ, Dich verlassen mußte, weil ich einen anderen Mann als Deinen Vater heiß und glühend liebte. Dein Vater löschte mich darob aus der Reihe der Lebenden. Ein fremdes Bettelweib, deren Namen