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01-Ausgabe Naunhofer Nachrichten : 25.10.1914
- Titel
- 01-Ausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-10-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1787848183-19141025016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1787848183-1914102501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1787848183-1914102501
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Naunhofer Nachrichten
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-10
- Tag 1914-10-25
-
Monat
1914-10
-
Jahr
1914
- Titel
- 01-Ausgabe Naunhofer Nachrichten : 25.10.1914
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In schwerem See» und Landkampfe stehen unsere Volksgenossen in der Heimat. Eifern wir denselben nach, jetzt wo eS auch uns vergönnt ifh für Kaiser und Reich zu fechten. Der in vergangenen Tagen oft bewährten Wehrkraft deutscher Bürger eingedenk, wollen wir mit unseren Brüdern in der Heimat an Vaterlandsliebe und kriegerischer 'Tüchtigkeit wetteifern. Am l8. August habe ich Seiner Majestät drahtlich versichert, daß ich einstehe für Pflichterfüllung bis aufs Nußerste. Am l9. August habe ich den allerhöchsten Befehl Seiner Majestät erhalten, Tsingtau bis aufs Äußerste zu verteidigen. Es lebe Seine Majestät der Kaiser! Der kaiserliche Gouverneur. Oie feltung Alarlckau. Militärisches und Geschichtliches. Vor Warschau stehen die deutschen Vortruppen. Die Belagerung der Festung durch unsere Ostarmee wird allem Anschein nach in nächster Zeit eingeleitet werden. Warschau ist der Mittelpunkt der ganzen gegen Deutschland er« richteten russischen Weichselbefestigungen. Dieser Festungs gürtel, der durch das sumpfige Gelände des Weichsel gebietes bedeutsam gesichert wird, bildet wiederum in dem gesamten gegen Deutschland und Österreich vorgelagerten Sperrgürtel den hauptsächlichsten Stützpunkt. Die Festung Warschau ist zwar umfangreich, gehört aber nicht zu den modernsten Bauten auf diesem Gebiet. Gegen einen deutschen Anmarsch bildet sie aber aus dem Grunde einen kräftigen Wall, weil sie nur das eine Glied eines großen dreieckigen Festungssystems ist, dessen beide anderen Winkelpunkte die Festungen Nowo-Georgijewsk und Zgershe darstellen. Während der Festungsbezirk der Festung Warschau allein einen Umfang von 50 Kilometer hat, weist dieses starke Festungsdreieck mit allen seinen Forts einen Umfang von 130 Kilometer auf. Der Belagerungs« ring, der sich um Warschau schließt, muß auch das ganze Dreieck umfassen. So haben die Russen für die Widerstandskraft dieser Sperre gesorgt. Allerdings ist nach russischer Ansicht nur das Werk der Festung Nowo-Georgijewsk als im modernen Sinne widerstandsfähig zu betrachten. Die artilleristische Ausstattung der Festung Warschau ist dagegen recht gut. Sie soll 1400 Geschütze betragen und eine Besatzung von 50 OM Mann soll zum Schutz der Festung vorhanden sein. Heute wird sie sicherlich als stärker angenommen werden können. Für die militärische Bedeutung dieser Festung ist allein die Tatsache bezeichnend, daß sie den Mittelpunkt eines der drei großen russischen Militärbezirke an der russischen Westgrenze darstellt, der in Friedenszeiten fünf Armeekorps umfaßt. Die alten Gräben und Mauern der Festung, die zum Teil noch bestehen, haben naturgemäß keinen Wert. In den Jahren 1832 bis 1835 ist zum Schutze der Festung eine für die damaligen Verhältnisse starke Zitadelle, die den Namen Alexander I. trägt, erbaut worden. In späterer Zeit kamen einige Forts hinzu, durch die der Übergang über die Weichsel gedeckt werden soll. Der Besitz von Warschau ist nicht nur wegen der die Weichsel beherrschenden Lage bedeutungsvoll, sondern auch aus dem Grunde, weil sich yier die hauptsächlichsten russischen Eisenbahnen mit direkter Verbindung nach den anderen großen russischen Festungen schneiden. Wichtig ist z. B. die Bahnlinie Warschau—Bjelostok—Grodno, ferner die Bahn, die Warschau mit Lublin verbindet. Durch die weiteren Verzweigungen der von Warschau nach Deutsch land und Galizien ausgehenden Linien hat gerade diese Stadt einen erheblichen Wert, da dadurch die russischen Truppennachzüge gesichert find. Als Hauptstadt von Polen war Warschau schon oft der Gegenstand großer Kriege. Hn Jahre 1609 wurde es durch Sigismund m. an Stelle von Krakau zur königlichen Residenzstadt gemacht. Im Jahre 1655 wurde Warschau von Karl X. Gustav von Schweden erobert. Im nächsten Jahre nahm ihm König Johann Kasimir die Stadt wieder ab, mußte sie aber schon am 30. Juli 1656 wieder über geben. Im 18. Jahrhundert waren schon die Ruffen oft Herren von Warschau, z. B. von 1764—1774 und im Jahre 1793. Im Jahre 1794 wurde sie von Suworow erstürmt. Eine Zeitlang gehörte Warschau auch zu Preußen, und zwar von der dritten Teilung Polens an bis zum Jahre 1806. unä fern. o Opfermut amerikanischer Deutscher. In den letzten Tagen erschien in der Redaktion der „Chicagoer Abendpost" eine Abordnung von vier Mann, stämmige Gestalte» mit schwieligen Fäusten, Leute, die augenschein lich Tag für Tag schwer arbeiteten. Nach ihrem Begehren befragt, meinten sie, auch sie wollten ihren Beitrag für die deutsche Kriegsfürsorge geben, und einer von ihnen öffnete einen umfangreichen Beutel, aus dem er dann den erstaunten Redakteuren nicht weniger als 5000 Dollars auf den Tisch hinzählte. Das Erstaunen wuchs aber, als bekannt wurde, von wem diese große Zuwendung kam. Die Leute stellten sich nämlich als der Vorstand der deutschen Maurer-Handlanger-Union vor, die von ihrem Verband einstimmig beauftragt worden waren, den größten Teil des Vereinsvermögens für den genannten Zweck zu opfern. 0 Verleumder des Deutschen Kronprinzen entlarvt. Der Mitarbeiter des »Journal de Geneve" besichtigte das Schlachtfeld an der Marne und kam auch vor das Schloß Baye, dessen Besitzerin, eine Baronin, in einem Brief den Kronprinzen beschuldigt hat, das Schloß ausgeplündert und den Raub in Kisten fortgeführt zu haben. Der Journalist fand das Gebäude unversehrt vor. Die Haus hälterin gab an, nichts zu wissen, obgleich sie anwesend war, als dort die Offiziere logierten. Beschädigt seien nur zwei Vitrinen, und zwar sind deren Glaswände gesprungen, wahrscheinlich infolge einer Detonation. Hier liege also ein neuer Beweis für die wahnwitzigen Lügen vor, womit die französische Presse, vornehmlich der »Figaro," und der „Matin", das Land verhetzen. Der „Temps" hat übrigens eingestanden, daß der Kronprinz nach den amtlichen fran zösischen Kriegsberichten überhaupt nicht in Baye gewesen sein kann. s Die deutschen Kirchenschulcu in Petersburg rusfifiziert. Die seit wett über IM Jahre in Petersburg bestehenden vier deutschen Kirchenschulen kommen unter russische Knute. In diesen deutschen Bildungsstätten, die mit Recht im Ruf der besten Schulen in ganz Rußland standen, ist jetzt die russische Unterrichtssprache eingeführt worden. o Verhaftungen wegen Gebrauchs der französischen Sprache. Wegen öffentlichen Gebrauchs der französischen Sprache wurden in Colmar im Elsaß drei Personen ver haftet. Auch ein dortiger Kraftwagenführer kam in Haft, weil er abends auf der Straße französische Lieder gesungen hatte. Beides war, wie wir kürzlich meldeten, laut An ordnung des Kommandanten bei Strafe verbsten worden. o Fünf Brüder ans dem Felde der Ehre gefallen. Die durch den Krieg schwer betroffene Familie von König- Zoernigall bei Dessau hat ein weiteres Opfer zu ver zeichnen. In Frankreich ist nunmehr auch der älteste Bruder der bereits gefallenen vier Brüder v. König, der Hauptmann der Reserve im Anhaltischen Infanterie regiment Ernst v. König, den Heldentod gestorben. 0 Anfragen über Kriegsgefangene in Rnstland. Amtlich wird mitgeteilt: Das internationale Komitee des Roten Kreuzes in Genf hat neuerdings mitgeteilt, daß Anfragen wegen solcher Personen, die vermutlich in russische Kriegsgefangenschaft geraten sind, nicht mehr nach Genf, sondern an das dänische Rote Kreuz in Kopenhagen zu richten sind, das sich zur Weitergabe und Beantwortung bereit erklärt hat. s Ein russischer Offizier als Meuchelmörder. Auf dem russischen Kriegsschauplatz bei dem Dorfe Codol ist der österreichische Major im 71. Infanterieregiment, Raimund Ziganek, ein geborener Prager, auf tragische Weise gefallen. An der Spitze seines Bataillons besiegte er eine starke russische Abteilung und machte 2M Ge fangene. Als die feindliche Abteilung entwaffnet war, forderte Major Ziganek von einem der russischen Offiziere den Revolver. Dieser, statt ihn zu übergeben, feuerte 'auf den vor ihm Stehenden, der ins Herz getroffen, sofort tot zu Boden sank. Der feige Meuchelmörder wollte ent fliehen, wurde jedoch von den ihm nacheilenden Mann schaften niedergeschossen/ o Wir haben Überfluß au Soldaten. Das stell vertretende Generalkommando des 7. Armeekorps, daS auch das rheinisch-westfälische Industriegebiet umfaßt, teilt mit: Von einer allgemeinen Einberufung des Landsturms im Bereich des 7. Armeekorps werde nach wie vor ab gesehen, da die gewaltige noch zur Verfügung stehende Anzahl von Rekruten und Landwehrleuten dieses nicht er forderlich mache und bisher nicht einmal alle sich frei willig meldenden Landsturmleute eingestellt werden konnten. Nur Offiziere, Sanitätsoffiziere rmd Angehörige der Spezialwaffen werden in geringem Umfange einberufen werden und auch dann nur nach Bedarf. § Ein KanfmanuSlehrling als „praktischer Arzt". Auf dem Bahnhofe in Kreuz (Ostbahn) wurde dieser Tage ein junger Mann verhaftet, der sich den Namen Dr. med. Erwin Leinrick unberecktiaterweike anaemakt und als Arzt vier Wochen hindurch in der Umgegend von Ritschenwalbe die „Praxis ausgeübt" hatte. Es gelang leicht, ihn zu über führen, daß er weder medizinische Kenntnisse besaß, noch auch, wie er behauptete, das Wissen eines Gymnasial abiturienten sein eigen nannte. Bei seiner Vernehmung bequemte er sich schließlich zu dem Geständnis, daß er nur eine Bürgerschule in Berlin besucht habe und dann Kaufmannslehrling gewesen sei. Zu der Beschäftigung in Ritschenwalbe war er auf Grund eines Zeitungsinserats gelangt, durch das für einen praktischen Arzt ein Vertreter gesucht wurde. Z Im Serajewoer Hochverratsprozeß sagte die Zeugin Talanga aus, der Angeklagte Gabrinowitsch habe am Tage vor dem Mordanschlag erklärt, Franz Ferdinand wird nicht regieren; im nächsten Jahr wird in Bosnien König Peter der Regierende werden. Aus den gelegentlich des Krieges in Losnica und Kleinzwornik Vorgefundenen Akten über die in Bosnien betriebene Spionage wurde festgestellt, daß Serbien in der Losnicaer Kundschaftsstelle allein über hundert Spione in Bosnien verzeichnet hatte. Aus den Akten ging klar hervor, daß die bosnischen Sokol- und Antialkohol vereine nur ein Deckmantel zur Vorbereitung des Krieges und von Aufständen in Bosnien waren. In einem mit dem Landeschef Potiorck aufgenommenen Protokoll schildert dieser ausführlich die bekannten Vorgänge bei dem Anschlag. Der deutschen sVläcicken Klage. Wir find die deutschen Mädchen, im Liede hochgeehrt, Wir find die deutschen Mädchen, in mancher Pflicht bewährt. Wir sind die deutschen Mädchen, des Hauses liebstes Gut, Erzogen und geleitet von treuer Elternhut. Doch habt ihr, wack're Krieger, es gar noch nicht vermißt, Daß euch in unserm Städtchen kein Mädel jung begrüßt? Wir dürfen euch nicht pflegen, nicht reichen Brot und Wein; Das tun nur unsre Mütter und die Herrn vom Krieger- oerein. Zum heil'gen Liebeswerke zieh'n alle sie hinaus; Was haben wir verschuldet, daß man nur uns schloß aus? Zum Helfen und zum Geben eilt jeder, Mann und Weib, Wir stricken nur Socken und Binden für euren Heldenleib. Wenn einst die Glocken klingen und wenn die Fahnen weh'n. Und kehrt ihr heim als Sieger, wie wir's von Gott erfleh'n, Dann wird kein deutsches Mädchen den Ehrenkranz euch weih'n, Das tun dann unsre Mütter und die Herrn vom Krieger- verein. (Oeynhauiener Anzeiger.) bunte Leitung. Das Wild aus der Flucht vor dem Kriege. Die Beunruhigungen, die der Krieg in manche Gegend bringt, bleiben nicht ohne Einfluß auf den Wildstand. Vor kurzem wurde schon aus der Schweiz berichtet, daß sich viel Wild aus den Vogesen in die ruhigeren Wälder der Schweiz geflückttet habe. In der vorigen Woche wurde westlich von Mörs im königlichen Forst Vluynbusch ein kapitaler Keiler, der unaufgebrochen 220 Pfund wog, erlegt. Weit und breit gibt es am Niederrhein keine Wildschweine, und io stammt dieses Tier wohl aus beun ruhigten Teilen der Eifel oder aus Belgien. „Unsere Gräber in Frankreich." Unter dieser Über schrift veröffentlicht die Kreuzzeitung Teile eines Briefes einer hochgestellten Persönlichkeit, die kürzlich die Gräber Gefallener eines Truppenteils der Garde aus den Kämpfen des August und September an der Oise besuchte. In dem Brief, der an eine Trauernde gerichtet ist, heißt es: Ich will Ihnen heute noch Inschriften senden, die wir an Kränzen und Blumen befestigt fanden, die Französinnen auf unsere Gräber gelegt hatten: »Oktert par lv8 ^ravyaises »vx svläats sllemLväZ nv8 trere» eo 4e8U 0dri8t!" (Für die deutschen Soldaten, unsere Brüder in Jesu Christi, von mehreren Französinnen) und weiter »paar Ie8 »otckst« »Uemsväs vv8 treres «v -lssn Okrist — wvrt8 loiv äe lsur pstrie, plenre» pLr l«vr8 kamilles, vrion8 vovr eux! ' (Für die deutschen Soldaten, unsere Brüder in Jesu Christi — gestorben für ihr Vaterland, beweint von ihren Familien, betet für sie.) Es mutete uns an wie eine Stimme von Versöhnung auf diesem Felde großen Schmerzes und treuesten Kampfes usw." Der Einsender E. v. W. knüpft an die Mitteilung noch folgende Bitte: Vielen leidtragenden Seelen in unserem Vaterlande werden diese Tatsachen die Zweifel bannen, ob man in Feindesland auch die Gräber unserer Gefallenen schützt und erhält, und ihrem darüber gequälten Herzen Ruhe geben! Deshalb werden die Zeitungen dringend gebeten, diese Mitteilungen durch Nachdruck weiter zu verbreiten. Lieke und Leidenschaft. Roman von O. Elster. 88 »Wie steht eS um meinen Gegner?" Doktor Zimmermann sah auf. »Nicht gut, Herr Kapitän. Die Lunge ist verletzt, ein Zoll «eiter rechts und das Herz wäre getroffen." „Ist Gefahr für das Leben vorhanden?" „Allerdings." „Sie werden mich verpflichten, wenn Sie mich auch spä terhin über das Befinden des Verwundeten unterrichteten." ' „Es soll geschehen, Herr Kapitän." „Ich danke!" Nochmals lüfteten die Franzosen die Käppis und traten dann in den Wald zurück. Bald darauf hörte man den Huf schlag galoppierender Pferde, der mehr und mehr in der Ferne verklang. Walter lag noch immer bewußtlos auf dem Rasen. Der Adjutant des Regimentskommandeurs kehrte jetzt mit dem Wagen zurück, den er herbeigeholt hatte. Sorgsam ward Wal ter in die Kissen des Wagens gelegt, der Arzt und Meerfeld stiegen zu ihm in den Wagen und langsam setzte sich der selbe in Bewegung. Roger bestieg Walters Pferd und kehrte mit dem Oberst und dessen Adjutanten nach Metz zurück, auf dem Wege dem Regimentskommandeur noch näheren Aufschluß über das Duell gebend. Strahlend stand die Sonne am wolkenlosen Himmel. Bei einer Erschütterung des Wagens stöhnte der Verwun dete schmerzlich auf. Doktor Zimmermann beugte sich besorgt über ihn. „Meerfeld, Meerfeld," sprach er dann mit leise bebender Stimme, „ich glaube, Walter steht die Sonne nicht mehr un tergehen." „Armer Freund." 11. Kapitel. Hedwigs Mutter, die verwitwete Frau Hauptmann Ka roline Dankelmann, bewohnte nur wenige Räume. Nach der Straße zu besaß die Wohnung, welche im dritten Stock lag, nur zwei kleine Zimmerchen, dessen eines allerdings einen ganz allerliebsten Erker aufwies, in dem sich Hedwig Dan kelmann ihr Arbeitsplätzchen hergerichtet hatte. Wenn Hed wig ihre Augen von dem Nähtischchen erhob, so schweiften dieselben die enge Straße entlang bis zu dem alten Dome, welcher sich quer vor die Straßen zu legen schien. Ein vor nehmes Ansehen hatte die Straße nicht. Ein Geschäftshaus reihte sich an das andere, ein Laden an den anderen, ein Fen ster fast neben das andere. Kein einziges, grünes Blättchen war zu sehen, als vielleicht hie und da einige Topfgewächse, welche man vor die Fenster gestellt hatte, damit dieselben doch wenigstens etwas frische Luft in der engen, dumpfen Straße einatmen könnten. Auch Hedwigs Erker war init Blu men zierlich geschmückt, zwischen denen der golden blitzende Messingkäfig mit dem lustig zwitschernden Kanarienvogel hing. Dieser Erker war von jeher Hedwigs Lieblingsplatz ge wesen und das junge Mädchen hatte alles getan, um den selben herauszuputzen. In diesem Erker, umrankt von dem Efeu und überschattet von anderen Blattpflanzen, konnte Hed wig stundenlang sitzen, entweder träumend hinausschauend in das Gewühl der Straße oder das Haupt tief herabbeu- aend auf die Handarbeit. Und Hedwig war sehr fleißig. Die Einkünfte der verwitweten Frau Hauptmann waren schmal und Hedwig versuchte deshalb, durch feine Stickereien für ein großes Geschäft diese Einkünfte zu vermehren. Mutter Dankelmann selbst konnte nicht mehr arbeiten; sie war eine oergrillte vergrämte, alternde Frau, von einem nervös, rheu matischen Leiden geplagt, so daß sie kaum aus der finsteren Ecke im Hintergründe der Wohnstube, wo der Sessel der Kran ken stand, heroorkam. Wenn Hedwig ihre Mutter zu überreden suchte, doch wenigstens ihren Sessel in den Erker zu rücken, wo doch zuweilen die Sonne so hell und freundlich über die Dächer hineinschaute, dann schüttelte Frau Dankelmann mür risch den Kopf und meinte: „WaS soll ich noch im Son nenschein, für mich ist die Sonne schon längst versunken." Auch heute an dem sonnigen Herbsttage war Mutter Dan kelmann wieder recht mürrisch und vergrämt, nachdem sie einige Tage in leidlich guter Laune gewesen, weil Hedwig von Pfalzburg zurückgekehrt war. Hedwig war wie ein alles erhebender Sonnenstrahl in der düsteren Wohnung erschienen, dessen Glück und Freude bringendem Eindruck selbst Frau Dankelmann sich nicht entziehen konnte. Mit leuchtenden Au gen und glühenden Wangen, ein Bild des Glückes der Ju gend und der Gesundheit, so stand Hedwig vor dem kranken Mütterchen, über dessen welkes Antlitz ein leises, freundliches Lächeln bei dem Anblick des lieblichen Mädchens glitt, wie eine selige Erinnerung an die eigene glückliche, fröhliche Ju gend. Und Hedwig wußte so viel zu erzählen; ihr war das Herz so voll, daß die Lippen plaudern mußten, wenn sie auch mit ängstlicher Sorge das süße Geheimnis ihrer Liebe noch zu rückhielten. Hedwig wußte ja nicht, ob es Walter gern sehe, wenn sie, ehe er selbst mit der Mutter gesprochen, von dem Glück ihrer Liebe plauderte. Nur jene kurze Stunde am Rande der „guten Quelle", das letzte Mal, als sie sich gesehen, hat ten sie ja von ihrer Liebe gesprochen, und Walter hatte ihr nur zugeflüstert, daß er nach Beendigung des Manövers kom men werde, um sich auch von ihrer Mutter das Jawort zu holen. Er hatte ihr nicht gerade das Versprechen abgeuom- men, zu schweigen, aber sie fühlte sich in dem Geheimnis dieser Liebe selbst zu selig, zu glücklich, als daß sie durch vorzeitiges AuSplaudern dieses süße, geheime Glück ihres Her zens hätte zerstören wollen. Aber dieses geheime, bedrückende Gefühl ihres Herzens hatte doch Einfluß auf ihr ganzes We sen. 211,20 Früher war sie selbst oft trübe gestimmt gewesen, wenn die Mutter so mürrisch und griesgrämig dasaß; aber jetzt kannte sie keine trübe Stimmung mehr. Wie Heller Son nenschein lag es auf ihrem in dem Gedanken an ihre Liebe erglühenden Gesichtchen, wie geheime Sehnsucht leuchtete und schlummerte es in ihren lichtbraunen Augen und ein selig träumerisches Lächeln schwebte ost auf ihren rosigen Lippen. Verwundert schaute Mutter Dankelmann ihr Töchterchen an, den grauen Kopf zweifelnd schüttelnd oder einige mürrische Worte vor sich hinmurmelnd. Dann aber schalt sich doch die arme Frau wieder selbst, daß sie ihrer Tochter dieses frische, frohe Glück nicht gönnte, und ein Gedanke kam ihr zuweilen, der einen Schimmer des Glücks selbst in ihr ver bittertes Herz warf. Wie, wenn Hedwig da draußen bei Onkel und Frau Major einen Mann kennen gelernt hätte, der trotz der Armut HedwigS st« zu seinem Weibe nehmen wollte?
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