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Herodes, der böse König. Von Dr. K. Mischke. eihnachtsspiele gibt es in vielen deutschen Lan den, und schon seit aller Zeit. In alten Mönchs handschriften sind uns kleine Weihnachtsdra- ^men aufbervahrt worden, die schon zur Zeit der Hohenstaufen und vielleicht noch früher gespielt wurden. Es sind die heiligen Gestalten, die in ihnen auftreten, die Jungfrau Maria, der Erzengel Gabriel, der heilige Josef, die Weisen aus dem Morgcnlande und andere, von denen das Evangelium be richtet. Merkwürdig ist daneben ein Weihnachtsspiel, das unseres Wissens nur in den polnischen Landesteilen, besonders in West preußen, Sitte ist. Es scheint neueren Ursprungs zu sein und ist offenbar ohne rechten Zusammenhang mit den übrigen Weih nachtsspielen entstanden. Weber bas Christkind, noch die Jung frau, noch irgend eine andere Figur der heiligen Überlieferung spielt darin eine Rolle; im Gegenteil, die Hauptperson ist der böse König Herobes. Die Handlung ist der .Kindermord von Bethlehem, an den sich in origineller Weise eine prompte Be strafung des Bösewichts anschließt. Das Spiel wird in polnischer Sprache aufgeführl, und es braucht neun Personen. Da ist der König Herodes selbst, etwas phantastisch mit einem bunten Mantel, eme Krone auf dem Haupte, die von Silberpapier glänzt, und ein ebensolches Zepter in der Faust. Dann ist sein Kriegsvolk und Hofstaat, dargestellt von sechs Soldaten, und ?war, da es in Westpreußen an jüdischen oder römischen Uni formen mangelt, so sind es höchst einfach alte preußischeMonturen, die das Kostüm hergeben: zwei Infanteristen, zwei Ulanen und zwei rote Husaren, gelegentlich auch andere Waffengattungen, geben einen vollen Ersatz, und die Phantasie im bas übrige. Dazu kommen noch zwei allegorische Figuren, ber Tod und der Teufel. Der Tod erscheint in Weiß, ein weißes Laken umgc- hängt, und ein weißes Tuch um den Kopf gezogen. In der Hand trägt er natürlich die Sense. Der Teufel dagegen, als sein Gegen stück, ist von Kopf zu Fuß schwarz, mit einer gräßlichen Larve, mit Hörnern, Kuhschwanz und Pferdefuß, nebst rasselnden Ket ten, getreu alter Überlieferung. Diese neun Leute ziehen am Abend vor bas Haus eines reicheren Bauern und melden sich draußen durch ein gewaltiges Klingeln an. Sie werden dann hineingeladen, und einer der Infanteristen spricht eine Art Prolog, der in deutscher Übersetzung etwa so lautet: Herodes war ein König, ein böser, da ward geboren der Erlöser, ward geboren Jesus Christ, der der Gläubigen Heiland ist. Drei weise Männer hat Gott gesandt, die kamen weit aus Morgenland, baß sie nach Jerusalem gingen, Jesu die Ehren darzubringen. Vun bittet einer der Husaren den Hausherrn um einen Sessel für den König Herodes. Dieser wird möglichst so gestellt, daß hinter ihm eine offene Tür ist. An langen Stangen wird eine bunte Bettdecke hochgehalten, die gleichzeitig den Baldachin an- deutekund deren Herabsallender Teil den Hintergrund bildet. Die beiden Husaren oder Ulanen müssen während des Spiels, das nicht lange währt, die Stangen halten,- Tod und Teufel nehmen hinter der Decke, also den Zuschauern unsichtbar, Aufstellung. Herodes nimmt Platz und rückt sorgenschwer die Krone zurecht, stützt das Kinn auf das Zepter, lehnt sich stolz zurück, schlägt die Beine übereinander. Die beiden Infanteristen machen ihm eine tiefe Reverenz, beugen die Knie, stellen sich dann rechts und links von ihm auf und kreuzen die hölzernen Schwerter über seinem Haupte. Herodes versinkt inVachdenken und äußert schließlich: „Ich bin Herodes, der König der ganzen Welt!' Sofort treten die Infanteristen wieder vor und machen Ver beugungen. Der König aber sagt bekümmert: „In Bethlehem soll ein König geboren sein. Doch eher geht die Sonne auf, da wo sie untergeht, ehe dieser mich vom Throne bringt? Gehet eilends nach Bethlehem und tötet alle kleinen Kinder, aber meinem dort weilenden Sohne füget kein Leid zu!" Darauf antworten die Soldaten: „Du bist der mächtige König, dir schulden wir Tribut, dir gehört unser Herz!" Die beiden In fanteristen und zwei Kavalleristen begeben sich hinter den Vor hang, und alsbald Hörl man dahinter lautes Jammern und Wektlagen. . Vach diesem kommen die Soldaten wieder hervor, aber sie bringen einen kleinen Kinderkopf, aus einer Rübe zurechtge macht, und sagen: „Sieh hier, wie es deinem lieben Sohne gegangen ist!" Herodes ruft erschreckt: „Wie? ist das der Kops meines Kindes?" Er weint, hebt die Hände in die Höhe und klagt: „Ach, was habe ich getan! Die armen unschuldigen Kind lein habe ich töten lassen, und nun ist der Erbe meines Lhrones hin. Ich sehe es kommen. Das Kind aus Bethlehem wird wirk lich das ganze Iudenreich regieren. O, ich vergehe vor Leid!" Leiser Gesang tönt hinter dem Vorhang hervor: „O Herodes, o Herodes! Grosses Leid ist dir geschehn! Dein armes Kind ist ganz des Todes! O wie wird es dir ergehn! Jetzt rasselt der Tod hervor und wetzt die Sense: „Habe ich i dich endlich? Drei Jahre habe ich dich gesucht! Du frecher Kerl, > gegen Gott hast du dich gesetzt. Vun zeige, wer du bist. Laß uns kämpsen; wer unterliegt, der muß sterben."Und da reckt er auch schon die Sense, und der Bösewicht fällt vom Thron. Die Soldaten ergreifen Krone und Zepter und bringen die Requi siten hinter die Kulisse. Der Tod will den gestürzten Herodes fassen, aber schon stürmt der schwarze Teufel heran, stößt mit den Hörnern, schlägt mit dem Kuhschwanz mächtige Bogen und schreit: „O Tod, was hast du getan? Du hast aus der Welt den Herodes genommen, der viele Jahre mein treuer Diener war! Was sänge ich an? So einen finde ich nicht wieder! Aber da ist nichts zu machen. Wir wollen ihn teilen, nimm du den Körper, ich nehme die Seele!" Der Tod erklärt sich einverstanden, und er schleppt die Leiche davon. Der Teufel aber wendet sich jetzt an die Zuschauer, stößt mit den Hörnern und sucht ihnen einen schrecklichen Eindruck von seiner häßlichen Majestät beizubringe«. Er schreit dabei fort während: „Geld her, Geld her! sonst müßt ihr lebendig in die Hölle!" Da hilft es nichts, man gibt ihm Geld, Eier, Wurst und sonstige schöne Sachen. Schließlich singen alle ein Weihnachts lied, und die Spieler ziehen ab. Da das Spiel nur kurz ist, können dieMitwirkenden an einem Abend eine ganze Zahl von Wirtschaften besuchen, und es gibt wohl manchmal eine ziemliche Einnahme. Allerdings sieht die Polizei die Sache nicht gerne, und sie setzt manchmal Tod und Teufel wegen Unfugs fest. Der Grund ist nicht recht ersicht lich. Solche Spiele, bei denen auch gesammelt wird, existieren doch fast überall im deutschen Lande. Jedenfalls ist es ein eigen artiges Spiel, wie es anderwärts nicht aufgeführt wird. „Aber Eure Gesellen, Herr,"antwortete der Greis zagend. Der Reiter sprang ab, knurrte „Bin allein"und suchte Platz für das Tier. Hinter der Hütte band er es an, entfaltete denWoilach, deckte das Pferd, warf ihm das mitgeführte Bündelchen Heu vor, prüfte, ob der Standort windfrei sei und schritt in die Hütte, Lederbeutel und Mantelsack in der einen, das Gemässen in der anderen Faust. Drinnen leckte auf geschichteten Steinen das Feuer an Wurzel stöcken. Viel Hauswesen war nicht zu sehen, einiges Gerät und ein paar Klötze zum Sitzen. Aus einen ließ der Rittmeister sich neben dem Feuer nieder. Der Alte hals die Panzerriemen lösen. Aus dem Mantelsack wickelte der Gast eine Flasche, Brot und Dörrfleisch, stieß den Rücken gegen die Wand und aß. „Setze oder lege dich,"sprach er, „ich raste hier bis zum Morgen. Dir geschieht nichts." Der Greis kramte ein Töpfchen mit Milch hervor und bot es. Der Rittmeister wies die Milch zurück und blickte nach der Ecke, wo es sich in einem Haufen Laub regte. „Was ist das?" fragte er. Da kam es hervorgekrochen, zwei Kindlein von drei oder vier Jahren, mit blinzelnden Augen und gelbem HaaWewusch. Er schrocken trippelten sie zum Alten, der sie an der Kutte barg. „Verzeiht, edler Herr, sie sind aufgewacht und werden wieder schlafen." Dem Rittmeister wurde fast sonderbar beim Anblick der furchtsamen Kleinen. Ein Bübchen und ein Mädchen. Ikr ehrwürdiger Beschützer setzte sich, nabm auf jedes Knie eines und flüsterte zu ihnen. Die Köpfchen drückten sie an seine Schullern und rührten sich nicht. „Es ist doch nicht deine Brut," sagte der Fremde, „wie hausest du mit ihnen?" Und der Greis erzählte: „Seht, Herr, in der Senkung, drei Wegmeilen von hier, lag vordem ein Dorf, ziemlich verloren und vergessen. Ich wartete des Kirchleins, vom hohen Stift jen seits des Gebirges gesandt, taufte dieVeugeborcnen und begrub die Abgeschiedenen. Vor ungefähr anderthalb Jahren fand ein Streiskorps den Eingang zum Tal. Wie Gottes Plage brachen die Dragoner ein, zerhieben Männer, Kinder und Weiber bis auf einige junge, die sie mitschleppten. Vieh und Habe nahmen sie, an Kirche und Gehöfte legten sie Brand. Ich dachte, allein übrig geblieben zu sein in der Grabkammer unter dem Altar, dahin ich mich verborgen. Vach dem Abzug der Dragoner fand ich diese Beiden, nackend, jedoch unversehrt in den Trümmern, auch eine Gais, die in den Busch entlaufen. Alles Lebende, was vom Dorf übrig blieb. Eine Woche kostete das Begraben der Toten, dann barg ich mich mit den Kindern an diesem heim lichen Fleck. Beeren und Kräuter, die Milch der Gais und einige Gaben erhalten uns. Ich hole sie als Bettler aus Orten, in die ich auf Schleichwegen hinabsteige, ohne meines Aufenthalts Kunde z« tun.Viel kann niemand geben in diesen Kriegskünsten, aber Brot ward uns immer genug. Schenkte mir der Himmel zu der Gnade, die er mir bisheran erwies, noch ein paar Jahre, bis die Kinder auf eigenen Füßen ständen und Friede diesem unglücklichen Reich würde, so stürbe ich gern in Dankbarkeit." Er schwieg. Die Kinder schliefen aus seinem Schoß. Behut sam legte er sie hin und sagte: „Edler Herr, laßt es euch nicht anfechten, wenn ich einen Segen über sie spreche zur Errettung von Elend und Sünde. Ihr wißt wohl, es ist die heilige Vacht heute, in der vordem der Welt Heiland geboren ist im Stalle auf dem Felde zu Bethlehem." Aus seinem Munde kam es zittrig: „Und der Engel sprach ihnen: Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volte widerfahren wird! Denn euch ist heute der Heiland geboren, Christus der Herr, in der Stadt Davids. Mäh^ch sank das Feuer, mählich verschattete die Ecke, mur melnd verklangen die Worte des Evangeliums und es ward ganz still.. . Vach Zeiten schreckte der Rittmeister aus. Ihn fröstelte. Er i streckte sich und ging ins Freie. Die Himmelskuppel ruhte wie ein aus Saphir geschnittenes Gefäß auf den Kieferwipseln, geziert mit unzähligen glitzernden Lichtern. Gerade ru Häup- ten kam ein rötlichheller großer Stern hervor und schien so nahe, als wolle er stracks auf die Hütte niedersinken. Eigen war dem Manne zu Sinn, verschollene Gedanken plagten ihn. Er sah sich ausziehen als halbffüggen Burschen vom väterlichen festen Haus am Rhein, er sah die Hetzjagd nach Ehre und Ruhm, nach Gewinn und taumelndem Genuß. Totschlag war ihm Gefährte und Raub sein Betlgenoß. In hundert Treffen wetterte sein Schrei, und aus manchem Blach feld schnitt sein Schwert rote Furchen. Im Rausch des Hasses und der Gier flohen Jugend und Mannheit. Das Haar wurde grau, das Herz vertrocknete, nichts blieb von allem Tun, als das Rauschen der Einsamkeit um seine Schritte. Vicht einmal wußte ? er, daß zu dieser Frist die Weihenachk über die Erde ging, j Wahrlich, der Affe in der Hütte gewann mehr vom Leben, ! wenn es auch nur die Sorge um twei Unmündige und ibr ! schücbternes Lallen war. Mit gebeugtem Vacken wandte er sich zur Schwelle. Da ward ; ihm em wunderbares Gesicht. Der Raum flimmerte. Ein drittes ! Kind zeigte sich an der Ruhestätte der Wajslein, seltsam anzu- , schauen. Um die Locken stoß Anmut, und aus seinen Augen j sprang Sonne. Er vermochte schier nicht hinzusehen. Das Kind i hielt des Reiters Lederbeutel in der Hand, nahm daraus spielend perlgeschnüre und goldenen Zierat, wand das Geschmeide um die blaßblonden Köpfchen der Ruhenden und streute es lächelnd auf die groben Decken. Und wie Läuten einer fernen Geige ging es in des Rittmeisters Ohr: „Auch für sie ist heute der Erretter geboren. So gib ihnen oom Überfluß, damit sie sich des Christs erfreuen.' Voch verharrte er in zagem Staunen, doch schon verging der Schein, die Dunkelheit stoß zusammen und alles war wie zuvor. Aber Schmuck und Zier blinkten oom Lager. Dumpf pochte es in des Kriegsmannes Brust. So war ihm noch nie gewesen. „Herr Ritter, wollt Ihr schon fort," fragte der Greis, der jetzt erwachte und die hohe Gestalt des Gastes aufrecht sah. „Wartet, bis der Pfad hell wird. - - Doch wer - wer streute diese Schätze aus?" Schrecken bebte durch das Wort. -Laßt, Alter, laßt den Kindern den bunten Tand zur Christ freude. Sie mögen sonst nichts haben zum Spiel. Kommt, helft mir zu Roß, ich will reiten. Bewahrt euch und die Waisen in Geduld. Habt Dank für das Obdach, mir ist viel Heil geworden bei euch." Unverweilt stieg der Rittmeister in den Sattel, sprach auch kein Wörtlein fürder. Schnaubend zog der Gaul die kalte Luft ein, wieherte und trug seinen Herrn davon Winternot wich dem Frühling, der Sommer botVahrung und Wärme. Als der Herbst die Blätter färbte, geschah ein lustiges