Volltext Seite (XML)
Beilage zu Nr. 101 -er Sächsischen Elbzettung. Schandau, Sonnabend, den 23. August 1913. Kinnfpvuch. Las, adteimutm Deine Blicke ichwcifcn Bis dicht an die Unmöglichkeit heran; Kannst Dn des Freunde« Tun nicht mehr begreifen. So fängt der Freundschaft frommer Glaube an. F. Dahn. werden die Menschen schöner? Ja. die Menschen werden schöner, so versichert der .amerikanische Gelehrte F. A. Woods, der jüngst auf dem eugenischen Kongresse in London diesen Gegenstand behandelt hat. Um einen Vergleich zwischen den gegen wärtigen Menschen, die er wie jeder andere leibhaftig vor Augen hat, und den längst begrabenen der Ver gangenheit ziehen zu können, hat Woods, wie er angibt, viele Tausende von Gemälden gründlich untersucht, und aus den Menschendarstellnngen berühmter Maler hat er dann Typen herausgegrifsen, die in seinen Augen einen Durchschnitt darstellen. Für das lii. Jahrhundert z. V. hält er sich an Heinrich VI ll., Englands König. Dieser stellt sttr ihn den Typus des Menschen im 16. Jahrhundert dar: die Nase ist groß und abgestumpft, die Augen sind klein und stehen weit vonetnander entfernt, die Brauen sind weit von den Augen entfernt und biegen sich erst nahe den Schläfen wieder abwärts, das ganze Gesicht ähnelt dem mongolischen Typus. Natürlich versteht Professor Woods unter Schönheit nur die Schönheit des Gesichts. In etwas späterer Zeit stellt Woods einen Fortschritt in ästhetischer Beziehung fest. Franz I. von Frankreich wählt er als Typus seiner Zeit. Dieser König hat ein Gesicht, das einen Uebergang zwischen Heinrich VIII. und den Menschen des 19. Jahrhunderts und denen der Gegenwart darstellt. Vieles hat er im wesentlichen noch gemeinsam mit Heinrich VIII., aber die Gesichtszüge sind schon seiner geworden. Augen und Augenbrauen sind nur wenig verändert, aber die Nase ist schon etwas länger und bedeutend feiner. Wieder bedeutend vollkommener ist ein Kopf, den Lorenzo Lotto gemalt hat. Der päpstliche Geheimschreiber Juliano stellt eine» weiteren Typus des menschlichen Antlitzes dar. Die Stirn ist viel breiter als bei Franz I. und Heinrich VIII. Die Nase ist wieder verfeinert, an Stelle der vollen Wangen Heinrichs VIII. und Franz I. sind seine, zarte, fast asketische Wangen vorhanden, kurz der robuste Typus des Mongolcnähnlichen ist im Begriffe, in den intclektuellen Typus der Gegenwart übcrzugehen. Für die nächste Zukunft weissagt daher Professor Woods Köpfe — er hält sich übrigens nur an die männlichen Köpfe —, die dem Schönheitsideal so nahe kommen, wie es nur möglich ist. Was aber wird dann werden? Innerhalb weniger Jahrhunderte ist die Ent wicklung zur vollendeten Schönheit in immer schnelleren Schritten erfolgt, und daher wird dem schönen Typus nach den Ausführungen von Woods nur kurze Zeit be schicken sein: der intellektuelle Typus verdrängt den ästhetischen ganz. Bei den Menschen der nicht allzu fernen Zukunft geht das ästhetische Gleichgewicht zwischen Gesicht und Schädel verloren. Die Stirn nimmt über- mäßlg viel Raum ein, die Nase wird zu klein und zu fein, der Mund zu gerade, das Kinn zu klein, und die Wangen werden eingefallen aussehen. Die Ausführungen Professor Woods sind jedenfalls interessant, dürsten sich jedoch durchaus nicht als stich haltig bewähren. Schon die ganze Methode, einen be stimmten Kopf als Ideal und Typus einer Zeit heraus zugreifen, ist willkürlich, und ebenso willkürlich erscheint die Verurteilung der hohen Augenbrauenbogen als un schön. Wem fiele gerade bei dieser Einzelheit nicht das Antlitz Friedrichs des Großen ein, mit seinen außer ordentlich hohe», von den Augen entfernten Brauen, die den philosophischen Geist verraten ? Woods betrachtet Einzelheiten des Gesichts getrennt voneinander und nennt sie schön oder unschön, ohne das Gesicht als Ganzes ins Auge zu fassen. Lokales. —* Der ^andrsverein sächsischer (sicmemdcbeiuntcn hält vom 29. bis 25. dieses Monats seine Jahreshaupt versammlung in Großenhain ab, der die Hauptversamm lung der Mobiliarbrandkasse, der Krankenkasse und der Begräbniskasse vorausgehen. An erster Stelle steht ein Vortrag des Herrn Bürgermeisters Hotop, Großenhain, Uber: „Die sächsischen Gemeinden und ihre Beamten im Wandel des 19. Jahrhunderts". Das Direktorium des Vereins hat einen Bericht über die Entwicklung und sehr beachtenswerte Tätigkeit dieser Korporation im Jahre 1912/19 erstattet. —* Postsendungen an Soldaten im Manöver. Beim Nahen der militärischen Herbstübungen wird darauf hin gewiesen, daß Postsendungen aller Art für die an den Hebungen teilnehmenden Mannschaften zur Vermeidung von Verzögerungen nicht nach den fast täglich wechselnden Marschquarticren, sondern stets nach dem Garnisonsorte gerichtet werden müssen. Auch für Sen dungen an Ossiziere ist das zweckmäßig. Weiter ist es dringend notwendig, daß auf den Sendungen die Ord nungsnummer beigesügt wird. Postanweisungen, gewöhn liche und eingeschriebene Bciessendungen sowie Soldaten pakete ohne Wertangabe bis zuni Gewicht von 9 Kilo gramm werden kostenfrei nach- und zurückgesandt. Da gegen werden die im Postwege bezogenen Zeitungen nur auf Antrag, und zwar gegen Vorausbezahlung der rieberweisungsgebühr, ins Manöver nachgeschickt. —* Es besteht vielfach die Annahme, daß bei Bier seideln die Eichung nach dem neuen Schankgefäßgesetz in Zwanzigstel ausgedrllckt sein müsse. Das ist nicht zutreffend, da das neue Eichgesetz bei Gläsern wohl die Zwanzigstelteilung des Inhalts zuläßt, nicht aber zugleich auch die Eichung in nur Zwanzigsteln vorschreibt. Die Inhaltsbezeichnung — Eiche — kann also nach dem neue» Schankgesetz auch für die Folge lauten: 0,5 oder ^/iv Liter, 0,4 oder </,o Liter, 0,9 oder -'/w Liter, 0,2 oder 2/,o Liter usw. —* Taubstumme in Sachsen. Im Jahre 1911 wurden im Königreich Sachsen nach dem „Statistischen Jahrbuch für das Königreich Sachsen" 47 taubstumm geborene, 32 in den ersten Lebensjahren taubstumm gewordene und 0 zeitlich unbestimmbare, insgesamt 84 taubstumme Kinder im schulpflichtigen Alter ermittelt, von denen 48 männlichen und 36 weiblichen Geschlechts waren. Geboren waren in den Kreishauptmannschasten Bautzen 7, Chemnitz 5, Dresden 19, Leipzig 25, Zwickau 16 und außerhalb des Königreichs 12. Vermischtes. — Wie steht es mit den Fleisäipreiscn? Die Fleisch preise sind zwar überall im Reiche und nicht minder im Auslande hoch, sie weisen aber doch an den verschiedenen Marktplätzen einen verschiedenen Stand aus. Nach der jüngsten amtlichen Statistik für die wichtigsten Städte Preußens war bestes Rindfleisch am wohlfeilsten und zwar mit 1,60 Mark für das Kilogramm in Frankfurt am M. erhältlich, 1,65 Mark waren in Graudenz und Görlitz zu zahlen, 1,70 Mark in Allenstein. Am teuersten war Altona mit 2,90; ihm folgten Potsdam, Magdeburg, Halle-Saale und Wilhelmshaven mit 2,20 Mark. Der Preisdurchschnitt war 193,3 Pfennige gegen 199,9 im Vorjahr, 183,8 in 1911; 173,8 in 1910 und 168,4 im Jahre 1909. Bestes Kalbfleisch war mit 1,70 Mark in Kottbus am billigsten, es folgen Allenstein, Görlitz und Liegnitz mit 1,75; am teuersten in Altona, wo es 2,50 Kostete, nur 10 Pfennige weniger für das Kilo wurde gezahlt in Stralsund, Harburg a. d. E. und Stade. Der Durchschnittspreis betrug 208,3 Pfennige gegen 210,4 im Vorjahre und so herab bis 179,2 im Jahre 1909. Bestes Hammelfleisch war mit 1,60 Mark in Sigmaringen am billigsten, es folgte Tilsit mit 1,68, Memel und Münster mit 1,70. Die höchsten Preise wurden gezahlt mit 2,37 in Wiesbaden, 2,30 in Kiel und Altona. Der Durchschnittspreis war 209,9 Pfennige gegen 174,3 im Jahre 1909. Bestes Schweine fleisch endlich war mit 1,60 Mark in Allenstein und Stralsund am billigsten, 1,68 kostete es in Tilsit, 1,70 in Königsberg Pr., Köslin und einigen oberschlesischen Orten; am teuersten war es mit 2,40 in Franks, a. M. und Köln, 2,20 kostete es in Aachen. Der Durchschnitts preis betrug 191,7 gegen 164,1 im Jahre 1911 und 177 Pfennige im Jahre 1909. Aus der Uebersicht ersieht man, daß die größten Städte zwar nicht die billigsten, aber auch nicht die teuersten, sondern im wesentlichen Durchschnittspreise aufweisen. — Ans Freude über eine große Erbschaft gestorben. Aus Weipert wird der „Reichenberger Ztg." berichtet: Der Tagelöhner Franz Sappe, Vater von elf Klndern, erhielt dieser Tage die Nachricht, daß ihn ein seit Jahren in Amerika lebender Verwandter, der dort ein vermögender Mann wurde und nun gestorben ist, in seinem Testament mit 200 000 Dollar bedacht habe. Sappe, ein 42 Jahre alter Mann, der bis jetzt in bitterer Not gelebt hatte, las zitternd und aufgeregt das Schreiben. Als er geendet Der Kurs ins Blaue. Eine Sommer- und Segelgeschichie von Hedda v. Schmid. (10. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) „Schade," sagte Frida, „ich hätte mir den Zwillmgs- bruder meines Tirolermärchenprinzen gern noch mal angesehen." Das war wieder eins von Hans Kurts Stiicklein gewesen, meuchlings davonzusegeln, während seine Gäste an Bord ihre Nachtruhe bis in den späten Morgen hinein verlängerten. Baron Egge behielt recht: nach zwölf wurde ein Stückchen blauer Himmel sichtbar, dann erschien auch Frau Sonne und zeigte der See und dem lieblichsten ihrer Eilande ein freundliches Gesicht. Und gleich der Taube mit dem Oelzweig nach beendeter Sintflut, stand am Ufer ein Stefansbote, schwenkte ein weißes Blatt in der erhobenen Rechten und schrie nach der Jacht hinüber: „Herta — kurländische Jacht Herta!" Jakob, der Schiffsjunge, turnte bereits nach dem Beiboot. „Um Gottes willen, doch keine Depesche? Ich fürchte immer so sehr Depeschen, besonders auf Reisen," sagte Olly und drückte ihre Hand gegen ihr ängstlich pochendes Herz. „Ich habe sie mir auf Reisen ein für allemal ver- heten", brummte der Baron. „Unglücksbotschaften erfährt man immer früh genug, und Gutes kann man auch brieflich melden." Der Brief war von Frau Inge Mellien, den Frau Lore mit ein paar Begleitworten ihrer Tochter nach gesandt hatte. „Tante Inge wohnt in Stockholm — Hotel drott, Drottningatan. Nun wissen wir doch wenigstens, wo wir sie dort aufsuchen können," sagte Olly. „Wir schreiben ihr alle zusammen eine Karte," schlug Frida vor. „Harry, du hast dich ja gestern Abend bei den Tirolern als Gelegenheitsversemacher entpuppt: also, schnell — dichte ein paar Verse, hier auf diese Rügener Karte." „Was ein zweiter Matrose auf der Jacht „Herta" nicht alles leisten muß," sagte Harry mit einem gott ergebenen Augenaufschlag. „Sozusagen Mädchen für alles muß er sein." „Hier", drängte Frida und legte eine Postkarte mit drei niedlichen Mönchsguterinnen vor ihn hin. „Die dritte hier stellst du selber vor, als Mädchen für alles. Nun dichte mal schnell, aber was recht nettes." „Als ob ich die Reime aus dem Aermel schütteln kann," protestierte Harry und kaute an seinem Feder stiel. „Das tun zunächst alle Dichter," meinte er erklärend. Nachdem er sich ein paarmal mit der Linken in komischer Verzweiflung über sein bürstenartig kurz geschorenes Haar gefahren war, kam überraschend schnell etwas zu stände: „Bravo", lobte Frida und las halblaut: „Vom Ufer klang ein lauter Schrei, Wir eilten schnell auf Deck herbei, Matrose Krischan fuhr an Land Und schwenkt ein Brieflein in der Hand. Am Kai jedoch das Publikum Stand um den Stephansboten rum. Was hat das Brieflein uns gebracht? Der Schreiberin sei treu gedacht! Wir rufen übers weite Meer Hin nach Stockholm: wir grüßen sehr!" „Nun unsere Unterschriften. Papa, du als Haupt der „Herta" unterschreibst zuerst. Wie herrlich, daß wir Frau Inge noch in Stockholm antreffen. Eigentlich solltest du Wohnung für uns im Drott bestellen, Papa." „Erst mal da sein, Fritz!" „Ach so, du meinst, wir könnten auch untergehen, Ollychen, mein Herz, mach' kein solch ernstes Frätz chen; Papa scherzt ja nur —" Olly strich sich mit den Händen über ihre Schläfen, als wollte sie etwas fortwischen. „Daran dachte ich garnicht. Ich fürchte mich vor gar nichts mehr aus der See. Eure „Herta" ist mir wie ein festes Haus, so vertraut und sicher. Nein, ich habe nur solch' eine unbestimmte Furcht, daß irgend etwas geschehen könnte, zu Hause bei uns Papa will keine Reise machen in diesem Jahr, und mein armes Muttchen soll nun den ganzen Sommer lang daheim bleiben — das betrübt mich. Und dann noch, — ach, ich weiß ja selber nicht, was mit mir ist." „Du wirst schon wieder auf frohe Gedanken kommen, Ollychen," tröstete Frida. Schau nur, die Sonne lacht, und der Wind hat aufgefrischt. Die Wellen sehen aus, wie lauter Pferdchen mit Hellen Mähnen, die ein ungestümes Rennen gegen das Ufer unternehmen." „Alles klar zum Ausbruch," rief der Baron durch die Luke in die Damenkajüte hinab. „Jawohl, Papa. Da, stecke die Karte an Frau Inge in die Tasche deines Havelocks. Die wollen wir ja gleich aus Binz absenden." Der „Pfeil", das kleine, flinke Dampfboot, legte an der langen Brücke bei Binz an. Olly Wendhagen hatte auf der erfrischenden Fahrt wieder frische Augen bekommen. Nun wanderte man durch den köstlichen Buchen wald nach dem fürstlichen Jagdschloß, dessen hoher, runder Turm den Reisenden, die mit dem Zuge von Saßnitz nach Stralsund fahren, einen letzten Gruß von Rügen aus hinüberwinkt. Unter einer Art von Schuppen auf dem Platz vor dem Jagdschloß harrten der Ausflügler Tische, an denen Kaffee und Kuchen und sonstige Erfrischungen serviert wurden. Als die drei Jungen die Wendeltreppe, die aus der mit seltenen Geweihen geschmückten Halle des Schlosses zum Aussichspunkt auf dem Turme führt, emporgestiegen waren, besann sich der in beschaulicher Ruhe bei einem Schoppen Bier drunten gebliebene Baron Egge auf die Karte an Frau Inge Mellien, die Frida ihm zur Beförderung anvertraut hatte. Wo in des Kuckucks Namen steckt die nur? Ec suchte in allen seinen Taschen, aber die Karte war verschunden. „Daß dich," fluchte der Baron. Er liebte es nicht, für vergeßlich zu gelten. „Na, dann schreibt man eben einen zweiten poetischen Wisch," beruhigte er sich nach vergeblichem Suchen. Frida aber war sehr aufgebracht. Harrys Verse durften Frau Inge nicht verloren gehen. Sie bestand darauf, daß Harry sich seiner Verse entsinne, damit eine Karte genau des gleichen Inhalts wie die ver lorene aus der Granitz nach Stockholm abgehen konnte. -1- * -ir Zwei elegante Schläge machte die „Herta" — mit dem dritten strich sie in einem wundervollen Bogen zum Saßnitzer Hafen hinaus, beschrieb eine scharfe Kurve und fuhr mit vollem Winde dieselbe Strecke, die sie soeben durchmessen hatte, nun außerhalb der Molen zurück. Es war hoher Nachmittag. Die See war unruhig — wie eine Möve schoß die