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Beilage zu Nr. 92 -er Sächsischen Elbzettung. Schandau, Sonnabend, den 2. August 1913, ks;- mid MttÄrhtiln dti Llh«ltjn)ki». Diele Mütter glauben, ihren Kindern etwas Gutes anzutun, wenn sic deren Fröhstilcksbrot mit Braten, ge kochtem Ti, »Ut Schinken oder Wurst belegen. Sie meinen, diese Kost kräftige die Kinder, besonders die kleinen, schwachen und blutarmen. Aber die Miitter tun damit das Verkehrteste, denn Kindern ist nur gedient mit einer möglichst reizlosen und nährsalzreichen Kost. Nicht Fleisch und Eier sind das richtige zum Frtthstttcks- brot unserer Schulkinder, sondern ein paar Aepfel oder Birnen, ein paar Feigen, Bananen oder Nußkerne oder ein Glas Milch, das jetzt in vielen Schulen siir wenige Pfennige zum Frühstück verkauft wird. Und will die Mutter noch etwas ganz Besonderes tun, so mag sie höchstens die Butter etwas dicker streichen als sonst. Früchte und Nüsse ^kräftigen" das Kind weit mehr als die eiweißreiche Fleichzugabe, sie enthalten vor allem die für die richtige Blutmtschung, fürs körperliche und geistige Wohlbefinden, für Nerven- und Gehirnarbeit so nötigen Mineralien. Nahezu ideal in dieser Beziehung war die Ernährung der früheren Dorsjugend; vor Schulbeginn gab es eine Milch- oder Mehlsuppc, für die Frühstücks pause eine derbe Schwarzbrotschnitte mit Quarck, Honig, Pflaumenmus, Sirup oder Leinöl, mit Schnittlauch, Scharfgarbe oder Brunnengresse. Auch Radieschen, Möhren und Stoppelrübcn, Aepfel, Nüsse und Back pflaumen waren, je nach der Jahreszeit, bei den Buben und Mädeln sehr beliebt. Kleidertorheiten finden wir fast nur bei den Mädchen. Zwar ist das enge Strumpfband, das den Blutumlaus erschwerte, glücklicherweise verschwunden; auch die Zimpel fransen und die hohen „Frisuren", die den Zwölf- bis Vierzehnjährigen das Aussehen von frühreisen Achtzehn jährigen gaben, sieht man immer seltener. An ihre Stelle ist wieder der langgctragene oder rund um den Kopf gelegte Zopf getreten, der den Mädeln den Ausdruck des Natürlichen, kindlich Schlichten, Frischen bewahrt. Aber das enge Schnürleibchen, das die Entwicklung wichtiger innerer Organe unheilvoll unterbindet, und der spitze Stöckelschuh, der den Gang, das Wachstum und die natürliche Schönheit des Fußes beeinträchtigt, werden heute noch nicht bloß geduldet, sondern von einzelnen Müttern sogar gefördert. Auch sonst sind manche unserer Schulmädchen, be sonders aus dem wohlhabenden Mittelstände, schon recht damenhaft eitel. So treiben schon ganz kleine Krabben einen bedenklichen Luxus mit Haarschleifen, und die Zu mutung, für die Schule eine Schürze umzubinden, wird von ihnen beinahe als Beleidigung empfunden. Selbst recht natürliche und von Haus aus schlicht erzogene Mädchen machen zuletzt solchen Unsinn mit, weil sie sonst von den andern eitlen Dingern nicht für voll angesehen werden. Zu Hause gibts nicht selten Zank und Tränen, weil die Kleine unbedingt auch breite Atlashaarschleifen haben will, wie diese oder jene Freundin, die es am wenigsten nötig hätte. Und weils nun heutzutage einmal so ist, weil das Töchterchen nicht totunglücklich gemacht werden darf, macht manche Mutter diese Moden mit. Wir brauchten drrartige „Kultur"-Erscheinungen, di? aus den ersten Blick mehr komisch als tragisch wirken, nicht weiter ernst zu nehmen, wenn uns nicht der Gedanke störte, daß aus diesen Mädchen einmal Frauen und Mütter werden sollen. M. Breitfeld. Lokales. —* Das Pribatvmnögkn in Sachsen hat nach der neuesten amtlichen Statistik einen hohen Entwickelungs gang erreicht. Das bewegliche Privatreinoermögen, so weit es der Ergänzungssteuer unterliegt, beziffert sich bei der sächsischen Bevölkerung aus insgesamt 9,3 Milliarden Mark, das sind 1959 Mark auf den Kopf der Einwohner. Insgesamt versteuern 125 80 t eingeschätzte Personen ein Vermögen von Uber 12 000 Mark, und zwar 44 690 Personen 12- bis 20 000 Mark, 45 978 Personen 20- bis 50 000 Mark, 18 282 Personen 50- bis 100000 Mark, 14 584 Personen 100- bis 500 000 Mark, 1498 Personen 500000 bis 1000000 Mark und 818 Per sonen über 1000 000 Mark. Unter den 818 Millionären in Sachsen befinden sich 88 echte Multimillionäre mit mindestens süns Millionen Mark und insgesamt 279 Millionen Mark, sodaß im Durchschnitt 7,8 Millionen Mark aus jeden kommen. Rechnet man zu dem beweg lichen Prioatreinvermögen von 9,8 Milliarden Mark noch den gesamten Wert an Grundstücken und Gebäuden, der nach privaten Untersuchungen sich aus etwa 6 Mil liarden Mark beläuft, so ergibt das mit Einschluß von etwa 1,5 Milliarden Mark Linlegcrguthaben an Spar kassen mindestens 16 bis 17 Milliarden Mark Gesamt privatoermögen. Bei nur 8prozentiger Verzinsung würde die Summe rund 500 Millionen Mark einbringen. —* Schlechte Jagdeegebnissc in Sicht? Der naßkalt begonnene Sommer scheint der Entwickelung des jungen Wildes nicht förderlich zu sein. So wird berichtet, daß mehrfach junge Rebhühner, die dem Gelege noch nicht lange entschlüpft waren, infolge von Nässe und Kälte verendet aufgcsundcn wurden. Dem zweiten Satz Jung- Hasen ist es nicht besser gegangen. Auch hier wurden verheißungsvolle Löffelmänner erstarrt und verendet auf gefunden. Ganz enormen Schaden unter dem Wild- bestande aber richten die Mähmaschinen an. Da diese immer engere Kreise um ein Grundstück ziehen, weiß das Wild nicht, wohin es fliehen soll. Es hört wohl das Klappern der Maschine, da sind aber auch schon die heimtückischen Messer da und schneiden es tot oder zum Krüppel. So sind bei Pößneck auf einem Ritterguts grundstück von 20 Morgen Luzerne 7 Hasen, 2 Fasanen und 14 Rebhuhngelege dem Messer zum Opfer gefallen, obwohl der Pächter zuvor das Stück mit Hunden ab gegangen war, um die Tiere zum Ausstiegen zu veran lassen. Den brütenden Hennen wurde auf dem Nest der Kopf abgeschnitten. —* Ueber Eisenlnihnbrülkenanlagen in Sachsen wird zu der kürzlichen Notiz noch mitgeteilt, daß es bei den sächsischen Staatseisenbahnen 1510 Brücken, darunter 585 mit mehr als 10 Meter Spannweite, und 187 Viadukte gibt. Diese haben eine Gesamtlänge von 25 Kilometer. Unter diesen Kunstbauten befinden sich ganz bedeutende Anlagen, von denen die höchste der Göltzsch- tal-Viadukt bei Netzschkau mit 79 Meter Höhe ist; es folgen der Llstertal-Madukt bei Iocketa mit 68 Meter der Muldental-Diadukt bei Göhren mit 67 Meter, und der Viadukt Diedenmühle bei Waldheim mit 52 Meter Höhe. Der Länge nach folgen die Eisenbahnbrücken in folgender Weise: die Viaduktbauten bei Königstein mit 898 Meter Länge, Neissetal-Viadukt bet Zittau 749, Viadukt bei Röderau 648, Göltzschtal-Viadukt bei Netzschkau 574, Viadukt bei Burgstädt 424, Muldental- Vindukt bei Göhren 418, Viadukt bei Putzkau 401, Muldenbrückc bei Wurzen 884, Viadukt bei Chemnitz 878, bei Eger 849 Meter. Bemerkenswert ist ferner die größte massive schiefe Brücke, d. i. der unter 58 Gr. zur Flußrichtung erbaute Muldenviadukt unterhalb Niederschlema, der 180 Meter lang ist und 6 Oeffnungen bis zu 38 Meter Spannweite hat. Außer diesen zahl reichen, zum Teil bedeutenden Eisenbahnbriickenanlagen gibt es in Sachsen noch 41 Eisenbahntunnels von einer Gesamtlänge von 6,90 Kilometer. Von diesen Tunneln befinden sich allein 7 aus der 15 Kilometer langen Strecke Schandau—Sebnitz. Zu den längsten Tunneln gehören der bei Niederau mit 513 Metern, bei Wendisch fähre mit 377, bei Altenburg mit 375, bei Elsterberg mit 375 und bei Niederschlema mit 347 Metern. —* Eine trübe Statistik. Nach einer soeben ver öffentlichten Statistik sind im Jahre 1911 in Preußen 16 810 Menschen tödlich verunglückt (gegen 15 112 im Jahre 1910). Unter den Opfern befinden sich 13 351 Angehörige des männlichen und 3459 Angehörige des weiblichen Geschlechts. Unter den verschiedenen Arten der Verunglückungen steht in erster Linie das Ertrinken mit 3740 Fällen, dann folgen Sturz mit 3404, Ueber- fahren mit 2715, Verbrennen und Verbrühen 1746 und Verschütten und Erschlagen mit 1405. Weiterhin starben 602 Menschen an Hitzschlag (1910 waren es nur 45), 256 Menschen wurden von Autos totgcfahren, 73 fielen vom Fahrrad und kamen dabei ums Leben und endlich sanden im Lustsport 10 Personen den Tod. —* Freit UrlaubSrciscn für Soldaten. Die neue Heeres. Vorlage hat für unsere Soldaten eine erfreuliche Neuerung gebracht. Nach den erlassenen Bestimmungen kann allen Soldaten vom Feldwebel abwärts jährlich eine freie Ur laubsreife in die Heimat oder zum Besuch der Eltern oder nächsten Angehörigen bewilligt werden. Diese Ver günstigung erstreckt sich auf alle Eisenbahnen innerhalb Deutschlands und tritt am 1. Oktober in Kraft. —* Die ersten Drachen. Kaum stehen die ersten Puppen auf dem Felde, so steigen auch wieder die Drachen, jene am Bindfaden gefesselten „Flieger", dit die Jugend so gerne steigen läßt. Der Anblick wecke das wehmütige Gefühl, daß die Jahreszeit doch schon recht weit vorgeschritten ist, und die jetzige Kühle Witterung, die garnicht als Erntewetter passen will, weckt vorzeitig die Herbststimmung. —* Die Bicrpreise werden in Böhmen erhöht, und zwar voraussichtlich schon in nächster Woche. Die Bier auflage in Böhmen war früher mit 1,70 Kronen be messen, während jetzt eine Auflage von 4 Kronen ein gehoben werden wird. Da das frühere Landesgesetz be fristet war, und ein neues Gesetz nicht zustande kommen konnte, gelangte die Bierauflage nicht zur Einhebung. Der Kurs ins Blaue. Eine Sommer- und Segclgeschichlc von Hedda v. 2 chmi d. (7. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) „Halt, das wäre ein richtiger Fahrgast," dachte Hans Henning, er hatte noch gestern das Reuternsche Buch auf Susis Büchertisch in ihrem Salon liegen sehen. Er rückte denn auch sofort mit einer Einladung heraus: „Sie haben doch Zeit und Lust, nicht wahr?" drang er liebenswürtig in den ein wenig mit seiner Antwort Zögernden. „Also abgemacht. Sie sind unser lieber Gast an Bord. Auch meine Frau wird sich freuen, Sie kennen zu lernen. Sie hat ihr Buch gelesen. Ich setze voraus, daß Sie die See lieben. Ich tue das nämlich in naiver Weise bei allen Menschen," fügte Hans Kurt lachend hinzu. „Bei mir trifft Ihre Voraussetzung vollkommen zu," erwiderte der junge Gelehrte, und seine etwas tiefliegenden dunklen, sympathischen Augen leuchteten auf bei seinen Worten. „Ich bin an der See aus gewachsen. Ich danke Ihnen vielmals, Herr von Henning — ich komme selbstredend mit Freuden." Und Bruno Reutern gedachte der Zeit, wo er als -vierter Bube eines reich mit Kindern gesegneten Strand pastors in Pommern barfuß auf den Dünen umher gelaufen und öfter mit den Fischerbauern hinausgesegelt war, um Netze auszustellen oder einzuholen. „Ich habe Bruno Reutern, dessen Buch über die Sterne im Weltall, wenn ich nicht irre, dein Interesse erregt hat, aufgefordert, uns auf unserer Segeltour zu begleiten, es ist dir doch recht so, Susi," sagte Hans Kurt beiläufig und leichthin, in einer Art von unklarem Schuldbewußtsein zu seiner Frau. Er wollte ja vor sich selber nicht wahr haben, daß eine absolute Einsamkeit zu Zweien an Bord in schreckte. „Aber natürlich," erwiderterte Susi mit ihrer gewohnten Kühle. Die Enttäuschung, die aus dem Ton ihrer Stimme hervorklang, entging ihm. Und nun befanden sie sich unterwegs. Im letzten Moment hatte Hans Kurt seine Absicht, der Regatta in Swinemünde beizuwohnen, aufgegeben. Es war eine Laune von ihm, daß er plötzlich nach Saßnitz aufbrach, an einem Freitag sogar, der alten Seemannsregel zuwider. In Swinemiinde hatte er Bekannte getroffen, Berliner, und sie aufgefordert, bis nach Rügen, wohin sie ohnehin wollten, mitzusegeln. Susi kannte die Herren kaum. Ein Professor mit einem langen Patriarchenbart war's und ein Kunst maler, der hauptsächlich Marinen produzierte. Nach einer raschen Fahrt wiegte sich am Sonnabend frühmorgens Hans Kurts scheeweiße, schmucke Jacht im Saßnitzer Hafen. Hans Kurt hatte die ganze Nacht selber am Steuer gesessen. Er liebte das. Seine Frau und seine Gäste schliefen, hatten die ganze herrliche Fahrt bei Mond- und Sternenschein unter Deck verbracht. Hans Kurt betrachtete dergleichen als eine Sünde. Ja, er war einmal ganz wie ausgewechselt. Susi hatte ihn während der letzten Tage wieder holt befremdet angeschaut. Aber je ungezwungener und vergnügter er sich gab, — es war nun eine völlig andere Art von Lebensfreude, die sich hier in seinem Wesen offenbarte, etwas beinahe kindlich Frohes — um so stiller und wortkarger wurde sie selber. Es machte den Eindruck, als langweile sie sich sträflich auf dieser Reise. In Swinemünde war sie nur halbwiederstrebend von Bord gegangen. Sie hätte sich lieber, einen weißseidenen Sonnenschirm geschultert, in der Sonne auf Deck in einen Liegestuhl gestreckt, gelesen oder vor sich hingeträumt. Sie entzückte sich auch den anderen gegenüber mit keiner Silbe über das Meer; ganz gleichgültig schien sie. Hans Kurts Spekulation mit Bruno Reutern als Gesellschafter war ebenfalls fehlgeschlagen. Der junge Mann verfügte über keine glänzende Unterhaltungs gabe, nur mit der Feder verstand er es, zu Lvort zu kommen und zu fesseln. Und Susi gab sich keine Mühe, etwas aus ihm hervorzulocken. Diese Indolenz seiner Gattin brachte Hans Kurt zuweilen innerlich aus dem Häuschen, war aber doch nicht imstande, ihm auf die Dauer seine strahlende „Seelaune" zu verderben. Nachdem die Jacht unter seiner speziellen Aufsicht in «saßnitz Anker geworfen hatte, schleuderte Hans Kurt, mitten auf Deck stehend, sein Oelzeug von sich und reckte seinen Oberkörper, den der weiße Sweater eng umspannte, voller Wohlbehagen. Nun würde er gleich die anderen wecken, diese Schlafratten Es war doch wahrlich haar sträubend, diesen köstlichen Morgen in der Kajüte zu verbringen .... Herauf auf Deck mit ihnen, und vor allem — heißen, starken Kaffee herbei! Er selber dachte nicht daran, die versäumte Nacht ruhe nachzuholen. Seine Gesundheit war eisern. Wie er da in der Sonne stand, sich so wohlig dehnte und die Muskeln an seinen Armen straffte, öffnete sich eine Kajütenluge auf einer Nachbarjacht, die so nahe verankert war, daß man sich bequem von Deck zu Deck hätte unterhalten können, und zwei Mädchen köpfe, — ein brauner und ein blonder — kamen zum Vorschein. „Du, Olly, schau, da liegt neben uns eine fremde Jacht, die war gestern abend noch nicht hier. Guck mal, wie komisch: die „Schwarze Suse" heißt sie, und dabei weiß wie frisch gefallener Schnee. „Komisch, was? So, nun wollen wir oen Kaffeetisch decken," fügte sie laut hinzu. „Ostpreussinnen," stellte Hans Kurt im stillen fest. Die Sonne blendete. Frida Egge schützte mit der Hand ihre Augen, schaute noch einmal neugierig zur „Schwarzen Suse" hinüber und glaubte, den Mann auf Deck zu erkennen. Sie tuschelte Olly etwas ins Ohr. Hans Kurt lächelte und konnte sich nicht sogleich von dem hübschen Anblick der beiden jungen Damen, die dunkelblaue Röcke und weiße Sweater trugen, trennen. Wie allerliebst und frisch sie aussahen. Wer die Hübschere der beiden war, die Blonde oder die Braune, fiel ihm schwer, zu entscheiden, sie waren alle zwei zum Anbeißen. Wenn Susi doch auch mal so herz erfrischend lachen wollte .... Mit ihren zweiund- zwanzig Jahren betrug sie sich wie eine würdige Matrone. Als Mädchen hatte ihm der sinnende Ernst in ihrem Wesen gefallen. „Ich werde sie schon aufpulvern, wenn sie erst meine Frau geworden ist," hatte er sich gesagt. Aber das Aufpulvern hatte er sich viel zu leicht vorgestellt. So etwas unendlich Ehrpußliches hatte die junge Frau bei all' ihrem Chick und ihrer Eleganz.