Volltext Seite (XML)
Beilage zu Nr. 74 -er Sächsischen Elbzeitung. Schandau, Sonnabend, den 21. ^uni 1913, den Bergen am Ufer der Elbe. Die Schönheiten der Sächsisch-Böhmischen Schweiz. Zu Beginn der diesmaligen Sominersaison mar in einzelnen Tagcsblättern verschiedentlich die Rede von „nationalen Reisezielen" — ein Thema, das im Grunde genommen wert ist, alljährlich zu Anfang der Reisezeit stets wieder auss neue aufgcgriffen zu werden. Ist es doch — so möchte man meinen-- nahezu eine Nationaleigen schaft des Deutschen, und nicht gerade eine gute, das Fremdländische zu verherrlichen, das Schöne mehr im Ausland zu suchen und die Reize der näheren Heimat gegenüber solchen jenseits der Landcsgrenzen hintan zu sehen. Erfreulicherweise hat es in den letzten Jahren fast den Anschein, als ob sich auch in dieser Hinsicht eine Wandlung in den Ansichten, zwar langsam aber doch nach und nach, vollzieht, besonders nachdem die Wanderlust wieder mehr Eingang in der Jugend gesunden hat, nach dem die Kenntnis von den Schönheiten unserer näheren Umgebung durch Wort und Bild, durch Schrift und Mund in immer weitere Kreise gedrungen ist. Wer hätte noch vor wenigen Jahren an die damals vielbelächelten Reize der allernächsten Gebiete um Berlin, an die so eigenartig vielseitige Natur der „öden Sandwiiste", wie man sich stets die Mark Brandenburg vorgestellt hatte, geglaubt; wer hätte daran gedacht, Fontanes Dichtungen über die Schönheiten der Mark, das; Liebermanns Bilder aus den idyllischen Partien des vielbespöttelten Grunewalds nur Wicderschein bedeuten angesichts der gar so verkannten Ueberraschungcn in den Landschastsbildern der märkischen Sandwiiste . . . Wem aber diese Naturschönheiten noch zu gering er scheinen sollten, wen die Bergesriesen des Südens und besonders des Auslandes im Süden hinablocktcn, der musste oftmals beim Durcheilen der deutschen Lande im ratternden Schnellzuge die für ihn wohl überraschende Beobachtung machen, das; cs doch auch gar reizvolle Gegenden sind, die man wie im Fluge allzu schnell an sich vorübcrzichcn sieht, das; die Thüringer Lande, der Harz, der Schwarzwald, der Rhein usw. nicht nur selten schöne Landschaftsbilder, sondern auch ganz respektable Partien sür Bergwanderer aufweisen, die wert sind, durch wandert zu werden, selbst wenn sie keine Glctscherriescn sind, und im heistcn Sommersonnenschein die Naturwunder des ewigen Schnees darbietcn. Und besonders aus der Fahrt über die schwarz-gelbe» Landcsgrenzen wird man oftmals von Dresden aus Landschaftsszenerien, wenn auch nur auf Augenblicksmomentc, vom Zug aus entdecken, die uns zuzurufen scheinen: Sind wir nicht wert, daß man uns mehr als Sekunden des Vorbeirasens widmet, sind wir nur Stiefkinder im Sommerverkehr der deutschen Erholungssuchcnden, eben — weil wir in deutschen Landen gelegen sind? Aber noch mehr wird man von den Schönheiten der Sächsisch-Böhmischen Schweiz gepackt, wenn man dem Laufe der Elbe folgt, die sich hindurchwindet durch steile, schier unüberwindbare Felsen, die sich erst mühsam ein eigenes Flustbrett graben mußte und damit gar so cigen- «rtigc Felsgcbilde schaffen konnte, wie sie eben nur das Der Kurs ins Blaue. Eine Sommer- und Segelgeschichte von Hedda v. Schmid. (1. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) Das Kind erhielt eine vortreffliche Wärterin, nach her ein Fräulein, die es zur Schule führte. Die Mutter hatte eigentlich nur verstohlen Zeit für ihr Kleinchen. Als Olly dann zu verwildern begann, und die „Fräulein" allmonatlich wechselten, entschloß sich Frau Lore dazu, die Zehnjährige in eine Pension zu geben. Nun war Olly seit einem Jahr zu Hause und ging mit Tante Inge Mcllien, die Witwe, reich nnd wie alle Welt behauptete, „entzückend" war, in Gesellschaft. Professor Wendhagen haßte geselligen Verkehr — seit langer Zeit arbeitete er an einem großen, wissenschaft lichen Werk. Das war seine Lebensarbeit, sein Lebens inhalt, alles andere, was nicht damit zusammenhing, war für ihn Nebensache. Er sprach mit seiner Frau über seine Arbeit, in der sie merkwürdig gut Bescheid wußte, denn sie hatte ein vorzügliches Gedächtnis. Daß sie im Geheimen diese sich anhäufenden Manu skripte haßte, ahnte ihr Gatte zu seinem und ihrem Glücke nicht. Doch in der Seele ihres Kindes wußte Frau Lore nicht Bescheid. So lieb und zärtlich Olly auch gegen ihre Mutti war, es stand immerhin etwas Fremdes, Trennendes zwischen ihnen beiden. Inge Mellien z. V. oder Frida Egge auf Littgallen, das gleich hinter der russischen Grenze lag, Ollys heiß geliebte Pensivnsfrcundin, wußten sie viel besser zu nehmen, als die eigene Mutter. Frau Lore hatte mit der Zeit äußerlich alles Mütter liche in ihrem Wesen verloren — man hätte sie für die ältere Schwester ihrer Tochter halten können . . . Und dabei war sie wie geschaffen zu einer reichen Mutter und hatte sich früher in Sehnsucht nach größerem Kindersegen verzehrt. Vielleicht hätte sie sich auch dann ihr Frauen- und Mutterrecht gewonnen und wäre aus der Studierstube, aus der Umgebung toter Buch stabenweisheit in die Kinderstube, in das lebendige, geräuschvolle Leben gegangen. Nun hielt die Macht der Gewohnheit, nicht mehr ausschließlich die Zuneigung zu ihrem Gatten, sic auf ihrem Posten. Zuweilen dachte sie an die Worte der Frau eines Kollegen des Professors, mit der sie früher verkehrt Elbsandsteingebirge auszuweisen in der Lage ist. Für die Erschließung dieses viel verkannten und doch so selten schönen Teils deutscher Erde hat die Sächsisch-Böhmische Dampsschiffahrts-Gcsellschaft wesentlich beigetragen, indem sie durch ihre ständigen Sommerfahrten von Dresden aus quer durch die abwechslungsreichen Landschaftsbilder bis tief in die böhmischen Lande hinein alljährlich Millionen von Erholungsuchenden Stunden seltenen Naturgenusses verschafft, die weiterleben im Innern eines Jeden, der sich in der heutigen schnellebigen Zeit überhaupt noch Sinn sür die Schönheiten der Natur bewahrt hat. Und mancher Spötter, der sich anfangs fast genierte, im Freundeskreise die Sächsische Schweiz als sein Reiseziel zu bezeichnen, wird bald ergriffen sein von der Vielgestaltigkeit der Naturbilder, von den prächtigen Landschaftspartien am Ufer der Elbe, und sicherlich gern Gelegenheit nehmen, die vielfach immer noch bestehenden unrichtigen Ansichten Uber die Schönheiten dieser näheren Umgebung aus Grund seiner eigenen Erlebnisse zu wandeln. Nicht nur die Reize der Heide in dem blauen Erika- gewande, nicht nur die schier undurchdringlichen Wälder mit ihren durch die Vielgestaltigkeit besonders interessanten Baumgruppen, nicht nur die reißenden Berggewässer und ihre in seltener Ruhe daliegenden dunkelgrünen Bergseen, sondern noch mehr die außerordentlich vielseitigen Fels bildungen geben der Sächsisch-Böhmischen Schweiz ein eigenes Gepräge und vereinen fast die Wunder des Hoch gebirges mit den Reizen der Heide, die Schönheiten des Waldes mit dem ewigen Schweigen der starren Felsen in Wolkenhöhen. Und alle diese Eigenarten dieses Ge birgszuges sind für den Wanderer in gar so bequemer Weise zu genießen; gut gehaltene und bequeme Wege führen an steilen Bergabhängen vorüber bis hinauf in Gegenden, die in jeder Hinsicht einen alpinen Charakter tragen, lassen selbst für Kranke, denen eine Alpenwanderung gar zu beschwerlich erscheint, mehrstündige Bergpartien zu leichten Spaziergängen erscheinen — kurz, die Beschwer lichkeiten des Hochgebirges treten hier vollständig zurück, und doch ist der Eindruck angesichts des steten Wechsels in der Natur der gleiche packende, wie in den Bergen der Alpenwelt von tausend Metern und darüber. Aber auch sür den Kraxler bieten sich Gelegenheiten zu Vorübungen sür seine späteren Hochgebirgstouren; gibt es doch gar manche Bergpartien selbst in der Sächsischen Schweiz, die nur mit Seil und Picke erklommen werden können, die schwere Absturzgefahren auch für denjenigen bedeuten können, der sich leichtsinnig auf derartige Kletterkünste einläßt und glaubt, daß diese Zwerge unter den Bergen sür ihn mit Leichtigkeit zu überwinden seien. Von gar vielen späteren Hochgcbirgstouristen ist die Sächsische Schweiz als erste Uebungsstätte benutzt worden, an deren Felsen sic die ersten Wagnisse in Ueberwindung schwieriger Bergpartien unternommen hatten, an der sie ihre Kräfte erprobten und stählten für die zukünftige Bewältigung der Bergesriesen im Alpenlande. Und ein wie freundlicher Menschenstamm ist es, den man beim Durchwandern der Sächsischen Schweiz erst so recht kennen lernt, unter dem man sich gar bald heimisch fühlt und gern fröhlich ist in der zwanglosen Gcmütlich- hatte. Jene Frau hatte „fünfzehn" lebendige Kinder, und ivar immer fröhlich nnd geistig angeregt und anregend. „Wie reich Sie sind," hatte Frau Lore mit einem Blick voller Neid gesagt. „Ja, und es sind lauter „gewollte", lauter mit Liebe begrüßte Kinder," hatte die andere mit mütter lichem Stolz erwidert, „nicht war, das will etwas sagen in einer Zeit, wo jeder neue Familienzuwachs mit offenen und heimlichen Klagen erwartet wird." Diese Worte gingen Frau Lore oft nach. Sie hätte weinen mögen, daß sie dann so neidisch wurde in ihren Gedanken. Nun war ja Olly wieder da, aber doch wie eine Fremde im Elternhause, wie ein liebenswürdiger Gast, mit dem keine Umstände gemacht werden, der aber trotzdem nicht recht warm zu werden vermag. Frau Lore haßte die Sunden, in denen sie „Dienst" hatte in der Studierstube. Auf Olly Bettrand sitzend, an diesem sonnigen Sommermorgen, dachte sie daran, daß sie bald hinauf müsse, der Professor liebte es, daß sie selber ihm sein Frühstück brachte. „Mutti" rief Olly, nachdem sie die erste Seite des Schreibens überflogen hatte, „nein — denke nur, wie himmlisch, sie kommen, die Frida und ihr Vater, der Varon Egge, der liebe, prächtige, alte Herr. Sie kommen mit der „Herta" nach Swinemünde —" „Herta! Wer ist denn das?" „Die neue finnländische Jacht, die Fridas Vater sich gekauft hat. Und höre nur, Mutti, nun kommt das allerschönste: ich soll mitreisen! Sie wissen noch nicht genau, wie weit sie segeln, nach Rügen jedenfalls, vielleicht gar nach Schweden. Sag', Mutti, ist das nicht himmlisch — himmlisch?" Olly zappelte förmlich vor Freude, so daß das Kistchen mit den Eidechsen und der Schlange umkippte und plötzlich alle Tierchen auf der Bettdecke krabbelten. Nun sprang Frau Lore mit einem lauten Schrei auf — gleich darauf läutete die elektrische Klingel Sturm. „Um Gottes willen. Papa ist gestört worden!" rief sie erschrocken. Es klingelte nochmals heftig, und sie eilte wie gehetzt hinaus. Olly war so vergnügt, daß sie gar keinen Schreck über die gestörte Arbeitsruhe ihres Vaters empfand. Sie drückte die Eidechsen nacheinander zärtlich an ihre keit der dortigen Bewohnerschaft. Nicht umsonst spricht man von der Gemütlichkeit im Sachsenlande. Ueberall freudige Aufnahme, überall herzliche Grüße werden dem Fremden zuteil, der auf einsamen Pfaden die abwechslungs reichen Naturszenerien durchwandert; gar bald fühlt er sich sicher im Kreise einer solchen Umgebung, freut sich mit an der harmlosen Ausgelassenheit seiner dortigen Lands leute. Nichts von Unsicherheit, nichts von Unruhe wird er angesichts einer solchen Umgebung spüren; er wird sich gar bald eins fühlen mit den braven Leuten dort unten im sächsischen Lande, in dem sich noch nichts von anti deutschen Bestrebungen des Tschechentums zeigt. Mög' er nun im kleinen Dörslein oder im einsamen Gebirgs haus Unterkunft gesunden haben, oder aber auch in den sich immer mehr zu modernen Kurorten entwickelnden Hauptverkehrspunkren der dortigen Gegend seinen festen Standort ausgewählt haben, um von dort aus in Streif- zügen die besonderen Sehenswürdigkeiten der Sächsisch- Böhmischen Schweiz kennen zu lernen, überall wird er gar bald Anschluß finden an Gleichgesinnte, die ebenso wie er, nicht luxuriöses Badeleben suchen, sondern Er holung finden wollen im Genuß der Natur, in frischer Waldesluft und in Bergeshöhen. Und doch ist auch für verwöhnte Gemüter gesorgt; der Mittelpunkt des Touristenverkehrs, das so reizend an der Elbe und im Kirnitzschtale gelegene und vom Baumgrün überragte Schandau, kommt allen An forderungen nach und birgt in seinen Kurlisten Namen von bedeutsamen Gästen. Und wie gut man daran tut, die Sächsische Schweiz als Bringerin der Gesundheit und Erholung der vom Großstadtlärm aufgeregten Nerven aufzusuchen, zeigt sich gar bald; Lunge und Herz arbeiten ruhiger, der Schlaf bringt wirkliche Erfrischung dem Körper nach den Spazier gängen im Waldesgrün, man atmet freier und frischer und fühlt nichts mehr von „aufgcpeitschten Nerven" in der Stille der Berge am User der Elbe. Sollen wir nun noch im einzelnen all' die Neizpunkte aufführen, die die dortige Gegend in so überreicher Zahl darbietet? Sollen wir der besonders bemerkenswerten Bergpartien am Ufer der Oberelbe gedenken, an deren Füßen uns der schmucke Dampfer der Sächsisch-Böhmischen Dampf schiffahrtsgesellschaft in einer ruhigen Erholungssahrt vor überträgt und deren Höhen wir gar bald und ohne Mühen und Beschwernisse bestiegen haben werden, um von dort aus weite Ueberblicke Uber das prächtige Stück Erde zu gewinnen, das sich an den Grenzen zweier Kaiserreiche den Naturfreunden ausgetan hat. Dieromantisch wilden Bergpartien der Edmundsklamm, die alpinen Schönheiten des Prebischtors, die Abhänge der Bastei, die schroffen Felsen der Schrammsteine, die waldbedeckten Höhen der Winterberge — all' das sind nur einzelne charakteristische Merkmale aus der Fülle der Naturwelt, wie sie sich in der dortigen Gegend uns offenbart und wie wir sie immer mehr kennen und schätzen lernen sollten. Nicht Nationalpatriotismus ist es, der uns veran lassen sollte, immer wieder auss neue auf die Sächsisch- Böhmische Schweiz als Touristen- und Erholungsland aufmerksam zu machen, sondern vielmehr die Erkenntnis, Brust, bevor sie sie in ihren Behälter zurücklegte. Dann las sie in Muße den Brief zu Ende: „Also mache dich bereit, Olly, nach einer Woche sind wir — bei günstigem Segelwind — bei Euch, d. h., Papa und ich natürlich, die „Herta" ankert in Swinemünde. Erst amüsieren wir uns in Berlin, dann geht es weiter. Ich als Strandkind liebe die See ja über alles, aber auch Du wirst sie so recht lieben, Olly, wenn Du sie erst sozusagen von Angesicht zn Angesicht schauen wirst. Die Tanten in unserer Verwandtschaft schlagen die Hände über den Kopf zu sammen vor Entsetzen, daß Papa mich auf eine so weite Segelfahrt mitnimmt. Die Gräfin Egen, die Schwester meiner seligen Mama, kam eigens von ihrem Gut zu uns herüber, um Papa ins Gewissen zu reden. Sie verlangte, daß ich sie nach Karlsbad begleiten sollte. Papa lachte nur und sagte in seiner ungeschminkten Weise: „Der Fritz" (so nennt er mich ja oft) „kann zur Not auch einen tüchtigen Sturm auf See vertragen." Du, Olly, ich freue mich so sehr, daß ich fürchte, krank zu werden, und daß es dann nicht zur Reise kommt, am Ende. „Herta" ist ein feines Geschöpf, ich behaupte immer, daß sie eine Seele hat . . . Und das eine kleine Beiboot ist süß, wie ein Baby im Sonntagsstaat. Ich nenne das kleine Ding auch „Baby". Wie eine Nußschale ist cs, nur zwei Personen haben bequem darin Platz, aber es kippt nicht um — es ist nach Papas eigenen Angaben gebaut worden. Und Papa versteht sich auf dergleichen. Er ist in seiner Jugend aus purer Liebhaberei auf einem ein- sachen Segler nach Amerika gefahren. Paß mal auf, davon redet er gern unterwegs. Na — wenn Du erst sein „Seelatein" kennen lernen wirst. Es wird einfach großartig sein! Einen Koch habm wir nicht an Bord, bloß zwei Matrosen und einen Schiffsjungen. Kochen müssen wir selber. Kannst Du's nun? Ich habe es noch immer nicht gelernt. Aber Papa meint, es würde auch ohnedem unter wegs gehen; er hat eine große Menge Proviant aus der Stadt bestellt: lauter Konserven, viele gute Dinge. Ich habe Petersburger Konfekt für uns beide kommen lassen. Es ist nicht zu geräumig an Bord, aber um so gemütlicher. In Saßnitz besuchen wir Deine Tante Mellien, die wir ja im vorigen Jahre in Berlin kennen