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Sie küßte Fran von Bohlen leise auf die armen heiß- geweinten Alicen und schlich uubeinerkt hinaus. Ohne viel zu überleben, wie sie es ansangen tvollte, ihre» Mcmu ihren, Wunsch gefügig zn nwchen, mit der ihr eigenen lebhaften llnbesvnncnheit ging sie, zu Hause angetommen, direkt in sein Zimmer, wo er auf der Chaiselongue gerade vor Tisch noch etwas vom Dienst ausruhte, und sagte heftig, ihren Hut auf einen Stuhl werfend: „Ernst, du musst sechstausend Taler geben. Herr von Bohlen hat Schulden; der Vater will, das; er den Abschied nimmt deswegen, du musst helfen!" Herr von Wiltinghansen richtete sich bei dieser Anrede erstaunt auf. Er glaubte erst noch zu träumen, so unwahr scheinlich kam ihm Ilses Verlangen vor. Als er sich ober ermunterte, aufgcstandcn war und sie immer erregter wieder holte: „Du musst es tuu, Erust, es ist ja nicht viel, du wirst es auch wiedcrbekommen," da sagte er endlich: „Du bist mir in letzter Zeit oft schon etwas seltsam vorgekommen, Ilse, aber diese Bitte ist denn doch das Wunderbarste, was ich je von dir gehört habe. Wie soll ich denn dazu kommen, des Leutnants von Bohlen Schulden zu bezahlen? Das könnte er ja gar nicht von mir annehmen, und der General würde es nie zugeben." „Der braucht cs gar nicht zu wissen," meinte Ilse ungeduldig, „du gibst cs Frau von Bohlen: sie ist ganz außer sich, so verzweifelt, ich glaube sie stirbt, wem, der Sohu von ihr geht." „Das tut mir zwar herzlich leid," sagte Herr von Mitliughauscu kühl. „Ich habe dies Ende aber voraus- gesehen nnd nie begreifen können, wie der sonst verständige Vater diesen leichtsinnigen Sohn in ein teures Kavallcrie- rögimeut geben konnte. Früher oder später musste es so kommen bei seine» Charaktcranlogen, da ist cs noch besser, jetzt, wo cr noch jung ist, sich wieder eine neue Existenz zu gründen, wenn cr Energie genug dazu besitzt." „Wie soll er sich denn eine Existenz gründen? Womit denn? Er wird nach Amerika gehen müssen, dort hungern, frieren, elend sein!" Frau vou Bohlens aufgeregte Acnsteruugen hatten auf Ilse tiefen Eindruck gemacht, fast unabsichtlich wiederholte sie dieselben. „Ach, Unsinn!" sagte Herr von Wittinghauscn. „Ein Mensch wie Bohlen, der, wenn er auch vielleicht nicht übermäßig viel gelernt hat, doch gewandt ist, mehrere Sprachen spricht und schreibt, dazu ein brillanter Ncitcr — der braucht nicht zu hungern und zu frieren — oder cr ist selbst daran schuld!" „Wie hart du bist!" Ilse sah ihren Manu mit nichts weniger als liebevollen Blicken an. „Wie kalt, wie ungerecht, wie erbarmungslos gegen jeden, der nicht wie du pedantisch ordentlich ist!" Ihre bitteren Worte taten ihm weh; aber er zuckte nur die Achseln und wandte sich ab. Ilse folgte ihm. „Willst du cs nicht tun?" bat sie. „Was? Dem Leutnant seine Schulden bezahlen? Sicherlich nicht." „Du sollst sie ja nicht bezahlen, sondern den Eltern das Geld vorstrcckeu!" bat sie noch einmal fast weinend; er schüttelte den Kopf. „Vein, Kind, schlag dir diesen Gedanken aus dem Sinn. Wollte der General seinen Sohn arrangieren, so würde er Mittel und Wege finden auch ohne meine Hilse; cr wird indessen verständig genug sein, dies gar nicht tun zu wollen, sondern den Sohn endlich seinen Leichtsinn büßen zu lassen. Ich werde stets bereit sein, Bohlens zu helfen, aber für ihren Sohu, den Schuldeumachcr, habe ich sehr wenig übrig!" „Dn willst wirklich nichts — gar nichts geben?" „Nein," entgegnete er kurz. „Ich habe dir meine Gründe gesagt — cs bleibt dabei. Verschone nstch mit weiteren Bitten, die, wenn sie auch deinem guten Herzen entspringen, nur doch sehr töricht und unüberlegt Vor kommen." „Das ist dein letztes Wort?" frug sie; ihre großen Augen hafteten mit verzweifelter Bitte in den seinen. „Mein letztes," antwortete er fest, „und nun laß uns, bitte, nicht mehr über diese Angelegenheit reden." „Es ist angcrichtel!" meldete Peter. Bei Tisch war cs wenig gemütlich. Ilse saß ganz in Gedanken versunken, sie schien sehr ernst etwas zu erwägen. Herr von Wittinghausen betrachtete unzufrieden ihr blasses, aufgeregtes Gesicht. Die Bemerkung, die bei dein wieder einmal sehr schlechten Essen in ihm ausslieg, „daß sie nämlich besser täte, sich um ihre Küche, statt um des Leutnants von Bohlen Schulden zu kümmern", unterdrückte cr zwar, aber die schwärzlichen Koteletts verbesserten seine Stimmung eben nicht. Minnas kühner Versuch, Hammel- kotcletts auf dem Nost zu braten, war sehr mißglückt, denn dazu gehören Ucbung, Aufmerksamkeit uud uoch manche andere ihr unbekannte Dinge. Pittis Anwesenheit beiTisch war dem Hausherrn ebenfalls ein Greuel; besonders, da das geliebte Hündchen nie einen besonderen Napf zum Eisen erhielt, sondern täglich aus einem andern Teller fraß und leckte. Herr von Willinghausen frug sich ost beim Essen oder Trinken, innerlich schaudernd, ob sein Teller oder sciueTasse nicht gestern vielleicht von Pitti zu demselben Zweck benutzt wordeu war. Ilse kannte leinen Ekel in dieser Beziehung, ja, nahm es fast übel, wenn er welchen äußerte. Setzte cr es eiumal durch, .daß Pilti, während sie aßen, in ein anderes Zimmer gesperrt wurde, so wjuselte und heulte er dermaßen, daß Ilse alle zwei Minuten ausspraug und hiuliek, um Pilti zu trösten, bis der Gatte verzweifelt sagte: „Nun, dann hole ihn lieber herein, so ist es erst recht nicht zum Aushalten." Pilti erschien triumphierend, wie toll vor Freude bellend, bis cr schlj ßlich atemlos mit lang hcranshäugender Zunge auf Ilses Schoß saß und zum Trost für die erlittene Unbill von ihrem Teller fraß, alles so rein ableckend, daß Herr von Wittinghausen mißtrauisch erwog, ob sich Minna nun das Abwaschen nicht ganz ersparen würde. Heule blieb Pilti, sonst die Hauptperson, von Ilse un beachtet. Sie überlegte hin und her, wie sie .vurt Hefen, Frau vou Bohlen ihr Versprechen halten könnte. Plötzlich blitzte ein rettender Gedanke in ihr auf: „Der Roman!" Jetzt endlich mußte der Bescheid eintrcffcn, und mehrere tausend Taler würde das Journal sicher zahlen! Sie wollte das Geld zwar für eigene Rechnungen verwenden, aber daran dachte sie jetzt kaum mehr. Kurls Schulden waren dringender; ihm kosteten sie seine Karriere, die eigenen ihr höchstens das letzte Nestchen von Liebe und Achtung von ihrem Mann. Ties war ihr zwar durchaus nicht so gleich gültig, wie sie sich eiurcden wollte, aber ihre Empörung über seine talte, abweisende Haltung ihren Bitten gegenüber war so groß, daß sie ihn kein bißchen mehr zu lieben glaubte, nein, kein bißchen . . . Wie anders war Kurt, wie warmherzig, wie entgegen kommend, der würde ihr sicher nichts abgeschlagen haben — nie sollte sie ihn Wiedersehen? Unmöglich — cs mußte geholfen werden. Mit einem ganz fremden Ausdruck vou Trotz nnd Entschlossenheit in ihrem weichen, lieblichen Gesichtchen ging sie in ihr Zimmer, abwartend, ob ihr Mann nicht ausgchen würde. Ter schien heute unglück licherweise zu Hanse bleiben zu wollen; sie hörte ihn au seinen Schreibtisch gehen, wo cr endlos lange sitzen blicb — offenbar ein dienstfreier Nachmittag. Was sollte sie ihm sagen, wenn er frng, wo sie hingehen wolle? Er würde ihr womöglich anbieteu, sie zu begleiten, da er cs ungern sah, wenn sie allein ausging. Sie weinte fast vor Ungeduld, bis — eine wahre Erlösung — Peter mit der Parole mappe erschien, die sogleich einen Aufbruch verursachte. lFvrlsepung folgt.) Sinnspruch. So soll ick lebe», das; ich Hölle, wen» ich scheide, Gelebt mir zur Lust und andern nicht zum Leide. maaer«.