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Naunhofer Nachrichten Die Naunhofer Nachrichten erscheinen jeden Dienstag, Donnerstag und Sonnabend Nachmittag 5 Uhr mit dem Datum deS nachfolgenden TageS. Schlug der Anzeigenannahme: Vormittag? t t Uhr am Tage dcS Erscheinens. 23. Jahrgang. Sonntag den 24. März 1912. Nr. 36. Mit einer vierseitige« Illustrierte« Sonuta-sbeilaOe Bezugspreis: Frei inS HauS durch Austräger Mk. 1-20 vierteljährlich. Frei inS HauS durch die Post Mk. 1-30 vierteljährlich Ankimdigunge«: Für Inserenten der Amtshauptmann« schäft Grimma I2 Pfg. die fünfge- spallenc Zeile, an erster Stelle und für Auswärtige 15 Pfg. Bei Wiederholungen Rabatt. Verlag rwd Druck: Gür»z är Eule, Naunhof. Redaktion: »Ohert Günz, Nsm>ch«s. Orts blatt für Albrechtshain, Ammelshain, Belgershain, Beucha, Borsdorf, Eicha, Erdmannshain, Fuchshain, Großsteinberg, Kleinsteinberg, Klinga, Köhra, Lindhardt, Pomßen, Staudnitz, Threna und Umgegend. Kunck um clie Mocke. sBeängstigungen und Wiederaufatmen.) Es gibt Maler des Grauens und Dichter^ des Satanismus, deren Werke unsere Haare zum Sträuben bringen. Aber auch ganze Zeitspannen sind voll von wesenloser Beängstigung, die das Herz bedrückt. Die deutschen Krisengerüchte, die in der vergangenen Woche sogar die Börsen zum Wanken brachten, waren, wie man nachher aufatmend bekannte, gegenstandslos, aber selbst manche klugen Berliner Politiker ließen sich von ihnen in Bann schlagen. Alles, was von den Be fürchtungen nachgeblieben ist, ist der Rücktritt eines Staatssekretärs, des Schatzmeisters Wermuth. Dieses Rad in der großen Maschinerie ist ausgewechselt worden, und das Werk schnurrt weiter. Ein Glück, daß wir keine Kanzlerkrise bekamen, wie die Hellseher sie verkündeten, denn eine Kanzlerkrise bedeutet bei uns weit mehr als in parlamentarischen Staaten: Bismarcks Abgang ist noch heute von Tausenden nicht verwunden, und Bülows Aus scheiden hat tiefe Wirkungen hinterlassen. In schweren Träumen mag man es sich vorstellen, wie es sein mag, wenn die Welt plötzlich ohne Kohlen wäre: entsetzlicher Gedanke! Alle Fuhrwerke zusammen würden nicht ausreichen, um beim Stocken der Eisenbahnen die Großstädte mit den nötigen Lebensmitteln zu versorgen und vor dem Hungertode zu bewahren. Der Berg arbeiterstreik im Ruhrrevier hat diese Angstgebilde beflügelt. In England liegen ja schon ganze Industrien wegen des dortigen Ausstandes lahm, und Hunderttausende von Arbeitern mußten ausgesperrt werden, weil die Fabriken ihre Kessel nicht mehr Heizen können: der Kontinent wollte helfen, aber jetzt stauen sich in Antwerpen die Kohlenladungen so, daß weitere Eisenbahnzüge mit „schwarzen Diamanten" vorerst dort gar nicht mehr an genommen werden. Das deutsche Volk kann dankbar dafür sein, daß unser Streik nur neun Tage dauerte und somit eine Katastrophe für die deutsche Arbeit vermieden wurde. In den nächsten Tagen findet in London wieder eine große deutsch-englische Friedensversammlung statt; je un friedlicher es in der Welt aussieht, desto mehr Friedens phrasen werden immer gedrechselt. Allerdings hielt Churchills Flottenrede von Phrasen sich ganz frei und nannte keck die Dinge beim Namen. Diese Offenheit wirkt wenigstens erfrischend und ist auf deutscher Seite ebenso offen beantwortet worden. Schon im Dezember hat der Kaiser, wie jetzt authentisch bekannt wird, wofür ein Mistender sich verbürgt, den Engländern gesagt: „Baut, was ihr wollt, wir bauen, was wir brauchen!" Diese ruhige und männliche, dabei gar nicht aufreizende Sprache ist das einzig richtige. Auch beim Empfange des Reichs tagspräsidiums hat der Kaiser davon gesprochen, daß unsere seit zehn Jahren als zweckmäßig erkannte Flottenpolitik unbeirrt weitergesührt werden werde. Das mag für viele eine Beruhigung sein. * Ohne daß es in die Presse kam, haben in der vorigen Woche in sehr hochstehenden Kreisen in Berlin ernste Besorgnisse um den Frieden geherrscht. Irgendwoher müssen Meldungen gekommen sein, daß irgendeine Macht zum Frühling Angriffsgelüste habe. Jedenfalls haben, wie man sich erzählt, verschiedene deutsche Generalstabs offiziere für ihre Frauen sozusagen „Quartier gemacht", nämlich für den Frühling sie zu längerem Aufenthalt be, Verwandten angemcldet. Das ist wie ein Lauffeuer durch gegangen. Berufsmäßige Pessimisten sehen schon die Kriegsfurie über Europa rasen und fragen nur noch, ob sie im Kaukasus oder in den Vogesen auffliegen wird. Aber so wenig wir an die „große" Krise in Berlin geglaubt haben, so wenig erscheint uns das jetzige Kriegsgespenst plausibel, — aber gerüstet sein muß man allerdings stets auf Mes. - Vie Mebrvorlagen. Die Reichsregierung gibt soeben die schon lange b^ sprochenen neue« Wehrvorlagen der Öffentlichkeit be kannt, bemerkt allerdings dazu, die Angaben über den Inhalt der Vorlagen könnten nur mit dem Vorbehalte gemacht werden, daß die Entwürfe ihre endgültige Ge stalt für den Reichstag erst durch die Beschlüsse des Bundesrats erhalten werden. Zwei neue Armeekorps. Neben den früher schon vorgesehenen Verstärkungen (zwei Feldarttllerie-Regimenter, Neubildung der Fub- artillerie, ein Telegraphenbataillon), die erst 1914 und 1915 kommen sollten und nun bis zum 1. Oktober 1912 beab sichtigt sind, handelt es sich darum, daS Friedenspräsenz gesetz von 1911 zu ergänzen, um durch stärkere Heran- Ziehung der zum Waffendienst Fähigen und durch Vervoll kommnung der Organisation die Kriegsbereitschaft des Heeres zu steigern. Lu diesem Zweck sollen zwei neue preußische Armeekorps unter Verwendung der im Osten und Westen (beim 1. und 14. Armeekorps) vorhandenen dritten Divisionen gebildet werden. Es werden also zwei Generalkommandos und zwei Divisionsstäbe neu aufgestellt werden müssen. In die neuen Divisionen werden Brigaden eingereiht werden, die hierfür verfügbar sind. Die Neu schaffung von Korpsverbänden und die Regelung der Befehlsverhältnisse an der Westgrenze erfordert die Er richtung einer neuen siebenten Armee-Inspektion. Es werden 14 dritte Bataillone und ein Infanterie- Regiment neugebildet werden. An Kavallerie soll in Preußen als Folge der Bildung zweier neuer Armeekorps ein Kavallerie-Regiment zu fünf Schwadronen aufgestellt werden. Auch in Bayern ist eine Verstärkung der Kavallerie in Aussicht genommen. Bei jedem Infanterie-Regiment soll eine Maschinen gewehr-Kompagnie eingerichtet werden. Nach all dem wird daS Reich gegenüber dem Präsenz, gcsey von 1911 die Friedensstärke des Heeres um rund 29V0V Mann, ausschließlich Unteroffiziere, vermehren. Endlich besteht die Absicht, gleichzeitig mit der HeereS- Vorlage eine Erhöhung der Mannschaftslöhnung vorzu- schlaqen. Verstärkung der Flotte. Es soll allmählich ein drittes aktives Geschwader ge bildet werden. Die für dieses dritte aktive Geschwader erforderlichen Schiffe sollen gewonnen werden: a) durch Verzicht auf das Reserveflottenflaggschiff, b) durch Verzicht auf die zurzeit vorhandene Materialreserve — 4 Linien schiffe, 4 große und 4 kleine Kreuzer —, o) durch all mählichen Neubau von 3 Linienschiffen und 2 kleinen Kreuzern. Gegenüber den bereits im Flottengesetz vorgesehenen Jndiensthaltungen ist nur die Mehrindiensthaltung von 3 Linienschiffen, 3 großen und 3 kleinen Kreuzern er forderlich. Dies bedingt eine entsprechende Vermehrung des Personals. Ferner ist eine Vermehrung der Unterseeboote und die Beschaffung einiger Luftschiffe in Aussicht.genommen. Die Koste«. Der Gesamtmehrbedarf für diese Verstärkung deS Heeres und der Flotte stellt sich für 1912 auf rund 97 Millionen Mark, 1913, in welchem Jahre der höchste Kostenbettag erreicht wird, auf rund 127 Millionen Mark, 1914 auf rund 114 Millionen Mark. Der Anteil der Flotte beträgt 1912 rund 15 Millionen Mark, 1913 rund 28 Millionen Mark, 1914 rund 38 Millionen Mark und erreicht im Jahre 1916 seine Höchstsumme mit 43 Millionen Mark. Dom Deutschen Reichstag. „Verbot der Abonnentenverficherung" fordert. Abg. Haupt (Soz.): Gegen den Unfug der Abonnentenversicherung hat sich mit Vertretern bürgerlicher Parteien auch der Staatssekretär des Reichsjustizamtes Lisco entschieden ausgesprochen und ein gesetzgeberisches Vorgehen angekündigt. Es ist aber nichts geschehen. Die Äußerung des Ministerialdirektors Caspar, daß ihm wesentliche Miß stände nicht bekannt geworden seien, ist eine Weltfremdheit ohnegleichen. Die Mißstände sind so kraß, daß nicht die Rechtsprechung, sondern nur die Gesetzgebung helfen kann. Das erkennt selbst der Verein Deutscher Zeitungsverlegkr an. (Beifall bei den Soz.) Staatssekretär Dr. Delbrück verweist darauf, daß auch im vorigen Jahr der Reichstag in zwei Resolutionen das Verbot der Abonnentenversicherung und eine Denkschrift verlangt habe. Ich erklärte damals, daß ich ein gesetz liches Eingreifen nicht für nötig oder zweckmäßig hielte. Wir beschäftigen uns jetzt mit der Denkschrift. Hoffentlich kommen wir bald zu einer Entscheidung, ob ein gesetzliches Verbal notwendig ist oder nicht. Abg. Dr. Marcour (Z.) erklärt sich für die Resolution. Bei den Vorarbeiten sollen auch die berufenen Organisationen gehört werden, besonders der Verein Deutscher Zeitungs- Verleger in Hannover. Nach einer Beschwerde des Abg. Werner (Refp.) über mangelnde Initiative des Aufsichtsamts wird die Resolution angenommen. Eine Anzahl Titel junwesentlicher Natur werden ohne besondere Debatte erledigt. Beim Titel: Beitrag für die Anstalt zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reich weist Abg. Büchner (Soz.) auf die große Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reich hin, das neben Rußland und Österreich in der Säuglingssterblichkeit an erster Stelle steht. Man darf die Unterstützung der An- ^lten, die die Säuglingssterblichkeit bekämpfen, nicht ganz der PrivAtwohltätigkeit überlassen. Wir sind bereit, weit gehende Forderungen zu bewilligen, die wir für wichtiger halten als die Ausgabe« für die Verstärkung von Heer und Flotte. Abg. Hey« (Vp.): Bei uns steigt langsam die Gefahr auf, daß unsere Bevölkerung zurückgeht, was nach dem Worte deS früheren amerikanischen Präsidenten einem Raffenselbstmord gleichkommt. Die Säuglingssterblichkeit bei uns ist geradezu traurig, sie war vor hundert Jahren geringer als heute. Man soll eine Wirtschaftspolitik ver folgen, die den Eltern die Ernährung ihrer Kinder nicht unmöglich macht. Zurück zur Natur! Dies sollten gerade auch die gebildeten Frauen beherzigen. Alle Beteiligten sollen für Aufklärung sorgen. Der Staat bat diese Mit Das Reichstag-Präsidium beim Kaiser. Der erste Vizepräsident des Reichstages, Herr Dr. Paasche, war mit dem Königlichen Hofmarschallamte in Verbindung ge- lreten, um dem Kaiser seine Wahl persönlich mitteilen zu dürfen. Darauf ging allen drei Präsidenten des Reichstages eine Mit teilung zu, daß der Kaiser bereit sei, das ReichstagSpräsidium zu empfangen. Als die Herren Dr. Kaempf, Dr. Paasche und Dove darauf im Königlichen Schlöffe zu Berlin erschienen, wurden sie sofort zum Kaiser gebeten, der sie sehr liebenswürdig empfing. Der Kaiser sprach zunächst scherzend zu Herrn Kaempf über die Wahl im ersten Berliner Reichstagswahlkreise, bei der er, der Kaiser, für den fortschrittlichen Kandidaten mit- gearbeilet hätte, und richtete an die beiden Vizepräsidenten einige Worte, die ihre Famtlienbeziehungen usw. betrafen. Dann sprach er von dem Kohlenstreik im Ruhrgebiet und äußerte seine Freude über die schnelle Beendigung. Er hoffe, daß der Streik keine allzu große Schädigung für die deutsche Volkswirtschaft gebracht habe. Der Kaiser berührte sodann die Rede Churchills und die Flottenbauten und wies auf die Richtigkeit der seit zehn Jahren von Deutschland verfolgten Flottenpolitik hin. Er sprach dabei die Hoffnung aus, daß es bald gelingen werbe, die neue Wehrvorlage im Reichstage zur Annnahme zu bringen. Die innere Politik wurde nicht erwähnt. Der Unter redung, die etwa zwanzig Minuten dauerte, wohnte außer dem Kaiser und den drei Präsiventen keine andere Person bei. seinen Mitteln zu unterstützen und daS Zehnfache von dem, was es heute verlangt, dafür aufwenden. Damit würde er eine wahrhaft schöne Tat tun. (Beifall links.) Für besseren Säuglingsschutz sprechen noch die Abgs. Paasche (natl.) und Dr. Arendt (Rp.). Zur Förderung der Erforschung und Bekämpfung der Tuberkulose sind 100000 Mark ausgesetzt. Abg. Keinath (natl.) begründet eine nattonalliberale Resolutton. Es muffe Vorsorge getroffen werden, daß nicht ganz« Familie« an- gesteckt werden. Die Resolutton wird einstimmig an genommen. Nach einigen weiteren Bemerkungen wird der ordent liche Etat bewilligt. Beim außerordentlichen Etat klagt der Abg. Hofrichter (Soz.) über den Mangel an Klem- wobnunaen. Politikke Armäkkau. Deutsche« Lelch. * Eine neue Bundesratsverordnung, betreffend die Be schäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Glashütten, Glasschleifereien und Glasbeizereien sowie Sandbläsereien, ist in einer der letzten Sitzungen des Bundesrats beschlossen worden und soll zum 1. April mit zehn Jahren Geltung in Kraft treten. 4- Der Ausländerparagraph wurde in der Kommission für das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz weiter be raten. Man beabsichtigt, ihm einen neuen Paragraphen beizugeben, der besagt: Die Einbürgerung darf erst er folgen, nachdem durch den Reichskanzler festgestellt worden ist, daß keiner der übrigen Bundesstaaten Bedenken dagegen erhoben hat. Erhebt ein Bundesstaat Bedenken, so ent scheidet der Bundesrat. Bedenken können nur auf Tat sachen gestützt werden, daß die Einbürgerung deS Anttag stellers oder eines der in 8 12 bezeichneten Angehörigen das Wohl des Reiches oder eines Bundesstaates gefährden würde. 4- Bei der Fortsetzung der Etatsberatung im bayerisch« Landtag nahm auch der bayerische Ministerpräsident Freiherr v. Hertling das Wort. Er verbreitete sich über die Gerüchte der letzten Zeit, die ihn als Sieger über dm Reichskanzler darstellten, und sagte u. a.: Ich bin nicht als Triumphator heimgekehrt, ich habe keinen Sieg über Bethmann Hollweg davongetragen. Mein G schoß hat Wermuth nicht getroffen. Die Verhandlungen im Bundesrat sollten durchaus vertraulichen Charakter h iben. Als aber Wermuths Entlaffungsgesuch kam, war d:s Schweigen nicht mehr möglich. Wir hatten einstimmig i r Bundesrat die Meinung, daß die Einbringung der Erb« s Haftssteuer in der alten Form mit Rücksicht auf die sozial demokratische Partei ein politischer Fehler gewesen wäre und keinen Erfolg versprochen hätte. Der Ministerpräsident hob dann hervor, daß er seine frühere Meinung gegen die Erbschaftssteuer aufgegeben hätte, wenn andere Bundesstaaten für diese Steuer ein« getreten wären. ES war jedoch keine Rede mehr von der Erbschaftssteuer, denn der früher auf 80 bis 100 Millionen Mark geschätzte Überschuß steht jetzt schon mit 220 Millionen Mark fest. Auch der Reichsetat verspricht noch eine weitere bessere Konjunktur. * Im preußischen Abgeordnetenhaus hat der Abgeordnete Dr. Friedberg einen Wahlrechtsantrag eingebracht, der um Vorlage eines Gesetzentwurfs ersucht, welcher für die Wahlen »um Abgeordnetenhaus (unter Beibehaltung des