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Beilage zu Nr. 21 der Sächsischen Elbzeitung. Schandau, ^oiiiwb^'nd, den 18. Februar 1911. M AMmk. Wieder naht die Ostcrzeit, in der viele junge Leute, die sich der Erlernung eines Handwerks widmeten, ihre Lehrzeit beenden. Den Abschluß dieser Lehrzeit bildet die Gesellenprüfung; diese hat nicht nur einen erzieherischen, sondern, nach den Bestimmungen der Rcichsgcwerbevrdnung, auch einen materiellen Wert. In weiten Kreisen, insbesondere bei den Eltern, die ihre Söhne ein Handwerk lernen lassen, bei den Lehr lingen selbst und zum Teil auch bei den Lehrherren herrscht über den Wert der Gesellenprüfung im Hand werke noch viel Unklarheit; deshalb mögen folgende Zeilen zur Aufklärung dienen. Nach 8 UU v der Rcichsgewerbevrdnung, in Verbindung mit den von der Gewerbekammer Zittau erlassenen, vom Ministerium des Innern genehmigten Vorschriften zur Regelung des Lehrlingswesens hat dec Lehrherr die gesetzliche Pflicht, die ihm anvertrauten Lehrlinge zur Abhaltung der Gesellenprüfung anzuhalten. Unter „anhalten" ist nach der Rcichsgewerbevrdnnng die Pflicht des Lehrherrn zu verstehen, die ihm anvertrauten Lehrlinge in väter licher, fürsorglicher Weise durch wiederholten, persön lichen Zuspruch, unter Hinweis auf die Vorteile der Prüfung, auf dieselbe vorzubereiten und sie derselben zuzuführen, damit die Lehrlinge in ihrem weiteren Fort kommen nicht beeinträchtigt werden. Lehrherren, die sich dieser Pflicht durch passives Verhalten entziehen oder die nach dem Gesetze vorgeschriebcne Prüfung er schweren, von dieser abraten vdcr sie verhindern, ver letzen ihre gesetzlichen Pflichten und setzen sich der Be strafung aus. Die Prüfung erfolgt entweder vor dem Prüfungs ausschüsse einer Innung oder vor den von der Gewerbe- Kammer errichteten Prüfungsausschüssen, die aus sach verständigen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammen gesetzt sind. Die Gesellenprüfung ist so eingerichtet, daß der Prüfling den Nachweis über die in seinem Hand werke gebräuchlichen Handgriffe und Fertigkeiten mit genügender Sicherheit führt, sowie daß er mit der Handhabung der gewöhnlichen Werkzeuge vertraut und ferner sowohl über den Wert, die Beschaffung, Auf bewahrung oder Behandlung der zu bearbeitenden Roh stoffe und halbseitigen Erzeugnisse und Werkzeuge, als auch über die Kennzeichen ihrer guten und schlechten Be schaffenheit unterrichtet ist. Die Gesellenprüfung besteht in den vom Lehrling als Gesellenstück auszusührenden Arbeiten, welche derselbe dem Prüfungsausschüsse selbst vorschlagen kann. Zeit und Ort für die Ausführung des Gesellenstückes bestimmt der Prüfungsausschuß. Das Gesellenstück kann vom Lehrling noch innerhalb der letzten 8 Monate der Lehrzeit in der Werkstatt des Lehrherrn angefertigt werden, ohne daß letzterer be rechtigt ist, eine Kürzung der dem Lehrlinge vertrags mäßig zustehenden Entschädigung vorzunehmen. Die Prüfung endet in der Regel mit der Ablegung einer schriftlichen und mündlichen Prüfung. Im übrigen wird das Verfahren vor dem Prüfungsausschüsse, der Gang der Prüfung usw. durch die von den Kreis hauptmannschaften im Einvernehmen mit den Gewerbe- Kammern des Landes erlassenen Prüfungsordnungen Durch graue Gassen. Roman von Annp Wvthe. (21. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten). Frau Geheimrat von Heimburger war auf das Höchste empört. Du lieber Gott. Eine solche erbärmliche Partie. Na, da konnte man ja getrost so langsam den „Stern" fallen lassen. Freilich, die „Freitische" iviirde man ja wohl noch eine Weile für das Brautpaar beibehalten müssen, aber sonst mar wohl kaum noch eine Einladung nötig. Aniane ging ja ohnedies bald fort. — In der Residenz Biisingen würde man wohl auch wenig er baut von dieser übereilten Verlobung sein. — Die Sorgen der Geheimrätin waren ganz umsonst gewesen, denn Aniane und ihr Verlobter lehnten die Einladung für den „Freitisch" am nächsten Sonn tag ab. Die Geheimrätin war erbost über diese „Unver schämtheit", wie sie cs nannte, freute sich aber im Ge heimen doch sehr, daß das Brautpaar fortblieb, weil sich Prinz Dolf Dietram wieder für den Sonntag zu Tisch angemeldet hatte. Der kam natürlich nur Maguhilds wegen. Was sollte ihn denn sonst so häufig in ihr Haus ziehen? Das blasse Kind war ja auch ordentlich aufgelebt, seit der Prinz und Wigbert von Pflug öfter einkehrten und ihre sonst so schläfrigen braunen Augen leuchteten wie zwei Sonnen. Und wie sie lachen und plaudern konnte? Der Prinz und sein Freund scherzten ja aber auch so gern mit ihr. Frau Margarete sah mit Staunen die Entwicklung ihrer sonst so stillen Kinder. Maguhild also war es, die der Familie Glanz und Licht verleihen würde? Zum ersten Male wurden die Zwillinge nicht gleich gekleidet. Maguhild mußte eine ganz andere Toilette wie Maja haben. Stunden lang saß die Geheimrätin in dem Schneider-Atelier von Rößler und Holst und debattierte über die wichtige Angelegenheit. Man sollte ihr eine ganz besondere Toilette für das Kind komponieren. Alle gutgemeinten und durch Erfahrung begründeten Vorschläge fanden keine Gnade vor ihren Augen, sie hatte ihre eigenen geregelt. Kein Lehrling darf zum Gesellen gesprochen werden, ohne daß er die Gesellenprüfung vor dem zu ständigen Prüfungsausschüsse bestanden hat. Nach bestandener Prüfung erhält der Lehrling sein Prüfungszeugnis und seinen Gesellenbrief. Mit diesem Prüfungszeugnis erwirbt sich der junge Handwerker nicht nur den Befähigungsnachweis für sein Handwerk, sondern er erlangt neben anderen, aus der Reichs gewerbeordnung sich ergebenden Vorteilen insbesondere die Berechtigung zu Beaufsichtigung und Unterweisung von Lehrlingen. Diese Berechtigung ist aber für das spätere Fortkommen der jungen Handwerker deshalb von großer Wichtigkeit, weil sie mit der erlangten Be rechtigung nicht nur die Anwartschaft auf bevorzugtere Arbeitsstellen haben, sondern auch weil ihnen diese Be rechtigung im Falle der Gründung eines eigenen Be triebes des erlernten Handwerks von großem Nutzen sein wird. Die Fälle gehören nicht mehr zu den Sel tenheiten, in denen ältere Handwerker, die entweder ihre Lehrzeit ohne Gesellenprüfung zurückgelcgt oder vor Inkraftsetzung der zurzeit geltenden Vorschriften der Reichsgewerbeordnung keine Gelegenheit zur Ablegung der Gesellenprüfung hatten, um nachträgliche Abnahme derselben nachzusuchen, damit sie die mit dem er worbenen Priisnngszengnisse verbundenen Rechte er langen. Mögen deshalb Eltern, Vormünder und Lehr herren, insbesondere aber auch die Lehrlinge selbst den Wert der Gesellenprüfung nicht unterschätzen! Die Anmeldung von Lehrlingen zur Gesellenprüfung deren Lehrherren einer Innung angehörcn, erfolgt bei dieser, während die Anmeldung derjenigen Lehrlinge, deren Lehrherren einer Innung nicht angchören, bei der Gewerbekammer zu erfolgen hat. Die Anmeldung hat durch ein Gesuch des Lehrlings um Zulassung zur Prüfung schriftlich zu erfolgen. Dem Gesuche sind beizufügen: 1. ein vom Lehrling selbständig verfaßter und eigenhändig geschriebener Lebenslauf, 2. das Lehr zeugnis, 3. das Fach- oder Fvrtbildungsschulzeugnis. Gleichzeitig mit der Anmeldung hat die Einsendung der Prüfungggebühr von 10 Mk. an die Gewerbe- Kammer zu erfolgen. Lokales. —* Die Sächsische Negierung und der LchrlinMumgcl. Das König!. Ministerium des Innern wird zur Besei tigung des Lchrlingsmangels versuchsweise zunächst für das lausende Kalenderjahr jeder Gewerbekammer bis 1200 M. zur Verfügung stellen. Das Ministerium hat bestimmt, daß die Höhe der Unterstützung im ersten Lehrjahre bis auf 60 M. bemessen werden kann. Es ist aber in Aussicht genommen, für solche Lehrlinge, die im ersten Lehrjahre bereits unterstützt worden sind, sofern die Gründe hierfür fortdauern, auch im zweiten und dritten Lehrjahre, sowie bei vierjähriger Lehrzeit auch im vierten Lehrjahre Unterstützungen zn gewähren und zwar bis zur Höhe von je 40 M. jährlich. Die Zahl der mit erstmaliger Unterstützung zu versehenden Lehrlinge darf in einem Gewerbekammcrbezirke im Jahre 20 be tragen. Ausgeschlossen von der Unterstützung sind Lehr linge solcher Berufe, in denen anerkanntermaßen ein Wünsche. Wie ein Gedicht mußte Maguhild das nächstemal aussehen, wenn der Prinz kam. Und Maguhild lächelte still vor sich hin und dachte an die blauen Augen Wigbert von Pflugs und daß er in allernächster Zeit sein Doktorexamen machen würde und dann — wer weiß, was dann geschah. Frau Margarete aber kombinierte: Also ein Prinz, wirklich ein Prinz würde es werden? Sie hatte es ja immer gewußt, daß ihre Kinder zu großen Dingen berufen waren, denn das Geld hatten sie ja dazu. Aber an einen Prinzen hatte sie bis dahin immer noch nicht gedacht. Höchstens einen Grafen, unter dem hätte sie ja nie ihre Einwilligung gegeben. Sie hatte immer an den Grafen Zieht) für eine von ihren Mädeln gedacht. Na, nun mußte ihn Maja nehmen, wenn man nicht — das wollte sie sich doch noch überlegen — wegen der fürstlichen Verwandtschaft am Ende noch allerlei Rücksichten beobachten müßte. — Es war schon so oft vorgekommen, daß Prinzen eine nicht ebenbürtige Frau nehmen, namentlich, wenn die Frau imstande war, die Krone entsprechend zu ver golden. Und dann war ja Prinz Dolf Dietram auch glücklicherweise kein erstgeborener Sohn. — Frau Margarete stockte in ihrem Gedankengang. Der Prinz würde doch nicht etwa an eine morganatische Ehe denken. Nein, gegen eine morganatische Ehe wäre sie ganz entschieden. — Der eintretcnde Diener unterbrach ihren lebhaften Gedankengang. Er überreichte auf silbernem Teller ein Billett. „Ach, der Prinz schreibt," sagte sie wichtig und bei sich setzte sie hinzu: „Ob er wohl schriftlich anhält?" Nervös riß sie das Kuvert mitten entzwei. Sie wollte ihren Augen nicht trauen, als sie staunend las: „Meine allergnädigste Frau! Besondere Ereignisse zwingen mich, meine Studien in Leipzig leider, eher als ich glaubte abzubrechen. Nehmen Sie und Ihr Herr Gemahl tausend Dank fiir die schönen Stunden, die ich in Ihrem gastfreien Hause verleben durfte und verzeihen Sie mir, daß ich nicht persönlich komme, um mich zu verabschieden und Ihnen zu sagen, wie sehr ich bedaure, nächsten Svnn- Lehrlmgsmaugel nicht besteht. Die Unterstützung darf nur für unbemittelte, aber befähigte Knaben mit guter Schulbildung erfolgen, die außerdem geistig und körper lich normal entwickelt sind und für das zu erlernende Handwerk Neigung und Begabung bekunden. Die Un terstützung wird an den Lehrling oder an dessen gesetz lichen Vertreter und nur in besonderen Ausnahmesällen an den Lehrmeister ausgczahlt. Sie darf nur für Aus gaben verwendet werden, die unmittelbar zur Förderung der Ausbildung des Lehrlings bestimmt sind (Lehrgeld, Schulgeld, Kleidung usw.). Der erforderliche Geldbedarf kann bis zur Höhe der bewilligten Dersügungssumme von den Gcwerbckammcrn Dresden, Leipzig und Chemnitz bei der Kasse der Kreishauptmannschaft, von den Ge werbekammern Plauen und Zittau bei der Kasse der Amtshauptmannschaft gegen vom Vorsitzenden attestierte Quittung erhoben werden. Ueber die Ausführung der vom Ministerium erlassenen Maßnahmen, soivie Uber Vorschläge zu deren Fortsetzung haben die Gewerbe kammern bis Ende des Jahres Bericht zu erstatten. —* Deutsche Nckruten ohne Schulbildung. Die Zahl derjenigen, die ohne Schulbildung zum Eintritt in das deutsche Heer und in die deutsche Marine gelangen, nimmt immer mehr ab. Im Jahre 1889 waren es noch 889, zehn Jahre später, 1.899, noch 218 und im Jahre 1909 nur «och 46 Rekruten, die ohne Schulbildung waren. Von diesen entfielen auf Ostpreußen 7, auf Wcstpreußen und Schlesien je 5, auf Elsaß-Lothringen 4, aus Pommern, Hannover, Rheinland und Oberfranken je 8, aus Westfalen und die Kreishauptmannschaft Leipzig je 2 und auf Schleswig-Holstein, Hessen-Nassau, Rieder- bayern, Mittclsrauken, die Kreishauptmannschast Bautzen, den württembcrgischcn Neckarkreis, Baden, Hessen und Oldenburg je 1. Bedenkt man, daß im Jahre 1909 in Heer und Marine 266 808 Rekruten Einstellung fanden, so ist die Zahl derer, die keine Schulbildung genossen, eine mehr als geringe. —* Was sollen wir unsere Tochter lehren? Schickt sie in eine gute Schule. Lehrt sie ein nahrhaftes Essen kochen. Lehrt sie waschen, bügeln, Strümpfe stopfen, Knöpfe annähen, ihre eigenen Kleider machen und ein ordentliches Hemd nähen. Lehrt sie, wie man bäckt und wie eine gute Küche viel an der Apotheke spart. Lehrt sie, daß eine Mark hundert Pfennige wert ist und daß nur derjenige spart, der weniger ausgibt, als er ein nimmt, und daß alle, welche mehr ausgeben, verarmen müssen, selbst Könige und Kaiser. Lehrt sie, daß ein be zahltes Kattunklcid besser kleidet, als ein seidenes, wenn man Schulden hat. Lehrt sie, daß ein rundes, volles Gesicht mehr wert ist, als fünfzig schwindsüchtige Schön heiten. Lehrt sie gute, starke Schuhe tragen. Lehrt sie Einkäufe machen und nachrcchnen, ob die Rechnung auch stimmt. Lehrt sie, daß sie Gottes Ebenbild mit starkem Schnüren bloß verderben können. Lehrt sie Selbstver trauen, Selbsthilfe und Arbeitsamkeit. Lehrt sie, daß ein rechtschaffener Handwerker in Hemdärmeln und mit der Schürze auch ohne einen Pfennig Vermögen mehr wert ist, als ein Dutzend relchgekleideter und vornehmer Tage diebe. Lehrt sie Gartenarbeit und die Freuden der Natur. Lehrt sie, daß Spaziergänge besser sind, als Spazierfahrten und daß die wilden Blumen gar schön sind für denjenigen, tag nicht Ihr Gast sein zu können. Mein Freund, der junge Pflug, der in Leipzig bleibt, seine Studien zu vollenden, wird Ihnen und Ihrer werten Familie am Sonntag meine herzlichsten Abschiedsgrüße noch persönlich überbringen. Ihr dankbar ergebener Prinz Dolf Dietram von Biisingen." Die Geheimrätin sank vernichtet in einen Sessel. Abgcreist ohne Abschied. Nein, das war ja gerade zu empörend. Freilich, was wissen Prinzen von solchen kleinen Naubstaaten, wie sie sich zu benehmen haben. Frau Margarete schnappte ein paarmal nach Luft, dann riß sie den Brief in kleine Stücke. „Was hast Du denn, Mama?" forschten die Töchter besorgt, die eben von einem Ausgange heimkehrten. „Ach, der Prinz sagt für Sonntag ab," entgegnete die Geheimrätin sich fassend. „Er ist abgercist?" Maguhild wurde ganz blaß. „Abgereist," stotterte sie. „Ja, Du armes Ding," rief die Geheimrätin, mit leidig die blassen Wangen ihres Kindes streichelnd, „der junge Pflug bringt uns Sonntag seine Abschieds grüße. Da lachte Maguhild ganz erleichtert auf und heiße Röte flammte über ihr Gesichtchen. „Gott sei Dank," jubelte sie nun auf „nun brauche ich am Ende die schreckliche neue Staatsrobe, die mir gar nicht steht und die so teuer ist, nicht anzuziehen — sie kann ja fiir ein Kostümfest bleiben," fuhr sie begütigend fort, als sie die Wetterwolke auf ihrer Mutter Stirn bemerkte. „Bist Du denn eigentlich närrisch geworden, Mädchen?" fragte die Geheimrätin entsetzt. „Lacht, wenn ihr eine Krone verloren geht. O, mein Gott, was habe ich fiir Kinder!" Die Mädchen sahen ihre Mutter ganz verständnis los an, dann aber faßten sie sich bei der Hand und huschten aus dem Zimmer. „Herr Referendar von Buttler", meldete der Diener. „Na, der kommt mir gerade recht", dachte die Geheimrätin giftig. „Für den Sonntag will ich ihn doch gleich wieder ausladen, das fehlte auch noch, mit