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Der Väter Schuld Noman von Lothar vrenkcndorf. (11. Fortsetzung.) „So hätte ich also dennoch bester daran getan, dieser Begegnung auch heute auszuweichen! Was Sie mir da sagen, Herr von Wallrode, ist nicht nur eines Charakters, es ist auch jedes Ehreiunanues unwürdig. Nichts in der Welt kann Ihnen ein Recht geben, so zu der Braut eines anderen zu sprechen." ., , . „Ich würde Ihre harten Worte verdient haben, wenn sch noch für mich selbst etwas zu erlangen hoffte. Aber ich denke nur an Sie und daran, das; Sie meiner Über zeugung nach im Begriff sind, sich für Ihr ganzes Leben unglücklich zu machen. Können Sie mir denn mit gutem Gewissen antworten, das; ich mich in einem Irrtum be finde, das; Sie lediglich Ihrer freien Entschließung gefolgt find, und das; man Ihnen Zeit zu ruhiger Überlegung ge lassen hat, als Sie dies Verlöbnis mit Ihrem Vetter ein- gingen? Können Sie mir darauf mit einem freien mrd unumwundenen Ja antworten, so verspreche ich Ihnen, daß ich mich auf der Stelle entfernen und mich selbst für immer aus Ihrer Nähe verbannen werde." Emmy hatte für wenige Augenblicke einen schweren Kampf zu bestehen, aber auch diesmal siegte ihre un bestechliche Liebe zur Wahrheit, und das kleine, bedeutsame Wort, von welchem seiner Erklärung nach so viel abhängen sollte, kam nicht über ihre Lippen. Stumm schaute sie vor sich nieder, und in ihren Zügen, an denen die Blicke Lys jungen Mannes in höchster Spannung hingen, war die Antwort auf seiue Frage vielleicht deutlicher zu lesen, als sie selber es ahnte. Daß es eine verhängnisvolle Unklugheit war, deren sie sich in diesem Augenblick schuldig gemacht, erkannte sie erst, als Botho von Wall rode ihre Hand, trotz ihres Widerstrebens, cm seine Lippen drückte, und als er dann rasch und mit leidenschaftlichem Feuer sagte: „Ich wußte ja, daß Sie nicht fähig sein würden, sich meiner durch eine Unwahrheit zu entledigen. Und daß es nicht Ihr eigner, wohlüberlegter Wille gewesen sein konnte, der sie in jene Fesseln geschlagen, stand in meinem Herzen von dem Augenblick an, da sich meine erste Aufregung be sänftigt hatte, mit unumstößlicher Gewißheit fest. Es mag ja sein, daß Sie Ihren Vetter wirklich zu lieben glaubten, aber Sie selbst mußten bald erkennen, daß dieser Glaube ein Irrtum war. Er kam; nicht der Mann sein, dessen Persönlichkeit und Charaktereigenschaften Ihrem Ideal ent sprechen und dem Sie Ihr ganzes Leben zu eigen geben könnten! Vielleicht war es nur die trotzige Auflehnung gegen meine damalige wohlgemeinte Mahnung, vielleicht nur der Eifer, mit dem Sie ihn gegen mich verteidigten, der diesen Irrtum in Ihnen Hervorrufen konnte. Und wahrscheinlich haben zu jener Zeit noch andere zwingende Umstände, deren Natur ich nur erraten kann, auf Sie ein gewirkt, um Ihre Einwilligung in jene von den Quitzows gewünschte Verlobung herbeizuführen. Daß Sie dadurch nicht glücklich geworden sind, würde Ihnen auch ein anderer als ich vom Gesicht lesen können." In dem Augenblick, da Emmy die Lippen zu einer Erwiderung öffnen wollte, schlug das heisere Bellen eines (Nachdruck verbaten.) Hundes an ihr Ohr — ein Bellen, dessen Klang ihr nur zu wohl bekannt war und das sie in diesem Augenblick mit furchtbarem Schrecken zusmnmcnfahren ließ. Es lieferte ihr ja den Beweis, daß ihr Oheim sich in un- mittelbarer Nähe befinden müsse, und unter dem Eindruck dieser Gewißheit war in ihrem Herzen nur noch Platz für einen einzigen Gedanken. Vergessen und weggewischt war aus Ihrer Erinnerung alles, was sic noch soeben in den Worten des Freiherrn verletzt und beleidigt hatte; sie dachte an nichts anderes mehr, als an die furchtbare Ge fahr, die ibn bedrohte und daran, daß er davor bewahrt werden müsse um jeden Preis. „Ich höre den Hund meines Oheims anschlagen", rief sie hastig und mit vor Angst zitternder Stimme. „Sie müssen auf der Stelle entfliehen, Herr von Wallrode; denn wenn er Sie hier mit mir sprechen sieht, so gibt eS gewiß ein Unglück. Ich beschwöre Sie zu gehen, denn schon in wenigen Augenblicken ist eS dazu wahrscheinlich zu spät." Sie gab sich in diesen Momenten der höchsten Auf regung keine Mühe, ihre Sorge um seine Sicherheit minder lebhaft erscheinen zu lasten, als sie es in Wirklichkeit war, und in dieser Teilnahme schien für ihn etwas unendlich Beglückendes zu liegen, das ihn die nahe Gefahr voll ständig vergessen ließ. „Ich habe keinen Grund, mich vor Ihrem Onkel zu fürchten. Aber wenn Sie es so wünschen, werde ich mich zurückziehen, doch nur unter der Bedingung, daß Sie mir in Zukunft nicht mehr so ängstlich aus dem Wege gehen werden, wie bisher. Wollen Sie mir das versprechen?" Sie flüsterte ein kann; vernehmliches Ja und drängte ihn zugleich mit beiden Händen fort. Noch einmal konnte er der Versuchung nicht widerstehen, seine Lippen auf ihre Hand zu drücken, dann eilte er nach einem leisen „Auf Wiedersehen" mir raschen Schritten dem Walde zu. Wer er hatte noch nicht den vierten Teil des Wiesenlandes durchmessen, das ihn von demselben trennte, als Bernhard Ouitzows riesenhafte Gestalt in Emmys unmittelbarer Nähe austauchte und als seine tiefe Stimme dein Fliehenden ein donnerndes „Halt" nachsandte. Botho von Wallrode schien für wenige Sekunden zu zögern, ob er diesem Rufe Folge leisten oder seinen Weg fort- setzen sollte; aber er entschied sich für das letztere und ver doppelte die Schnelligkeit seiner Schritte. Da klang es wiederum laut und vornehmlich hinter ihm drein: „Halt, sage ich! — Steh', seiger Bursche, oder bei Gott, ich schicke dir eine Kugel nach, die dich schon dazu bringen wird, Halt zu machen!" Auch diesmal beherzigte Botho die drohende Mahnung nicht; aber er hatte noch nicht zehn weitere Schritte ge macht, als er einen gellenden Aufschrei aus dem Munde des jungen Mädchens vernahm, unmittelbar gefolgt von dem Krach eines lang nachhallendeu Schusses. Bernhard Quitzow hatte wirklich das Gewehr an seine Wange gerissen und auf den fliehenden Freiherrn gezielt. Emmy war auf ibn zugestürzt, um ibn an der