Volltext Seite (XML)
„Kommt dock, einmal für einen Augenblick herein, Harmsen! Ich hätte Euch wohl ein Wörtchen zu sagen." Der Bauer blieb steheu uud schoß ihr auS seinen kleinen listigen Augen einen tückischen Blick zu, während er in ganz bescheidener Haltung sagte: „Habe wenig Zeit, Frau Ouitzow! Sie wissen ja, das; es jetzt auf den Feldern alle Hände voll zu tun gibt. Ich wollte nnr ihren Mann auf ein Wörtchen sprechen, und ich tresse ihn wohl irgendwo draußen an. Auf eiu andermal also, wenn es Ihnen recht ist, Frau Ouitzow!" Die Augeredete aber gab sich mit dieser Antwort keineswegs zufrieden, und Emmy war erstaunt über den strengen Ausdruck, den ihre Züge plöhlich annahmen, wie über den energischen Klang ihrer Stimme. „Macht doch keine törichten Redensarten!" rief sie hinaus, „ich müßte Euch soust hier vor meinen Leuten sagen, was ich gegen Euch auf dem Herzen habe, und ich denke, das würde Euch wenig Vergnügen machen!" Sie mußte den Mann wohl richtig beurteilt haben, denn trotz seines unverkennbaren Widerwillens folgte er jetzt doch ohne Zögern ihrer Aufforderung und kam mit langsamen Schritten in das Haus. Emmy wollte sich be scheiden entfernen, aber ein bittender Blick der Tante hielt sie zurück, und sie blieb sehr gern, weil dem unheimlichen Menschen ihrer Meinung nach in der Tat nur wenig Gutes zuzutrauen war. Vielleicht hatte Harmsen, als er ihrer ansichtig wurde, vermutet, daß sie seine Unterhaltung vom Bahnhofe verraten habe, denn sie hätte sonst schwerlich eine Erklärung gefunden für den haßerfüllten Blick, der sie für einen Moment aus seinen Augen traf. Als der Bauer die Tür hinter sich ins Schloß gedrückt hatte, trat Frau Ouitzow einen Schritt auf ihn zu und sagte: „Daß wir's kurz macheiy Harmsen! Ich will Euch ein für allemal nicht wieder in meinem Hause sehen! Wenn Ihr mich das erste Mal, als ich's Euch sagte, nicht recht verstanden habt, so werdet Jhr's Euch hoffentlich jetzt desto besser merken." Der Bauer war an der Schwelle stehen geblieben und drehte seine schmutzige Mütze zwischen den Fingern. „Deutlich geuug war's freilich, Frau Quitzow", sagte er, ohne sie anzusehen, „aber ich habe immer gemeint, Ihr Mann wäre hier Herr im Hause und nicht Sie! Wenn er mich auffordert, ihn zu besuche«, so werde ich doch wohl komme» dürfen. Werde ihn jedenfalls fragen, seit wann er unter den Pantoffel gestellt worden ist." „Das mögt Ihr immerhin tun, Harmsen. Ihr mißt recht gut, daß meiu Mann nicht unter dem Pantoffel steht, und daß ich zu gehorchen habe, wenn er befiehlt. Aber was ich Euch da sage, das kann ich auch vor ihm veraut- worten. Ihr seid schou seit langer Zeit sein böser Geist gewesen, der ihn in seinem Haß und in seiner Verblendung nur bestärkt hat, weil Ihr daraus einen Vorteil für Euch selber zu ziehen gedachtet. Ich weiß recht wohl, wenn Ihr es auch beide vor mir zu verbergen suchtet, daß Ihr ihm mit Euren Listen und Kniffen schon viel Geld abgelockt habt, mehr als er es vor mir und vor seinem Sohne ver antworten kann. Aber darum würde ich mich nicht in seine Angelegenheiten einmengeu, denn er ist es gewesen, der das Geld durch seine Arbeit erworben hat, und ihm allein steht es deshalb zu, darüber zu verfügen. Doch das Schlimmere ist der Schaden, den er durch den Umgang mit Euch au seiner Seele und an seinem Gemüt genommen hat. Ihr habt ihn immer tiefer in seine Wut und seine Verbitterung hineingehetzt, und wenn es einmal eines Tages ein Unglück gibt, so fällt die Verantwortung dafür zumeist auf Euch. Das ist es, was ich Euch zu sagen hatte, Harmsen, und wenn noch ein Nest von Ehrgefühl in Eurer Brust lebt, so werdet Ihr jetzt hoffentlich wissen, was Euch zu tun übrig bleibt." Der Mann hatte die ganze nachdrücklich gesprochene Zurechtweisung über sich ergehen lassen, ohne zu ihr auf zublicken und ohne sie mit einem einzigen Wort zu unter brechen. Aber als sie nun geendet, warf er seinen Kopf mit einer trotzigen Bewegung zurück und hielt ganz gegen seine Gewohnheit ihren ernsten Blick ruhig aus. „Ja, das weiß ich, Frau Quitzow", sagte er mit un verschämter Offenheit. „So lange mir Bernhard Ouitzow nicht selber gesagt hat, daß er aufgehört hat, iu seinem Hause das Regiment zu führen, so lange werde ich mich nach ihm richten und nicht nach Ihnen." Mit steigender Entrüstung batte Emmy den frechen Reden des unverschämten Gesellen zugchört, nun aber ver mochte sie nicht länger an sich zu halten, und mit zorn- blitzenden Augen wandte sie sich gegen den Bauern: „Schämen Sie sich, Vianu, daß Sie es über sich ge- wiuueu können, meiner Tante in solcher Weise zu ant worten! Zwar weiß ich nicht, um ivas für Diugc es sich hier handelt, aber ich weiß bestimmt, daß meine Tante in allen Stücken Recht hat. Ich werde meinem Oheim selbst von Ihrem heutigen Benehmen erzählen, und ich bm gewiß, daß er sich nicht länger mit einem Menschen ab geben wird, der es gegen seine Frau so sehr an der schuldigen Ehrerbietung fehlen läßt." Harmsen stand offenbar in; Begriff, auch ihr eine un verschämte Antwort zu geben, aber vor der bewunderungs würdigen Entschiedenheit, die sich in ihrer Haltung, ihren Mienen und vor allem in dem festen, durchdringenden Blick ihrer Augen ausprägte, sank ihm doch wohl der Mut. Er beschränkte sich darauf, etwas Unverständliches vor sich hin zu brummen, und ging dann ohne einen Grus; aus dem Zimmer. Emmy hatte eigentlich erwartet, das; ihr die Tante jetzt nähere Mitteilungen über die Beziehungen zwischen dem Oheim und diesem abscheulichen Gesellen machen würde: aber sie sah sich in dieser Voraussetzung getäuscht, da Frau Quitzow, die ihre Fassung erstaunlich schnell wicdergefundcn hatte, sie nur aufforderte, den beabsichtigten Spaziergang nicht mehr länger hinauszuschieben, damit ihr nicht die schönste Zeit des Tages verloren gehe. Ein wohliges Gefühl der Befreiung von einer schweren, drückenden Last erfüllte Emmys Brust, als sie wenig später in das geheimnisvolle Halbdunkel des prächtigen Forstes eintrat, und als sie nichts mehr rings um sich her ver nahm, als das leise Rauschen in den Baumwipfeln und zuweilen das Brechen eines dürren Zwciglcins unter ihrem Fuße. Jetzt war sie nicht mehr von banger Sorge um ihre Zukunft erfüllt, denn hier tat sich ihr ja eine Zufluchts stätte auf, die ihr jederzeit zugänglich war und von der sie mit Bestimmtheit wußte, daß sie darinnen jederzeit Ruhe und Frieden wiederfinden würde. Auf eiuem schmalen Pfade schritt sie weiter uud weiter, ohne sich um die Richtung ihres Weges zu kümmeru und ohne daran zu denken, wie weit sie sich von dein Hause deS Oheims ent fernte. Endlich gelangte sie an einen breiten Weg, der gerade hier nach beiden Seiten die prächtigsten Durch blicke durch das saftig schimmernde Laubwerk gewährte. Die ersten Anzeichen der Müdigkeit machten sich bei dem jungen Mädchen bemerkbar, und die Gelegenheit, die ein großer, moosbewachsener Stein zum Ausruheu darbot, mar ihr deshalb recht willkommen. In allerlei Träumereien versunken, hatte sic bereits eine gute Weile dort gesessen, als sie plötzlich in ganz geringer Entfernung die Hufschläge von Pferden ans dem weichen Waldboden vernahm. Sie sprang ans, um sich ein wenig zurückzuziehen, aber gleich darauf schämte sie sich dieser furchtsamen Regung wieder und blieb hoch auf gerichtet stehen, um die Reiter an sich vorüberpassieren zu lassen. Es waren zwei Herren von dem Aussehen vor nehmer Kavaliere, ihre Pferde waren von guter Rasse, und die Reiter saßen — so wenig sie auch in dieser Wald einsamkeit auf eiue Beobachtung durch Zuschauer gefaßt sein konnten — mit vollendeter Eleganz in den Sätteln. Emmys scharfe Augen, die alle Dinge mit überraschender Schnelligkeit zu erfassen vermochten, hatten nicht nur diese vorteilhaften Äußerlichkeiten sogleichwahrgeuommen,sondern sie hatten auch erkanut, daß die beiden Herren nur Vater und Sohn sein konnten. Die Ähnlichkeit der Gesichtszüge und der ganzen Erscheinung mar eine zu auffallende, um einen Zweifel darüber bestehen zu lassen. Die beiden Herren waren in scharfem Trabe um die Waldecke geritten, und sie nötigten ihre Pferde auch jetzt nicht zu langsamerer Gangart, als sie der jungen Dame an der Wegkreuzung ansichtig wurden. Aber beide be grüßten sie mit vollendeter weltmännischer Höflichkeit, so daß Emmy zu ihrem eigenen Verdrusse fühlte, wie ihr in der ersten Überraschung über diese unerwartete Ritterlich keit das Blut heiß in die Wangen stieg. Sie dankte mit einem Neigen des Köpfchens, und als sie wieder anfblickte, waren die Reiter hinter einer abermaligen Wendung des Weges verschwunden. Die ganze Begegnung war flüchtig wie eine Sinnestäuschung an ihr vorübergegangen, und sie