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Allgemeiner Anzeiger : 22.05.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-05-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191205224
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-05
- Tag 1912-05-22
-
Monat
1912-05
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 22.05.1912
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Der Thronwechsel in Dänemark. G Mit Blitzesschnelle halte sich die Nach richt von dem plötzlichen Tode König Fried richs Vül. in der Hauptstadt Dänemarks ver breitet. Weit über 30 000 Menschen hatten sich ans dem Schießplatz versammelt, um auf den Augenblick zu warten, da vom König lichen Palais der Thronwechsel bekannt cie- geben wurde. In die erwartungsvolle Stille rief plötzlich vom Balkon des Schlosses Minister präsident Berntsen : „König Frederik Vlll. ist tot, es lebe König Christian X.!" Die Menge begrüßte die Erklärung des Ministerpräsidenten mit neun Hurrarufen. König Christlan trat darauf auf den Balkon, entblößte sein Haupt und hielt folgende Rede: „Eine traurige Bot schaft hat alle Dänen betroffen. Der König, mein hochgeliebter Vater, der selbst hoffte, gesund und frisch zurückzukehren, ist plötzlich ge storben. Tiefe Trauer hat meine vielgeliebte Mutter und alle seine Nächsten sowie jeden Dänen betroffen. Eine schwere Verantwortung ist nun auf meine Schultern gelegt, aber ich hoffe, daß das gleiche Vertrauen, das meinem vielgeliebten Vater entgegengebracht worden ist, nun auch mir entgegengebracht werden wird. Dänemarks Glück, Freiheit und Selbständigkeit wird mein Ziel sein, und alle dänischen Männer, die dasselbe wollen, mögen sich darauf die Hand reichen. Gott schirme und segne unser altes Vaterland; es lebe Dänemark!" — Wenige Stunden später verlas der Ministerpräsident vor beiden Kammern folgende königliche Botschaft über den Thronwechsel. „Der allmächtige Gott bat gestern unsren vielgeliebten Vater, König Friedrich VIII., zu sich berufen. Die Regie rungszeit des dahingeschiedenen Königs war nur kurz, aber durch ein langes Leben hat er sich zu seinem verantwortungsvollen Königsberuf vorbereitet, den er, beseelt von der wärmsten Liebe zu Land und Volt, mit unermüdlichem Pflichtgefühl und tiefem Verständnis der An- iordcrungen des verfassungsmäßigen Lebens ausübte. Indem wir in Übereinstimmung mit den Thronfolgerechten den Thron besteigen, beten wir zu Gott, daß er uns denselben Segen verleihen werde, wie er meinem hoch- gclieblen Vater zuteil geworden ist, und daß wir es verstehen mögen, die Liebe des Volkes in ebenso reichem Maße zu gewinnen, wie er. Wir schreiten zu unserm verantwortungsvollen Amie in der Hoffnung auf Gott und im Ver trauen darauf, daß die Vertreter unsres Volkes sich stets mit uns in ernster Arbeit für das Wohl und die Ehre des Vaterlandes begegnen werden." — Der verstorbene König war in der Tat ein Liebling des Volkes. In seinen Er holungsstunden liebte er es, sich ohne Begleitung unter das Volk zu begeben, und gar mancher Kopenhagener, wie auch mancher Fremde kann von einer Begegnung mit dem einsamen Spazier gänger berichten. Auf einem solchen Spazier gange Hai ihm nun in Hamburg, wo er auf der Heimfahrt von einer Erholungs- rehe nach dem Süden Aufenthalt genommen hatte, der Tod ereilt. König Friedrich ist in den Armen eines Schutzckanns gestorben, der den auf der Straße zusammengebrochenen „vor nehmen alten Herrn" nach dem Hafenkranken haus bringen wollte. — Der Verstorbene hatte am 29. November 1906 den Thron bestiegen. Schon nach wenigen Wochen machte er einen Besuch am Berliner Hofe. Wenn dieser Besuch auch keine unmittelbar politische Färbung hatte, so zeigte er doch aller Welt, daß der dänische .König entschlossen war, mit dem Deutschen Reiche ein herzlicheres Verhältnis anzulnüpsen, als es unter dem Eindruck der geschichtlichen Ereignisse von 1861 seinem Vater möglich ge wesen war. Ohne Zweifel haben sich unter seiner Regierung die deutsch-dänischen Beziehungen bedeutend gebessert. Zwischen dem deutschen Kaiser hause und König Friedrich bestand ein sehr freund schaftlicher Verkehr. Zu vielen fremden Fürsten häusern stand der Verstorbene in den engsten verwandtschaftlichen Beziehungen. Er ist der Vater des Königs Haakon §ll. non Norw«n, der-Bruder des Königs Georg von Gitemen- land und der Onkel des Zaren Nikolaus II. von Rußland sowie des Königs Georg von England. Der neue König Christian X. ist am 20. September 1870 geboren und mit Alexan drine von Mecklenburg, einer Schwester der deutschen Kronprinzessin Cecilie, vermählt. Er steht dadurch in besonders naher Beziehung zum deutschen Kaiserbawe. Politische Kunclickau. Deutschland. * Kaiser Wilhelm hat wegen des Ab lebens des Königs von Dänemark die geplante Reise nach Wiesbaden zur Teilnahme an den Festspielen ausgegeben. — Der Monarch ist in Homburg v. d. Höhe eingetroffen. * Bezüglich der vielbesprochenen Worte, die Kaiser Wilhelm gelegentlich des Auf enthalts in Straßburg über eine etwaige Auf hebung der Verfassung Elsaß - Lothringens und Einverleibung des Reichslandes in Preußen geäußert hat, wird jetzt amtlich eine Erklärung des Straßburger Bürgermeisters Dr. Schwanker veröffentlicht, an den die Worte gerichtet waren. Diese Erklärung lautet: „Mit Bezug auf die vielen Besprechungen über die Äußerungen Seiner Majestät des Kaisers gelegentlich des Empfanges im Zoru von Bulachschen Palais und angesichts der Auf bauschungen der Worte des Kaisers in der Presse, hat Bürgermeister Dr. Schwanker dem Wolffschen Telegraphenbureau folgende Erklärung zur Veröffentlichung übergeben: Dem Sinne nach sind die Äußerungen Seiner Majestät des Kaisers zutreffend, der Wortlaut ist jedoch in der Presse nicht richtig wiedergegeben. Jedenfalls hat der Kaiser, wenn er gegenüber gewissen Bestrebungen, das Land nicht zur Ruhe kommen zu lassen, die Möglichkeit einer Einver leibung des Landes in Preußen erwähnte, dies nur in dem Sinne gemeint, daß sie auf dem Wege durch die gesetzgebenden Faktoren des Reiches erfolge." * Der ehemalige Staatssekretär des Reichs- schatzamtes, Wermuth, ist mit 72 von 116 abgegebenen Summen zum Ersten Bürgermeister von Berlin gewählt. Italien. * In der Kammer wurden bei der Beratung des Gesetzentwurfes über das allgemeine Wahlrecht der Antrag auf Einführung des Frauen st immrechts, gegen den sich auch die Negierung aussprach, mit 209 gegen 48 Stimmen abgelehnt, der Artikel des neuen Wahlgesetzes, wonach auch des Lesens und schreibens Unkundige, wenn sie das dreißigste Lebensjahr erreicht oder ihrer Militär pflicht genügt haben und volljährig geworden sind, das Wahlrecht gewährt wird, mit großer Mehrheit angenommen. Aus ciem Keicksiage. Der Reichstag gedachte am Mittwoch des ver storbenen Königs von Dänemark in üblicher Weiss und setzte dann die erste Beratung des Marine-Etats fori. Abg. Vogtherr (soz.) brachte Beschwerden der Nordseefischer über Schädigungen durch Schieß übungen vor. Abg. Struve (fortschr. Vp.) war der Meinung, daß für die Ausbildung der Maschmen- Jngsnieure mehr getan werden müsse. Staats sekretär o. Tirpitz erktärte darauf, daß er dafür schon von Anfang an tätig gewesen sei und dankte dem Redner für die Anerkennung der Unterseeboote. Abg. Erzberger sZemr.) bat um Berücksichtigung per süddeutschen Industrie und Landwirtschaft bei Lieferungen und sprach sich gegen die Übertragung der Strafgewalt auf die Marine-Ingenieure aus. Vizeadmiral Chapelle führte aus, daß eine Reihe von Submisstonsmißständen abgestellt sei. Bei Bezug von Kleidungsstücken werde schon jetzt Süddeutsch land berücksichtigt. Abg. Brandes (;oz.) be mängelte die Ärbeitsverhältmsje bei Krupp. Staats sekretär v. Tirpitz erklärte, daß es unmöglich sei, in die Verhältnisse jedes Lieferanten einzugreisen. Er habe von der Firma Krupp nur einen günstigen Ein druck bekommen. Beim Kapitel Bekleidungsämter entspann sich eine längere Debatte. Darauf wurde der Etat bewilligt. Ebenso der Ei al des Schutz gebietes Kiautschou. Am 17. Mai stehen auf der Tagesordnung zu nächst kurze Anfragen. Anfrage Colshorn: Ist dem Herrn Reichs kanzler der authentische Wortlaut der Kundgebungen Sr. M. des Deutschen Kaisers, Königs von Preußen vom 13. Mai d. IS. an den Bürgermeister von Straßburg i. E., Dr. Schwander, bekannt, die eine eventuelle Einverleibung Elsaß-Lothringens in Preußen zum Gegenstand gehabt haben soll? — Ist der Herr Reichskanzler in der Lage, dem Reichstage den authentischen Wortlaut dieser kaiserlichen Kund gebung bekannt zu geben, und übernimmt der Herr Reichskanzler die verfassungsmäßige Verantwortung für dieselbe? Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg: Ich werde zu der Angelegenheit bei der unmittelbar be vorstehenden Beratung meines Etats sprechen. Es folgt der Etat des Reichskanzlers. Abg. Scheidemann ssoz.s: Der Reichskanzler hat die undankbare Aufgabe, Wankendes zu stützen. Die kaiserliche Äußerung über Elsaß-Lothringen be grüßen wir als ein Geständnis, daß die Einver leibung in Preußen als Strafe angedroht wird. Das ist eine Strafe gleich dem Zuchthause. Mit der Versetzung in die unterste Klasse der Neichs- zugehSrigkeit, ins Preußenland (Tumult, ein Teil der Abgeordneten ist von den Plätzen aufge sprungen und ruft Pfui!) Präsident Kämpf: Herr Scheidemann, ich rufe Sie zur Ordnung. (Der Reichskanzler v. Bethmann- Hollweg erhebt sich, winkt den andern Regierungs vertretern und verläßt mit ihnen den Saal, die süd deutschen Bundesverlreter folgen. Am Bundesrats tische bleibt nur der Unterstaatssekretär im Reichsamt des Innern, Richter, über Akten gebeugt, sitzen.) Abg. Scheidemann lsoz.): Ein Fakwr unsrer Reichsgesetzgebung kündigt aus eigener Machtvoll kommenheit Maßregelungen an, oyne zu fragen, ob die berufenen Stellen mit der Ausführung dieser Drohung einverstanden sind. Ich stelle nur fest, daß die Presse keiner Partei, keines Bundesstaates sich einverstanden erklärt hat mit dem, was der Kaiser in Elsaß-Lothringen gesagt hat. Was würde Bassermann, der inzwischen zum Petroleur von Mannheim avanciert ist — Präsioent Kämpf: Ich rufe Sie zur Ordnung l Abg. Scheidemann (sortfahrend): Den jetzigen Zuständen wollen wir ein Ende machen durch Verüärkung des Parlaments. Wir wollen nicht, daß Preußen länger das deutsche Sibirien bleibt. Präsident Kämpf: Ich rufe Sie zur Ordnung ! Abg. Scheidemann (fortfahrend): Dagegen werde ich Beschwerde einlegen. Wir wollen den Reichstag nicht zum preußischen Abgeordncicnhause machen. Ein Zentrumsabgeordneter sagte von Preußen, man müsse sich schämen, ein Preuße zu sein. Präsident Kämpf: Ich rufe Sie zur Ordnung für das Wort: Es ist eine Schmach, ein Pceutze zu sein. Abg. Scheidemann (fortfahrend): Die Aus weisung Borchardts war ein symbolischer Akt dos preußischen Lanvtages. Die Urheber jenes Streiches werden sich wundern über die ungeahnte Wirkung ihrer Handlungsweise. Auf Grund welchen Gesetzes sind jene Leute überhaupt in jenem Hause? über haupt nicht auf Grund eines Gesetzes, sondern auf Grund einer Verordnung, die vor 63 Jahren unter Bruch eures königlichen Wortes gemacht worden sind. Präsident Kämpf: Herr Abgeordneter Scheide mann, ich rufe Sie zur Ordnung. — (Der Präsi dent stellt nach dem Stenogramm fest, daß der Redner die Einverleibung Elsaß-Lothringens in Zusammenhang gebracht hat mit dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte.) Wenn Sie damit gemeint hoben, daß Elsaß Lothringen durch die Einverleibung in Preußen der Ehrenrechte verlustig geht, dann rufe ich Sie zur Ordnung. Abg. Spahn (Zentr.): Die elsaß-lothringische Verfassung ist gesetzmäßig zustande gekommen und kann nur durch ein Gesetz wieder abgeändert werden. Was die Wirkung dieser Äußerung betrifft, so wird sicherlich das Berständigungswerk in Elsaß-Lothringen schwer daruuier leiden. Aog- Graf schwerin-Löwitz (kons.): Wir halten es nicht für geeignet, über angebliche Äuße rungen des Kaisers, solange der Wortlaut dieser Äußerungen nicht amtlich feststeht, zu sprechen. Was die Frage selbst angeht, d. h. die Entwicklung der inneren Politik in Elsaß-Lothringen, so kann ich namens meiner politischen F.eunde erklären, daß uns diese innere Entwicklung in Elsaß-Lothringen und die jüngsten Vorgänge nur bestärkt haben in unsrer Überzeugung, daß die ganze Verfassung ein Fehler gewesen ist. Präsioent Kämpf: Nach Einsichtnahme des Stenogramms der Rede des Abg. Scheidemann hat dieser von der Versetzung in die unterste Stufe der RcichsangehSrigkeit, ins preußische Land, gesprochen. Ich rufe den Abg. Scheidemann zur Ordnung. Abg. v. Calker (nat.-lib.) wendet sich gegen die Angriffe, die Abg. Scheidemann gegen Preußen gerichtet hat. (Während seiner Rede haben der Reichskanzler und die BundeSratSmstglieder den Saal wieder betreten.) Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg: Auf die Vorgänge, die mich gezwungen haben, den Saal zu verlassen, will ich nicht eingehen. Ob die elsaß-lothringischen Vorgänge in letzter Zeit eine an- , dauernde politische Bedeutung erlangen werden, ob aus ihnen der Schluß gezogen werden darf, daß die Verfassung unzweckmäßig war, kann noch nicht be urteilt werden. Diese Vorgänge haben das Empfinden weiter deutscher Kreise tief verletzt. Diesem Unwillen hat der Kaiser Ausdruck gegeben. Ich lege gegen die von der Presse gegen den Kaiser gerichteten Angriffe Verwahrung ein. Der Kaiser hat in privatem Kreise seinem Unmute über das Ausdruck gegeben, was deutsche Kreise erfüllt. Die Äußerungen find durch einen Vertrauensbruch in einem französischen Blatte an die Öffentlichkeit ge kommen. Das wird selbst in Elsaß-Lothringen peinlich empfunden. Solange ich an dieser Stelle stehe, trete ich vor meinen Kaiserk Es hat dem Kaiser fern gelegen, die Rechte von Bundesrat und Reichstag zu berühren. Nur diese beiden Instanzen hätten einmal darüber zu befinden, ob die verfassungsmäßigen Zustände geändert werden müssen. Niemand kann die Augen davor schließen, daß in Elsaß-Lothringen deutschfeindliche Bestrebungen am Werke find. Gegen diese Bestrebungen muß alles, was deutsch ist, zusammenstehen. DaS ist Kern und Inhalt der kaiserlichen Mahnung gewesen. War es ein Unrecht? Nein! Darüber ist sich die ganze Nation einig, daß Maß-Lothringen zu uns gehört, wie jeder andre Teil des deutschen Vaterlandes. Nehmen die Treibereien überhand, welche diese Tat sache auch nur entfernt in Zweifel ziehen könnten, dann würde es Pflicht -es Bundesrats und Reichs tags sein, Mittel zu finden, solchen Treibereien ein Ende zu bereiten. Diese Pflicht wäre eine Pflicht deutscher Ehre! Abg. Haas- Baden (iortschr. Vp.): Wir müssen uns fragen, ist durch die Äußerung des Kaisers nicht schwerer Schaden in Elsaß-Lothringen und ganz Deutschland angerichtet worden? Und hat der Kaiser das Recht, von sich aus eine Verfassungsänderung anzukündigen, und wenn er das Recht hatte, war es dann gut, daß er selbstherrlich einen Gedanken aus gesprochen hat, den durchzuführen andre geseygebende Faktoren mitzuwirken haben? Wir müssen diese Fraget! aus den verschiedensten Gründen verneinen. Die deutschen Stämme haben alle ihre Eigenart, gönnen wir auch den Maß-Lothringern die ihre. Wir wollen ihnen sagen: Hinter eurem Recht steht der Wille des deutsche» Volkes, und der Wille des deutschen Volkes ist in dieser Sachs mächtiger, als der des Kaisers. Abg. Schultz (Neichzp.): Es ist nicht zu ver wundern, daß der Deutsche Kaiser sich durch die Vorgänge in Elsaß-Lothringen in seinem tiefsten Innern verletzt fühlt. Er muß berechtigt sein, eine Warnung auszusprechen. Kein Mensch hat das Recht, ihm vorzuwerfen, daß er sich über die Ver fassung hinweggesetzt hat. Der Abg. Scheidemann hat vom preußischen Staate gesprochen. Das geschah in einer Weise, in einer Versammlung, die ohne die Wohltaten des preußischen Staates nicht bestehen würde, daß einem das Gefühl des — Mitleids mit den Leuten überkommt, die selbst Preußen sind und diesen Worten Beifall zollen können. Diese Aus tritte werden unvergessen bleiben, aber ich rufe Ihnen das alte Wort zu: Sie können das Matz der Beleidigungen, Kränkungen Berge hoch häufen, an das Maß unsrer Verachtung können Sie nicht heran reichen. An dem ehernen Fels der preußischen Monarchie werden alle Ihre Angüsse zerschellen, und er wird bestehen bleiben. Abg. Hauß (Els.): Wir haben uns über die kaiserlichen Worte nicht aufgeregt, aber sie tief beklagt. Abg. Lensch (soz.): Mit welchem Recht ruft sich der Kanzler als der Vertreter des deutichen Volles aus? Er ist nur der Vertrauensmann des P?riön- lichen Regiments, der Prügeljunge. (Präsioent Kämpf ruft den Redner zur Ordnung). Aus der kaiserlichen Rede tönt uns der Geist des GotteS- gnaderNums entgegen, wie es in Königsberg verkündet wurde; „der Herr hat's gegeben, der Herr Habs ge nommen, der Herr sei gelobet!" (Präsioein Kämpf ruft den Redner abermals zur Ordnung). Die Be handlung, die der Reichskanzler dem Reichstag an- gedcihen löst', lassen wir uns nicht gefallen. Der Reichstag yt kein preußisches Abgeordnetenhaus, wobei ich htngestcllt sein lasse, ob das preußische Ab geordnetenhaus überhaupt noch ein Parlament ist. Ein Schlußantrag wird gegen die Sozialdemo kraten angenommen. Darauf vertagt sich das Haus. A öiegenäe L,iebe. Ivj Roman von Paul Bliß. /For.'leymiA.> Als der Maler am nächsten Morgen kam, überreichte er Elsbeth ein kleines Päckchen. Errötend nahm sie es — Goethes Gedichte in Prachtband — mit aufrichtiger Dankbarkeit reichte sie ihm die Haud. „Das war lieb von Ihnen!" sagte sie. Stumm küßte er ihre Hand. Dann begann die Arbeit. „Der letzte Tag," sagte er mit wehmütigem Ton. Sie schwieg und nahm ihre Stellung ein. Still und emsig begann er zu arbeiten. Selten sprach einer von beiden ein paar Worte. Mit ganzem Eiser war er bei dem Werk — noch einmal alle Kraft zusammennehmen, noch einmal sich ganz konzentrieren — dann war es vollendet. Eine ganze Stunde malte er ununterbrochen — dann stand er auf, trat zurück, betrachtete das Bild lange und eindringlich — dann legte er Pinsel und Palette hin und sagte scherzend: „Mein gnädiges Fräulein, ich danke verbind lich st !" Wie erlöst atmete sie auf, sprang lachend berbei und rief: „Fertig!? Na, Gott sei Dank!" Sie trat wieder hin vor das Bild, es an- zuseben. Er aber faßte sie unter den Arm, führte sie weg und sagte: „Nun lassen wir es mal ein paar Tage vollständig unbesehen in der Ecke j stehen, und dann beschauen wir es erst, dann ! haben wir einen freieren, ungetrübten Blick. — So, und nun reden wir mal 'ne ganze Weile von etwas anderm!" Unter dem Nußbaum an dem runden Tisch ließen sie sich nieder. Sie wickelte das Gedichtbuch aus, und plötz lich blieb ihr Blick an dem Zeitungsblatt des Umschlags haften. Erstaunt fragte er: „Was haben Sie denn da?" Lächelnd wies sie auf ein Inserat, eine Theateranzeige des Opernhauses in Berlin. — Am Sonntag gibt's den „Tannhäuser"!" sagte sie mit strahlendem Blick. Er nickte. — „Kennen Sie die Oper?" Heiter sah sie ihn an. — „Woher sollte ich wohl die Oper kennen? Ich bin doch noch nie aus diesem Nest herausgekommen! Aber ein zelne Stücke daraus sind mir bekannt. Es war nämlich Papas Lieblingspoper, und einige Sachen daraus hat er mir so ost vorgespielt, daß ick sie fast kenne." Interessiert fragte er: „So, welche denn?" „Das Lied an den Abendstern und den Pilgerchor," erwiderte sie lebhaft. „Ach, das Lied müssen Sie singen! Kommen Sie hinein, ich begleite Sie!" rief er. Nun wurde sie verlegen. „Aber wir haben doch kein Instrument mehr; das ist ja nach Papas Tode alles ver kauft worden." „Wie schade," sagte er still. Aber plötzlich kam ihm eine andre Idee. Schnell fragte er: „Möchten Sie Wohl die Oper hören, Fräulein Elsbeth?" „Und ob ich möchte!" antwortete sie lebhaft. „Aber der Wunsch wird mir wohl vorest nicht erfüllt werden." Da rief er heiter: „Also hat man doch einen noch unerfüllten Wunsch!" Lächelnd schwieg sie. Er aber sprach schnell weiter: „Na gut, Sie sollen die Oper kennen lernen, ich lad« Sie ein dazu!" Glücklich, aber auch ungläubig sah sie ihn an. „Ja, ja! Wirklich! Ich lade Sie ein, Sie und das Mütterchen! Machen Sie sich nm be reit. Es soll Sie keinen Pfennig kosten. Das soll meine Revanche sein für Ihre Sitzung!" „Ja, aber wie denn?" — — Sie wußte sich noch immer nicht zu fassen. „Nun, ganz einfach. Wir fahren nach Tisch hier fort, dann sind wir um drei in Berlin; dort gehen wir ein bißchen spazieren, abends in die Oper und dann mit dem Nachtzug zurück. Sie sehen, es geht herrlich. Um zwölf Uhr find Sie schon wieder zu Hause." Vor Aufregung wurde sie ganz rot. — „Aber was wird Muttchen dazu sagen?" stammelte sie nur. „Das werden wir gleich erfahren. Kommen Sie nm, ich werde ihr sofort seierlichst meine Einladung überbringen." Und ohne erst einen Widerspruch abzuwarten, ging er mit der Kleinen ins Haus. Fmu Bürger sah erstaunt über ihre Brille weg von der Näharbeit auf. Mit hellerer Würde begann der Maler: „Meine verehrte Frau Bürger, ich erlaube mir, Sie und Ihr Fräulein Tochter für den Sonn tag einzuladen — wir fahren nachmittags nach Berlin, gehen abends in die Oper und sind um zwölf Uhr wieder hier." Die alte Frau sah ihn starr an — sie glaubte nicht recht gehört zu haben. „Nun, was meinen Sie dazu? Haben Sie Lust? Fräulein Elsbeth möchte nämlich gern den „Tannhäuser" hören!" „Aber das kann koch gar nicht Ihr Ernst sein, Herr Fröhlich," sagte Muttchen endlich. „Doch, doch! Es ist mir sogar sehr ernst!" versicherte er. „Und ich möchte Ihre Zustimmung am liebsten jetzt gleich haben, damit ich durch einen Freund die Billetts besorgen lassen kann." „Meine Zustimmung? Ja, ich weiß wirklich nicht" — sie war ganz ratlos und sah die Tochter an. „Hättest du nicht auch ein bißchen Lust, Muttchen?" fragte Elsbeth weiter. „Aber, Kind, das ginge doch gar nichts sagte sie da. Doch schnell rief der Maler: „Oho! Warum soll es denn nicht gehen? Gestatten Sie mir doch, mich für all die erwiesene Liebenswürdig, keit zu revanchieren! Und wenn Sie mir nun einen Korb geben, so würde ich das als eine Beleidigung ansehen!" Muttchen indes gab diesmal so leicht nicht nach. Aber die Tochter im Verein mit dem jungen Mann waren doch stärker, und so zwackten sie der allen Frau denn endlich das Jawort ab. Beglückt ging Fritz Fröhlich fort, um alles- Notwendige sofort zu veranlassen.
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