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Allgemeiner Anzeiger : 24.04.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-04-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1912
-
Monat
1912-04
- Tag 1912-04-24
-
Monat
1912-04
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 24.04.1912
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Vie Geretteten -er „Manie". Nach den neuesten Berichten ist die „ Car- pathia" mit den Geretteten, unter denen sich viele Kranke befanden, in New Jork eingetroffen. Es sind im ganzen 710 überlebende. Nach den Berichten der Geretteten erschoß sich Kapitän Smith nach dem Zusammenstoß, auf der Kom mandobrücke. Im übrigen gaben die Geretteten folgende Erklärung ab: „Sonntag, den 14. April 1912, um 11 Uhr 40 Min. nachts, während kalten Wetters, Hellem Sternenlicht und ruhiger See stießen wir auf einen Eisberg. Der Auskiek hatte den Eisberg vorher gesichtet, aber zu spät, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Es wurden sofort Maßregeln getroffen, um die Größe des angerichteten Schadens sestzustellen und die Passagiere zu retten. Rettungsgürtel wurden verteilt und die Rettungsboote herabgelassen. Das Schiff sank Montag um 2 Uhr morgens. Die gewöhnlichen drahtlosen Signale waren abgesandt und Raketen abgebrannt worden. Glücklicherweise meldete die „Carpathia" ihre Nähe und erschien an der Unglücksstelle um vier Uhr Montag morgen. Die überlebenden befanden sich in vierzehn Rettungsbooten, vier zerlegbaren und zwei kleinen Booten. Schwimmgürtel und andre Reitungsvorkehrungen für sämtliche Personen waren auf der „Titanic" vorhanden. Die „Titanic" führte Lebensrettungsboote für 950 Personen, entsprechend den englischen Vor schriften. Die „Carpathia" nahm auf: 2l0 Paffagiere erster Kajüte, 125 zweiter Kajüte, 200 des Zwischendecks, 39 Offiziere und See leute, 96 Stewards und 71 Heizer, also ins gesamt 206 Mannschaften. Wir halten es für unsre Pflicht, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Unzulänglichkeit der Rettungsmaßregeln zu lenken." — Trotz dieses letzten Satzes ist es offenbar, daß dieser Bericht eines Komitees der Geretteten unter dem Einflüsse Btr. Ismays, des geretteten Direktors der White Star-Linie, entstanden ist. Andern Berichten zufolge hat sich der Kapitän Smith nicht erschossen, sondern ist mit seinem Schiff, auf der Kommandobrücke stehend, gesunken. Während der Dampfer sank, spielte die Schiffskapelle, unter der Kommando brücke stehend, das amerikanische Kirchenlied: „Näher, mein Gott, zu dir." Hunderte von Passagieren sprangen, mit Rettungsgürteln ver sehen, ins Wasser. Keiner von ihnen konnte gerettet werden. Der greise Millionär Isidor Strauß stand mit seiner Frau, die sich ge weigert hatte, ohne ihren Mann das Schiff zu verlassen, Hand in Hand. So versanken beide in die Tiefe... Velckiekung äer OaräaneUen. Die Italiener haben nunmehr den lange angekündigten Vorstoß gegen die Dardanellen, das Herz der Türkei, unternommen, um, wenn möglich, nach Konstantinopel vorzudringen und so die Türkei zu einem Frieden zu zwingen, der die Wünsche Italiens in bezug auf Tripolis erfüllt. 27 Kriegsschiffe, nach andern Berichten sogar 30, beteiligten sich an der Beschießung, die indessen am ersten Tage völlig wirkungslos blieb. Nachdem nun der mit so großer Zu versicht unternommene Krieg bereits sieben Monate dauert, sehen sich die Italiener, die dem Gegner auf tripolitanijcher Erde nicht beikommen können, zu einer völligen Änderung des Kriegsplanes gezwungen. Es ist bezeichnend für die Stimmung, die im strategischen Lager Italiens herrscht, daß man just in dem Augenblick eine so entscheidende Maßnahme ergreift, wo die Friedensverhand lungen der Mächte in vollem Gange sind. Wie der Zug nach Tripolis, so kam auch diese neueste Wendung der internationalen Diplomatie völlig unerwartet, nur die Türken waren nicht überrascht. Sie haben das Zaudern der Italiener trefflich genutzt und sowohl die Ein fahrt in die Meerengen, als auch die ihre schmälsten Stellen beherrschenden Befestigungen in einen glänzenden Verteidigungszustand gesetzt. Schon beim Beginn des Bombarde ments leuchtete den Angreifern ein, wie recht der türkische Kriegsminister Mahmut Schewket- Pascha hatte, als er kürzlich mit Bezug auf eiE7 mögliche Beschießung der Dardanellen durch die Italiener sagte: „Sie sollen nur kommen I" In der Tat wurde nach vierstündiger Kanonade das Feuer eingestellt und die Italiener dampften in die See zurück, nachdem eines ihrer Schlacht schiffe aus der Schlachtlinie verschwunden war. Man nimmt an, daß es gesunken ist. Rein strategisch betrachtet, ist das Vorgehen der Italiener eine Heldentat, eine größere, als bisher trotz aller in Rom ver breiteten Siegesnachrichten in Tripolis geleistet wurde. Die italienische Heeresleitung weiß, wie alle Welt, daß die türkischen Befestigungen mit den modernsten Krupp-Geschützen ausgerüstet sind, und daß sich die Einfahrt in die Meer engen nur erzwingen läßt, wenn die Schiffe einzeln hintereinander fahren. Ein gut Teil der Kampfverbände ist also von der Heeres leitung von vornherein zum Untergang be stimmt worden. Sie müssen den feindlichen Geschossen zum Opfer fallen, ehe die Flotte die Fortsgeschütze zum Schweigen bringen kann. Dazu kommt aber noch die schwere Minengefahr. Seit Wochen liegen in den Dardanellen Hunderte von schwimmenden Minen, der Handelsschiffahrt nur eine sehr schmale Fahr straße lassend, die natürlich mit dem Beginn des Bombardements ebenfalls gesperrt worden ist. Es ist wohl kein Zufall, daß Italien diesen von ganz Europa mit banger Sorge erwarteten und mit großem Mißbehagen ausgenommenen Schritt zur selben Zeit unternommen hat, wo in Konstantinopel die neugewählte Kammer mit einer Thronrede eröffnet wurde, in der es u. a. heißt: „Der von Italien ungerechterweise und den internationalen Verträgen zuwider hervor gerufene Krieg dauert trotz des von allen Seiten gewünschten Friedens fort. Auch wir wünschen den Frieden; doch könnte ein Friede den Krieg nur beenden unter der Bedingung der Aufrechterhaltung der unversehrten türkischen Hoheitsrechte." Italien sieht jetzt wohl seinen schweren Fehler ein, der darin bestand, daß es mit fast komischer Feier lichkeit den Erlaß in die Welt setzte, wonach Tripolis künftig zu Italien gehöre, anstatt nach den ersten Erfolgen die Überraschung der Türken und die Bestürzung der Araber zu be nutzen und gegen die Wüste vorzudringen. Jetzt soll ein Schritt der Verzweiflung und ein Gewaltstreich zugleich den Fehler gutmachen. U. l). Politilcke Kunälckau. Deutschland. * Das Kaiserpaar wird Mitte Juni der Einweihung der Posener Schloßkapelle bei wohnen. * Der bayrischeMinisterrat hat sich in seiner letzten Sitzung u. a. mit der Brannt weinbesteuerung befaßt, und zwar be sonders mit der Frage der Liebesgabe und der Erhaltung des süddeutschen Bcauvorrechts. Mimsterpräsioent v. Hertling hat nach dieser Sitzung auf eine Anfrage erklärt, daß das bayrische Ministerium die Schaffung einer Klein- handelsberufsgenossenschaft im Bundesrat be fürworten wolle. * Die aufsehenerregende Verhaftung des deutschen Grenzkommissars Dreßler aus Eydtkuhnen, die in dem Augenblick erfolgte, als der Beamte eine Dame über die Grenze geleitete, ist angeblich wegen Verdachts der Spionage erfolgt. Dreßler wird von der russischen Regierung und Polizei beschuldigt, seit sechs Jahren einen regelrechten Spionage dienst eingerichtet zu haben. Seine häufigen Besuche in Rußland wurden schon lange scharf beobachtet. Nachdem genügendes Material ge sammelt war, veranlaßte das Wilnaer Mililär- bezirksgericht Dreßlers Verhaftung. In Kowno, wohin man den Verhafteten gebracht hat, wurden sechs Personen, die angeblich in Dreßlers Diensten stehen, verhaftet. Osterretch-Unv ar«. * -Dem österreichischen Abgeord nete nh au se ist ein Antrag betr. die Schaffung eines Gesetzes zur Sicherung des Publikums, das zu Schiff reist, zuge- gangen. England. * Die Frage eines deutsch-englischen Bündnisses als Mittel zur Einschrän kung der Rü st ungen wurde dieser Tage im Unterhause zur Sprache gebracht. Der Unionist Hall fragte, ob Deutschland zu ver stehen gegeben habe, daß es bereit sein würde, in ein Angriffs- und Verteidigungsbündnis mit England ernzutreten, als das einzige Mittel, dem Rüstungswettstreit ein Ende zu machen. Parlamentssekretär Acland erwiderte, daß die Frage mit nein beantwortet werden müsse. Italien. -Der Papst hat dem Präsidenten Taft sein Beileid ausgesprochen anläßlich des Todes des Majors Butt, der in seiner Eigenschaft als Adjutant Tafts ein Handschreiben des Papstes sowie des Staatssekretärs Mery del Val nach Washington bringen sollte, aber mit der „Titanic" unterging. Die Briefe enthielten die Antwort des Vatikans auf den Dank Tafts für die Ernennung zweier amerikanischer Kac- dinäle. Aus äem Keickstage. Der Reichstag setzte am Donnerstag die Be ratung des Justizetats fort, nachdem Staatssekretär Delbrück erklärt hatte, daß der Reichskanzler die nationalliberale Jesuiten-Jnterpellation zu einem noch festzusetzenden Zeitpunkte beantworten werde. In der Debatte beim Justizetat blieb neben der Erörte rung der verschiedensten Fragen auch eine Kritik der Rechtspflege im allgemeinen nicht aus, die Abg. Stadthagen (soz.) als Klassenjustiz in Bausch und Bogen verurteilt. Bon den Rednern der bürgerlichen Parreien sowohl wie von dem Staatssekretär Lisco wurde diese Kritik teils als maßlos übertrieben, teils als völlig unbegründet zurückgewiefen. Der Staatssekretär stellte noch die Revision der Zivtl- prozeß- und der Konkursordnung in Aussicht. Ge setzentwürfe über die Konkurrenzklausel und über die Haftpflicht der Eisenbahnen würden dem Hause in der nächsten Session zugehen. Ein Gesetzentwurf über die Erhöhung der Zeugen- und Sachverständi gengebühren könne dem Hause mit Rücksicht auf die Finanzlage nicht vorgclegt werden, obwohl er fertig sei. Das Strafgesetzbuch werde diesem Reichstage nicht mehr vorgelegt werden. Am 19. d. Mts. wird die Beratung des Justiz- etats fortgesetzt. Abg. Heine (soz.): Die Resolution Normann über die Schmutzlitteratur lehnen wir ab, weil wir diesen Kampf gegen die Freiheit der Presse und Literatur nicht mitmachen. Durch unsre Presse sorgen wir für die Ausklärung der Jugend. (Zuruf rechts: Wahrer Jakob!> Das ist keine Jugendschrsst. Gegen die Resolution Mumm, die eine Aufsicht für Kinos forsert, haben wir einige Zweifel, aber es stehen ja schließlich auch die Theater unter Polizei aufsicht. Nun die Rechtsanwälte. Ich verteidige nicht alles, was vorgekommen ist; aber auch vom Richtertisch wird gefehlt. Der Vorsitzende sollte nicht das Recht haben, Ordnungsstrafen zu ver hängen. Das Strafgesetzbuch will man deshalb nicht an den Reichstag bringen, weil er 110 Sozialdemokraten zählt. Es ist ein Attentat aus Freiheit und Koalitionsrecht. Ein grober Angriff aus Vie richterliche Freiheit ist die Maßregelung des nationalliberalen Amtsrichters Havenstein. Der Duellunfug wird immer schlimmer. Die Behörden begünstigen ihn. Die schlagenden Verbindungen haben hauptsächlich den Zweck, Duelle zu veranstalten. Sie müssen also vervoten werden. Im Fall Hermann ist nichts heraus- gekommen, weil man die Solidarität der Unter- bcamten unterschätzt hat. Die Vorbildung unsrer Richler ist nicht so schlecht, sie sind gelehrt genug, aber zu weltfremd. Die Richler treiben Klassen justiz, weil sie einen Autoritätskoller haben und kein Verständnis für oie sozialen Verhältnisse der Ar beiter. Abg. Pfeiffer (Ztr.): Bestechlich und bewußt parteilich find unsre Richter nicht. Ich möchte darauf Hinweisen, daß in Schweinfurt und anderswo Arbeiter mit Gefängnis bestrajt wurden, weil sie bei der Rcichstagswahl für andre Personen gewählt haben. In Würzburg wurde ein Ingenieur wegen desselben Vergehens freigespcochen. Das muß auf reizend wirken. Kinematographentheater haben bisher mehr Schaden wie Nuyen verbreitet. Eine I Zensur nach dem Muster der preußischen ist- empfehlenswert. Abg. Frhr. v. Richthofen (nat.-lib.): Meine Partei und die Fortschrittler haben eine Resolution eingebracht, die einheitliche Examina für das Reich fordert, sowie eine Resolution auf gesetzliche Regelung der Zulaffungsbedingungen zum Rewtskonsulenten- gewerbe und Feststellung einer Gebührenordnung für die Rechtskonsulenten. Die Sptonagejustiz bedarf wohl einer Reform. Es mag dahingestellt sein, ob die Spionage eine anständige Haft verdient, jedenfalls sind doch die Festungen nicht eingerichtet für Leute, die mit allen Sinnen ins Freie wollen. Die Sozialdemokraten behaupten ja nicht eine be wußte, sondern eine objektive, unbewußte Klassen justiz. Mit der Wahl der Richter erreicht nian nichts, als daß man sie abhängig macht von Majoritäten, und das ist viel schlimmer als Ab hängigkeit von angeborenen oder im Leben erwor benen Auffassungen. Jede Abhängigkeit der Richter muß verhindert werden. Staatssekretär Lisco: Gegen die gesetzliche Festlegung der Zulaffungsbedingungen für die Rechts konsulenten bestehen Bedenken. Die Rechtsanwälte haben das Prä; nur wenn nicht genügend Rechts anwälte an einem Amtsgericht sind, sollen Prozeß anwälte zugelaffen werden. Die Zulaffungsbedin gungen festzufetzen, also das Gewerbe kon zessionspflichtig zu machen, hat das Bedenken, daß der Amtsrichter dann jeden, der die Bedingungen erfüllt hat, unter allen Umständen zulassen muß. Die Strafrechtskommission ist der Meinung, daß die Bestimmungen des bisherigen Spionagegesetzes nicht ausreichen. Ob eine Novelle noch vor Erlaß der allgemeinen Revision gemacht werden soll, unter steht der Prüfung der Instanzen; bisher ist an uns eine Anregung von militärischer Seite noch nicht herangekommen. Abg. Ablaß (fortschr. Vp.): Die Schaffung des Handelsgesetzbuches und der Wechselordnung im Jahre 1862 war der erste Sieg deS deutsche» Einhettsgedankens. Vielleicht läßt sich ein Weltwechselrecht schaffen. Eine freie Rechtsbewcgung könnte manchen Mißständen des bestehenden Rechtes begegnen. Wir sind für Popularisierung der Rechtswissenschaft und rechtS- polittschen Fortschritt, gegen Buchstabenauslegung und kastenmäßige Abschließung des deutschen Juristen standes. Es ist erfreulich, daß immer mehr ver langt wird, daß Orden und Ehrenzeichen an Richter nicht gegeben werden. Die deutschen Richter werden nervös, wenn man sie weltfremd nennt. Die Gebühren der Rechtsanwälte sind seit 1879 nickt erhöht worden, sie sind daher viel zu niedrig. Die Mark von 1879 ist bei weitem nicht mehr die von 1912. Abg. Dombeck sPole): Die Richter in Posen müßten polnisch sprechen können, denn Dolmetscher können Aussagen nicht so genau ins Deutsche über setzen. Dadurch sind Rechtsirrtümer möglich. Abg. Bolz (Zentr.): Den Tarifverträgen sollte auch das Justizamt Aufmerksamkeit schenken. Die privatrechtliche Seite der Tarifverträge sollte endlich geregelt werden. Abg. Siehr (fortschr. Vp.): Die Mindestforde rungen für die jungen Juristen sollten so auSge- staltet werden, daß wir zu einer einheitlichen Rege- lung dieser Verhältnisse kommen. Zu diesem Ziele würden wir selbst eine Verfassungsänderung in Kauf nehmen. Abg. Warmuth (b. k. Fr.): Der deutsche Richter steht trotz mannigfacher Angriffe fest im Ver trauen des Volkes und hat berechtigten Anspruch darauf. Abg. Stadthagen baut seine Angriffe gegen die Richter auf unvollständige Preßberichte auf. Allerdings sollte beim Diebstahl notwendiger Lebensmittel auch Geldstrafe zulässig sein. DaS gleiche gilt unter Umständen für Freiheitsberaubung. Die Aussprache endet. Die Resolutionen: Tage gelder für Schöffen und Geschworene, Gesetz gegen Schmutz- und Schundliteratur und die Auswüchse des Kinematographen zum Schutz der Jugend, Kinematographengesetz, sowie juristische Vorbildung — werden mit wechselnden Mehrheiten angenommen. Die Konzessionkpflicht und Gebührenordnung der Rechtskonsulenten wird abgelehnt. Das HauS vertagt sich. Präsident Kämpf läßt folgenden soeben ein gegangenen schleunigen Antrag der Reichspartei ver lesen: 1) Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, Erhebungen anzustellen, ob bei der deutschen See schiffahrt für Passagiere und Besatzung jede mög lichen Sicherheitsmaßnahmen getroffen sind, und ob insbesondere alle deutschen Seeschiffe ausreichende Rettungsboote mit sich führen, um allen an Bord befindlichen Personen im Falle der Gefahr Aus nahme zu gewähren; 2) sür den Fall, das die Er fahrungen mit dem Untergang der „Titanic" es nölig erscheinen lassen, unverzüglich auf dem Wege des Gesetzes vorzugehen. Dieser schleunige Antrag wird auf die nächste Tagesordnung gesetzt. Hü Siegenäe lUebe. 2^ Roman von Paul Bliß. (Fortsetzung.) „O doch! Aber in einem kleinen Ort ge wöhnt man sich schnell an so was. übrigens waren ihre Eltern gar nicht so einfache Leute." „Sie sagten doch — wenn ich nicht irre — daß die Mutter eine Waschfrau sei." „Jetzt ja, oder vielmehr seit vier Jahren, solange sie Witwe ist — die Not hat sie dazu getrieben — übrigen macht sie auch nur die feinere Wäsche für die besseren Leute, und nebenbei bessert sie aus und macht feinere Handarbeiten." „Also ging eS den Leuten früher besser?" „Nun, besser wohl auch nicht, aber solange der Vater lebte, sorgte er allein für den Unter halt — aber das war auch nur so so — er war nämlich Musiklehrer — und er trank auch gern und oft über den Durst — so daß wohl recht oft große Not im Hause war — wenigstens erzählte man sich die seltsamsten Dinge darüber." Sinnend schwieg der Maler — sein Inter esse wurde immer mehr rege. Der Wirt aber fragte schmunzelnd: „Wie es scheint, wird der Herr nun wohl ein Weil chen bei uns bleiben, nicht wahr?" Jetzt lächelte auch der Maler. „Schon mög lich," sagte er, „wenn es mir sonst gefällt, übrigens, was meinen Sie, wird die Kleine sich wohl malen lassen?" Der Alte zuckte die Schultern, zog die Augenbrauen hoch und erwiderte: „Ja, junger Heir, das glaub' ich nun wohl kaum." Der andere runzelte die Stirn. Da sagte der Wirt schnell: „Aber werweiß, vielleicht tut sie's doch — vielleicht gelingt Ihnen, was noch keinem Burschen hier gelungen ist — vielleicht zieht sie sich vor Ihnen nicht zurück. Aber das kann ich Ihnen gleich jagen: schlau anfangen müssen Sie es, sonst gelingt es Ihnen wohl kaum." Jetzt lächelte der Maler schon vertrauens voller, indem er dem Alten zunickte: „Na, wollen mal sehen, was sich machen läßt." Damit stand er auf, zahlte und wollte gehen. „Haben der Herr denn schon eine Wohnung?" fragte der Wirt. „Ja so, die Wohnung! Nein, noch hab' ich keine." „Vielleicht bleiben der Herr bei mir — gut aufgehoben sollen Sie hier schon sein." Der Maler überlegte einen Augenblick, dann sagte er: „Nun ja, vorerst werde ich hier bleiben; was dann weiter wird, werden wir abwarten." Man einigte sich über den Preis und der Fremde blieb. „Hier haben Sie meine Karte," sagte er, während er ins Haus ging. „Fritz Fröhlich," las der Alte, rieb sich ver gnügt die Hände und dachte: „Diesen Gast verdanke ich der Plättgräfin, ha, Hal" 2. Inzwischen stieg Elsbeth Bürger flott und behend den Hügel hinab. Sie war heut' so froh und lustig, wie sie schon lange nicht ge wesen. All die kleinen Spitzworie, die sie oben von den Mägden hatte mitanhören müssen, waren schnell vergessen. Und nun freute sie sich des blauen Himmels und der lachenden Sonne. Jubelnd stieg eine Lerche vor ihr auf, pfeil gerade schob sie in die blaue Höhe und schmetterte ihr Loblied heraus. „Mein Gott, wie ist das schön l" sagte Els beth halblaut vor sich hin, stand still, hielt die Hand schützend vor und sah empor zu der lustigen, kleinen Lerche. Wie in Andacht versunken stand sie da, sah erst in die blaue Lust, dann aber senkte sie den Blick talwärts, wo im Rahmen der grünen Saaten das idyllische, Leine Städtchen lag. „Und das da unten," sprach sie weiter zu sich selbst, „wie ist das lieblich I Tausendmal hab ich's gewiß schon so liegen sehen, und immer, wenn ich's wieder sehe, fesselt es mich — meine liebe, kleine Heimatstadt l" Sinnend stand sie da und sah hinab in das so liebliche Tal. Jeden Weg und Steg, jeden Baum, jeden Fleck kannte sie da — ihre erste Jugendzeit erstand vor ihr, die herrliche, sorgenlose Zeit, wo sie froh und harmlos dahin tollte und noch nicht wußte, wieviel Kummer und Qualen ein armes Menschenherz ertragen kann — und dort hinten, eingefaßt von hohen, grünen, ernsten Tannen, lag der Leine Fried hof, die Stätte, wo ihr lieber, armer Papa unter seinem grünen Rasenhügel ruhte — „Papi, liebster," flüsterte sie und sah mit tränenvollen Augen hinüber — „Papi, liebster!" Aber die Sonne lachte, und in den Zweigen, die im ersten duftigen Grün prangten, jubelten die Vögelchen, und es war eitel Wonne und Jauchzen weit umher — da konnte dann auch das reine, junge Menschenherz nicht lange s» traurig sein. Die Trauer schwand, die Wehmut kam und machte das Herzchen doppelt weich und aufnahmefähig, und der laue Windhauch wehte so süße und jo kräftige Wohlgerüche heran und erzählte von so viel neuem Werden und Entstehen, daß das Leine Herzchen ganz m Träumereien versank und tausend stillen unk heimlichen Wünschen nachsann. Plötzlich, wie aus der Erde gewachsen, stank ein junger Förster vor ihr. Sie erschrak, daß sie laut ausschrie. „Nun, nun, hat man denn so'n bvseS Ge wissen?" fragte lachend der Grünrock. „Wie unrecht, mich so zu erschrecken!" sagte sie leicht erzürnt. Er jedoch erwiderte in größter Ruhe: „Ja, ein tüchtiger Forstmann muß immer unverhofft kommen." „Ich bin doch kein Wilddieb," scherzte sie nun schon ein wenig. „Aber es könnte doch sein, daß Sie Ihre Körbchen da mit trockenem Holz füllen möchten," neckte er weiter. „Und das hätten Sie mir dann natürlich sofort verboten, nicht wahr?" „Aber selbstverständlich. Das müßte ich doch tun." Kopfschüttelnd sah sie ihn an; jetzt war sie ernst; dann sagte sie: „Wie kann man nur so herzlos sein, den armen Leuten das bißchen dürres Holz nicht zu gönnen!" Nun wurde auch er ernster: „Gönnen tu' ich's den Armen gewiß! Sogar noch viel)
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