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Allgemeiner Anzeiger : 01.05.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-05-01
- Sprache
- Deutsch
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- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1912
-
Monat
1912-05
- Tag 1912-05-01
-
Monat
1912-05
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 01.05.1912
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Drobenäe Wetterwolken. „Die türkische Frage, solange sie sich inner halb der türkischen Grenzen entwickelt, berührt meines Dafürhaltens kein« kriegswürdigen deutschen Interessen." So schrieb am 5. Juli 1876 Bismarck an den König Ludwig II. von Bayern, der den greisen Staatsmann (der in Kissingen zur Kur weilte) in einem liebens würdigen Schreiben in seinem Lande begrüßt und dabei kurz die politische Lage (die Spannung zwischen Rußland und Österreich) gestreift hatte. Damals waren unsre Handels beziehungen zur Türkei nur geringe und Bismarck nährte außerdem den heimlichen Ge danken an ein Bündnis zwischen Deutschland, Österreich, Rußland und (allenfalls) Italien. Das Geschlecht von heute weiß, daß wir von einem Bündnis mit Ruhland im Ernst nicht mehr reden können. Abgesehen davon, daß beide Völker durch fast unversöhn liche Weltanschauungen getrennt sind, bleibt ausschlaggebend, daß das Zarenreich durch seine Anleihen in Frankreich der Republik ver pflichtet ist und außerdem bei seinem ange borenen Drange, sich nach allen Richtungen aus zudehnen, nie den Gedanken aufgegeben hat, bei passender Gelegenheit seine Ostseeprovinzen auf Kosten Deutschlands abzurunden. Mit der Türkei verbinden uns heute wichtige Handels interessen, die von Jahr zu Jahr sich mehren, und außerdem bildet die Türker für uns noch immer das Durchgangstor «ach Borderasien. Wir haben also ein lebhaftes Interesse an der Erhall ung der Türkei und da zudem die tür kische Frage durch die Beschießung der Darda nellen von feiten Italiens sich nicht mehr in den Grenzen des Landes entwickelt, ist es durchaus unzulässig, Bismarcks Schatten herauf zubeschwören, um Deutschlands Haltung m der gegenwärtigen Krise zu bestimmen. Denn von demselben Bismarck stammt das Wort, daß Politik die Kunst sei, die jeweils im Völkerleben tät-gen Kräfte rechtzeitig zu erkennen. Nun hat zwar Herr v. Bethmann-Hollweg in seiner jüngsten Reichstagsrede ausdrücklich versichert, daß die politische Lage in Europa keinen Grund zur Beunruhigung biete, aber es ist doch ein Unterschied, ob ein Staatsmann von weithin sichtbarem Platz sich über die politische Lage äußert und damit sich und seine Mitarbeiter dem Ausland gegenüber sestlegt, während er unter allen Umständen un beschränkte Entschlußfähigkeit haben muß, oder ob wir im stillen Kämmerlein einen Blick auf die Stürme der Zeit werfen. Dem nachdenk lichen Betrachter der jüngsten Ereignisse wird sich da die unabweisbare Erkenntnis aufdrängen, daß unsre internationale Lage zwar augenblick lich keinen Anlaß zur Besorgnis bietet, daß aber genügend Konfliktsstoffe vorhanden sind, an deren Beseitigung die Diplomatie mit Aufbietung aller Kräfte arbeiten muß. Denn der anfänglich so harmlos ver laufene Operettenkrieg in Tripolis ist jetzt zu einer europäischen Angelegenheit geworden, seit Italien die Dardanellen bombardiert und in Rußland einen verständnisvollen Freund ge funden hat, der sich, als die Türkei zu ihrer Verteidigung die Engen sperrte, nicht etwa an Italien als den Urheber dieser Maßregel, son dern an die Türkei mit einer Beschwerde wandte. Kann aber die Türkei die Engen öffnen, ohne mit der Möglichkeit eines Angriffs auf die Hauptstadt rechnen zu müssen? Die Frage stellen, heißt sie verneinen, denn im Hinter- gründe der russischen Beschwerde schlummert doch schließlich nur der alte Wunsch des Zarenreiches, die Dardanellen für immer geöffnet und so für die Schwarze Meerflotte einen Ausweg «ach dem Miteelmeere erschlossen zu sehen. Damit wäre das Sterbe- stündlem der Türkei gekommen, denn wenn auch schließlich nicht mit einem Gewaltstreich Ruß lands gegen Konstantinopel zu rechnen ist, so wäre doch die Türkei von Rußland abhängig, wenn russische Kriegsschiffe mit ihren Kanonen Konstantinopel bedrohen könnten. Der deutsche Botschafter Frhr. v. Marschall hat bisher wäh rend der Krise mit ungewöhnlichem Geschick Deutschlands Interessen am Goldenen Horn wahrgenommen, sie würden aber geschädigt, wenn Deutschland sich jetzt entschlösse, den Sultan zu bedrängen. Wir werden unsre Kraft noch brauchen: denn die Kanonenschüsse der Italiener im Ägäischen Meere und auf die Dardanellenforts haben das Signal zur Auf rollung der türkischen Frage gegeben, die jetzt für Deutschland von andrer Wichtigkeit ist, als vor 36 Jahren. L. v. Politische Kuncllcbau. Deutschland. *Kaiser Wilhelm wird am 13. Mai auf der Heimreise von Korfu in Begleitung des Staatssekretärs Zorn v. Bulach der Hoh- königsburg bei Schlettstadt einen kurzen Besuch abstatten. *Auf AnregungKaiserWilhelmS findet am 6. Mai im Reichsamt des Innern zu Berlin unter persönlicher Leitung des Staatssekretärs eine Konferenz zur Siche rung des Überseeverkehrs statt, an der alle in Betracht kommenden amtlichen Stellen, die Vertreter der Reedereien, Werften, der Seeberufsgenoffenschaft, des Nautischen Vereins, der Schiffsbautechnischen Gesellschaft teilnehmen werden. Im Vordergründe der Be ratungen dürften stehen die Fragen der Rettungsboote, der wasserdichten Schotten, der Dampserrouten, der drahtlosen Telegraphie und der Fahrtgeschwindigkeit. * Bei der Reichstagsersatzwahl im zweiten oldenburgischen Kreise Barel- Jever, den der verstorbene Abgeordnete Träger (fortschr. Vp.) im Reichstage vertreten hat, erhiell Buchdruckereibesitzer Hug (soz.) 12 568, Landtagsabgeordneter Dr. Wiemer (fortschr. Vp.) 11226, Rechtsanwalt Dr. Albrecht (nat.-lib.) 1893, v. Hammerstein (B. d. Landw.) 1058 Stimmen. Es findet demnach Stich wahl zwischen Hug und Dr. Wiemer statt. — Bei den Januar-Wahlen erhielten im ersten Wahlgang Träger (fortschr. Vp.) 12 204, Hug (soz.) 13 014, der Nationalliberale Strube 4335 Stimmen: 40 waren zersplittert. In der Stichwahl siegte Träger mit 15 629 über 13 925 sozialdemokratische Stimmen. Aus ciem Reichstage. Der Reichstag beendete am Donnerstag die erste Lesung der Wehrvorlagen, nachdem sämtliche Ab geordnete, die das Wort erbaten, dasselbe auch er halten hatten. Verschiedene von ihnen beschäftigten sich, wie nach dem Zwischenfall vom Mittwoch zu erwarten war, auch mit der Duellfrage; vor allem Abg. Spahn (Zentr.). Er gab die Erklärung ab, daß seine politischen Freunde gegen die Äußerungen des Kriegsministers vom Mittwoch über das Duell protestieren aus Grund ihrer religiösen Überzeugungen. Der Kriegsminister stelle sich damit außerhalb der Gesetze, die das Duell verbieten. Aus dem Offizier korps werde also der ausgeschlossen, der dem Gesetze Achtung erweise. Man werde in der Kommission Weiter darüber reden. Nachdem die Debatte ge schloffen, wurden die Heeresvorlage und die Marine vorlage an die Budgetkommission verwiesen. Die Deckungsvorlage beantragte Abg. Bassermann (nat.-lib.) einer besonderen Kommission zu überweisen. Die Abstimmung durch Hammelsprung ergab die Annahme des Antrages mit 160 gegen 158 Stimmen. Am 26. d. Mts. werden zunächst Wahl prüfungen erledigt. Es folgt die Inter pellation über denbayris ch enJesuiten- erlaß. Die Interpellation der Nationalliberalen lautet: 1) Erkennt der Herr Reichskanzler in dem Erlaß des Königlich bayrischen Staatsministeriums des Jnne-.n an die Königlichen Regierungen betreffend Vollzug des Jesuitcngesetzes eine Verletzung des Neichsgesetzes vom 4. Juli 1872 und der Bekannt machung des Reichskanzlers vom 5. Juli 1872? 2) Welche Schrille gedenkt der Herr Reichskanzlers gegenüber diesem Vorgehen der Königlich bayrischen Staatsregierung zu tun, um das kaiserliche Recht zur Überwachung der Ausführung der Reichsgesetze zu wahren? Abg. Junck (nat.-lib.): Der Erlaß des bayri schen Ministeriums ist eine auffällige Verletzung eines Reichsgesetzes. So lange ein Reichsgesetz besteht, haben die einzelnen Staaten in Treue und Gehorsam gegenüber dem Reiche das Reichsgesetz auch seinem Geiste nach zu erfüllen. Noch gestern hat sich das Zentrum be schwert, daß ein Minister dem Gesetze die Achtung und den Gehorsam vertagt hat. Wir wenden uns an den Kanzler de» Reiches als den Hüter des R- ichsrechts. Hat der Reichskanzler seine Meinung, daß eine Verletzung eines Reichsgesetzes erfolgt ist, zum Ausdruck gebracht? Hier liegt zweifellos ein Konflikt zwischen Reich und Einzelstaat vor. Es wäre mit dem Reichsgedanken unverträglich, wenn sich gewissermasten ein Königlich preußisches und ein Königlich bayrisches Jesuitenrecht herausbilden sollte. Die Auflehnung gegen das Reichsgesetz wird geschickt verhüllt. Missionen sind nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes verboten. Der Unterschied zwischen Missionen und Konferenzen ist ganz klar. Missionen üben eine HeilStötigkeit aus, Konferenzen sind nur Vorträge. Hier muß die Aufsichtsbehörde eingreisen. ES handelt sich um den konfessionellen Frieden. Reichskanzler von Bethmann-Hollweg: Da« J iuitenge'etz vom 18. Juli 1872 schließt die Angehörigen deS Ordens der Gesellschaft Jesu vom Gebiet deS Deutschen Reiche» au» und untersagt die Errichtung von Niederlassungen. Auf Grund de» 8 3 des Gesetzes, der bestimmt, daß die zur Aus führung des Vollzuges de« Gesetzes erforderlichen Verordnungen vom Bundesrat erlassen werden, bat der Bundesrat beschlossen, daß der Orden der Ge sellschaft Jesu vom Deutschen Reiche ausgeschloffen ist, den Angehörigen diese» Ordens die Ausübung einer Ordenstäiigkeit, insbesondere in Schule - und Kirche, sowie die Abhaltung von Missionen nicht zu gestatten ist. Im Bundesratsprotokoll zu diesem Beschluß ist folgender Satz eingefügt worden: „Der erfolgte Beschluß wurde mit dem selbstverständlichen Voroehalt gefaßt, daß ergänzende und abändernde Anordnungen getroffen werden, wenn im Laufe der Zeit auf Grund der bet Ausführung deS Gesetzes gemachten Erfahrungen die Notwendigkeit des Er- laffes weiterer Bestimmungen sich herausstellen sollte." Eine bestimmte Auslegung des Begriffes Ordenstätigkeit war hiernach vom Bundesrat nicht gegeben worden. Trotzdem ist die Auslegung dieses Begriffe» bis in die neueste Zeit in sämtlichen BunoeSslaaten im wesentlichen eine gleiche gewesen. Danach hat man jede Art dieser seelsorgerischen Tätigkeit, jede Art von priesterlicher Funktion als emen Akt der Ordenstäügkeit betrachtet und nur das Lesen sogen. Pumizmessen als zulässig erachtet, soweit sie den Charakter von Familienfeiern tragen, weiter das Lesen stiller Messen und das Spenden von Sterbesakra menten gestattet, soweit nicht Landesgesetze enigegen- standen. Auch sogen. Konferenzvorträge religiösen und sozialen Inhalt» sind unter gewissen Voraus setzungen tatsächlich zugelaffen oder geduldet worden, sofern sie in profanen Räumlichkeiten stattfanden. Zu einer hiervon abweichenden Auslegung ist, wie bekannt, die bayrische Regierung gekommen, die unter dem 11. März angeordnet hat, daß zu der verbotenen Ordenstäiigkeit in Zukunft nicht gerechnet werden sollen die sogenannten Konferenzvorträge, wenn sie in kirchlichen Räumen stattfinden und sich die Gelegenheit zum Empfang der Sterbesakramente sich damit verbindet. Eine so verschiedene Auslegung und Anwendung eines Reichögesetzes ist selbstverständlich nicht angängig. Ich habe in folgedessen, als mir diese Anordnung der Königlich bayrischen Regierung zunächst durch die Presse be kannt wurde, sogleich an die bayrische Regierung da» amtliche Ersuchen gerichtet, mir den Wortlaut der in der Presse als geheim bezeichneten Anordnung mitzuleilen. Die Königlich bayrische Regierung ist diesem Ersuchen nachgekommen und hat mich un mittelbar darauf wissen lassen, daß sie beabsichtige, beim Bundesrat einen Antrag auf genaue Aus legung der verbotenen Ordenstäiigkeit zu stellen. Die bayrische Negierung hat dieien Ent chluß sofort au»- gesühri. Dem Bundesrat liegt ein bayrischer Antrag vor, den Begriff der verbotenen Ordenstätigkeit zu erklären. Bis zum Ergehen des Bundesrats- ratsbeschlusscs wird 8 1 des Jesuitengesetzes im ganzen Deutschen Reiche aus Grund der bestehenden Übung gleichmäßig angewendet werden. Nach dieser Zeit Wird der vom Bundesrat gefaßte Beschluß die emheitliche Grundlage bilden. Bei dieser Sachlage ist die Diskussion über den Begriff Ordenstätigkeit oder verbotene Ordenstäiigkeit der bevorstehenden Bundesratssitzung vorzubehalten. Bayrischer Gesandte Gras Lerchenfeld: Der Abg. Junck hat gesprochen von einer Verletzung des Ruchsgesetzes durch die bayrische Regierung. Ich konstatiere, daß meine Regierung bei dem Erlaß der festen Überzeugung war, daß sie sich innerhalb des Rahmens des Neichsgesetzes gehalten hat. Dann hat der Herr Abgeordnete weiter gemeint, daß Bayern einseitig vorgegangen sei. Auch das muß ich zurückweisen. Gleichzeitig mit dem Erlaß und vor dem Erlab hat die bayrische Regierung sämt lichen Bundesregierungen ihre Auffassung der Sache angezeigt. Nachdem dann Bedenken gegen den Erlaß ausgestiegen waren, hat die bayrische Regie rung sich an die Stelle gewendet, die dazu berufen ist, Reichsgesetze auszulegen. Der Bundesrat ist dazu kompetent. Ich glaube, die bayrische Regierung ist in dieser Sache so verfahren, wie sie verfahren konnte. Die Besprechung der Anfrage wird beschlossen. Abg. Blo» (ioz.): Der bayrische Erlaß macht uns nicht übermäßige Sorge. Die jesuitische Spitzfin digkeit feiert in diesem Erlaß große Triumphe. Es würde mich nicht wundern, wenn die heiligen Väter von der Gesellschaft Jesu die Verfasser diese» Erlasses wären. Wir wollen, daß auch die Jesuiten »coalitions- und Redefreiheit haben. Aber solange da? Jesuitengesetz besteht, solange muß es auch be achtet werden. Das Jesuitengesetz wurde seinerzeit erlassen, weil man liberalen Ammenmärchen glaubt«. Man halte Furcht vor den Jesuiten. Sie waren aber auch zeitweise das liebe Kmd der Monarchie. Die Jesuiten find unsre schärfsten Feinde. Trotzdem verlangen wir die Abschaffung des monströsen Jesuitengesetzes. Abg. Spahn (Zentr.): Meine Partei wartet die Entscheidung im Bundesrat ab. Auch ich bin der Ansicht, daß man das Gesetz befolgen muß, so lange es besteht, auch wenn e» ein ungerechte» Gesetz ist. Man muß bei der Tätigkeit der Jesuiten zwischen ihrer Tätigkeit al» Priester und al» Mit glieder de» Orden» unterscheiden. Wa» wollen Si« mit de« Schikanen erreiche« ? Es würde kommen, wie in Schleswig mit den Dänen, die sich eigene Säle bauen. Jemand zu hindern, nach den Vorträgen, zur Beichte, zum Sakrament zu gehen, wäre der schwerste Eingriff. Heben Sie doch den 8 1 des Jesuttenaeietzes auf. Abg. Graf Westarp (kons.): Nach den Er klärungen de» Reichskanzlers hat die Sache im wesentlichen nur verfassungsrechtliche, d. h. formelle Bedeutung. Unser Standpunkt in diesen Fragen ist unverändert. Die bayrische Verordnung hat sich nicht innerhalb de» verfassungsrechtlichen Zustande» gehalten. Korrekt aber war, daß sie sich an den Bundesrat gewandt hat, um einen Beschluß herbei- zusühren. Dieser Beschluß wird uns eine Bürgschaft für einheitliche Durchführung dieses Gesetzes schaffen. Abg. Dove (fortschr. Vp.): Wir haben un» bei der Prüfung der Frage weniger an die Aus-' sürungSbestimmungen, sondern vor allem an da« Gesetz zu halten. Danach ist die MstsionSlätigkett in der Kirche verboten. Dieser Ansicht war doch 40 Jahre lang auch die bayrische Regierung. Der Erlaß soll eine kleine Vorarbeit sein; dann soll das ganze Jesuitengesetz abgebrochen werden. Wir wollen alles vermeiden, was den Reichsgedanken schwäche« könnte. Abg. Mertin (Rp.): Die bayrische Auslegung widerspricht der bisherigen Praxis und weicht «uch vom Sinne des Geietzes ab. Abg. Ortmann (nat.-lib.): Durch die Er klärung des Reichskanzlers ist die Beunruhigung »nr noch stärker geworden. Wir befürchten, daß die Regierung zuviel nachgibt, daß der hayrische Kurs auf das Reich übertrage« wird. 40 Jahre hat man Frieden gehalten, letzt macht man mobil. Der Kampf gegen die Jesuiten ist ein Kampf für Gerechtigkeit und Kultur. I« Reiche darf das Zentrum nicht allmächtig werde«, dafür werden wir sorgen. Abg. v. MorawSki (Pole): Hier lebt «tu Stück Kulturkampf. Hier hanvelt eS sich nicht u« einen einzelnen Vorstoß, sondern um eine Kette do« Ereignissen. Abg. Gröber (Ztr.): Der BundeSrat sollte prüfen, ob er zum Verbot der OrdenSIötigkeit be rechtigt ist. Das Jesuitengesetz ist ein Ausnahme gesetz und muß als solches ausgelegt werden. Bei diesem Vcrfolgungsgesetz handelt es sich also um einen Angriff auf die katholische Kirche. Es trifft nicht bloß den OrdenSmann, sondern de« kaiholischen Priester. Das geht gegen die Freiheit der katholischen Kirche. Und das m einem Moment, wo alle Mächte des Umsturzes sich rühren. Abg. Mumm (wirych. Vgg.): Wir erwarte«, daß der Bundesrat die Frage des bayrischen Er lasses so regelt, daß sie das berechtigte evangelische Interesse wahrt, aber auch den konfelsionellen Friede« sichert. Als evangelischer Christ bedaure ich auch tief die gestrige Erklät ung des KriegSmittisters. 8l«ch da muß da» Reichsstrasgesetzduch einheitlich durch- gesührt werden. Der Bundesrat darf keine ge wundene Politik treiben, die man jesuitisch »der nationalliberal nennt. Nach einem Schlußwort des Abg. Junck (nat.-lib.) schließt die Erörterung. Es folgt die Weiterberatung des Etats der Reichseisenbahnen. Abg. Liesching (fortschr. Vp.) ist für Sp«r- samkeit, jedoch nicht aus Kosten der Beamtenve'oldung. K Siegenäe I^iebe. 4j Roman von Paul Bliß. lFortsktzuxg.) Ganz erstaunt sagte der Maler: „Nein, wie ist daS nur möglich?" „Ja, das frag' ich mich auch wer weiß wie ost. So'n krasser Undank war noch gar nicht da! Aber das hat sie von ihrem Vater. Das war 'n ganz Schlimmer. Unser Herrgott hab' ihn selig. Aber der hat's auch hier bunt ge trieben, das kann ich Ihnen nur sagen. Alles hat er verjubelt, der letzte Groschen mußte inS Wirtshaus. Wenn Sie mal drüben den Wirt in der „Goldenen Kugel" fragen, der kann Ihnen nette Geschichten erzählen. Ja, ja, horchen Sie mal so bei Gelegenheit hin, da werden Sie was erleben, das kann ich Ihnen nm sagen." „Der Vater war ja wohl Musiker, nicht wahr?" Hohnlachend rief die Alte: , „Und was für einer! Wenn der ein richtiger Musiker war, denn bin ich auch einer! Nicht mal ordentliche Stunden geben konnte er, und dabei ließ er sich eine Mark für die Stunde be zahlen. Fragen Sie mal rum in der Stadt, ob ein Mensch was bei ihm gelernt hat! Nee, nee, ein ganz verkommenes Genie war er — Opern wollt' er machen und solche Sachen — ja, anders tat er's nicht — immer hoch hinaus — für 'ne solide Stelle in unsrer Stadt kapelle war er nicht zu haben, lieber hat er Frau und Kind hungern lassen. So'n hoch näsiger Kerl war der! Und das hat nun seine liebe Tochter alles brühwarm von ihm geerbt. Nette Gesellschaft, nicht wahr?" Der Maler schwieg. Was er da eben er fuhr, das machte ihn ernst und gab ihm zu denken. Endlich fragte er zögernd: „Gehört denn den Leuten das Häuschen, in dem sie wohnen?" „Bewahre! Nur aus Gnade und Barm herzigkeit hat man'S ihnen billig vermietet." „So, so. Na, dann wird man wohl auch nichts dagegen haben, wenn ich das Häuschen male." Nun wm die Alte starr. „Das elende Haus wollen Sie abmalen? So 'ne alte, halb ver fallene Baracke? Na, das begreif ich aber wirklich nicht. Da bringen Sie doch lieber mein hübsches, neues Häuschen auf ein Ge mälde rauf I Das würde doch denn wenigstens nach was aussehen. — Wer so 'ne alte, ver staubte Kabache abzumalen, das verstehe ich denn doch wirklich nicht!" Lächelnd beruhigte der Maler sie und ver sprach, die Sache noch einmal zu überlegen. Wer schon am Spätnachmittag desselben Tages saß er vor dem so mg geschmähten Häuschen und fertigte die erste Farbenskizze an. Gerade als Elsbeth eifrig dabei wm, mit dem heißen Bügeleisen zu hantieren, kam die Mutter ins Zimmer und rief: „Sieh nm, Kind, da sitzt ein junger Maler und zeichnet unser Haus." Erstaunt sah die Kleine auf. Dann stellte sie das heiße Plätteisen auf die Röste, um nichts zu versengen, und dann trat sie behut sam ans Fenster, aber so, daß sie von der Gardine gedeckt und von draußen nicht zu sehen wm. Sprachlos starrte sie hinaus. Was für ein junger, fescher Mann da saß — wie flott der stramme Schnurrbart in dem gebräunten, männ lich schönen Gesicht sich ausnahm — und wie flink und sicher die geschickten Hände arbeiteten, — jetzt sah er hoch — und was für blitzende, stolze Augen er hatte I Sie errötete leicht und trat schnell zurück, um es zu verbergen vor der Mutter. Aber die merkte gm nichts davon, unaus gesetzt sah sie hinaus zu dem jungen Malersmann. „Was er wohl nur an dem Haus so schön finden mag," sagte sie nachdenklich. „Wer kann das wissen, Mutting, es muß ihn doch irgend was daran interessiert haben," antwortete die Tochter leichthin und ließ das spiegelblanke Eisen über die weiße Plättwäsche hin und her gleiten. Die Mutter sann noch immer. — „Und was er wohl nachher mit dem Bilde macht — wer wohl an solchem alten Haus Geschmack findet — so'n Bild wird doch sicher kein Mensch kaufen." Lächelnd rief Elsbeth: „Nein, Muttchen, um was du dich auch alles sorgst, es ist nicht zu glauben." Während sie noch so sprachen, kam draußen — scheinbar zufällig — des Malers Wirtin vorbei, und als sie nun sah, daß ihr Mieter sein Vorhaben nun wirklich ausführte, da schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen, rief etwas wie „ganz verrückt" und lief erregt davon. Stillvergnügt sah der Maler ihr nach — er ahnte, daß es von nun an um seine Ruhe i« Hause geschehen wm. Aber auch die alte Frau Bürger hatte daS mit angesehen, und seufzend klagte sie nmi:, „Ach, du lieber Gott, das gibt doch Wied« neuen Stoff zur Klatscherei!" Und ob Elsbeth sie auch trösten wollte — sie ließ sich nicht davon abbringen — sie kannte ihre lieben Nächsten ... Drei Tage lang arbeitete der junge Maler fast ununterbrochen vor dem kleinen Häuschen. Nie nahm er die geringste Notiz von den Be wohnerinnen oder von dem, was um ihn her vorging, immer war er ganz nur bei seiner Arbeit. Und jeden Tag beobachtete Elsbeth ihn. hinter der Gardine, aber nur dann, wenn lfle Mutter es nicht merkte. Minutenlang konnte sie dann stehen und ihm zusehen, und einmal geschah es sogar — was noch nie vorge kommen war — daß das Plätteisen ganz kalt wurde. Es war etwas Sonderbares über sie gekommen, etwas, das sie immer wieder zwang, den fremden jungen Mann anzusehen. Er kam von draußen, aus der Welt, wohin sie sich sehnte, und er war ein Künstler, kein gewöhn licher Alllagsmensch — sie dachte daran, mit welcher Andacht und Ehriurcht ihr verstorbener Papa über Kunst und Künstler gesprochen hatte — und so sah sie in diesem jungen Mann etwas, was voll heißer Sehnsucht in ihrer Seele lebte — so verkörperte dieser Fremde etwas von den Idealen, die ihr vorschwebten. Gar zu gern hätte sie etwas von seiner Arbeit gesehen; da si« aber merkte, daß er
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